Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

18. Sonntag nach Trinitatis, 25. September 2005
Predigt über Markus 10, 17-27, verfasst von Thomas Oesterle
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Und als Jesus sich auf den Weg machte, lief Einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. Du kennst die Gebote: "Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden betrügen(1); ehre Vater und Mutter:"

Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf. Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir: Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!

Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.

Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist's , ins Reich Gottes zu kommen! Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden? Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist`s unmöglich, aber nicht bei Gott: denn alle Dinge sind möglich bei Gott.

Teil I

"Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?" Mit dieser Frage, liebe Gemeinde, begann ein Gespräch vor 2000 Jahren. Diese Frage ist seither nie mehr verstummt. Sie wurde mit anderen Worten formuliert, aber das Ziel der Frage blieb stets dasselbe. Es war die Frage nach gelingendem, ganzen Leben, die Frage nach Erfüllung. Martin Luther hat die alte Frage aus dem Markusevangelium so neu formuliert: "Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?" Die Menschen des 19. und beginnenden 20.Jahrhunderts hätten vielleicht gefragt: "Wie wird mein Leben sinnvoll?"(2) Und wir Heutigen - in die unübersichtliche Postmoderne verstrickt -, wir würden vielleicht einfach fragen: "Wie werde ich glücklich?"

Aber vielleicht ist das alles noch zu abstrakt und wir müssten es packender sagen. Dann wäre es sinnvoll den alten ursprünglichen Satzanfang des Reichen zu übernehmen: "Was soll ich tun, damit...?" Unser Fragen wären dann vielleicht: "Was muss ich tun, damit mein Kind eine sichere Zukunft hat?" "Was muss ich tun, damit ich mit dem Gebrechen des Alters zurechtkomme?" "Was muss ich tun, damit meine Ehe gelingt?" "Was muss ich tun, damit ich beruflich noch mitkomme?" Wir merken schnell: Die Frage des Reichen an Jesus ist unsere Frage. Es ist die Frage nach einem Leben, das nicht leer bleibt, nach einem Leben, das nicht unter den Händen zerrinnt, nach einem Leben, das sich zu leben lohnt. Unser Streben und das Streben des Reichen geht also in dieselbe Richtung, vielleicht deshalb, weil wir wie er genau wissen, dass Reichsein alleine noch nicht das ganze Leben ist.

Jesus erweist sich in unserer Geschichte als ein Mensch der Fragen ernstnimmt und auf sie eingeht.

"Was muss ich tun.."? fragt der Reiche und Jesus antwortet: "Du kennst doch die Gebote"! Jetzt zeigt sich, dass der Reiche in seinem Verhalten gar kein so übler Kerl ist. Nachdem Jesus die wichtigsten Gebote nochmals aufgezählt hat, antwortet er: "Das habe ich alles gehalten von meiner Jugend an." Dahinter verbirgt sich kein schnelles und devotes "Ja - sagen", das unehrlich ist. Nein, dahinter steckt ernsthaft Mühe. Nicht mit äußerlichem Formalgehorsam sind hier die Gebote angesehen worden, der Reiche hat sie auch innerlich angenommen. Selbst die zwei Forderungen, die so manchen Reichen - je nachdem wie er an seinen Reichtum kam - treffen könnten, nämlich: "Du sollst nicht stehlen" und "du sollst niemanden betrügen" - selbst diese zwei Forderungen hat der Reiche erfüllt. Also wir reden hier nicht von Reichtum der mit linken Tricks angehäuft wurde, kein Ausbeuterreichtum, wie z.B. der Reichtum der Zöllner zur Zeit Jesu. Nein, hier hat einer mit korrekten Geschäften gutes Geld verdient, nichts unehrenhaftes also.

Und darin erkennen wir uns vielleicht wieder. Wir versuchen doch auch anständig zu leben. Es ist viel ernstes Bemühen unter uns Christen, da bin ich mir sicher. Ich denke da an manches, was mir als Pfarrer in verschiedenen Gemeinden untergekommen ist. z.B. an die Frau in meiner Vikariatsgemeinde, die mit ihrem krankhaft depressiven Mann über Jahre hin zusammenlebte. Immer wenn ich zu Besuch kam, dann jammerte der Mann die ganze Zeit über und ich war meist nach einer Stunde schon so geschafft, dass ich froh war wieder gehen zu können. Aber die Ehefrau hielt an der Seite des Jammernden aus, versuchte ihm ein Stück Lebensfreude und Mut zu vermitteln und sorgte sich um das Haus und alle Alltagsgeschäfte. Zusätzlich hatte sie noch die bereits hundert Jahre alte Mutter zu versorgen, die inzwischen ein Pflegefall war.

Vieles wird also getan und deshalb sind Christinnen und Christen oft achtenswerte Menschen. Ich sage das ohne Spott und Ironie. Überzeugte Christen haben etwas, was sie vertrauenswürdig macht, in einer immer schwerer einzuschätzenden Gesellschaft. Das zeigt auch in der Politik. Die Integrität des Bundespräsidentenamtes in unserem Staat ruht doch zu einem guten Stück darauf, dass zumindest die letzen vier Amtsinhaber, aus ihrer bewusst protestantischen Bindung und ihrem überzeugten Christsein keinen Hehl gemacht haben. (3) Christen bemühen sich vertrauenswürdige Menschen zu sein, und Jesus nimmt dieses Bemühen ernst, er wischt diese alltäglichen Kämpfe um ein christliches Ethos nicht einfach weg. "Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb" - so berichtet es die Bibel. Mehr muss nicht gesagt werden! Damit ist gesagt, dass Jesus diesen aufrechten Frager, diesen Reichen, annimmt und schätzt wie einen Freund. An diesem Satz sollte die Geschichte abbrechen, denn bis hierher fühlen wir uns verstanden, unsere Art zu leben wird hier angenommen.

Teil II

Aber - die Geschichte geht weiter. Diese Geschichte einer spontanen Freundschaft zwischen dem Reichen und Jesus - sie hat eine Grenze. Es ist eine Grenze, die bei uns schon zum Sprichwort geworden ist. Wir kennen alle dieses Sprichwort, das da sagt: "Beim Geld, da hört die Freundschaft auf." Dieser bitterböse Satz ist weit verbreitet. Er signalisiert: Hinter dem freundlichen, bemühten und anständigen Menschen gibt es auch noch einen Anderen. Es gibt den Punkt, wo die Maske der Freundlichkeit fällt und ein veränderter Mensch zu Tage tritt. Plötzlich ist da böser Egoismus, plötzlich ist da Gegeneinander und Streit. "Beim Geld, da hört die Freundschaft auf" - ja leider auch die Freundschaft zwischen Jesus und dem Reichen. Es ist aber auch unerhört was Jesus fordert. "Geh hin, verkaufe alles was du hast und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmelreich haben und komm und folge mir nach."

Nach diesem Jesus-Wort ist es gut, zuerst einmal eine Pause machen und durchzuatmen. (Stille)

Liebe Gemeinde, alles was hier gefordert ist, trifft zuerst einmal mich selbst und gilt mir. Ich bin der Mensch, der in einem schönen Pfarrhaus lebt, sich mit vielen Möbeln eingerichtet hat und eine Menge von Dingen besitzt. Beim letzten Stellenwechsel, als alles was ich und meine Frau besitzen einen großen Möbelwagen mit Anhänger füllte, da kam mir ein Lied der schwarzen Sängerin Tracy Chapman in den Sinn. "Mountains of things"(4) heißt dieses Lied - "Berge von Dingen". Die Sängerin beschreibt am Beginn des Liedes, wie sie immer davon geträumt hat, Berge von Dingen zu besitzen. Sie wollte nicht mehr für andere Menschen arbeiten, sondern selbst ein großes Auto besitzen, selbst ein süßes und faules Leben führen, nicht mehr ständig daran denken müssen, was das Geld wert ist. Dazu braucht man Berge von Dingen - und manchmal kommt in mir das Gefühl auf, dass ich dieselben Träume wie Tracy Chapman träume.

Deshalb berührt mich diese dreifache Forderung Jesu unangenehm: "Löse Dich von deinem Besitz, gib was du hast den Armen und dann folge mir nach." Diese Forderung trifft mich, weil ich selbst zu den Reichen gehöre.

Ich sage das so, weil ich auch erfahren habe was Armut ist. Ich habe das erlebt als ich ein halbes Jahr in Peru, in Bolivien und in Mexiko war. Arm, das war der Straßenjunge, der 10 Stunden jeden Tag Schuhe putzte. Er war ganz glücklich als ich ihm vorlesen konnte, welche Werbeaufschrift außen auf den alten Kiste aufgedruckt war, in der er sein Schuhputzzeug transportierte. Er selbst wird diese Aufschrift wohl nie lesen können, denn er wird nie genug Geld haben um eine Schule zu besuchen.

Arm, das war die Mutter, die ihre beiden Jüngsten mit 1 1/2 Jahren und 3 Monaten statt in einer Wiege in einem Bananenkarton betten musste, der einfach auf dem Boden in der Ecke stand, etwas anderes hatte sie nicht. Währenddessen bot sie die armseligen Früchte ihres Ackers auf dem Markt feil.

Und wenn wir es von meinem persönlichen Erleben lösen und einem Blick auf das werfen, was uns die Medien in den letzen Wochen präsentiert haben, dann finden wir auch dort starke Bilder für das, was Armut ist. Arm, das sind die Schwarzen in New Orleans, die entweder kein Verständnis für Katastrophenwarnungen aufgrund von mangelnder Bildung entwickeln konnten, oder aber nicht einmal Geld für ein Busticket ins Hinterland besaßen, geschweige denn ein Auto. Arm sind farbige Sozialhilfeempfänger, die man dann zuerst einmal fast eine Woche im Hochwasser sitzen lässt, bevor man effektive Hilfe organisiert. Wie schrieb ein Journalist: "In Amerika lebt eine Unterschicht, wie wir sie uns in unserem sozial abgefederten Europa gar nicht vorstellen können."

Das alles ist also Armut. Dann gehöre ich aber zu den Reichen, ich bin derjenige, der genauso wie der Mann in der Geschichte über den radikalen Satz Jesu vom loslassen des Besitzes unmutig wird und traurig davongeht. Denn - ich habe auch viele Güter so wie der Reiche, und - wie gesagt - "beim Geld da hört die Freundschaft auf." Was also so harmonisch wie eine Freundschaft begann, - die Beziehung zwischen Jesus und dem Reichen - das zerbricht. Und Jesus geht dem, der sich abkehrt nicht werbend hinterher, er sucht nicht einen Kompromiss, so wie wir Pfarrer - durch unser Amt butterweich geworden - es vielleicht machen würden. Nein! Jesus lässt ihn gehen, den der viele Güter hat - und er setzt noch eines obendrauf: "Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!" - so macht er den Konflikt mit einem Einzelnen zu einer prinzipiellen Absage.

Und wir, die wir diesen Predigttext hören, wir spüren noch heute etwas von dem Entsetzen, das die Jünger angesichts dieser Szene ergriff. Wir sind selbst entsetzt über die Wendung in dieser Geschichte, über diesen scharfen und eindeutigen Schnitt, den Jesus hier macht.

Eigentlich ist ja die Geschichte so glasklar, so sprechend, dass man sie gar nicht in einer Predigt auslegen müsste. Aber gerade deshalb, wollen wir sie ausgelegt haben, denn vielleicht gelingt es einem findigen Theologen mit gedrechselten Argumenten die Härte der Textaussage abzumildern. Vielleicht kann ein wortgewandter Pfarrer oder eine Pfarrerin durch ihre Interpretation die unbequeme Wendung der Geschichte so ausdeuten, dass es wieder erträglich wird.

Aber auf solche Erwartungen kann ich für mich nur antworten: Nein - das kann ich nicht und will ich nicht, obwohl ich selbst als Reicher denselben Wunsch hege. Dieses letzte Stück Ehrlichkeit, muss trotz allen Entsetzens angesichts der Härte Jesu bleiben. Ich kann nur sagen, dass das, was wir beim ersten hören dieser Geschichte gefühlt und verstanden haben, wahrscheinlich richtig ist. So hart springt Jesus mit den Reichen um.

Teil III

Doch eines kann ich nicht glauben: Nämlich, dass Jesus das Leben von uns Reichen derart in Frage stellt, ohne einen positiven Sinn damit zu verfolgen. Zwei Sätze, die einen positiven Sinn erkennen lassen, kann ich erkennen.

Zuerst will Jesus, dass der Besitz des Reichen an die Armen weitergegeben wird.

Jesus denkt dabei nicht nur an den leidenden Armen. Auch den Reichen führt er aus der Isolation des Reichtums heraus. Denn diejenigen, für die beim Geld immer die Freundschaft aufhört, die bleiben letztlich ja auch alleine. Sie finden oft keine Freundschaft, die auch schwierige Situationen aushält.

So singt Tracy Chapman am Ende ihres Liedes über die Berge von Dingen, die sie um sich angehäuft hat:

"Meist fühle ich mich einsam,
gute Menschen sind nur Stolpersteine,
ich brauche all meine Berge von Dingen,
damit sie mich umgeben, damit all meine Feinde wegbleiben, um meiner Traurigkeit und meiner Einsamkeit zu wehren."

Die Traurigkeit, die in dem Reichen ja auch wach wird als er von Jesus geht, diese tiefe Traurigkeit des Reichtums will Gott uns nehmen. Jesus will aus einem isolierten Leben heraushelfen und in Gemeinschaft hineinführen.

Zum zweiten meint Jesus, indem wir abgeben, schaffen wir uns einen Schatz im Himmelreich. Aber geht das, dass wir reale greifbare Werte eintauschen gegen eine zweifelhafte Gutschrift auf einem himmlischen Sperrkonto ?(5)

Jesus macht mit dieser Wendung der Geschichte deutlich: Die Schätze die du auf Erden sammelst, die werden irgendwann einmal von Motten und Rost gefressen (Mt.6.). Anerkennung bei Gott ist aber unvergänglich.

Wir haben es im Grunde alle erfahren: Belastbare menschliche Freundschaften hören beim Geld nicht auf, sondern sind auch da tragfähig. Da wird der Freund dann wichtiger als das Geld. Darüber hinaus bietet Gott uns eine belastbare und unvergängliche Freundschaft an. Aber wer auf diese unvergängliche Freundschaft sein Leben bauen will, der kann nicht gleichzeitig noch einen vergänglichen Lebensgrund wie das Geld gleichwertig daneben stellen. Gott will, dass wir wirkliche Lebensgewissheit erlangen, die nicht zerbricht und jenseits des Besitzes liegt.

Schluss :

Trotzdem steht die Forderung Jesu vor uns wie ein Berg. Wir sind doch wie die Kamele, die nicht durch das Nadelöhr passen, weil wir uns so sehr an unseren Besitz gewöhnt haben.

"Bei den Menschen ist's unmöglich" - das ist der vorletzte Satz Jesu über das loslassen von Besitz. Ist das Ganze also doch eine große Geschichte des Scheiterns? Vor allem, weil der Mensch nicht an einem übermächtigen Schicksal scheitert, sondern an sich selbst. Es hindert ihn nichts, das zu tun was Jesus will, nur er selbst will es nicht. Der Mensch hat sich selbst ganz gefesselt und versperrt sich so, - wenn wir zur Eingangsfrage zurückkehren - das ewige Leben.

Wir könnten resignieren, wäre da nicht der letzte Satz Jesu. "Bei Gott ist es möglich." (6) Diese Geschichte ist uns gegeben, dass wir auch in Fragen des Besitzes lernen, ganz auf Gott zu sehen, ihn ganz ernst zu nehmen. Wo unsere Möglichkeiten scheitern, da scheitert Gott noch lange nicht. Er kann und will unser Leben verändern, wenn wir nur hören was er sagt und tun was er will. Bei Gott ist's möglich.

Vielleicht lernen wir durch Gottes Handeln an unserem Leben eine neues, christliches Sprichwort, dass dann lauten würde: "Beim Geld, da fängt die Freundschaft erst an !" Tiefe Freundschaft beginnt und zwar dann, wenn ein Mensch erkennt: Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.(2.Kor.9,7) AMEN

(1) Dieser Begriff ist übersetzt nach W. Jens "Die Zeit ist erfüllt, die Stunde ist da" Stuttgart 1990, S.59

(2) vgl. dazu Prof. Paul Tillich, Systematische Theologie Bd.1. Stuttgart 1983 7 S.61

(3) Man könnte auch weiter zurück gehen z.B. zu Gustav Heinemann

(4) vgl. Tracy Chapman, Album Tracy Chapman , mountains o' things 1987

(5) vgl. Prof. Werner Jetter, Unterwegs mit dem Wort, Hamburg 1966, Predigt zum Text

(6) vgl. Prof. Helmuth Gollwitzer "...und lobten Gott" Neukirchen 1964 Predigt zum Text

Thomas Oesterle
ev.pauluski.ost.schorndorf@t-online.de


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