Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 5. Juni 2005
Predigt über 1. Johannes 3, 13-18, verfasst von Elof Westergaard (Dänemark)
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(Text der dänischen Perikopenordnung)

1. Lasst uns nicht nur mit dem Wort und der Zunge lieben, sondern mit der Tat und in Wahrheit!, schreibt der Apostel Johannes in seinem Brief und in den Versen, die wir vorhin gehört haben, als sie vorm Altar vorgelesen wurden. Im Licht der Liebe Jesu schulden wir unserem Mitmenschen unsere Liebe. Indem er sein Leben für uns hingegeben hat, hat er auch ein Vorbild gegeben, und zwar in dem Sinne, dass auch wir es schuldig sind, unser Leben füreinander hinzugeben.

Johannes legt also in seinem Brief Wert darauf, dass die vielen Worte, die wir mit unseren eigenen Zungen reden, eines sind, dass es aber am wesentlichsten ist, dass Worte zu Taten werden. Wichtig ist es dem Apostel Johannes zufolge, es auf sich zu nehmen, dass man als Christ vom Tod zum Leben übergegangen ist (Joh. 5,24), es ernst zu nehmen, dass Jesus am Ostersonntag von den Toten auferstanden ist, alle Finsternis des Todes erleuchtet hat und dass das Leben deshalb im Vertrauen darauf zu leben ist, dass die Liebe das Größte von allem ist.

2. Aber das können wir nur schwer tun, wird jemand einwenden. Wir sind ja in dem Maße vom Leben hier mit seiner Gebrechlichkeit gefangen. Wie können wir, wenn wir eine solche Ermahnung zu hören bekommen, nicht verzweifelt sein über unsere eigene Unzulänglichkeit? Wir verstehen Paulus besser, wenn er aufgebend feststellt: „was ich will, das tue ich nicht. Und was ich nicht will, das tue ich.“ Weitaus häufiger ist es ja genau dieser Widerspruch, der zwischen unseren Worten und unseren Taten besteht.

Johannes nimmt allerdings in seinem Brief diesen unmittelbaren Einwand sogleich auf. Nachdem er geschrieben hat: Lasst uns nicht nur mit dem Wort und der Zunge lieben, sondern mit der Tat und in Wahrheit! fügt er nämlich hinzu: Daran erkennen wir, dass wir zur Wahrheit gehören und können unser Herz vor ihm beschwichtigen, welche Anklagen es auch gegen uns vorbringen mag: denn Gott ist größer als unser Herz und weiß alles (3,19-20). Wir sollen also weder in Selbstverurteilung verzweifeln noch auf der anderen Seite uns einseitig auf uns selbst und auf Selbstlob konzentrieren, sondern wir sollen an dem Vertrauen auf die Macht und die Gnade Gottes festhalten. Weswegen auch immer wir uns selbst und uns gegenseitig verurteilen, das Herz Gottes ist größer als unser eigenes Herz. Das ist die Hoffnung, in der wir leben sollen.

3. Das Worten Taten folgen sollen, ist natürlich wesentlich. Darin hat der Apostel Johannes Recht. Aber es ist zugleich – und nicht zuletzt in einer Zeit wie der unsrigen – auch wichtig, an der Bedeutung des Wortes festzuhalten. Es ist nicht einerlei, was gesagt wird und welcher Geist das Gesagte trägt. Welche Worte hinter den Taten stehen, die zu tun sind. Die Worte stellen Forderungen, Aufgaben und prägen Absichten in den Taten, die man auszuführen versucht. Und sind die Worte dann lau oder kalt, dann sind es die Taten ebenfalls.

4. Heute, in unserer Gesellschaft, scheint es in zunehmendem Maß um die äußeren Taten zu gehen, während das Wort, das dahintersteht und die Taten in Gang setzt und trägt, vergessen wird, oder es wird ihm jedenfalls keine nennenswerte Bedeutung zuerkannt. Wir beurteilen heute immerzu nach den Taten und werden selbst nach unseren Taten beurteilt, und wohlgemerkt nach den äußeren und sichtbaren Taten. Alles soll offen sein, und wir sollen offen dastehen, nicht zuletzt weil wir dafür sorgen müssen, dass wir gesehen werden. Denn Sichtbarkeit steht heute obenan und hat größte Gültigkeit, und sie ist Kriterium für Beurteilung und Bewertung. Darum dreht sich einfach alles. Nicht nur in der Lohnpolitik und auf dem Arbeitsmarkt. Sogar unser Umgang miteinander wird leicht davon angesteckt, dass alles äußerlich sichtbar gemacht werden soll. Dass es beispielsweise legal ist, die Lebensqualität eines anderen Menschen zu messen und zu wiegen und damit auch ein Urteil über sie zu fällen. Ein Messen und Bewerten, das leicht, wenn auch die Absichten dabei die allerbesten sind, zu einem unerträglichen Neomoralismus werden kann, der von bestimmten Vorstellungen über das gute Leben in äußerlichen Verhältnissen getragen ist. Derartige Messungen laufen unwillkürlich Gefahr, die Bedeutung des einzelnen Menschen zu herabzusetzen.

5. Und im Grunde wirkt ein solches Denken auch in der Richtung, dass es unser Vertrauen zueinander untergräbt. Es baut mit an einer Gesellschaft des Misstrauens mit unzufriedenen und rechthaberischen Bürgern, die zwar selbständig sind, aber kein Vertrauen in die Urteilskraft anderer besitzen und sich gegenseitig keinerlei Wert zuerkennen wollen. Denn solches Denken führt leicht dazu, dass wir nur uns selbst und all das im Blick haben, was wir erreichen wollen, um unsere eigene Lebensqualität zu verbessern. Und damit leicht zu einem fehlenden Interesse für andere Menschen. Man betrachte nur das Gleichnis Jesu von heute! Die ersten, die eine Einladung zum Fest erhalten, haben eben keine Zeit, denn sie sind so furchtbar von ihrem Eigenen besessen. „Ich habe einen Acker gekauft,“ sagt der Eine, um sich zu entschuldigen. „Ich habe keine Zeit. Ich habe fünf Ochsen gekauft und muss sie jetzt ausprobieren,“ sagt ein Zweiter. „Und ich habe eben geheiratet, und deshalb kann ich nicht kommen,“ ist die Entschuldigung des Dritten. Sie alle haben genug an sich selbst und ihrem Eigenen. Und darin ähneln sie uns recht gut, uns in unserer handlungsorientierten Gesellschaft, in der Zeit Geld ist und in der alles in Wirtschaftlichkeit gemessen wird und wo alles einer Qualitätskontrolle unterzogen wird.

6. Was in einer solchen Welt fehlt und vermisst wird, ist ja gerade ein Wort, das dahintersteht, ein Wort darüber, dass sich unser Leben nicht um uns selbst dreht, nicht darum, größtmögliche Ausbeute zu erreichen, nicht darum, dass wir so normal wie möglich sind und die bestmögliche Lebensqualität erreichen. Was uns fehlt und was wir vermissen, ist das Wort darüber, dass das Leben ein Geschenk ist und dass derjenige oder diejenigen, die uns im Leben begegnen, einen Himmel für uns öffnen können.

7. Mit anderen Worten, im Bild des Gleichnisses, es ist wichtig, dass das Wort Gottes ausgesprochen wird, das uns erzählt, dass wir zu einem Fest geladen sind. Dass wir in eine Gemeinschaft eingeladen sind, an der wir in der Taufe Anteil erhalten. Keine große verfilzte Gemeinschaft, sondern eine Gemeinschaft unter gemeinsamen Bedingungen, als Kinder Gottes. Genau in diesem Lichte sollen wir einander begegnen. Nicht mit Messstäben in den Händen und Qualitätsbewertungen in den Augen: ob der Betreffende nun auch normal ist und Lebensqualität besitzt. Wir sollen es wagen, dem anderen Menschen zu begegnen, einander zu begegnen im Vertrauen darauf, dass, so verschieden wie wir nun einmal sind, ein jeder Mensch seine eigenen Augen hat zu sehen, und seine eigenen Ohren zu hören. Wir sollen bereit sein, das Vertrauen in die Urteilskraft anderer wachsen zu lassen.

8. Wir sollen mit den Worten des Apostels Johannes in dem Vertrauen leben, dass Gott größer ist als unser Herz, indem wir in diesen Worten sowohl das Gericht Gottes als auch seine Gnade über unser Leben hören sollen. Das Gericht: dass unser Herz wie eine Uhr nur eine bestimmte Zeit lang schlägt. Dass es unwillkürlich diesen Gegensatz in unserem Leben gibt, den Gegensatz zwischen Herz und Hand, zwischen Wort und Tat. Die Gnade: dass unser Herz nicht in einem luftleeren Raum schlägt, sondern in einer gottgeschaffenen Welt, die noch immer von Gottes Wort und Geist getragen werden kann. Denn nicht nur ist Gott größer als unser Herz, sondern wie wir voller Freimut in dem Tauflied singen, das wir immer hier in der Kirche singen: Oh, schreibe deinen Namen in ihr Herz.

Gott schreibt geradezu in der Taufe seinen Namen in das Herz des Menschen. Und der Name ist Jesus Christus. In ihm knüpft Gott sich so eng an uns wie möglich, damit auch das Herz des Menschen für das Leben schlagen und brennen kann. In Jesu Namen. Amen.

Pfarrer Elof Westergaard
Gramvej 2, Husby
DK-6990 Ulfborg
Tel. +45 97495108
E-mail: eve@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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