Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 12. Juni 2005
Predigt über Lukas 15, 8-10, verfasst von Gerda Altpeter
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


8. Oder, eine Frau besitzt 10 Drachmen ( eine Drachme entspricht in etwa 160 Sfr.). Wenn sie nun eine Drachme verliert, wird sie nicht ein Licht anzünden, und das Haus ausfegen und sorgfältig suchen, bis sie sie gefunden hat?
9. Und wenn sie sie gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: "Freut euch mit mir, denn ich habe die Drachme gefunden, die ich verloren hatte."
10. Ebenso - sage ich euch - wird Freude sein bei den Engeln Gottes über einen Sünder der seinen Sinn ändert.

Mein Sohn fragt mich: "Hast du noch die fünf Schlüssel zu deiner Wohnung? Du könntest einen unserem Besucher geben, der bei mir wohnt." Traurig blicke ich ihn an. Er hat es wohl gemerkt. Ich habe nur noch 4 Schlüssel. Zwei hängen am Schlüsselbrett, einer befindet sich in der Schlüsseltasche, einen habe ich ihm gegeben, weil er oft zu mir kommt, und einen hatte ich einem Nachbarn gegeben, der nach einer schweren Operation nach mir gesehen hat. Den hatte er mir aber zurückgegeben. Ich hatte ihn sorgfältig weggelegt, aber ich wusste nicht mehr wohin. Wenn der Schlüssel nicht mehr auftauchte, so musste ich viel Geld bezahlen, weil dann alle Schlösser verändert werden und neue Schlüssel angefertigt werden mussten.

Nun fing ich an zu suchen. Zuerst schaute ich in meinem Schreibtisch nach, einem richtigen Damenschreibtisch mit Klappe und allerlei Schubladen. Es herrschte ein ziemliches Chaos dort drinnen. Sorgfältig nahm ich alle Sachen aus den einzelnen Fächern, wischte Staub, denn ich hatte dort lange nichts getan, und suchte nach dem Schlüssel. Ich fand ihn nicht. Dann ging ich an die Bücherschränke. Ich räumte alle Bücher heraus und sah nach, ob dort etwas lag. Ich fand nichts.

Wo konnte der 5. Schlüssel nur sein? Ich überlegte. Es fiel mir nichts ein. Was sollte nun geschehen?

"Ach was," dachte ich, " wenn niemand mehr danach fragt, dann kann es doch egal sein. Kein Fremder kann den Schlüssel genommen haben. Er wird irgendwann wieder auftauchen dort, wo du es nicht vermutest.

Dann erinnere ich mich an das Gleichnis von der verlorenen Drachme. Die Frau hat wirklich Glück gehabt. Ob sie ordentlicher gewesen ist als ich? Aber es ist doch nur ein Gleichnis. Ob Jesus etwas erzählt hat, was wirklich geschehen ist? Es kann gut sein. Er verwendet gerne Beispiele aus dem Alltagsleben, um etwas deutlich zu erklären.

Ein Freudenfest gibt es bei mir nicht, ich habe den verlorenen Schlüssel nicht gefunden.
Das Freudenfest, von dem Jesus erzählt, findet auch nicht hier auf der Erde statt, sondern bei den Engeln Gottes.

Bisher habe ich viele Darstellungen von Engeln gesehen. Sie musizieren, singen, bringen den Menschen Botschaften von Gott, helfen ihnen in der Not. Es sind starke Männer oder kleine Putten, freundlich, lächelnd, mit grossen oder kleinen Flügeln, hocken auf Gesimsen oder kleben an einer Decke, verzieren eine Orgel, einen Altar oder eine Kanzel.

Bisher habe ich nie eine Darstellung gesehen, bei der sie ein Freudenfest feiern.
Ob sie Gefühle haben wie wir Menschen? Was bewegt sie? Womit füllen sie ihe Zeit aus? Was tun sie?
Fragen über Fragen bewegen mich. Was weiss ich über die Engel? In der Bibel steht, dass sie Boten Gottes seien, die seine Befehle ausführen. Es sind seine Diener. Sind wir Menschen, wenn wir an ihn glauben, nicht auch seine Diener? Benutzt Gott nicht von Zeit zu Zeit einen Menschen als seinen Boten? Sind die Engel, von denen Jesus redet, himmlische Wesen oder gläubige Menschen?

Mit solchen Überlegungen gehe ich ins Bett und schlafe ein. Plötzlich bemerke ich, dass ich etwas völlig übersehen habe. Ich habe mich mit der Frau identifiziert, die die Drachme sucht und findet. An dieser Stelle kann ich mich nicht wirklich wiederfinden. Das stimmt nicht.

Es sind ja die Engel, mit denen die Frau verglichen wird. Es ist eigentlich Gott selber, der hier unter dem Bild der Frau dargestellt wird. Er sucht die Sünder. Er findet sie. Er freut sich mit dem ganzen himmlischen Heer.

Ist Gott eine Frau? Hat die feministische Theologie recht, wenn sie darauf hinweist, dass von Gott in der Bibel nicht nur unter dem Bild des Mannes und Vaters, sondern auch unter dem Bild der Frau und Mutter gesprochen wird?

Es geht in diesem Gleichnis um ein Freudenfest. Die Engel freuen sich über einen Sünder, der seinen Sinn ändert.

Da fange ich wieder an nachzudenken. Bin ich damit gemeint? Bin ich der Mensch, der seinen Sinn ändern muss? "Metanoein" heisst: "seinen Sinn ändern, bereuen, Busse tun, sich bekehren".

Was ist mit mir los? Als ich mich mit der Frau identifizierte, die die Drachme sucht, habe ich da nicht zuerst an das Geld gedacht, das sie wiederhaben will? Geht es um das Geld, den Mammon - oder geht es um Gott?

Bin ich nicht immer wieder in der Gefahr, an die Stelle Gottes das Geld zu setzen? Wer oder was bestimmt mein Denken und Handeln? Ist es Gottes Gegenwart oder ist es die Suche nach einem Glück, das durch Geld gewonnen wird? Wie gestalte ich meinen Alltag? Jage ich dem Erfolg nach, der Macht, dem Einfluss, dem Ansehen, dem, was in der Gesellschaft gilt? In unserer Gesellschaft kommt Gott nicht vor. Da zählen die anderen Dinge, Erfolg, Einfluss, Ansehen, Macht.

Gott freut sich, wenn ich meinen Sinn ändere. Die Engel feiern ein grosses Fest, wenn ich Busse tue und mich bekehre. Das gilt nicht nur für einmal im Leben. Das gilt für jeden neuen Tag.

Um was geht es beim Sünder? Und wieder befrage ich das Lexikon. "Hamartolos", das heisst "etwas verfehlen, nicht treffen, nicht finden können, verlieren, einbüssen, eine unrichtige Ansicht haben, einen Fehltritt tun, sich irren, etwas vergessen ...".

Wie oft vergesse ich etwas! Wie oft treffe ich nicht die richtigen Worte! Wie oft verfehle ich das Ziel! Wie oft habe ich eine unrichtige Ansicht!

In diesem Sinne bin ich eine Sünderin. Ich brauche einen neuen Sinn. Wo soll ich ihn suchen? Wo kann ich ihn finden? Was sagt Jesus in diesem Gleichnis?

Die Drachme sucht nicht. Es ist Gott, der sucht. Es sind seine Boten, die Engel, die das Unterste zuoberst kehren und nachsehen, wo das Verlorene ist. Die Drachme wartet bis sie gefunden ist. Sie bleibt passiv. Es kommt nicht auf ihr Tun und Handeln an.

Heisst das "sich bekehren" oder "Busse tun"? Ändere ich durch Passivität meinen Sinn?
Es ist Jesus, der im Gleichnis die Passivität nahelegt. Er weist darauf hin, dass es Gottes und seiner Boten Aufgabe ist, die Sünder zu suchen und zu retten. Er selber begibt sich auf diesen Weg. Er stirbt am Kreuz, um den Tod und die Sünde zu besiegen. Er möchte, dass wir uns nicht auf uns selber oder unser Suchen und Tun verlassen, sondern uns ganz in seine Hände begeben, uns fallen lassen, ihm uns anvertrauen.

Ein Freudenfest wird gefeiert.
Bei den Boten Gottes wird ein Freudenfest gefeiert.
Die himmlischen Heerscharen feiern ebenso wie die gläubigen Christen.
Das Fest findet im Himmel und auf Erden statt.
Und nun geht es darum, dass wir den Ruf Jesu hören und mitfeiern.
Christsein heisst nicht, mit einer traurigen Miene durch die Welt laufen. - Christsein heisst feiern und fröhlich sein.

Gerda Altpeter
gerda.altpeter@bluewin.ch


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