Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 19. Juni 2005
Predigt über Genesis 50, 15-21, verfasst von Eberhard Busch
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Das ist das Ende einer Geschichte von erschreckender Bosheit und Torheit. Lüge, Betrug, niederträchtige Gemeinheit haben sich ereignet, vermischt mit schicksalhaften Irrungen und Wirrungen, persönliche Unerfreulichkeiten, eingebettet in Katastrophen von internationalem Ausmaß. Es ist wie ein trüber, ja, stürmischer Tag hereingestürzt. Und da, auf einmal leuchtet ein helles, gutes, friedliches Licht über dem Dunkel auf: „Ihr Menschen gedachtet es böse zu machen. Aber Gott gedachte es gut zu machen.“

Zwölf Brüder – einen unter ihnen hassen die Anderen. Der Hass scheint begründet. Hass scheint meist gut begründet – in diesem Fall damit, dass der Eine hohe Vorzüge genießt. Sagt er das nicht auch selbst mit seinem Traum, dass die Brüder sich einmal vor ihm verneigen werden? Kann man es nicht verstehen, dass sie sich Gedanken darüber machen, wie dieses Ärgernis sich am schnellsten aus dem Weg räumen lässt? Es sind ja nur Gedankenspiele. Bis aus dem Spiel blutiger Ernst wird: Josef wird in ein Loch geworfen und dann verkauft, als Sklave, um 20 Silberlinge. Er ist beiseite geschafft. Dem Vater täuschen sie vor, er sei von einem bösen Tier zerfetzt worden.

Und während der Vater noch um ihn trauert, wird Josef als Sklave ins Haus eines hohen Politikers weiterverkauft. Als er dort den Verlockungen von dessen Frau widersteht, ist sie heftig enttäuscht über ihr missglücktes Abenteuer, und sie sorgt dafür, dass er ins Gefängnis kommt. Dort sitzt er ein mit zwei höheren Dienern des Pharao. Als der eine wieder frei kommt, fällt ihm zwei Jahre später ein, dass einst jener sonderbare Josef ihm geholfen hat: damit, dass er ihm einen rätselhaften Traum auf seine ja dann eingetroffene Befreiung gedeutet hat. Das fällt ihm ein, nachdem der Pharao auch einen rätselhaften Traum hatte, den niemand zu erklären wusste.

Der lässt Josef aus dem Gefängnis holen. Nein, er könne nicht Träume deuten, sagt er. Aber Gott werde zum Pharao gesprochen haben. Und dann sagt ihm Josef, was Gott ihm im Traum mitteilen ließ: Es werden sieben herrlich fruchtbare Jahre kommen mit überreicher Wirtschaftsblüte und darauf sieben furchtbar unfruchtbare Hungerjahre. In den reichen Jahre solle man darum den Überfluss nicht vergeuden, sondern „spare in der Zeit, so hast du in der Not.“ So ordnete es der Pharao nun an und setzte Josef als obersten Verwalter dafür ein.

Wie gesagt, so geschah es. Die Hungersnot in den folgenden Jahren erreicht auch die Familie des Josef in der Ferne. Vater Jakob schickt daher seine Söhne, bis auf den jüngsten Benjamin, um in Ägypten nach Getreide betteln zu gehen. Sie werden dabei von Josef entdeckt. Sie erkennen ihn nicht, aber er erkennt sie. Kaum kann er da sein Heimweh verbergen. Tief bewegt horcht er sie aus: über den Vater, über Benjamin, und er fasst sie dann hart an, steckt einen der Brüder ins Gefängnis, bis sie ihm Benjamin vorgeführt haben. Richtig, das nächste Mal ist Benjamin dabei. Und kaum sind die Brüder wieder auf dem Rückweg, holt sie die Polizei ein: einer von ihnen habe den Silberbecher ihres Gastgebers gestohlen. In Wahrheit hatte Josef ihn unter Benjamins Sachen versteckt. Doch nun soll Benjamin gefangengesetzt werden. O Schreck! Das würde der Vater nicht überleben: nach dem Verlust des Josef auch noch der Verlust Benjamins. Alle kehren daraufhin zurück zu Josef, und ein anderer Bruder bietet sich stellvertretend für Benjamin als Geisel an.

Da ist Josef so gerührt, dass er sich zu erkennen gibt, und bittet nun seine Brüder, bei ihm zu bleiben und auch den alten Vater dazuzuholen. Und eben, jetzt stellt Josef über diese dramatische Geschichte die Überschrift: „Ihr Mensch gedachtet es böse zu machen, Gott aber gedachte es gut zu machen.“ Man könnte es auch sagen mit dem alten Schweizer Sprichwort: „Unter menschlicher Verworrenheit, aber durch Gottes Fürsorge werden wir regiert.“

*

Ihr Menschen gedachtet es böse zu machen.“ Das kommt vor. Und wer weiß, wie weit wir mit Gleichem beschäftigt sind? – so wenig wir es auch zugeben mögen! Denn das gehört in der Regel dazu, wenn man im Sinn hat, es böse zu machen: Man streitet es ab. Man deutet es um und gibt ihm den Anschein, damit vielmehr der Menschlichkeit zu dienen. Und das gelingt einem so sehr, dass man am Ende es vor allem selbst glaubt, es doch recht gemeint und recht gemacht zu haben. Sogar nach dem unheimlichen Morden im zweiten Weltkrieg glaubten so viele, doch nichts Schlimmes getan, sondern nur „sauber und anständig“ Befehle ausgeführt und ihre Pflicht getan zu haben. Aber wie das Sprichwort sagt: „Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch an die Sonnen.“ Nämlich an die „Sonne der Gerechtigkeit“, die Gott selber ist. Und wenn es sonst noch so verborgen, noch so umgedeutet und abgestritten ist: Er übersieht es nicht. Er bringt es an den Tag, dass Unrecht Unrecht ist. Er weiß es, dass das Böse, das die Menschen unternehmen, böse ist.

Er bringt es an den Tag, indem er dem Unrecht das Recht entgegensetzt, der Lüge die Wahrheit, dem Bösen das Gute. „Ihr Menschen gedachtet es böse zu machen, Gott aber gedachte es gut zu machen.“ Im Lichte dessen, was Gott gut zu machen gedenkt, kommt zum Vorschein, dass das, was Menschen zu tun geneigt waren, böse und verkehrt ist. Mehr noch: An dem, was die Menschen verkehrt zu machen beabsichtigen, beteiligt sich Gott nicht. Dem setzt er sein Nein entgegen. Mit dem kann er buchstäblich nichts anfangen – außer dem, dass er einen Neuanfang macht und mit dem Guten beginnt, das er zu tun gedenkt. Es herrscht also zwischen dem, was die Menschen da planen, und dem, was Gott im Sinn hat, kein automatischer Zusammenhang. Was sie da tun, erweist sich nicht am Ende als ein wohl problematisches, aber doch nützliches Mittel zu einem guten Zweck, nicht als ein zunächst töricht erscheinender, aber zuletzt doch sinnvoll zum Ziel führender Umweg. Was die Menschen in ihrer Verkehrtheit fertig bringen, ist nichts als ihr Widerstand gegen das, was Gott trotzdem zu Stande bringt. Wäre Gott jetzt nicht auf dem Plan, so würde zuletzt der Unfug siegen. Was Gott trotzdem zu Stande bringt, das ist der Triumph seiner reinen, unverdienten, gewinnenden Gnade.

Das von Josef Gesagte, das ist aufs Neue hervorgetreten in dem so abgründigen, geheimnisvollen Geschehen der Kreuzigung Jesu. Wer handelt denn da? Sicher, auf der einen Seite tritt dabei Judas hervor. Der verrät Jesus, mit einem Kuss, dem Zeichen inniger Freundschaft, aber er, nicht ein Feind, sondern ein Jünger Jesu setzt die schauerliche Hinrichtung Jesu in Gang. Und auf der anderen Seite sagt Paulus: im selben Geschehen versöhnte Gott diese verbrecherische Welt mit ihm selber rechnete den Übeltätern ihre Sünde nicht an. Beides im selben Ereignis: das Verkehrte, das Menschen, von Gott geliebte Menschen tun, und das Gute, was Gott in seiner hingebungsvollen Liebe vollbringt. Was Gott da tut, das nennt das verkehrte Tun des Judas nicht gut. Aber es macht gut, was er verkehrt gemacht hat. Indem das geschieht, was Gott unbedingt verneinen muss, überwindet Gott das Verkehrte, indem Gott Ja sagt zu dem Sünder. Und so ist gerade Judas nicht ausgeschlossen von der Liebe Gottes, sondern von ihr umfangen. Und wenn wir durch die Geschichte und Kirchengeschichte der Jahrhunderte durchgehen, bis zum heutigen Tage, so stoßen wir wieder und wieder auf Ereignisse im Großen und im Kleinen, in dem sich das widerspiegelt: O Himmel, so unheimlich vieles, wo Menschen im privaten und im öffentlichen Bereich, ja, leider auch mitten in der Kirche es böse und falsch gemacht haben. Man könnte angesichts dessen allen Mut verlieren. Wenn nicht das Eine wäre, das Eine, der Andere: Gott, - der Gott, der damit beschäftigt ist, gut zu machen, was wir verkehrt machen. Gott sei Lob und Dank! Das lässt hoffen. Mit Paul Gerhardt zu reden:

„Der aber, der uns ewig liebt,
macht gut, was wir verwirren,
erfreut, wo wir uns selbst betrübt,
und führt uns, wo wir irren.
Und dazu treibt ihn sein Gemüt
und die so reine Vatergüt,
in der uns arme Sünder
er trägt als seine Kinder.“ Amen.

Prof. Dr. Eberhard Busch, Göttingen
eberhard.busch@theologie.uni-goettingen.de


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