Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

12. Sonntag nach Trinitatis, 14. August 2005
Predigt über Jesaia 29, 17- 24, verfasst von Heinz Behrends
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Vorbemerkung

Eine Vision schafft immer ein Gegen-Bild zur aktuellen Realität. Je stärker ich die Realität erlebe oder beschreiben kann, desto kraftvoller die Vision. Die Vision zeigt ein Leben, wie es werde kann und wirkt schon jetzt in die Gegenwart hinein.
Der Prophet bezieht seine Vision auf das Volk. Sie darf in der Predigt nicht individualisiert werden.


Hallo, liebe Gemeinde!
Hallo, so eröffnet der Prophet Jesaja den Predigttext. Wohlan“ übersetzt Martin Luther. Hallo heißt es auf Hebräisch. Mit Hallo kommt Jesaja schwungvoll daher und kündigt an, daß es bald so weit sein wird. „Eine kleine Weile noch“, dann wird die Erde verwandelt sein. Wo felsiges Gebirge war, wird ein blühender Garten sein. Wo sich ein Land fruchtbar dünkt, wächst Gestrüpp. Und dann wird er immer konkreter in seinem Bild von Zukunft. Leute, die weggehört haben, hören zu, „Taube hören die Worte des Buches.“ Menschen, die weggekuckt haben, nichts mit allem zu tun haben wollen, schauen hin und interessieren sich, „Blinde werden sehen.“ Präsident Mugabe, der Tyrann in Sambia, wird seine Leute nicht mehr quälen und vertreiben. „Es wird ein Ende mit ihm haben.“ Spötter, die uns nachrufen „Was glaubst du denn da als moderner Mensch für einen Kram!“ werden verstummen. Fanatisierte Menschen mit einer Bombe im Rucksack, die Schrecken verbreiten wollen, werden nicht mehr sein. Sie haben sich alle selbst „vertilgt.“ Verfassungsrichter werden nicht bedrängt. Menschen, die „im Tor zurechtweisen“, wird nicht mehr nachgestellt. Die Korruption in den Vorstandsetagen und Lügen in den Ministerien sind nicht mehr. Jugendliche haben ihre Orientierung gefunden, niemand greift mehr hilflos nach jedem Sinn, der ihm angeboten wird.
„Welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen.“ Die ewigen Nörgler hören auf zu nörgeln und lassen sich zur Sache rufen. „Welche murren, werden sich belehren lassen.“

Hallo, liebe Gemeinde, so wird es sein. Fruchtbares Land, lebenswertes Leben. Das Wirken Gottes wird wieder erkannt und geschätzt werden. Sein Name wird geheiligt sein.
Hallo, hallo, kann ich da nur sagen. Hört und merkt auf. Wie forsch, kraftvoll, vollmundig und warmherzig kommt der Prophet daher. Er spricht für Menschen, die das Elend ihrer Zeit sehen. Menschen, die sich um den Garten des Menschlichen sorgen. Die sich nichts vormachen. Demütige und Arme. Sie sind auf grund ihrer Lebenssituation gewohnt, nicht um die Dinge herumzureden. Wer im Dreck sitzt, weiß, was Dreck ist. Er will da raus. Hoffnung hat nur, wer die Realitäten sieht. „Ein sattes Volk stirbt, weil es keine Visionen mehr hat,“ hat Dorothee Sölle, die wache und kritische Theologin, einmal gesagt. Visionen als ein Bild vom Morgen kann nur entwickeln, wer sich ein Bild vom Heute gemacht hat.
Für den Propheten und seine Leute war das damals relativ eindeutig, wie sie ihre Lebenssituation deuten sollten. Für uns ist das alles viel undeutlicher und mehrschichtiger geworden.
Meine Frau, ich und unsere Jüngste sitzen diese Woche abends mit unserer Ältesten in entspannter und konzentrierter Atmosphäre zusammen. Katrin macht zu Hause ein paar Tage Urlaub von ihrer anstrengender Examensvorbreitung. Sie packt das alles mit viel Kraft und Entschlossenheit an. Sie ist über die Prüfung hinaus schon mit ihrer Zukunft beschäftigt.
„Wenn ich an die Zukunft denke, könnt ich mich schütteln,“ bricht es aus ihr heraus, „ich sehe lauter rumhängende, schlaffe, kraftlose Jugendliche vor mir und muffelige Alte, die sich ungerecht behandelt fühlen und nur noch ihre knapper werdende Rente beklagen. Besserung wird von allen nur durch eine andere Ökonomie, durch eine florierende Wirtschaft erwartet.
In so einer Welt möchte ich nicht leben.“
Schon sind wir mit unseren unterschiedlichen Erfahrungen mitten drin im Gespräch über unsere aktuelle Situation. „Mehr Mut“ schreibt eine der Parteien in unserem Land seit letzter Woche auf ihren großen Wahlplakaten. „Nutzen wir die Chancen unseres Landes“, schreibt eine andere. Gleichzeitig erklären diese Woche in einer Umfragung 79 % der Bevölkerung, dass ihr Vertrauen in die Parteien immer mehr sinkt. Das Leben in unserem Land fährt allmählich fest. Wir zehren noch von einem Wohlstand, der sich in den letzten 50 Jahren über viele in unserem Land ausgebreitet hat. Er hat aber auch vielen die Kraft und die Kenntnis vom Überleben in schwer werdenden Zeiten geraubt.
Marie fädelt sich mit ihren Erfahrungen als 19jährige Schülerin ins Gespräch ein. „In meiner Klasse kommt die Hälfte mit einem eigenen Auto zur Schule“, sagt sie, “als ich erzählt habe, dass ich Kilometergeld bezahlen muss, wenn ich Euer Auto benutze, haben die mich gefragt, was ich denn für Raben-Eltern habe.“ Aus guter Absicht werden sie alle gut versorgt von ihren Eltern und lernen das Leben nicht kennen. „Meine Kommilitonin bereitet sich seit 14 Tagen erst auf ihr Examen vor und stöhnt und stöhnt,“ fügt Katrin hinzu, „als wenn das unmöglich wäre, sich mal 10 Stunden am Tag an die Bücher zu setzen. Da geht für sie eine Welt unter. Die hat ne richtige Sinn-Krise bekommen.“
Das ist das nicht selbst gewählte Schicksal unserer jungen Generation. Sie sind in eine gesättigte Gesellschaft hineingewachsen. Nun sind sie überfüttert. Aus falscher Rücksicht hat man sie unterfordert, den harten Anforderungen des Lebens nicht ausgesetzt. Das Ergebnis: Schlaffheit, Wehleidigkeit, Resignation. Um sich selber kreisen. Der Blick nach vorne ist selbst verbaut. Aber was rede ich von jungen Leuten. Sie sind nur Abbild meiner Generation, der Generation der Eltern.

Wo sind die Kräfte, die in unser Land Bewegung bringen?
Sie müssen glaubwürdig sein. Dann hört man zu und schaut hin. Eltern und Lehrer, die zeigen, wo sie stehen und was sie lieben, werden geschätzt. Die den Dingen einen Namen geben können, die unsere namenlose Kultur nicht fördern. „Ökonomische Hauruck-Rufe verhallen doch alle,“ sagte unsere Katrin.

Ehrlichkeit haben sich die Parteien vor der Wahl auf ihre Fahnen geschrieben. Bisher dabei rausgekommen ist taktisches Gerede.
Die Voraussetzung, die Zukunft zu gewinnen, ist die Einsicht in die Realität. Ja, die Ehrlichkeit.
Die Antwort des Propheten ist relativ einfach. „Sie werden hören auf die Worte des Buches.“
Ich merke das in meiner Arbeit immer mehr, wie aufmerksam zugehört wird, wenn ich Gedanken der Bibel in Gesprächen oder auf nicht-kirchlichen Veranstaltungen äußere. Je weiter weg sie von ihrem Wissen um die christlichen Gedanken sind, um so hellhöriger.

Kirchliche Profis fragen sich etwas verzagt: Was hat denn die Vision des Jesaja über die 2500 Jahre bewirkt? Hat sie Tyrannen verhindert, hat sie Elend aufgehalten? - Nein. - Ja, was soll ich denn heute noch von seinen Visionen reden! - Ja, warum hat sie denn damals nicht jemand vernichtet, die Papierrolle mit seinen Zukunftsbildern nicht verbrannt?

Wir brauchen diese Bilder von einer Welt, die noch werden kann.

Gott wird es richten, sagt der Prophet, dass es geschieht. Er wird dafür sorgen, dass Jakob nicht mehr beschämt dastehen muss ob seines Glaubens.

Ich sehe für uns Christen in diesem Land eine unermesslich kostbare Aufgabe, dass wir die Kraft und die Bilder des Propheten vermitteln und leben. Vom wem soll ein Aufbruch, eine Verwandlung ausgehen, wenn nicht von uns, die wir Gott heiligen und fürchten, ehren und anerkennen und lieben.
Übrigens, meine Erfahrung mit jungen Menschen ist, dass sie aufblühen, wo sie gefordert und geliebt werden.
Hallo! Wohlan! Ermutige uns der Prophet zu tieferem Glauben und zu stärkerem Handeln. Amen.

Superintendent
Heinz Behrends
Entenmarkt 2
37154 Northeim
Heinz.Behrends@evlka.de


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