Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

17. Sonntag nach Trinitatis, 18. September 2005
Predigt über Markus 9, 14-27, verfasst von Christine Hubka
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Vorbemerkung:
Zu diesem Gottesdienst wurden die SchulanfängerInnen bzw. die Kinder, die in die 5. Schulstufe gekommen sind mit ihren Familien extra eingeladen. Während des Gottesdienstes wurden sie allein, bzw. mit ihren Eltern, gesegnet.

Jesus kam zu den Jüngern und sah eine große Menge um sie herum und Schriftgelehrte, die mit ihnen stritten. Und sobald die Menge ihn sah, entsetzten sich alle, liefen herbei und grüßten ihn. Und er fragte sie: Was streitet ihr mit ihnen? Einer aber aus der Menge antwortete: Meister, ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist. Und wo er ihn erwischt, reißt er ihn; und er hat Schaum vor dem Mund und knirscht mit den Zähnen und wird starr. Und ich habe mit deinen Jüngern geredet, dass sie ihn austreiben sollen, und sie konnten's nicht. Er aber antwortete ihnen und sprach: O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir! Und sie brachten ihn zu ihm. Und sogleich, als ihn der Geist sah, riss er ihn. Und er fiel auf die Erde, wälzte sich und hatte Schaum vor dem Mund. Und Jesus fragte seinen Vater: Wie lange ist's, dass ihm das widerfährt? Er sprach: Von Kind auf. Und oft hat er ihn ins Feuer und ins Wasser geworfen, dass er ihn umbrächte. Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns! Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst: Wenn du kannst - alles ist möglich dem, der da glaubt. Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben!
Als nun Jesus sah, dass das Volk herbeilief, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein! Da schrie er und riss ihn sehr und fuhr aus. Und der Knabe lag da wie tot, sodass die Menge sagte: Er ist tot. Jesus aber ergriff ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf. Und als er heimkam, fragten ihn seine Jünger für sich allein: Warum konnten wir ihn nicht austreiben? Und er sprach: Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten. Mk 9, 14ff

Alles ist möglich!
Mit diesem Bibelzitat
wird derzeit fürs Lottospielen geworben.
Seit Wochen läuft der Werbespot:

Ein etwas beleibterer junger Mann
steckt mitten in einem Massenstart zum Marathon.
Alle laufen davon. Er jappelt ächzend hinterher.
Dann die ganze Szene noch einmal.
Bei einem neuen Rennen:
Er legt los – alle anderen bleiben zurück
Er zieht unter dem Jubel seiner Fans
triumphierend an allen vorbei.
Dazu kommt in Schrift und Ton:
Alles ist möglich – Lotto.

Alles ist möglich …
Wir wissen,
dass das nicht stimmt.
Schon ganz junge Kinder machen die Erfahrung:
Manches ist möglich.
Manches ist nicht möglich,
weil ich es nicht schaffe.
Ein Fisch kann nicht fliegen.
Diese Erfahrung bleibt bei uns,
wenn wir älter werden:
Die Jünger von Jesus
können dem kranken Kind nicht helfen.

Auch der Vater des Kindes weiß,
dass nicht alles möglich ist.
Gerade hat er es ja wieder erlebt.
Darum sagt er zu Jesus:
Wenn du etwas kannst,
dann hilf uns.
Wenn du … etwas kannst, …
Sehr vorsichtig, sehr zurückhaltend,
klingt das für mich.
So als wollte er sich selber schützen.
Nur nicht wieder zu viel erwarten
und dann – zum wievielten Mal!? – enttäuscht werden.

Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst: Wenn du kannst – alles ist möglich dem, der da glaubt.

Hier ist es wieder dieses
„Alles ist möglich“.

Alles ist möglich – Lotto.
Alles ist möglich - dem, der da glaubt.
Aber –
Wer schon länger auf der Welt ist, hat auch schon erlebt,
dass Glaubenden nicht alles möglich ist.

Das Leben ist kein Wunschkonzert.
Auch nicht für Glaubende.
Es funktioniert nicht so,
dass man nur seinen Zauberstab
oder meinetwegen seinen Glauben schwingen muss:
Hokus – pokus – pling! …
… und alles ist möglich.

Ihr kennt das kleine Mädchen in der Werbung,
die durch die Wohnung läuft
und die Gegenstände verzaubert.

Das funktioniert so lange zu ihrer Zufriedenheit,
bis sie zu dem kleinen Hund kommt.
Trotz ihres flehenden „Hokus-pokus- pling“
macht er nicht „sitz“.

Diese kleinen Szene mit dem Hund,
der partout nicht sitzen will,
wenn da wer daher kommt
und Hokus – pokus – pling sagt,
bringt für mich treffend die Frage ins Bild,
um die es geht:

Alles ist möglich – Lotto.
Alles ist möglich – dem, der da glaubt.

Was ist dieses alles?
Was alles mit einem hohen Lottogewinn möglich ist,
zeigt dieser Werbespot mit dem Marathon laufenden jungen Mann:
Beim zweiten Mal hat unser Held die Mitlaufenden bestochen, um als Sieger ins Ziel zu kommen. Was sonst noch möglich sein könnte, überlasse ich eurer Fantasie.

Was alles dem Glaubenden möglich ist,
darüber lohnt es sich auch nachzudenken,
wenn man die Erfahrung gemacht hat,
dass auch der Glaube seine Grenzen hat:
(Zur Erinnerung:
Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben!)

Glaube –
Ich möchte dieses schillernde Wort übersetzen mit:
In einer Beziehung stehen.
In der Beziehung geht es nicht drum,
was ich leiste
oder was ich mir leisten kann.
Es geht um die Frage:
Wer bin ich für dich?
Wer bist du für mich?

Jesus heilt den kranken Knaben –
Nicht der Glaube des Vaters
Sondern der Glaube von Jesus heilt das Kind.
Diesen Glauben haben ich nicht.
Diesen Glauben haben ganz offensichtlich
auch die Jünger nicht.
Ich trau mich jetzt einmal zu behaupten:
Niemand hat diesen Glauben.
Der Vater spricht für alle, wenn er sagt:
Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Das bedeutet aber:
Niemand von uns kann seinem Kind,
oder irgendeinem anderen Menschen
in einer wirklich schweren Lage so helfen,
wie es von Jesus erzählt wird.
Ganz gleich, wann und auf welche Weise
unsere Kinder oder Menschen, die wir lieben,
ihre Grenzen erreichen,
wir können diese Grenzen für sie nicht beseitigen.
Dabei ist es egal,
ob es die Grenzen der Gesundheit,
der Begabung, der Kraft und Fähigkeiten
oder gar des Lebens sind.

Die Schultüte ist kein Zauberhut!

Dann aber ist es tatsächlich der Glaube,
der helfen kann.
Der Glaube,
dass vor Gott jedes Kind
wichtig und bedeutsam ist.
Der Glaube,
dass Gott für jedes Kind – ohne Ausnahme -
einen Platz in seiner Welt bereit hat:

Für die gesunden,
und für die, die mit einer Behinderung leben müssen.
Für die sprachbegabten und für die,
denen eine Lese- und Rechtschreibschwäche
zu schaffen macht.
Für die schüchternen,
die nur schwer einen Platz finden in einer Gruppe,
und für die charmanten,
denen alle Herzen gleich zufliegen.
Für die Rechenkönige und für die Mathematikmuffeln …

Dieser Glaube verhindert,
dass ein Kind,
eine Schülerin, ein Schüler,
aber auch jeder andere Mensch,
nur noch unter dem Aspekt ihrer Leistung
gesehen wird:
Er schiebt die Frage:
„Was kannst du?“, beiseite
und stellt die lebenswichtige Frage:
„Wer bist du für mich?“
„Wer bist du vor Gott?“

Diesem Glauben bleibt es jedoch nicht erspart
Immer wieder zu sagen:
„Herr ich glaube, hilf meinem Unglauben!“

Dafür, dass wir das ganz ungeniert tun dürfen
sooft es nötig ist,
dafür sei Gott Lob und Preis in Ewigkeit.


Christine Hubka
christine.hubka@gmx.at


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