Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis / Erntedankfest, 28. August 2005
Predigt über Lukas 17, 11-19, verfasst von Hanne Sander (Dänemark)
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(Text der dänischen Perikopenordnung)

Ich danke dir, mein Schöpfer, für deine Welt voller guter Gaben. Hilf mir, Blick und Herz zu haben für des Lebens gute Gaben. Züchtige mich und stütze mich, daß ich sorgsam mit ihnen umgehe und sie nach ihrer Bestimmung gebrauche. Dir zum Lobe und meinen Mitmenschen zum Nutzen. Amen.

In einer der Zeitungen, die ich lese, hat man jetzt schon ein paar Jahre lang eine Abstimmung über die „best gehasste Reklame“ durchgeführt. Ich habe nie an der Abstimmung teilgenommen, aber ich weiß sehr wohl, wofür ich stimmen würde. Diese Art Reklame endet mit den Worten: „...weil du es verdienst“. Warum soll ich das Schampoo kaufen, das lebendiges und glänzendes Haar gibt? – weil ich es verdiene! Tue ich das? – verdiene ich lebendiges und glänzendes Haar? – wie verdient man so etwas? Ich komme ganz durcheinander – und sollte es wohl lieber sein lassen, das Schampoo zu kaufen; denn stell dir vor, ich verdiente es nicht!

Aber die Verwirrung ist noch nicht das Schlimmste, das Schlimmste ist die Lebensauffassung, die hier zugrunde liegt: was dir an Gutem geschieht – das hast du verdient, und daran denkt man gerne, solange es etwas Gutes ist. Aber wie steht es mit all dem anderen – wie steht es mit dem Bösen, das mir geschieht, das habe ich dann ja wohl auch verdient – dass meine Eltern z.B. allzu früh verstorben sind. Wie habe ich das verdient? – und wie kann ich damit leben, dass ich dafür verantwortlich war? Aber Gott sei Dank lügt Reklame ja – und diese Auffassung vom Leben auch. Das Wichtigste von dem, wovon ich lebe und was mich trifft, das ist ja nicht etwas, was ich verdient habe – es trifft mich oder widerfährt mir, wie man es mit einem starken, aber nahezu vergessenen Wort beschreibt.

Vorhin haben wir Magnus getauft – seine Eltern haben ihn doch nicht verdient – sie haben ihn bekommen – als ein reines Geschenk – und das wissen alle Eltern – eben deshalb sind wir doch so unermesslich glücklich – und deshalb ist das Gefühl, das uns beherrscht, ja nicht bloß ein „ja, natürlich haben wir ein wundervolles Kind bekommen – denn das haben wir ja verdient“, sondern es beherrscht uns eine tiefe und innerliche Dankbarkeit dafür, dass das Leben so freigebig ist. –

Dankbarkeit. Das muss das Stichwort des Tages sein, heute, wo wir Erntedankfest feiern und Gott für die Frucht des Ganges des Jahres, des Regens und der Sonne danken, die unsere Scheunen und unseren Sinn füllen.

Und wo wir das Evangelium von den zehn Aussätzigen hören, die geheilt wurden, von dem einen unter ihnen, der umkehrte, um Jesus zu danken und Gott die Ehre zu geben.

Aber was bedeutet es, dankbar zu sein? Dankbar sein bedeutet, dass man jemand anders oder etwas anderem als sich selbst eine Bedeutung für die Freude zuerkennt, die man selbst erlebt.

Wenn man am Erntedankfest den Gottesdienst feiert, wie wir es heute tun und wie es die Generationen vor uns getan haben, indem sie wie wir heute sangen: „Ihm danken alle wir im Chor für das, was er gegeben“ (Grundtvig), oder: „Er schenkt uns so viel Freude“, oder: „Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn“ (Matthias Claudius), dann erkennt man einem bestimmten anderen, nämlich Gott, Bedeutung dafür zu, dass man wieder eine Ernte, groß oder klein, eingefahren hat.

Und in diesen Liedern wird obendrein gesagt, dass nicht wir die Arbeitgeber sind und nicht Gott unser Erntehelfer ist, sondern dass vielmehr Gott der Arbeitgeber ist und dass wir Helfer sind an dem, was ihm gehört.

Es ist von einer Dankbarkeit die Rede, die sagt, dass Gott alles für uns ist, die Lieder lassen uns singen, was der geheilte Samariter sagt und tut, als er mit lauter Stimme Gott preist, auf sein Angesicht zu Jesu Füßen niederfällt und ihm dankt.

Aber Dankbarkeit gibt es in mehreren Formen, und die Stärke in ihr kann verschieden sein. Es gibt eine Dankbarkeit, die einem wie eine lichte und leichte Stimmung im Sinne liegt und die wohl kaum weiß, wofür sie empfunden oder an wen sie gerichtet ist. Das Leben kommt einem bloß heiter vor, und alles erscheint einem einfach und hell. Da ist es schön, Mensch zu sein und auf der Erde zu leben. Und dann ist da auch eine andere Dankbarkeit, die mehr über sich selbst weiß und die besser auf sich selbst aufpasst. Sie kennt die Unsicherheit des Lebens und weiß, dass es genügend Bedrohliches gibt. Sie kennt auch den Sinn, in dem sie wohnt, und sie weiß, wie leicht er sich wandeln kann von der einen Stimmung in die andere, vom Lichten und Leichten zum Finsteren und Bitteren. Deshalb achtet sie auf sich selbst und versucht, den Angriffen, denen sie ausgesetzt ist, standzuhalten. Sie ist beharrlich. Sie gibt nicht auf, auch wenn Tage des Mangels kommen, sie bemüht sich stattdessen, den Mangel aufzuwiegen mit dem Guten, was wir besessen haben, oder mit dem Guten, was noch kommen kann.

Dankbarkeit kann sowohl der süße und flüchtige, für den Augenblick erkämpfte, als auch der beharrlich erkämpfte Grund im Leben sein. –

Und lasst uns nun zu den Aussätzigen zurückkehren.
Da waren zehn Aussätzige. Eine Schar zufällig versammelter Menschen, durch ein gemeinsames Schicksal miteinander verbunden. Durch die Krankheit. Unappetitlich und ansteckend, das Fleisch von den Knochen fressend.
Jetzt bilden sie ein Gruppe, hier im Grenzland zwischen Heimat und Fremde, so eine Art lebendiger Toter.
Sie leben, dürfen aber anderen Menschen nichtnahe kommen, unrein wie sie sind. Aber hier im Grenzland begegnet Jesus ihnen.
Er antwortet auf ihre Bitte um Barmherzigkeit und sagt, sie sollen hingehen und sich von den Priestern untersuchen lassen.

Damals war man nämlich erst dann gesund, wenn die Priester, die dazu die nötige Kenntnis und Befugnis hatten, die betreffende Person für rein erklärt hatten; und nur rein, also frei von Krankheit, konnte man Teil der Gesellschaft, der Gemeinschaft, sein. Bereits auf dem Wege zu den Priestern entdecken die Aussätzigen, dass sie gesund und von der Krankheit befreit sind. Neun von ihnen gehen weiter zu den Priestern, nur der eine Samariter kehrt um. Denn er ist ja kein rechtgläubiger Jude und muss deshalb nicht untersucht werden – er war unter allen Umständen unrein, er gehörte nicht dazu.

Er kehrt stattdessen zurück zu dem, der ihn gesund gemacht hat, preist Gott und dankt Jesus. Waren die Neun dann undankbare Lumpen?
Nein, sie waren sicher unglaublich froh und glücklich über das, was da geschehen war.
Es war wohl so, dass sie einfach nur das taten, was ihnen aufgetragen worden war, sie gingen einfach zu den Priestern, ließen sich untersuchen und brachten Gott zum Dank das rechte Opfer dar. Und dann sind sie wohl nach Hause gegangen in der Hoffnung, wieder einen Platz in dem alten Leben zu finden, das sie führten, ehe die Krankheit sie ins Grenzland getrieben hatte.
Das Leben hat sie zuerst zusammengeführt, dann jeden wieder in sein Haus, und wie es ihnen seitdem ergangen ist, darüber wissen wir nichts.

Sie kommen nicht zu Jesus, aber an ihn gedacht haben sie wohl hin und wieder, und sie haben ihm wohl auch einen Gedanken der Dankbarkeit geschenkt. Er war ja doch derjenige, durch den Gottes Macht sie rein gemacht hatte. Aber Gott sagen sie Dank, wie Juden es zu tun pflegen, bei den Priestern mit den vorgeschriebenen Opfern.
Und dann ist da der Samariter, der Mann, der zurückkehrt.
Ist er also ein besonders dankbarer Mensch?

Nein, er hat wohl nur keine andere Stelle, wo er hingehen und für seine Heilung danken kann.
Bei den Priestern wäre er nicht willkommen gewesen. Aber die Dankbarkeit singt und sprudelt genauso stark in ihm wie in den anderen Neun, und da muss er stattdessen zu Jesus gehen. Und das ist sein Glück. Denn so erhält er mehr als die Neun. Er bekommt etwas obendrein. Jesus sagt zu ihm: „Dein Glaube hat dir geholfen.“

Der, der von den Richtigen verachtet ist und sich an niemanden wenden kann, nicht einmal mit seiner Freude, der ist es, der zu Jesus geht und alles bekommt.
Das, was Jesus Heil nennt.
Was ist denn „Heil“?
Ja, das muss dort sein, wo sich Barmherzigkeit und Dankbarkeit begegnen und tausendfach werden wie in dem Klang des Gesangs der Engel.
Es muss das klare Licht eines Augenblicks sein, in dem Gott und Mensch einander begegnen, in einem Samariter und einem Zimmermannssohn.
Es muss die Öffnung des Himmels sein in einem gewaltigen Sog.

Heil ist: vor Gottes Angesicht gestellt sein. Und vor Gottes Angesicht sind wir in Jesus gestellt. So war es damals, und so ist es heute, wenn wir ihm im Wort, in der Taufe und im Abendmahl begegnen. Hier wird dem flüchtigen Sinn die Macht über uns genommen, und Gott selbst gibt sich als der zu erkennen, der unser Leben trägt und in dem wir deshalb sicher ruhen können.
Daraus nährt sich die Dankbarkeit, die beharrlich daran festhält, wie die Welt zusammenhängt.
An Gottes gutem Willen, als dessen, der uns zusammenhält und uns festhält – ohne Rücksicht darauf, ob wir es verdient haben oder nicht. Amen.

Pfarrerin Hanne Sander
Prins Valdemarsgade 62
DK-2820 Gentofte
Tel.: ++ 45 – 39 65 52 72
E-mail: sa@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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