Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

10. Sonntag nach Trinitatis, 31. Juli 2005
Predigt über Johannes 2, 13-22, verfasst von Friedrich Seven
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Johannes 2, 13-22
Und das Passahfest Juden war nahe, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Und er fand im Tempel sitzen die da Ochsen, Schafen und Tauben verkauften, und die Wechsler. Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus, samt den Schafen und Ochsen, und verschüttete den Wechslern das Geld und stieß die Tische um und sprach zu denen, welche die Tauben feilhielten: „Traget das von dannen! Machet nicht meines Vaters Haus zum Kaufhause!“ Seine Jünger aber gedachten daran, daß geschrieben steht: „Der Eifer um dein Haus hat mich gefressen.“.(Psalm 69, 10). Da hoben nun die Juden an und sprachen zu ihm: „Was für ein Zeichen zeigst du uns, weil du solches tun darfst?“ Jesus antwortete und sprach zu ihnen: „Brechet diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten.“ Da sprachen die Juden: „In sechsundvierzig Jahren ist dieser Tempel erbaut; und du willst ihn in drei Tagen aufrichten?“ Er aber redete von dem Tempel seines Leibes. Da er nun von den Toten auferstanden war, gedachten seine Jünger daran, daß er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Worte, das Jesus gesagt hatte.

Liebe Gemeinde,

vor einigen Wochen war ich mal wieder nach langer Zeit in einem Gerichtssaal. Es ging in der Verhandlung nicht um mich, sondern es war ein Termin in einem schon über Jahre dauernden Asylverfahren, von dem ich als Flüchtlingsbeauftragter bisher selbst nur gehört hatte.

Unglücklicherweise konnte die Klägerin, die Asylsuchende, bei diesem Termin schon gar nicht mehr dabei sein, ihre gesundheitliche Situation ließ das nicht zu, und in ihrer Krankheit lag auch einer der Hauptgründe, warum sich ihre Gemeindepastorin und eine Ärztin so sehr darum bemühten, daß diese Frau nicht abgeschoben würde.

Als ich die Stimme des Richters hörte, erinnerte ich mich plötzlich wieder an das Telefonat, das ich vor schon langer Zeit einmal mit ihm in dieser Angelegenheit geführt hatte.

Wie schon bei dem Telefongespräch fiel mir auch jetzt auf, wie sehr den Richter selbst dieser Fall zu beschäftigen schien. Doch wie damals, so konnte er auch jetzt in der Verhandlung nur das erklären, was es ihm unmöglich machte, auf die Gründe einzugehen, die von meiner Kollegin und der Ärztin vorgetragen wurden: das Gericht könne in diesem Asylverfahren nur die Gründe berücksichtigen, die im Herkunfstland lägen, und keine noch so stichhaltigen Einwendungen aufnehmen, die mit dem Leben der kranken Frau hier zu tun hätten.

Zum einen war deutlich, er wollte einen juristischen Sachverhalt erklären, zum anderen aber auch: Er wollte uns zeigen, wie er selbst in den Schranken des Gerichts festsäße, uns aber etwa die Möglichkeit einer Petition noch offenstehe.

Zum ersten mal wurde die Verhandlung etwas unruhig, als mehrere Personen, darunter einer mit einer Robe auf dem Arm, den Saal betreten wollten und unseren Richter daran erinnerten, daß wir die Zeit bereits überschritten hatten. Doch der nahm sich weiterhin die Zeit zuzuhören, immer wieder zu erklären, und als er uns am Ende das Urteil in Aussicht stellte, konnten wir wohl wissen, daß er die Klage abweisen würde, aber wir fühlten uns nicht mutlos. Vielleicht gerade auch deswegen, weil er uns nicht, als seine Zeit doch zu drängen schien, aus den „heiligen Hallen“ des Gerichts weggeschickt hatte.

In der Geschichte hingegen, die wir gerade gehört haben, geht es um eine Vertreibung, zwar nicht aus einem Gericht, aber aus einem Haus, in dem es doch um soviel mehr gehen sollte als allein um das Recht zwischen Menschen: Jesus treibt Händler und Wechsler aus dem Tempel, und anders als unser Richter, der zwischen der Asylsache und seinem Mitgefühl unterscheiden mußte, ist Jesus ganz als Person bei der Sache.

Er nennt den Tempel das, was er ist, Haus Gottes, und der Sohn Gottes duldet in diesem Haus nichts, was dem Gespräch zwischen Gott und den Menschen im Weg stehen und ihre Erwartungen nähren könnte, mit einer Opfergabe vor Gott zu bestehen. So im Handumdrehen, wie er aus den Stricken, mit denen die Händler ihre Tiere angebunden hielten, sich eine Geißel machte, so schnell müssen sie mit Schafen und Ochsen vor seiner Geißel fliehen; ja auch die Wechsler sind vor Jesus nicht sicher, als er ihr Geld verschüttet: Offenbar gibt es keinen geordneten Rückzug mehr, wenn der Sohn Gottes zur Ordnung ruft.

Aber das eigentlich Überraschende kommt noch: die Umstehenden, die das gerade erlebt haben und die doch, wie Jesus, ihr Gotteshaus lieben, sind vielleicht entrüstet, aber auf keinen Fall so empört, daß sie ihr Verlangen nach Wahrheit nicht mehr spürten. Wenn es bei Johannes heißt, daß die Juden darauf zu Jesus sprachen: „ Was zeigst Du uns für ein Zeichen, daß Du solches tun darfst?“, dann ist hier doch etwas von dem heraus zu hören, was die Ohren- und Augenzeugen der Tempelreinigung geahnt haben müssen: in diesem Menschen spricht und handelt Gott selbst.

Aber Jesus bleibt ihnen ein Rätsel, vor allem mit seiner Provokation, mit der er auf seine nahe Zukunft und damit auf sein Kreuz und seine Auferstehung anspielt: „Brechet diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten.“ Den Umstehenden bleibt der Sinn dieses Wortes verborgen, wie bis heute der Sinn des Kreuzes und seiner Auferstehung so lange verborgen bleibt, bis uns der Auferstandene begegnet und uns der Glaube geschenkt wird.

In diese Begegnung kommt er nicht so, daß er seine Person von meiner Sache getrennt hielte. Gerade dadurch aber begreife ich, daß ich meine Sache vor ihm nicht selbst verhandeln kann und auch gar nicht verhandeln muß. Er tritt aus den Schranken des Gerichts zu mir, und wo er ganz zu mir kommt, will ich nicht nur halb dabei sein.

Inzwischen ist die Asylsuchende von sich aus in ihr Land zurückgekehrt. Die Pastorin und die Ärztin haben kein gutes Gefühl dabei, aber sie haben ihren Willen respektiert.

Ich wage aber auch nicht zu sagen, daß die Ermutigung im Gerichtssaal durch den anschließenden schriftlichen Bescheid ganz dahin ist. Immerhin darf der gerade volljährig gewordene Sohn bleiben und kann seine Ausbildung, in die auch die Mutter so viel Hoffnung gesetzt hatte, fortsetzen. Vor allem hoffe ich, in anderen Asylsachen wieder auf diesen Richter zu treffen.

Im Blick auf die Geschichte bleibt nur zu sagen: der Tempel war und Synagogen und Kirchen sind Orte des Gottesdienstes und es ist nicht unwichtig, daß wir den Gottesdienst auch als Amt bezeichnen können.

Dankbar und froh bin ich, daß wir bei all den Ämtern, in denen mit uns, ohne uns und oft genug auch gegen uns verhandelt wird, im Gottesdienst ein Amt feiern können, bei dem der eigentliche Amtsinhaber sich nicht hinter Amt und Würden zurückhalten muß.

Dr. Friedrich Seven
Im Winkel 6
37412 Scharzfeld
05521/2429
e-mail: friedrichseven@compuserve.de

 


(zurück zum Seitenanfang)