Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 5. Juni 2005
Predigt über Matthäus 22, 1-14, verfasst von Christoph Dinkel
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Unser Predigttext steht in Matthäus 22, die Verse 1-14. Es ist das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl. Wenn Ihnen die Erzählung zugleich vertraut und doch irritierend fremd vorkommt, dann liegen Sie richtig. Das Gleichnis steht in anderer Form auch beim Evangelisten Lukas. Und man muss gleich zugeben: die Lukasversion ist wesentlich weniger irritierend. Aber wieso nicht einmal auf eine irritierende Erzählung hören?

Und Jesus fing an und redete abermals in Gleichnissen zu ihnen und sprach: Das Himmelreich gleicht einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete. Und er sandte seine Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit zu laden; doch sie wollten nicht kommen.

Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet und alles ist bereit; kommt zur Hochzeit! Aber sie verachteten das und gingen weg, einer auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft. Einige aber ergriffen seine Knechte, verhöhnten und töteten sie.

Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an. Dann sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren's nicht wert. Darum geht hinaus auf die Straßen und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr findet. Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Tische wurden alle voll.

Da ging der König hinein, sich die Gäste anzusehen, und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Gewand an, und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Er aber verstummte.

Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus! Da wird Heulen und Zähneklappern sein. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.

Liebe Gemeinde!

(1) Sollte Jesus wirklich dieses Gleichnis in dieser Version erzählt haben? – Wohl kaum. Zum einen neigt Jesus in seinen sonstigen Gleichnissen nicht zum Erzählen derartig sinnloser Gewaltexzesse, wie Matthäus sie uns in seiner Version berichtet. Zum anderen sind Jesu Originalgleichnisse auf der Erzählebene deutlich stimmiger. Wie soll denn eine Hochzeit so laufen: Die Ochsen sind schon geschlachtet und das Essen ist vorbereitet. Weil dann die Gäste nicht kommen, schickt der König nochmals seine Knechte aus. Und als das nichts nützt, zieht er erst einmal beleidigt in den Krieg, zündet die Stadt der Nichtgekommenen an und ermordet sie. Dann geht es zurück vom Feldzug nach Hause und es folgt die Einladung an alle anderen. Bis das alles passiert, wäre das Essen nicht nur kalt, es wäre längst vergammelt und verfault. Und auch das ist erzählerisch nicht stimmig: Wenn der König schon die Gäste spontan von der Straße einsammeln lässt, dann kann er niemanden vorwerfen, nicht richtig angezogen zu sein. Auch der zweite Teil der Episode, bei der der nicht festlich Gekleidete gefesselt und in die Finsternis hinausgeworfen wird, ist wenig plausibel.

Der Schriftsteller Sten Nadolny hat einmal eine Vorlesung gehalten mit dem Thema: Das Erzählen und die guten Absichten. Seine These: wer eine Erzählung mit guten Absichten und moralischen Anliegen überfrachtet, der mag sich zwar als guter Mensch mit einem wichtigen Auftrag fühlen, die Erzählung bleibt dabei aber auf der Strecke. Zu viel Moral und penetrante gute Absichten machen die handelnden Personen einer Erzählung unglaubwürdig und fade. Sie sind nicht lebendig, sondern nur Vehikel für eine gut gemeinte Botschaft. So ist es nun leider auch unserem Evangelisten Matthäus ergangen. Er macht aus dem Gleichnis ein allegorisches Bild. Die ermordeten Boten des Einladenden sind die Propheten, der Rachefeldzug des Einladenden spiegelt die Zerstörung Jerusalems durch die Römer wieder. Matthäus war Judenchrist. Er verstand nicht, dass nicht alle seine jüdischen Glaubensgenossen die Einladung Christi annahmen. Die Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahr 70 nach Christus sah er als Strafe Gottes für diese Verweigerung an. Und weil die Juden als Ersteingeladene nicht Christen werden wollten, deshalb wurden nun die Heiden als Zweiteingeladene zu Christen. Dass es auch unter den Zweiteingeladenen solche und solche gibt, darauf zielt die Episode mit dem fehlenden Festgewand ab.

Aus dem Lebenszusammenhang des Matthäus kann man verstehen, warum das Gleichnis so aussieht wie es aussieht. Er hatte eine Botschaft und das Gleichnis diente ihm als Vehikel, sie zu transportieren. Die Folgen waren jedoch fatal, nicht nur für die erzählerische Qualität. So wie Matthäus es überlieferte, konnte das Gleichnis leicht als Rechtfertigung für Judenverfolgung und Judenpogrome dienen. Die guten Absichten des Matthäus zeitigten eine katastrophale und tödliche Wirkung. Das sollte man wissen, wenn man das Gleichnis hört.

(2) Wie aber hat denn nun Jesus sein Gleichnis ursprünglich gemeint? Die Fassung des Gleichnisses im Lukasevangelium dürfte der Erstfassung deutlich näher stehen. Es gibt im Übrigen noch eine dritte Fassung des Gleichnisses im Thomasevangelium, einem sehr späten Evangelium, das keine Aufnahme in den Kanon des Neuen Testaments fand. Vergleicht man die verschiedenen Fassungen, dann dürfte das Gleichnis bei Jesus ursprünglich so ausgesehen haben: Ein wohlhabender Mann lädt zu einem Gastmahl ein. Als das Mahl fertig vorbereitet ist, lässt er die zuvor schon Eingeladenen durch einen Boten an die Einladung erinnern: Jetzt ist alles vorbereitet, jetzt kommt. Doch die Eingeladenen lassen sich entschuldigen. Jede Entschuldigung ist für sich genommen nachvollziehbar: Einer hat geheiratet, einer hat Land gekauft, ein dritter hat in großem Maßstab Vieh gekauft, um das er sich kümmern muss. Hätte nur einer abgesagt, hätte man das entschuldigen können. Dass aber alle absagen, verärgert den Gastgeber. Und nun kommt das Überraschende: Das Fest findet trotzdem statt. Der Gastgeber lässt sich die Laune nicht verderben. Es wird dennoch gefeiert, wenn nicht mit den ursprünglich Geladenen, dann eben mit denen, die Zeit und Lust dazu haben. Der Bote geht an die Hecken und Zäune und lädt alle ein, die kommen können. Die anderen aber, die ursprünglich Geladenen, die Herren Wichtig und Vornehm und Vielbeschäftigt, die gehen leer aus. Die Einladung, um die es Jesus in seinem Gleichnis geht, ist die Einladung zu Gottes endzeitlichem Fest, es ist die Einladung zum göttlichen Heil, zur Teilhabe an Gottes kommendem Reich.

Auch in der Form, in der Jesus das Gleichnis wohl ursprünglich erzählt hat, hat das Gleichnis einen ernsten und mahnenden Zug. Aber dieser ernste Zug steht nicht im Vordergrund. Denn der Mahnung stehen gleich mehrere positive Aspekte gegenüber. Der Mahnung zum Trotz ist das Gleichnis zuallererst einmal eine Einladung: Komm doch zu diesem Fest! Auch du bist eingeladen. Und auch das ist positiv und ermutigend: was immer geschieht und wer immer absagt und nicht kommt: Das Fest findet auf jeden Fall statt. Der göttliche Gastgeber lässt sich die Laune nicht verderben. Gott will Freude und Ausgelassenheit für seine Menschen. Er will, dass auch die satt werden, die sonst nicht zu Tisch geladen werden.

Vor allem aber ist das Bild des göttlichen Gastmahls insgesamt etwas durch und durch Positives: Die Gesellschaft als Tischgemeinschaft, so hat Peter Sloterdijk die Pointe dieses Gleichnis einmal auf den Punkt gebracht. Die große Vision des Christentums ist es, dass alle Menschen der Gesellschaft an einem Tisch versammelt sind. Niemand, der sich nicht selbst ausschließt ist, ist von dieser Tischgemeinschaft ausgenommen. Alle können miteinander essen und trinken, fröhlich sein und feiern. Wenn heutzutage immer wieder die christlichen Werte und das Erbe der christlichen Kultur beschworen werden, dann stellt uns unser Gleichnis einen der wichtigsten dieser christlichen Werte und Impulse vor: Die Gesellschaft als Tischgemeinschaft ist eine Vision der Gleichheit. Sie steht allen Modellen einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft entgegen. Sie ist das Bild einer offenen Gesellschaft, die keine und keinen von der Teilnahme fernhält.

Wie gesagt, das Gleichnis erzählt von einer göttlichen Einladung, von der Einladung zum göttlichen Freudenmahl und zum göttlichen Heil. Aber das heißt bei Jesus nun gerade nicht, dass dieses Fest erst irgendwann einmal in ferner Zukunft, gar im Jenseits stattfinden wird. Für Jesus erfolgt die Einladung zu diesem Fest jetzt. Er selbst lädt Menschen an seinen Tisch. Und weil manche sich für zu wichtig, zu vornehm und für zu vielbeschäftigt halten, um der Einladung nachzukommen, deshalb lädt Jesus ganz gezielt auch die ein, die sonst außen vor bleiben.

Die Mahlzeiten, zu denen Jesus einlädt, versteht er als Anbruch von Gottes neuer Welt. Von diesen Mahlzeiten, so hofft Jesus, geht ein Impuls aus, der die Gesellschaft verwandelt hin zu einer Gesellschaft der Gleichrangigkeit. Dabei handelt es sich nicht um sozialistische Gleichmacherei, aber um eine Gesellschaft, in der jede und jeder respektiert und als gleichwertig angesehen wird. Denn für Jesus und für den christlichen Glauben ist jede und jeder, ob Frau ob Mann, ob wohlhabend oder bedürftig, ob gebildet oder ungebildet und gleich welcher sozialer oder nationaler Herkunft Geschöpf Gottes und von Gott in gleicher Weise geliebt.

Das Christentum, so wurde es von Friedrich Schleiermacher schon am Anfang des 19. Jahrhunderts formuliert, hat eine demokratische Tendenz. Was wir heute an Demokratie und Menschenrechten verwirklicht sehen, geht unter anderem auf diesen Impuls Jesu zurück, es geht mit zurück auf unser Gleichnis vom großen Gastmahl. Dass noch viel zu tun ist, bis wirklich alle Menschen gleiche Lebenschancen bekommen, liegt auf der Hand. Dass es auf dem Weg zur Gesellschaft als Tischgemeinschaft Rückschläge und Hindernisse gibt, ist klar und erwartbar. Aber der Impuls, den Jesus mit seinem Gleichnis gesetzt hat, hat gezündet. Nun liegt es an uns, dieses Erbe fortzuführen und uns dafür einzusetzen, dass am Tisch unserer Gesellschaft alle, die wollen, auch einen Platz finden. – Amen.

Prof. Dr. Christoph Dinkel
Pfarrer
Gänsheidestraße 29
70184 Stuttgart
E-Mail: christoph.dinkel@arcor.de
Internet: http://www.uni-kiel.de/fak/theol/personen/dinkel.shtml


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