Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Trinitatis, 22. Mai 2005
Predigt über Römer 11, 32-36, verfasst von Elof Westergaard
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1 . Oh, welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! So schreibt Paulus im Brief an die Römer, in der Epistel für heute. Es ist ein Lobpreis. Der Lobpreis, mit dem Paulus seinen Abschnitt über Gottes Erlösung Israels abschließt.

Eine Verkündigung, dass Juden wie Heiden, ja, alle unter dem Gericht Gottes stehen und damit alle auch in der Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit leben können. Wie Paulus es unmittelbar vor diesem Lobpreis markant formuliert hat: Denn Gott hat alle beschlossen unter den Unglauben, auf dass er sich aller erbarme / oder auf dass er allen Barmherzigkeit zeige (Röm. 11,32).

2. Gottes Reichtum, Weisheit und Erkenntnis sind nach Paulus in seinem Lobpreis so tief, dass seine Gerichte für uns unbegreiflich sind, sie können rätselhaft sein. Wir verstehen sie nicht notwendigerweise. Ebenso wie die Wege des allmächtigen Gottes für uns unaufspürbar sein können. Es liegt eine Doppelheit in der Formulierung dieses Lobpreises. Sowohl ein hartes Urteil über uns als auch eine große Gnade.

Wir können die Tiefe Gottes nicht ausloten. Gott sei Dank! Seine Gerichte sind nicht unsere. Er ist die Wurzel, wir sind bloß, so dürfen wir hoffen, ein kleiner Zweig an dem Baum, den er in die Welt gepflanzt hat. Alles hier bei uns wird so leicht mit der Wurzel ausgerissen. Also auch unsere Weisheit. Paulus zitiert selbst in einem anderen Brief das Wort des Jesaja. Paulus schreibt: Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen. (1. Kor. 1,19 / Jes. 29,14; 44,25).

In der Tatsache, dass wir die Tiefe der Weisheit Gottes nicht auszuloten vermögen, liegt eine Betonung der Grenzen unseres Wissens, es wird zunichte gemacht, ein Gericht über uns, aber zugleich liegt darin auch die Gnade.

Denn welch eine Erleichterung, welch eine Hoffnung ist uns nicht eben dadurch gegeben, dass Gottes Weisheit, Reichtum und Erkenntnis weit über unsere eigenen Fähigkeiten hinausreichen. Das macht uns weiterhin Hoffnung, dass all unsere Engstirnigkeit und Selbstgerechtigkeit, unsere Engherzigkeit und unser Gerechtigkeitssinn, dass die nicht notwendig alles sind. Es macht uns Hoffnung, dass unsere Art und Weise miteinander umzugehen, uns gegenseitig zu belästigen und zugrunde zu richten, dass das nicht allein dastehen wird. Die Weisheit, der Reichtum und die Erkenntnis Gottes geben uns geradezu die Hoffnung, dass Gnade vor Recht ergehen muss.

3. Wenn Paulus Gott und seinen unendlichen Reichtum, seine Weisheit und Erkenntnis lobpreist, dann geschieht das nämlich nicht so sehr im Blick auf das Schöpfungswerk Gottes. So wie wir ihm im Buch der Psalmen oder bei unseren Liederdichtern begegnen können wie z.B. Brorson in dem dänischen Lied „Op al den ting, som Gud har gjort“ („Auf alle Ding, die Gott gemacht“, dänisches Gesangbuch Nr. 15), in dem sich das Geschöpf ja über den kleinsten Strohhalm wundert.

Paulus’ Lobpreis des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes knüpft vor allem an die Art und Weise an, wie Gott sich in Jesus zu erkennen gegeben hat.

Um im Sprachgebrauch des Paulus zu bleiben, können wir sagen, dass der Reichtum Gottes, seine Weisheit und seine Erkenntnis sich im Kreuz und dem gekreuzigten Christus sammelt. Paulus formuliert das sehr klar in einem anderen seiner Briefe, im ersten Korintherbrief:

Denn dieweil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben; sintemal die Juden Zeichen fordern und die Griechen nach Weisheit fragen, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit” (1. Kor. 1,21-23).

Das Kreuz ist hier ein Gericht über uns. Es enthüllt die fehlende Weisheit in unserem Eigenen, und, so könnten wir hinzufügen, das Kreuz zeigt auch die menschliche Sünde und Bosheit, was wir einander antun können, ebenso wie es uns das zeigt, was wir nicht verstehen können: Gott am Kreuz. Der allmächtige Gott stirbt den Tod eines schwachen Menschen.

Der Kreuzestod Jesu zeigt uns somit die Grenze unseres eigenen Denkens und Spekulierens. Das Kreuz weist uns unmissverständlich darauf hin, dass wir Gottes Sinn und Gedanken nicht kennen, und es zeigt uns unsere eigene Schwachheit.

Zugleich aber zeigt uns das Kreuz dann auch sehr viel mehr als unsere eigene Unzulänglichkeit. In erster Linie weist das Kreuz für uns auf die Gnade Gottes und seinen Willen hin, uns zu folgen selbst im Tode. Dass ihm kein Ort zu dunkel ist und keine Tiefe zu tief. Die Liebe Gottes und seine Barmherzigkeit können selbst sie kälteste Erde lebendig und warm machen.

4. Oh, welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und Erkenntnis Gottes!, lobpreist Paulus Gott. Diese Dreiheit: ”Reichtum, Weisheit und Erkenntnis” verbindet sich mit Gott. Er ist reich. Er ist weise. Er besitzt Erkenntnis. Über allen Verstand
Miteinander können alle diese drei Prädikate die Allmacht Gottes betonen. Zugleich aber bezeichnen die drei auch etwas Verschiedenes.

Auf dieselbe Weise gilt das von unserem Bekenntnis und Gottesbegriff, dem Bekenntnis zu dem dreieinigen Gott. (Das Bekenntnis, nach dem der heutige Sonntag seinen Namen hat: Sonntag Trinitatis, und alle folgenden Sonntage des Kirchenjahres bis zum Ersten Sonntag im Advent haben – mit einer einzigen Ausnahme – auch den Namen Trinitatis.) Trinitatis – die Dreieinigkeit von Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist. Die Tatsache, dass wir ein und denselben Gott mit drei Namen kennen, trägt auch dazu bei, verschiedene Farben zu geben und verschiedene Sachverhalte zu betonen in Bezug auf diesen einen und selbigen Gott. Und jeder für sich, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, trägt dazu bei, etwas Wesentliches über Gott und das Gottesverhältnis zu sagen, dass uns durch Gottes eigene Gnade geschenkt ist und an dem wir Anteil erhalten. Die Lobpreisungen im Römerbrief, die Rede von Gottes Reichtum, seiner Weisheit und seiner Erkenntnis betonen gewiss, wie bereits gesagt, die Allmacht Gottes, zugleich aber zeigen sie in all ihrer Verschiedenheit und damit jeweils auf eigene Weise etwas Wesentliches auf in der Offenbarung Gottes und seiner Gegenwart hier.

5. Oh, welch eine Tiefe des Reichtums Gottes!, schreibt Paulus. Heute unterscheiden wir oft zwischen materiellem Reichtum und einem mehr geistigen oder jedenfalls weniger handgreiflichen Reichtum. Etwa dem Reichtum in einer Freundschaft, in der Liebe oder in der Familie. All das, was das Leben eben reich macht.

Gerade weil unsere Welt so materiell ausgerichtet ist und diesen enormen Überfluss besitzt, enden wir leicht in dieser sehr starken Unterscheidung. Aber das alles ist ja Reichtum: sowohl das Materielle als auch das mehr Geistige. Reichtum ist in einem gewissen Sinne in allem gegenwärtig, was es gibt und von Gott geschaffen ist. Reichtum bezeichnet einen Überfluss und eine Fülle von etwas. Der Gegensatz zu Reichtum ist Armut, kann aber auch Mangel und Leere sein.

Die Rede vom Reichtum Gottes – die Worte Oh, welch eine Tiefe des Reichtums Gottes! – tragen dazu bei, die Fülle Gott Vaters zu ver­anschaulichen. Und hier hat man nicht nur materiell zu denken und an Gottes mögliche Erfüllung dessen, von dem wir selbst meinen, es fehlt uns konkret im Leben.

Paulus hat in demselben Kapitel des Römerbriefes schon vorher davon gesprochen. Hier ging es um den Reichtum, der darin besteht, dass der Pakt Gottes nicht nur ganz Israel gilt, sondern der ganzen Welt. Und dass der Reichtum Gottes deshalb auch Israel gilt (V. 11, 12). Der Reichtum, Gottes Reichtum, ist also dies: dass wir Geschöpfe Gott nicht selbst etwas geben können, – ihm, der uns zuerst etwas gegeben hat: der uns schuf. Der Reichtum ist, dass Gott sich nicht für sich behält, sondern in Übereinstimmung mit seinem Wesen nicht sich selbst sucht, sondern hinaus nach anderen: und zwar nicht nur nach einem engen Kreis, einer geschlossenen Gruppe. Seine Himmelsschleusen sind offen für die ganze Welt.

6. Oh, welch eine Tiefe der Weisheit Gottes!, schreibt Paulus dann auch. Wir streben nach Weisheit. Nikodemus, der Mensch und der Pharisäer, tat es auch, als er des Nachts zu Jesus kam und ihm um Rat fragen wollte. ”Wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen.”

Die Weisheit ist im Christentum allerdings paradox, weil sie von Liebe und Gnade getragen ist, und, wie Jesus es in dem Gespräch mit Nikodemus sagt, getragen von einem Geist, der weht, wo er will, d.h. die Weisheit lässt sich nicht in ein System zwingen.

Die Weisheit Gottes ist wie schon gesagt im Kreuz, in dem Gekreuzigten ausgedrückt.

7. Oh, welch eine Tiefe der Erkenntnis Gottes!, schreibt Paulus dann als drittes und letztes. Wir selbst kennen nicht die Gedanken Gottes. Und unsere eigene Erkenntnis ist leicht so kalt und kühl. Aber genau hier geschieht es, dass Gott ständig seinen Geist über die Erde wehen lässt. Es gibt den Heiligen Geist, und er wird weiterhin Gottes Erkenntnis in seine Kirche und in seine Gemeinde bringen, so dass die Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes uns zuteil werden mag. Im Namen des Vater, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Pfarrer Elof Westergaard
Gramvej 2, Husby
DK-6990 Ulfborg
Tel. +45 97495108
E-mail: eve@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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