Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 29. Mai 2005
Predigt über Johannes 5, 39-47, verfasst von Dorothea Zager
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Wo geht’s lang?

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn und Heiland Jesus Christus. Amen.

Ihr forscht doch in den Heiligen Schriften und seid überzeugt, in ihnen das ewige Leben zu finden - und gerade sie weisen auf mich hin.
Aber ihr seid nicht bereit, zu mir zu kommen und so das ewige Leben zu haben.
Ich bin nicht darauf aus, von Menschen geehrt zu werden.
Außerdem kenne ich euch; ich weiß, dass in euren Herzen keine Liebe zu Gott ist.
Ich bin im Auftrag meines Vaters gekommen, doch ihr weist mich ab. Wenn aber jemand in seinem eigenen Auftrag kommt, werdet ihr ihn aufnehmen.
Wie könntet ihr denn auch zum Glauben an mich kommen? Ihr legt ja nur Wert darauf, einer vom andern bestätigt zu werden. Aber die Anerkennung bei Gott, dem Einen, zu dem ihr euch bekennt, die sucht ihr nicht.
Ihr braucht aber nicht zu denken, dass ich euch bei meinem Vater verklagen werde. Mose klagt euch an, derselbe Mose, auf dessen Fürsprache ihr hofft.
Wenn ihr Mose wirklich glaubtet, dann würdet ihr auch mir glauben; denn er hat über mich geschrieben.
Da ihr aber nicht glaubt, was er geschrieben hat, wie könnt ihr dann meinen Worten glauben?
(Übersetzung „Die gute Nachricht“)

 Woran soll man sich noch halten?

Liebe Gemeinde,

noch vor wenigen Jahren dachten wir: Das Ruhrgebiet ist fest in sozialdemokratischer Hand. Das wird niemals schwarz. Seit letztem Sonntag wissen wir: auch Arbeiter wählen CDU. 1 Million waren es letzten Sonntag mehr als sonst. Nichts da mit dem SPD-Stammland Nordrhein-Westfalen.

Noch vor einer Woche dachten wir: der nächste Wahlkampf lässt noch über ein Jahr auf sich warten. Seit letztem Sonntag wissen wir: Schon dieses Jahr im Herbst müssen wir wieder an die Urnen. Und die Wortschlachten dafür haben schon längst begonnen.

Die Krankenkassenbeiträge bleiben unten, hat man uns gesagt. Die 10 Euro Praxisgebühr waren der Garant. Und schon ist davon die Rede, dass die Beiträge wieder steigen sollen.

Die Renten bleiben stabil, sagt man. Und längst ist beschlossene Sache, dass sie sinken werden.

Die Börse boomt, aber die Menschen verlieren ihre Arbeit.

Die Jugendlichen bangen um ihre Zukunft und ihre beruflichen Chancen, aber die Pisa-Studie sagt: Sie sind nicht fleißig genug.

Unsere Gesellschaft altert, aber nur wenige haben den Mut, Kinder zu bekommen.

Die Menschen sehnen sich nach Orientierung, aber den Weg in die Kirche finden nur wenige.

Die Menschen rufen nach vernünftigen Lösungen unserer Probleme, aber nicht die Vernunft hat Hochkonjunktur, sondern Sekten, Orakel und Wunderheiler.

Wo man hinschaut, liebe Gemeinde: Unsicherheit und Ängste.
Auch in uns selbst – und wir haben das Gefühl, unsere Welt taumelt am Abgrund.
Woran, bitte schön, sollen wir uns noch halten?

Zur Zeit Jesu war das ganz ähnlich. Fremde Machthaber waren im Land. Das Judentum tief zerstritten. Gewaltbereit die einen, schriftgelehrt und buchstabentreu die anderen, voller Endzeithoffnung wieder andere. Auch die Welt zur Zeit Jesu taumelte am Abgrund. Anders sicher als heute – aber für die Menschen seiner Zeit genauso beängstigend und bedrohlich .

Auch sie fragten: Woran, bitte schön, sollen wir uns noch halten?

Nur was schwarz auf weiß geschrieben steht!

Jesus antwortet im Johannesevangelium: Haltet Euch an Gott. Und haltet Euch an mich. Denn der Vater und ich sind eins. Er weiß, in welche Zukunft diese Welt geht. Er hat noch nie einen fallen lassen, der ihm vertraute.

Die gelehrten Bibelleser und frommen Menschen seiner Zeit waren von solchen Worten nicht begeistert. Sie wollten einen anderen Messias, einen anderen Gottessohn, einen Mächtigen, einen Königlichen, einen Größeren, einen richtigen Herrscher. Sie suchten in den Schriften und forschten in der damaligen Bibel, dem Alten Testament. Von morgens bis abends saßen sie zusammen, lasen, berieten sich und hofften, dort eine Antwort zu finden. Ganz nach dem Motto: Nur auf das kann man sich verlassen, was schwarz auf weiß geschrieben steht – und nicht auf die Worte eines Wanderpredigers.

Jesus sagt: Wenn Ihr auf die Stimme in Eurem Herzen hören würdet, dann würdet Ihr erkennen: Das was da in den alten Schriften geschrieben steht, weist doch bereits auf mich hin! Dort steht doch drin, dass Gott nicht in Macht kommen wird sondern in Demut, nicht als ein Herrscher, sondern als ein leidender Knecht, nicht um zu strafen, sondern um zu lieben – Seht Ihr es nicht? Versteht Ihr es nicht? Ich bin hier. Gott ist hier. Aber Ihr wollt ihn nicht sehen.

Ihr forscht doch in den Heiligen Schriften und seid überzeugt, in ihnen das ewige Leben zu finden - und gerade sie weisen auf mich hin.

Wenn ihr Mose wirklich glaubtet, dann würdet ihr auch mir glauben; denn er hat über mich geschrieben.

 Nur wer Rang und Namen hat!

Jesus betont es noch einmal: Nicht als ein König kommt Gott zu Euch, nicht als ein Herrscher, nicht als ein Kriegsherr, der die Römer aus dem Land wirft – sondern als ein Bruder und als ein Herr Eurer Herzen. Da will Gott regieren. Und wenn Ihr ihn dort regieren lasst, wenn Ihr Gott darüber bestimmen lasst, was Ihr sagt und tut, dann wird Orientierungslosigkeit, Friedlosigkeit und Angst nicht mehr in Euch wohnen.

Auch damit konnte Jesus die gelehrten Bibelleser und frommen Menschen seiner Zeit nicht überzeugen. Sie waren es – genauso wie wir! – gewöhnt, auf Anerkennung und Ehre zu achten. Wer Rang und Namen hat, der hat auch Einfluss. Und nur wer Einfluss hat kann auch etwas verändern. Wir geben Menschen mit Rang und Namen gerne unser Vertrauen. Und besonders gut ist es, wenn wir sogar selbst Rang und Namen haben. Denn nur dann, so denken wir, könnten wir etwas verändern.

Und da ist es gleichgültig, ob das in der Politik ist, im Showgeschäft oder in der Kirche.

Muss das sein, dass der neue Papst nun mit Titeln geschmückt wird wie „Stellvertreter Gottes auf Erden“. Muss das sein, dass unser Kirchenpräsident mit einen eigenen Dienstwagen mit Chauffeur durch die Gegend fährt? Müssen Rang und Namen sein, um etwas zu gelten? Vor dem Menschen vielleicht. Nicht aber vor Gott!

Eine Diakonisse, die ihren Liebesdienst jahrezehnte lang zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigt hat, ist vor Gott genauso viel wert wie ein Kirchenpräsident. Und ein Mensch, der zuhause liebevoll einen Angehören pflegt oder eine Schar Kinder groß zieht, ist genauso wertvoll in Gottes Augen wie ein Papst. Vor Gott gilt nicht Rang und Namen. Vor Gott gelten Herzenswärme und Vertrauen.

Ihr legt ja nur Wert darauf, einer vom andern bestätigt zu werden. Aber die Anerkennung bei Gott, dem Einen, zu dem ihr euch bekennt, die sucht ihr nicht, sagt Jesus.

Nur wer Referenzen vorzuweisen hat!

Und noch ein drittes Mal sagt es Jesus – am Ende dieser fast verzweifelt werbenden Rede – zu den Menschen seiner Zeit:

Nicht nur, was schwarz auf weiß geschrieben steht, nicht nur, was Rang und Namen hat, und auch nicht nur das, was Referenzen vorzuweisen hat – was also zurückzuführen ist auf Mose und auf die Apostel – nicht nur das darf bei Euch Geltung haben. Sondern: Hört auf die Stimme Eures Herzens. Und Ihr werdet spüren, dass ich und der Vater eins sind. Und das der Weg, den ich Euch zeige, der Richtige ist!

Da geht es lang!

Woran also, liebe Gemeinde, sollen wir uns halten?

Selbstverständlich, liebe Gemeinde, sollen wir die Bibel lesen und eifrig danach fragen, was die Menschen des Alten und des Neuen Testaments erlebt und aufgeschrieben haben. Denn all diese Menschen, Erzväter und –mütter, die Richter und Könige, die kleinen und die großen Propheten, die Evangelisten und die Apostel, erzählen von ihrem Leben im Lichte Gottes.(*) Sie legen ein Zeugnis ab, wie großartig und wie mächtig Gott sich an ihnen erwiesen hat.

Aber mit der Nase im Bibelbuch allein können wir die Herausforderungen unserer Zeit nicht bewältigen. Der Geist Gottes will doch auch in uns zur Wirkung kommen, uns bewegen und sich an uns mächtig erweisen. Das kann er aber nicht, wenn wir uns festhalten am Buchstaben, am Schwarz-auf-weiß-Geschriebenen, an Rang und Namen.

Es kommt darauf kann, dass wir unser eigenes Leben im Lichte der Botschaft Jesu sehen und es nach seinem Willen gestalten.

Es kommt darauf an, dass wir unsere Augen und Ohren öffnen und die Nöte sehen, die Jesus mit unserer Hilfe lindern möchte.

Es kommt darauf an, dass wir unsere Herzen öffnen für die vielen Menschen, die sich nach Verständnis, nach Geduld und nach Liebe sehnen.

Wenn wir Gott von ganzem Herzen lieb haben und in Jesus den Herrn unserer Gedanken und unserer Taten sehen, dann werden wir in unseren Herzen spüren, was zu tun ist!

Wir werden lernen, von uns selbst wegzuschauen, den anderen zu sehen und im Namen Jesu, ihm zu helfen, ihn zu unterstützen. Da werden wir sehen und spüren: Da geht es lang! Das ist der Weg, den Gott mich führt.

Die jungen Menschen werden spüren, dass nicht die Spaßgesellschaft sie nur heute glücklich macht – morgen aber einsam, wenn sie nicht selbst die Verantwortung wahr nehmen und Eltern werden.

Die Eltern werden spüren, dass Kinder nicht nur eine Last sind, sondern ein ganz großes Glück, an der Schöpfungskraft Gottes mithelfen zu dürfen.

Die älteren Menschen werden erkennen, wie sehr die junge Generation ihre Anerkennung und ihre Liebe braucht und werden sich den Jüngeren öffnen.

Unsere Kinder werden merken, dass sie bei uns gern gesehen sind, und werden tun, was sie können, um an einer friedlichen Welt mitzuarbeiten.

[ Wer gerne auch politische Beispiele nennt, mag hinzufügen:

Die Unternehmer werden spüren, dass sie Verantwortung übernehmen müssen für die Menschen, die für sie arbeiten – und aufhören, sich selbst zu bereichern.

Die Arbeiter werden spüren, dass sie mit übertriebenen Lohn-Forderungen ihre eigenen arbeitslosen Kollegen benachteiligen und werden anfangen, echte Solidarität zu zeigen.]

Liebe Gemeinde, ich bin mir ganz sicher, dass die mahnenden und ermutigenden Worte Jesu im Johannesevangelium, heute noch so aktuell sind wie damals. Wenn wir heute Orientierung und Halt suchen, dann finden wir sie nur bei Gott selbst.

Seine Propheten und Apostel, ja sogar Jesus selbst – sind Gottes Stimme, die wir in der Bibel und in unserem Herzen laut und deutlich vernehmen können. Wenn wir still werden, hinhören und hinsehen, dann liegt unsere Zukunft und unser Weg klar vor Augen: der Weg der Liebe, der Weg in der Nachfolge Christi.

Amen.

Lesungen:

Evangelium:
Lukas 16,19-31 – Reicher Mann und armer Lazarus

Epistel:
1. Johannes 4,16b-21 – Die Liebe Gottes und die Liebe zum Bruder

Liedvorschläge:

Eingangslied:
EG 155,1-4: Herr Jesu Christ, dich zu uns wend

Wochenlied:
EG 124: Nun bitten wir den Heiligen Geist

Lied nach der Predigt:

EG 394,1-5: Nun aufwärts froh den Blick gewandt

EG 395,1-3: Vertraut den neuen Wegen

EG 571,1-3: Nun geh uns auf, du Morgenstern

Schlusslied:
414,1+2 – Lass mich, o Herr, in allen Dingen

Ich empfehle sehr die Lektüre der Predigt zum Text von Pastorin Regine Klusmann in Pastoralblätter 5/2005, S. 379-382.

(*) Gedanke entnommen aus: Pastoralblätter 5/2005, S. 380.

Dorothea Zager, Worms
dwzager@t-online.de


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