Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 17. Juli 2005
Predigt über Jesaja 2, 1-5, verfasst Christine Hubka
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Vorbemerkung:
Im Gottesdienst werden an diesem Sonntag ein Säugling und ein zehnjähriges Kind getauft.
Aus der Sandkiste unseres Kindergartens nehme ich ein Gurkenglas mit Sand mit auf die Kanzel.

Dies ist’ s, was Jesaja, ..., geschaut hat über Juda und Jerusalem:
Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Haus des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem.
Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn! Jes 2, 1-5

Eine Handvoll Sand:
Was kann man damit alles machen:
Man kann damit einen Sandkuchen backen.
Man kann damit Meuter anrichten für den Hausbau.
Man kann damit eisige Wege weniger rutschig machen.
Man kann den Sand in einen Blumentopf geben,
und einen Kaktus pflanzen.
Man kann – ganz altmodisch – im Keller Karotten darin einlagern.
Man kann...
ihn nehmen und dem Nächstbesten ins Gesicht schmeißen.
Lange bevor Menschen entdecken,
was für wunderbare Dinge man mit Sand machen kann,
entdecken sie die Wirkung von einer Handvoll Sand, wenn man sie jemandem ins Gesicht,
am besten in die Augen, schmeißt.

Wir alle hier haben das irgendwann zwischen unserem ersten und unserem zweiten Geburtstag entdeckt.
Wenn ich den Kindern in der Sandkiste zusehe bei dieser Entdeckung, dann muss ich annehmen:
wahrscheinlich hat es mir damals ebensoviel Spaß gemacht wie den lieben Kleinen heute.

Was soll man machen,
wenn ein anderes Kind
ausgerechnet dann diese Entdeckung macht,
wenn das eigene Kind, das Enkelkind
neben ihm in der Sandkiste sitzt?

Sag ich:
laß dir nix gefallen – schmeiß zurück?

Sag ich:
wenn es dir Sand in das eine Aug geschmissen hat, halt ihm auch noch das andere hin

Sag ich:
Geh zur Oma, geh zur Mami, zum Papi,
die werden es dem bösen Kind schon geben.

Sag ich:
Lauf einfach davon. Überlass dem Sandschmeißer die Sandkiste und spiel halt was anderes?

Was immer wir sagen,
es hat etwas mit unserem Bild von der Welt und von den Menschen zu tun.
Die gesamte europäische Philosophiegeschichte
hockt jetzt mit in der Sandkiste
und schaut neugierig zu, was passiert.

Und was ist mit dem Kind,
das den Sand geschmissen hat?
Wer glaubt,
dass der Mensch nur durch handfeste Erfahrung lernt, wird vielleicht zur angeblich so „gesunden Watschen“ greifen.
Wer meint,
dass der Mensch durch Vernunft und Nachdenken lernt, wird ein langes Gespräch mit dem Kind führen und ihm am Ende das Versprechen abnehmen,
das nie nie nie wieder zu machen.

Was meint ihr:
Gibt es eine Methode, die so wirksam ist,
dass das Kind garantiert
nie wieder mit Sand schmeißen wird?

Hören wir auf das, was Jesaja zu sagen hat:

Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen.
schreibt Jesaja.

Auf die kleine Welt der Sandkiste reduziert
übersetze ich:
Dann werden sie nur noch Sandburgen bauen
und Kuchen backen und Gatschknödel machen
und niemandem mehr Sand in die Augen schmeißen.

Aber Achtung:
Auch Gatschknödel kann man schmeißen.
So wie in den Bauernkriegen der Reformation
Sicheln, Sensen und Dreschflegel als Waffen benutzt wurden,
einfach deshalb,
weil die aufständischen Bauern
keine Schwerter zur Verfügung hatten.

Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen.

Wenn ein biblischer Text zur Orientierung verhelfen soll, muss auch das Kleingedruckte gelesen werden.
Und so lese ich in unserem Abschnitt zu allererst:

Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge...

Zur letzten Zeit –
das ist das Ende der Welt.
Der Prophet hat eine Vision, wie das Ende aussehen wird.
Das Ende, von dem so viele meinen,
es wird ein schreckliches Ende sein.
Ein Schrecken,
der in Filmen genüßlich ausgemalt wird:
Jesaja sagt:
Das Ende der Welt wird von Gottes Frieden bestimmt sein.
Damit beschreibt er indirekt auch,
wie die Welt zu seiner Zeit und bis heute aussieht.
Und wie Menschen sich derzeit verhalten:
Nämlich ganz und gar nicht friedlich.

Es ist typisch für biblische Texte,
dass sie uns keine einfachen Lösungen in die Hand geben.
Weil das Leben nicht einfach ist.
Und wir Menschen nicht einfach sind.
Und Beziehungen nicht einfach sind.
Und auch die Einteilung in gut und böse zu einfach ist, um der Wirklichkeit gerecht zu werden.

Weil ich dem Jesaja seine Vision glaube,
bedeutet das für mich zweierlei:
Das eine ist:
Ich brauche das Ende nicht zu fürchten, und kann mich daher ganz dem hier und heute zuwenden
und das Ende der Welt in Gottes Hand lassen.

Das andere ist:
Ich muss zur Kenntnis nehmen,
dass es bis zu diesem friedvollen Ende Situtionen geben wird, in denen Friede ein schöner Traum bleibt.
Es wird manchmal nicht drum gehen,
zwischen gut und böse,
richtig und falsch zu wählen.
Sondern es bleibt unter Umständen nur die Wahl zwischen zwei Übeln:
einem größeren und einem kleineren.

Ein Beispiel zum Gedenkjahr:
Wie würde die Welt,
wie würden Wien und Österreich,
heute aussehen,
wenn die Alliierten Streitkräfte damals ihre Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet hätten bevor sie in der Normandie gelandet sind.
Und wenn sie dort nach der Landung
zu pflügen begonnen hätten statt zu kämpfen?
Vieles wäre hier bei uns heute anders.

Zurück zur Frage:
Was lehren wir unsere Kinder?
Jesaja sagt – und meint damit nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart:

Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!

Das heißt für mich:
lehren wir unsere Kinder den Repekt vor der Gefährlichkeit des Schwertes und anderer Waffen.
Die Gefährlichkeit
aber wissen die am besten einzuschätzen,
die gelernt haben, damit umzugehen.
Dann werden sie nicht einfach damit herumfuchteln und sich und andere gefährden – nur so zum Spaß.

Lehren wir sie,
nicht im Affekt dreinzuhauen,
sondern die Wahl der Mittel sorgsam zu überlegen
und mit dem gelindesten zu beginnen.

Lehren wir sie die Kunst der Verhandlung
und der Geduld,
die auf vordergründig einfache Lösungen verzichtet.

Lehren wir sie den Respekt vor der demokratischen Verteilung der Macht,
auch wenn diese zuweilen weniger schlagkräftig erscheint als paramilitiärische Selbsthilfegruppen,
wie sie vor einiger Zeit in einer unserer Landeshauptstädte gebildet wurden.

Zuletzt ein Blick zurück in die Sandkiste:
Wie ich reagieren werde
in der Situation,
die ich geschildert habe,
kann ich hier und jetzt gar nicht sagen.
Es gibt keine Lösung, die immer stimmt.
Denn welche Reaktion angemessen ist,
hängt ja von der tatsächlichen Situation ab,
die vielschichtiger und vielseitiger ist,
als meine kleine konstruierte Geschichte.

Und darum – und auch das nehme ich aus dem Wort des Jesaja mit,
wird es bis zu dem großen Frieden Gottes
in unserer kleine Welt und in der großen Politik nötig sein,
jedes Mal neu zu entscheiden und abzuwägen
und danach für die gefundene Lösung
die Verantwortung zu übernehmen
.

Dass Gottes Geist dabei die Leitung übernimmt,
darum bitte ich.

Christine Hubka
christine.hubka@gmx.at

 


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