Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 17. Juli 2005
Predigt über Matthäus 7, 15-21, verfasst von Elof Westergaard (Dänemark)
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(Predigttext der dänischen Perikopenordnung)

König Harald gebot, dass dieses Denkmal seinem Vater Gorm und seiner Mutter Thyra gemacht wurde, der Harald, der sich ganz Dänemark und Norwegen unterwarf und die Dänen zu Christen machte.

Das sind bekannte Worte. Es ist die Runeninschrift auf dem großen Stein von Jelling. Ein Denkmal, das zu den bedeutendsten aus der Zeit der Wikinger gehört, und ein Denkmal, das in Dänemark nationalen Rang besitzt. Es ziert Geldschein und Pass.

Die Worte erzählen nicht nur vom Einzug des Christentums hier im Lande um das Jahr 900 und von den geschichtlichen Wurzeln und dem religiösen Erbe des Landes. Es besteht auch eine Verbindung zwischen dem Schmuck des Steins und den Worten Jesu im Evangelium von heute. Und zwar in der Verwendung des Bildes. An beiden Stellen gibt es Pflanzen und Tiere, an beiden Stellen werden sie benutzt zur Veranschaulichung der wesentlichen Anliegen, die mit unserem Dasein und unserem Glauben zu tun haben.

Auf der größten Fläche des Steins von Jelling sehen wir Christus in der Mitte. Mit ausgestreckten Armen bildet er ein Kreuz. Er ist das Kreuz. Und um ihn herum schlingen sich die Windungen, die Ornamente der Zeit der Wikinger. Die Windungen wirken wie Äste mit dem Mittelpunkt in Christus. Er ist der Baumstamm.

Auf dem unteren Teil des Steins ist die Bildersprache allerdings anders: dort sehen wir ein Tier, das von einem anderen umwunden ist. Zwei Tiere im Kampf: vermutlich ein Greif (oder ein Löwe), der mit einer Schlange kämpft.

Sowohl die Zweige des Baumstammes als auch der Kampf der Tiere haben eine Bedeutung. Die Zweige von Christus. Er ist der Baum des Lebens. Der Baum im Paradies, von dem zu essen dem Menschen nicht erlaubt war. Er steht jetzt sichtbar vor unseren Augen in dem gekreuzigten Christus. Mit seinem Tod, mit seinem Sieg über den Tod, ist jetzt der Weg für das Leben eröffnet. (Der Weg des Paradieses.)

Aber der Kampf der Tiere betont nun auch, dass es, wie Harald über die Christianisierung Dänemarks und Norwegens schrieb, ein Kampf war genau wie in der Welt der Tiere. Der Glaube und das Dasein bringen auch Kampf mit sich. Kampf wie zwischen den Möwen um die Fische, wie der Kampf des Wolfs gegen das Lamm oder wie zwischen uns Menschen gegenseitig.

In Jesu Worten im heutigen Text über die falschen Propheten spielen die Tier- und Pflanzenbilder auf ähnliche Weise eine große Rolle: wir hören von den falschen Propheten, dass sie wie ein Schaf kommen, aber wie gefräßige Wölfe sind. Und diejenigen, die die wahren Propheten sind, sollen an ihren Früchten erkannt werden. Die Frucht, die ihre Zweige tragen.

Wenn Jesus sowohl über falsche Propheten als auch über denjenigen sprechen will, der die Wahrheit sagt, dann benutzt er Bilder mit Tieren und Pflanzen.

Ein falscher Prophet, so hören wir, kommt wie ein Schaf, ist aber im Innern ein Wolf. Beim falschen Propheten gibt es also einen Widerspruch zwischen Äußerem und Innerem, er gibt sich für einen anderen aus, als er in Wirklichkeit ist.

Das heißt, er gibt sich aus für das Gegenteil eines gefräßigen Wolfs, und das muss ein freundliches und ungefährliches Lamm sein. Aber er ist ein gefräßiger Wolf, und das heißt einer, der denjenigen, den er aufsucht, überfallen will, der mit dem Anderen kämpfen, ihn besiegen und zum Schluss fressen will. Ja, der falsche Prophet ist hier also ein Mensch, der ausschließlich von der Strategie der Macht und mit dem Willen zum Herrschen lebt. Seine Botschaft ist dem Willen zur Macht unterworfen.

Es war zu allen Zeiten eine Versuchung, den oder die falschen Propheten beim Namen zu nennen und sie in der eigenen Zeit ans Licht zu ziehen – das hat man im Namen des Christentums und in der langen Geschichte der Kirche oft getan – und jedesmal haben die Hirten, diese Pastoren, in ihrem Eifer übersehen, wie scharf ihre eigenen Raubtierzähne wurden durch dieses ans-Licht-Zerren.

Will man wirklich ans Licht holen, dann gibt es gute Gründe, auf den zurückzuschauen, der wirlich ein gefräßiger Wolf genannt wurde. Sogar von seinem eigenen Vater.

Nur Einer nämlich ist in der biblischen Welt ein gefräßiger Wolf genannt worden. Und es ist gut, sich an die Umstände dieser Episode zu erinnern.

Der gefräßige Wolf war Jakobs Sohn Benjamin.

Als Jakob, Isaaks Sohn, auf dem Sterbebett lag, rief er seine zwölf Söhne zu sich. Und jeder von ihnen bekam ein Wort gesagt, und Jakob segnete sie.

Die Worte, die ihnen gesagt wurden, waren oft zweideutig, so auch die Worte zu Benjamin: Benjamin, der reißende Wolf, des Morgens wird er Raub fressen, des Abends wird er Beute austeilen. (1. Mos. 49,27). Das waren alle Worte für Benjamin. Wenige, aber harte Worte über ihn als einen raubgierigen und gefräßigen Wolf.

Nun ist der gefräßige Wolf ans Licht gezogen! Wenn wir uns aber an die Geschichte von Benjamin erinnern und ihm im Alten Testament folgen, dann ist es ein recht zweideutiges Bild, das wir von ihm bekommen. Das lässt sich auch durch die Doppeldeutigkeit veranschauli­chen, die rein deutungsmäßig schon in seinem Namen liegt: Benjamin kann „Sohn meines Unglücks“ bedeuten, aber auch: „Sohn des Glücks“.

Das Zweideutige macht allerdings Benjamin hier sehr menschlich. Er gleicht jedem anderen Menschen.

Zugleich hat man auch daran zu denken, dass Jakob, unmittelbar nachdem er auf seinem Sterbebett liegend seinen Söhnen Worte mitgegeben hat – und zwar so harte Worte wie die für Benjamin, dass er nämlich ein raubgieriger Wolf sei – dass Jakob also danach seine Söhne segnet.

Ohne die Szenen zu vergleichen: Jesus tut dasselbe gegenüber einem seiner Jünger, nämlich Petrus. Aber es geschieht in der umgekehrten Reihenfolge: „Petrus, auf dich will ich meine Kirche bauen,“ sagt Jesus segensreich. Aber danach muss er Petrus ausschelten und sagen: „Weiche von mir, Satan!“ Jesus hätte genauso gut sagen können: du gieriger Wolf, oder du erstickende Schlange.

Sich für ein Schaf ausgeben, aber eigentlich ein gieriger Wolf sein. Diese Beschreibung und dieser Widerspruch zwischen innen und außen kann keinem Menschen fremd sein. Es ist ein recht menschlicher Zug. Anstatt den falschen Propheten ans Licht zu ziehen, ist es also weitaus wichtiger, ihn als in uns allen verborgen zu sehen, wenn wir uns verstellen, wenn wir uns zu etwas machen, was wir nicht sind, wenn wir die Macht um der Macht willen erstreben. Wenn eigener Gewinn Vorrang hat vor dem Wohl und Wehe des Nächsten.

Jesus sagt dann, wir sollten auch die Frucht achten. Denn ein Wolf kann sich nicht einfach in ein Lamm verwandeln. Er wird ja weiterhin, wenn auch verdeckt, wie der Wolf handeln. Der Wolf wird sich gierig auf das Lamm stürzen. Jesus wechselt hier das Bild, wenn er jetzt von der Frucht des Baumes spricht. „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen,“ sagt Jesus. Kann ein Mensch sich für etwas Anderes ausgeben, als er in Wirklichkeit ist, dann werden seine Früchte ihn doch entlarven. Der Mensch ist wie ein Baum oder wie ein Zweig an einem Baum, und er wird Früchte hervorbringen wie der Baum, der er ist. „Kann man vom Dornbusch Trauben oder von Disteln Feigen ernten?“, fragt Jesus rhetorisch. Es besteht ein Verhältnis zwischen Baum und Frucht, das sich nicht verbergen lässt.

Aber was für Bäume sind wir denn? Der falsche Prophet wird nur schlechte Früchte tragen, sagt Jesus. Und das Gericht ist groß. Während der gute Baum Frucht trägt.

Jesus sagt nirgends, dass wir wie der Baum sind. Und vielleicht sollen wir uns selbst mehr so wie im Johannesevangelium verstehen, wo Jesus sagt: „Ich bin der wahre Weinstock. Ihr seid die Reben.“ D.h. wir sollen uns verstehen als etwas Kleineres im Vergleich zu etwas Größerem, als Reben, die doch Früchte tragen können.

Wir können in Jesus und als in seinem Namen Getaufte hoffen, wie die ornamentalen Ranken in das Kreuz und den Lebensbaum auf dem Stein von Jelling einzugehen, als Zweige oder Reben an dem Baum, den er auf Erden gepflanzt hat. Hier in der Welt, wo die Kämpfe weiterhin vor sich gehen und wo wir Menschen um des eigenen Gewinns willen allzu oft dem Greif und der Schlange – ja gierigen Wölfen ähneln.

Mag der Baum des Lebens im gekreuzigten Christus wachsen. Und mögen unsere Zweige und Reben durch die Gnade Gottes Früchte tragen.

In Jesu Namen. Amen.

Pastor Elof Westergaard
Gramvej 2, Husby
DK-6990 Ulfborg
Tel. +45 97495108
E-mail: eve@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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