Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 7. August 2005
Predigt über Matthäus 21, 28-32, verfasst von Dankwart Arndt
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Jesu Gleichnisse sind einfach; aber sie sind keinesfalls simpel. Deshalb bedürfen sie einer nachdenklichen Auslegung.

„Ein Mann hatte zwei Söhne...“ – so könnte auch ein Märchen beginnen. Märchen allerdings und auch Gleichnisse bilden ein Stück Wirklichkeit ab. Dabei bildet das Gleichnis vom Vater zweier Söhne mehr Wirklichkeit ab als zunächst erscheinen mag.

In der Welt und auch in diesem Gleichnis geht es nicht simpel zu. Die Welt lässt sich nicht einfach einteilen in solche, die „Ja,“ sagen und „Nein“ tun einerseits und andererseits in solche, die zunächst „Nein“ sagen und dann doch „Ja“ tun; nicht einfach und ohne Rest einzuteilen ist die Welt, in einerseits liebedienerische Typen, die vorneherum viel versprechen und später wenig halten, und andererseits in die „ehrlichen Häute“– „der Ehrliche ist der Dumme“ - , die sich zunächst verweigern, dann aber das Gebotene tun.

So simpel geht es eben auch in Jesu Gleichnis nicht zu, wenngleich diese Deutung – mit kräftig erhobenem Zeigefinger! – beliebt und – begehrt ist.

Beliebt, weil sich auf diese Weise alle Übel dieser Welt hin- und her-schieben lassen. Dann urteilt der Bürger – zumal in diesen Wochen -, die Klasse der Politiker seien „Ja-Sager“ und „Nein-Tuer“, dann urteilt der kritische Geist – und das ist dann schon der Gipfel kritischer Weisheit! -, Menschen, die „dauernd in die Kirche rennen“, seien auch nicht besser als andere, sie und ihre Kleriker predigten Wasser, würden selber aber Wein trinken.

Beliebt und begehrt ist diese Deutung des Jesus-Gleichnisses, weil sie – scheinbar! – Rückendeckung bietet beim ach so beliebten Verschieben von Schatten und Übel: immer sind dann nämlich die jeweils anderen die „Bösen“: „die da oben“, die Politiker oder eben die breite Mehrheit „draußen im Lande“; die Chefs oder eben die Mitarbeiter; die Vorgesetzten oder eben das „Fußvolk“; die unzulänglichen Lehrer oder eben die unfähigen und unwilligen Schüler. Immer haben „die anderen“ Schatten und Übel dieser Welt zu verantworten.

Aber – Jesu Gleichnis ist nicht simpel. Er erzählt nicht von einem liebedienerischen, heuchelnden Sohn, der „Ja“ sagt und „Nein“ tut, und einem edlen Sohn, der ohne viel Aufhebens zu machen, das Gute tut.

Vielmehr: Jesus erzählt ganz schlicht: da sind zwei Söhne. Einer sagt „Ja“ zu seines Vaters Gebot; und zunächst – möchte ich denken – meint er auch „Ja“, hat die gute Absicht und den erklärten Willen. Dann aber geht er nicht hin und tut nicht das Gebotene.

Wenn wir uns entschließen könnten, ihn – diesen Sohn – auch in uns selbst, als einen Teil von uns in unserem Alltag zu entdecken, dann könnten wir – Sie und ich und jeder für sich – die Gründe für den Ungehorsam herausfinden, wenn wir denn im klaren darüber sind, dass der Ja-Sager und Nein-Tuer auch in uns steckt.

Freilich: Jesus zielt in diesem Gleichnis eher darauf, die andere Möglichkeit herauszustellen, den „anderen Sohn“ zu beachten und dessen Verhalten und dies als angemessen, verheißungsvoll, hilfreich dem Hörer vor Augen zu stellen und ans Herz zu legen. Denn – auch „der andere Sohn“ ist ein Teil von mir, von Ihnen, - steht für eine Möglichkeit, die wir – hoffentlich – ebenfalls als uns eröffnet erkennen.

Dieser „andere“, dieser „zweite“ Sohn macht ja nun eben nicht nur kein Aufhebens von seinem Gehorsam, sondern er sagt zunächst sehr dezidiert sein „Nein“ zu dem Gebotenen. Wiederum aus Gründen, die jeder bei sich selbst suchen mag.

Zwischen seinem Nein-Sagen und dem Ja-Tun liegt nun aber das – Buße-Tun, die Sinnesänderung, die Neu-besinnung, die Umkehr. Und darauf will Jesus mit seinem Gleichnis hinaus.

Nun wissen wir zwar: es gibt die genialen Einfälle, die ihre Richtigkeit beweisen, auch die raschen Worte, die sofort treffend, passend, gut sind. Und ganz gewiss sind diejenigen Menschen wenig hilfreich, die ihre Fahne nach jedem Windhauch zu hängen wissen, die „Wendehälse“, die ganz fix Urteile, Einstellungen, Parteien zu wechseln vermögen. A b e r : Jesu Verheißung gilt doch denen, die zu zögern vermögen, die neu zu überlegen vermögen, die neu zu entscheiden vermögen, die sich zu „revidieren“ vermögen. „Revidieren“ – das meint: zurück – und neu hin-sehen.

Wer aber vermag das?

Wer gewinnt solches „Vermögen?“ – wir wissen auch aus anderen Lebenszusammenhängen, dass der erste Entwurf nicht immer wirklich „der große Wurf“ ist., dass der erste Gedanke nicht immer richtig ist, das erste Gefühl nicht immer Wahrheit aufdeckt. Und wer etwas tut, weil er es „immer so gehalten“ hat; wer auf einem Urteil beharrt, weil er es nun einmal so gefällt hat; wer Entscheidungen vollzieht, weil sie „nun einmal gefallen“ sind – wer so denkt und handelt, der muss im Grunde seines Herzens überaus ängstlich sein, gefesselt geradezu von der Angst, zurückzuschauen, zu prüfen, in Frage zu stellen und sich in Frage stellen zu lassen.

Noch einmal also die Frage: woher das Vermögen, sich zu revidieren, umzukehren, Buße zu tun? Die Antwort auf diese Frage findet sich in dem Wort dessen, der dieses Gleichnis erzählt: sich zu ändern vermag, auf verkehrtem Weg umzukehren vermag, wer sich anreden lässt als Kind, als Sohn: „Es hatte ein Mann zwei S ö h n e ..“ Entscheidungen zu bereuen und zu revidieren vermag, wer in diesen Frei-Raum der Kindschaft sich hineinnehmen lässt, wer gelten lässt, dass er auf seine Vergangenheit nicht festgelegt, auf seine Taten nicht festgenagelt ist.

Moralische Appelle behaupten, der zunächst geleistete Gehorsam macht ein Kind aus, richtige Entscheidungen und zunächst nachgewiesene Leistungen seien die Voraussetzung dafür, den Rang eines humanen Wesens zu erklimmen. Im Unterschied dazu, ja, im Gegensatz dazu sagt das Evangelium – und deshalb und darin ist es Frohe Botschaft, die befreit - : nur wer schon immer als Menschengeschöpf geachtet ist, wird humane Entscheidungen treffen können; nur wer immer schon als Kind ganz und gar und vorbehaltlos angenommen ist, kann kindlichen – nicht knechtischen- Gehorsam aufbringen; nur wer immer schon als menschlicher Mensch angesehen, angeredet, akzeptiert ist, kann zum rechten, zu menschlichem Tun und Verhalten finden.

„Ein Mann hatte zwei Söhne...“ – diese beiden leben und wesen in jedem einzelnen von uns, so, dass wir hören können: „Ein Mann hat – jetzt und hier – zwei Söhne.“ Einer, der schnell, vielleicht vorschnell – „Ja“ sagt; möglicherweise aus Furcht?, oder bloß leichtsinnig?, oder um einer missliebigen Situation schnell zu entkommen?, oder weil ein schneller Vorteil winkt? Wer weiß! Und der andere, der „Nein“ antwortet, der dann aber ins Zögern gerät, nachdenklich wird, sich revidiert. „Ein Mann hatte zwei Söhne...“ – beide Möglichkeiten, beide Verhaltenweisen, beide Entwürfe gehören zu mir und zu Ihnen.

„Ein Mann hatte zwei Söhne...“ – und er nagelt keinen von Ihnen fest. Vielmehr: solange und wo dieses Gleichnis erzählt, gepredigt, verkündigt wird im Namen des Gekreuzigten / Auferweckten, wird der Frei-Raum zur Umkehr eröffnet, werden – wenn denn das Wort gehört und angenommen wird – die „Füße auf einen weiten Raum gestellt“, die Einladung zur Buße gültig.

Jesus fragte seine Zuhörer: „Welcher unter den zweien hat des Vaters Willen getan?“ Zu dieser Frage gehören – denke ich – auch folgende Fragen: „Wer von den beiden war am Ende bei sich? Wer war er selbst? Wer von beiden hatte am Ende sich gefunden? Wer von den beiden war am Ende gelöst, frei und von Herzen fröhlich?“ – Die Antwort kann nur lauten: der die befreiende Erfahrung der Revision, der Umkehr erfahren hatte, der – wie der Titel eines unübertroffenen klugen Büchleins zum Thema sagt – „die Freude der Buße“ erlebt hatte.

Dass diese Freude Sie erreiche und ergreife, ist Ziel des Gleichnisses und der Wunsch des Predigers.

Amen

Dr. Dankwart Arndt
Pastor i. R.
Auf dem Breckels 1, 24329 Grebin
E-Mail c/o angelikatanha@hotmail.com


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