Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 4. September 2005
Predigt über Lukas 18, 28-30, verfasst von Lothar Grigat
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde, ich nehme an, auch Sie kennen das sicherlich: Fragen nach Sinn und Nutzen, wie etwa: Was soll´s? Was hab ich denn davon? Was bringt`s mir? Solche Fragen liegen uns immer häufiger auf der Zunge, seitdem unser Leben so unberechenbar geworden ist. Sich ausbilden lassen? Wozu denn, wenn ich anschließend ja doch keinen Arbeitsplatz finde? Sparen? Warum, wenn das Geld ja doch immer weniger wert ist?

Da kann auch der Glaube nicht ganz unberührt bleiben. Was habe ich denn davon, mich nach dem Evangelium auszurichten und mein Leben davon bestimmt sein zu lassen? Andere machen es ja auch nicht – geht es denen etwa schlechter? Sonntäglich in den Gottesdienst – bringt das was? Um Jesu willen Behinderte betreuen anstatt zum Bund zu gehen – lohnt sich das?

Auch die Jünger Jesu wurden von solchen Fragen wohl immer mal wieder überfallen. So wird erzählt, dass Jesus gerade mal einem reichen Menschen erklärt hatte, was ihm noch fehle, wenn er das ewige Leben suche: die Gebote halten, seinen Besitz verkaufen und ihm nachfolgen. Wir haben das ja vorhin als Schriftlesung noch einmal gehört (Lukas 18, 18-27). Und da muss es wie ein Ruck durch die Jüngerschar gegangen sein: Ja, und wir? Sind wir nicht längst auf diesem Weg? Petrus macht sich – wie so häufig – zum Wortführer im Jüngerkreis, und das hören wir im Predigttext von heute:

(Textlesung, evtl. nach Gute Nachricht-Übersetzung)

Es gibt eine Reihe von Auslegern zu dieser Stelle, die meinen, das rieche aber doch sehr nach Eigenlob, was Petrus da sagt. Aber ob Petrus wirklich die Jünger so als Musterknaben hinstellen will? Ich glaube, wir könnten ihm damit wohl recht unrecht tun. Schließlich waren die ehemaligen Fischer ja tatsächlich so etwas wie „Aussteiger“ geworden, hatten alle Brücken hinter sich abgebrochen, Familie und Haus und Hof aufgegeben – alles nur, um mit einem Wanderrabbi unterwegs zu sein? Wie viel Spott oder auch Mitleid haben sie wohl über sich ergehen lassen müssen! Und da klingt das, was Petrus sagt, doch wohl eher wie eine bange Nachfrage: Bist du dir wirklich bewusst, Meister, was wir alles für dich auf uns genommen haben? Haben wir uns auch nicht übernommen?

Aber auch daran ist zu erinnern: das Lukasevangelium ist gegen Ende des ersten Jahrhunderts entstanden. Etwa 70 Jahre nach Jesu Tod litt die junge Christengemeinde aber schon ganz erheblich unter Verfolgungen. Da wird man deren bange Frage in den Worten des Petrus mit hören müssen: auf was haben wir uns da mit dir eingelassen, Herr? Wir sind voller Angst – wo wird das enden?

Na gut, hierzulande und heutzutage ist die christliche Gemeinde schon sehr lange nicht mehr in der Situation der Fischer vom See Genezareth, und sie wird natürlich auch nicht verfolgt wie im römischen Weltreich. In unseren Gottesdiensten versammeln sich keine „Aussteiger“; Christen führen mitsamt ihren Pfarrern und Pfarrerinnen ein gutbürgerliches Leben mit festem Wohnsitz und gesichertem Einkommen, in der Mehrzahl jedenfalls. Und sich frei religiös betätigen zu können, das garantiert uns unsere Verfassung.

Aber wer Zeitung liest, die Nachrichten verfolgt und mit offenen Augen durch die Stadt geht, ich glaube, der weiß, dass ein solches Leben in Sicherheit und Geborgenheit längst zur Ausnahme gehört! Millionen von Flüchtlingen irren durch unsere Welt, und täglich kommen neue hinzu: Christen fliehen vor Moslems; Christen und Moslems fliehen vor den eigenen Glaubensgeschwistern, nur weil sie einer anderen Volksgruppe angehören. Aus Armut, Hunger und Unfreiheit flüchten Menschen aus fast allen Erdteilen zu uns – zu uns, von denen sie wissen, dass wir von allen Gütern reichlich haben und dass wir Christen sind! Viele mussten ihre Familie zurücklassen, oder ihre Angehörigen wurden ermordet; die meisten sind ohne Arbeit und Aufenthaltsberechtigung, leben in Heimen oder in Containern oder gar auf der Straße. Auch hier bei uns!

Und sie sind für uns alle eine ständige Erinnerung daran, dass es letztlich nicht unser Verdienst ist, wenn wir eine Wohnung und Arbeit, Heimat und Freiheit, Essen und Kleidung haben. Ob wir das genau irgendwie insgeheim doch auch spüren, weil wir uns auch des öfteren so aggressiv den Ausländern gegenüber verhalten? Lässt uns unser schlechtes Gewissen vielleicht sogar unbewusst so reagieren, weil wir ja sonst vieles von dem, was wir besitzen, zu ihren Gunsten aufgeben müssten?

Ich glaube, es sind tatsächlich in der Nachfolge Jesu eine sichere Heimat und ein Dach über dem Kopf, das gemachte Bett und der gedeckte Tisch nicht einfach so inklusive; das wird an der ganzen Geschichte Gottes mit seinen Menschen sichtbar: sie ist eine Aufbruchs- und Wanderungsgeschichte, von Abraham bis Jesus, vom Exil in Babylon bis zu den Hugenotten oder den vertriebenen deutschen Juden – den Glaubensflüchtlingen aller Zeiten und Länder!

Aufbrechen, loslassen, unterwegs sein – das gehört offenbar einfach dazu; und der Schrecken, auf was wir uns denn da eingelassen haben mit diesem Jesus, der kann uns auf unterschiedlichste Weise treffen: Wenn ich um Gottes, um der Menschen, um des Gewissens willen Besitz aufgeben, auf ein Recht verzichten oder mich einschränken soll, wenn Trennungen zu ertragen und Sicherheiten aufzugeben sind. Vielleicht sind wir ja wieder kurz vor solchen Situationen, wenn die Finanzen in unseren Kirchen derzeit immer weniger und die Diskussionen um die künftige Finanzierung unserer Arbeit, unseres Miteinanderlebens immer heftiger werden: was, wenn wir wirklich auf den so bequemen Kirchensteuereinzug verzichten müssen, wenn wir auf das freiwillige Engagement unserer Gemeindeglieder angewiesen wären? Sind wir bereit, Gemeinde Gottes vielleicht ganz anders zu leben als bisher? Risiken der Nachfolge! Und wofür das alles? Was bringt mir das ein?

Jesu Antwort an Petrus und an jeden, den eine solche Frage bedrängt, die ist tröstlich! Sie ermutigt und nimmt die Angst; sie lädt ein zu vertrauen. Und offenbar hat er auch gar keine Sorge, das könnte im Sinn einer billigen Lohnmoral missverstanden werden. „Ihr werdet,“ so sagt er, „alles vielfältig zurück bekommen: jetzt schon, in dieser Welt, und auch in der Ewigkeit.“

Was und wie das im Einzelnen ist, das wird nicht gesagt. Also haben wir auch nicht zu rätseln. Die Ewigkeit lotet ohnehin niemand aus. Auf jeden Fall aber ist es ein „Mehr“ – ein Mehr an Leben! Denn was wir meinen, unbedingt sichern zu müssen, woran wir uns klammern, was wir gegen Arme und Flüchtlinge beispielsweise verteidigen wollen, das macht Leben im Sinne Jesu noch nicht aus. Unsere Wertordnung ist für Gottes Reich nicht gültig; Besitz und Geld, Urlaub und Bequemlichkeit, Glück unter Gleichgesinnten – das ist im Maßstab Gottes immer noch nicht alles; da gibt es mehr, Reicheres, Vollkommeneres! Eine Erfahrung, auf die ich nicht verzichten möchte, eine Begegnung, eine Hoffnung – unvergleichbar mit allem, was ich so meine, festhalten zu sollen. Und vielleicht wäre es ja nicht verkehrt, sich auch gelegentlich doch mal zu fragen, ob ich denn in der Nachfolge Jesu wirklich so leer ausgegangen bin, wie das mir manchmal so scheint. Und ist das, was ich an beglückenden Momenten auch erlebe, an Freunden und glücklichen Augenblicken oder gelungenen Lebensentscheidungen, nicht vielleicht doch auch so etwas wie eine „Gegengabe“ für so manches, auf das ich mehr oder weniger leidvoll verzichten muss? Jedenfalls sollte ich mich das hin und wieder fragen!

Und auch wir Prediger und Predigerinnen müssen uns fragen, ob wir nicht viel zu häufig nur zum Loslassen und Einschränken aufrufen und viel zu selten dazu anleiten, für unerkannten Reichtum auch zu danken! Ich finde, es muss etwas dran sein an Jesu Versprechen! Und wir sind heute nur eingeladen, ihm zu vertrauen, dass es auch an uns wahr wird – oder auch längst schon wahr geworden ist.

Und Gottes Friede begleite unsere Gegenwart und unsere Zukunft, indem wir Jesu Versprechen trauen und darin miteinander verbunden bleiben. Amen.

Dekan Lothar Grigat
Pfarrstr. 12
34576 Homberg (Efze)
kirchenkreis-homberg@ekkw.de


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