Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Erntedankfest, 2. Oktober 2005
Predigt über Lukas 12, 15-21, verfasst von Tom Kleffmann
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Gnade sei mit euch und Friede, von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Erntedankfest. Das riecht nach Erde. Das riecht nach kühlem Morgentau, nach Äpfeln, Birnen, Pflaumen. Das klingt nach Ausruhen, Zufriedenheit. Der jagende Sommer ist vorbei. Die Ernte ist eingefahren. Es ist Zeit zum Ausatmen. Zeit zum Nachdenken.

Es ist so schön: Äpfel gelb und rot, das rötlich warme Herbstlicht, das Laub, die Ruhe der abgeernteten Felder – und wir sind satt, haben genug, und die Erde ist immer noch treu. Das Gefühl, eine Heimat zu haben. Das Gefühl, daß das Leben gesegnet ist.

Und doch kann es sein, daß das alles nichts ist. Wenn du sterben mußt und nicht weißt wohin du gehst. Wenn du den Blick aufhebst mit kaltem Verstand und fragst, warum es diese Sonne, diese Erde, dieses Leben gibt, Geburt und Tod, unzählig. Ist diese Erde, auf der Wasser fließt, wo es Luft zum Atmen gibt, auf der es Pflanzen und Tiere gibt – ist diese Erde nicht ein absurder Zufall in einem unendlichen, tödlichen All, ein winziger Punkt im Unermesslichen, und in ein paar Millionen Jahren ist alles vorbei und verbrannt und tot? Und daß die Erde in einem Jahr um die Sonne kreist, daß es Sommer und Winter, Saat und Ernte gibt, weil die Erdachse um ein paar Grad geneigt ist - ist nicht auch das nur ein absurder winziger Zufall im kosmischen Spiel?

Und die Schönheit des Lichts, der Hügel, die eben vergangene Schönheit der Roggenfelder im Wind, der Segen der Augen – ist das nicht alles eine ganz subjektive Illusion unserer Sinne und unseres Hirns? -

Sehr viele Menschen denken so, auch wenn sie es sich nicht klar machen. Und auch wir denken manchmal so, das ist der Preis der Aufklärung, ein schrecklicher Preis. Und weil viele Menschen so denken und es doch nicht aushalten, so zu denken; weil sie nicht glauben können, daß es ein Geschenk ist, das Leben, weil sie den nicht kennen, der es schenkt, - deshalb leben sie auch so: wollen selbst Herr des Lebens sein, planen es durch, sichern es, sammeln in Scheunen für alle Zeit; produzieren und vermarkten und verpacken und verbrauchen Pflanzen, Tiere, Unterhaltung, Glück, Sorglosigkeit – rastlose Industrie des Lebens. Und am Ende ist es doch nur eine Lüge.

Sehen sie nicht die Verletztlichkeit des Lebens? Leben kommt nicht aus sich selbst. Hör auf deinen Atem! Hast du einmal eine Geburt gesehen? Hast du einen Menschen sterben gesehen? - -

Errntedank. Wir Christen wissen eigentlich, daß es ein Geschenk ist, das Leben – auch wenn wir oft nicht so tun. Wir glauben nicht, daß diese Erde nichts als ein Zufall ist. Wir glauben, daß es gewollt ist, daß es uns gibt - daß wir atmen, lachen, fragen, lieben. Wir glauben, daß die Schönheit dieser Erde mehr ist als eine Illusion. Wir glauben, daß sie wahr ist, daß sie etwas bedeutet. Ein Geschenk jeder Atemzug, ein Geschenk dieser Apfel, ein Geschenk jeder Schluck Wasser und Wein, jeder Lichtstrahl der das Lebensbild in dein Auge zeichnet, jeder Kuß, jeder Klang, der Geruch der Erde.

Aber wenn es ein Geschenk ist, dann ist es auch eine Bestimmung. Und alles kommt darauf an, daß wir den kennen, der es schenkt. Und daß wir den Sinn erfahren, der sich an der Grenze dieses Lebens bewährt. Was soll das Geschenk des Lebens, wenn wir sterben müssen? Wer da keine Antwort findet, versteckt sich – versteckt die Frage in Sorgen und Planen, sammelt in Scheunen und Konten für alle Zukunft, - und das Leben zerrinnt. Wovon leben wir wirklich?

[Lesung Lk.12,15-21]

Wenn das Leben ein Geschenk Gottes ist, dann hat Gott ihm auch einen Sinn gegeben. Vier Schritte möchte ich gehen, um das auszulegen, was Jesus sagt. Vier Gedanken möchte ich ihnen mitgeben. Zum einen: Was heißt in Scheunen sammeln? Zum anderen: Was bedeutet der Todesgedanke für das Leben? Drittens: Wie können wir den kennen, der das Leben schenkt, den Einen, den Unsichtbaren, Anfang und Ende? Und schließlich: Was heißt reich bei Gott sein?

In Scheunen sammeln meint nicht die notwendige Vorsorge, die nun einmal zu unserem Dasein gehört. Gott hat uns auch einen nüchternen Verstand gegeben, um Kühlschränke zu bauen, unser Haus in Ordnung zu halten und an eine Altersversorgung zu denken. Darum geht es nicht. In Scheunen sammeln hat etwas damit zu tun, wie du dein Leben verstehst. In Scheunen sammeln heißt, das Geschenk nicht als Geschenk nehmen, dankbar und auch ehrfürchtig, und seine Liebe weitergeben, sondern es vereinnahmen, an sich reißen, festhalten und zum Besitz machen – wie einer, der einatmet, aber nicht ausatmen will. Warum? – aus Angst, aus Blindheit?

In Scheunen sammeln heißt, sich selber das Leben bauen, wie eine Burg, und du bist der Herr, der drinnen sitzt. In Scheunen sammeln heißt, sich auf sich selbst verlassen, auf das Erarbeitete, auf den Besitz - und seine Identität darin haben, seinen Stolz, seine Sicherheit. Besitz sammeln, Erfolge sammeln - und der Mensch hat das Gefühl, er wird immer größer. Den Tod nicht sehen und immer nur Pläne machen.

In Scheunen sammeln heißt, das Lebensgeschenk für sich behalten und eine Burg zu bauen, in der du dich sicher fühlst – dein Lebensraum, dein Geld, dein Haus, dein Clan - und alles Leid bleibt draußen.

Du Narr ! Alles, was du am Ende für dich hast, ist der Tod. Das Leid bleibt nicht draußen. Da sind die Kranken weiser, die Verzweifelten, die Traurigen.

Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern ... Der Todesgedanke ist ein Gericht Gottes, das dich auf die Füße stellt. Die falsche Selbstsicherheit reißt er weg. Haus, Geld, Pläne, Stolz – alles egal. Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Die Zeit konzentriert. Das Leben auf dem Punkt. Jetzt ist Leben. Entweder es hat jetzt einen Sinn oder es hat garkeinen Sinn.

Keine Wahrheit des Lebens ohne den Tod. Sein Gedanke (wenn der Mensch ihn aushält und nicht schon wieder zu seinen Scheunen geflohen ist und die Früchte zählt), sein Gedanke bringt die Frage, die eine, die große, die ungeheure, die erwachsene und schreckliche Frage. Die Antwort ist er noch nicht.

Wie lebe ich so, daß ich im nächsten Augenblick sterben könnte und es wäre gut? Woher kommt das Leben wirklich? Was ist seine Bestimmung? Was ist sein Geheimnis?

Das Leben ist ein Geschenk. Wir glauben nicht, daß diese Erde ein Zufall ist. Wir Christen glauben, daß es gewollt ist, daß es uns Menschen gibt. Aber das Geschenk, den Sinn erfahren wir nur, wenn wir den kennen, der es schenkt. Um die Bedingung dieser Erfahrung – darum geht es in der Geschichte vom reichen Kornbauern. Die ganze falsche Selbstsicherheit muß zu Grunde gehen. Die selbstgebaute Burg, in der der Mensch sich sicher fühlte, die muß zerbrechen – das ist die Bedingung, wahrscheinlich immer wieder. Immer wieder: Du Narr! Diese Nacht... Das Gericht der Wahrhaftigkeit. Damit wirklich das Leben beginnt, das Gott schenkt.

„Gottis natur ist, das er auß nicht etwas macht“ – am Anfang der Welt, in der Nacht des Kreuzes, und jetzt, wenn du gezwungen bist, die Augen aufzumachen, wenn du Angst hast. „darumb“, sagt Luther, „wer noch nit nichts ist, auß dem kan gott auch nichts machen.“ Und was macht er aus dir? Einen Menschen, frei von Angst und Lüge. Einen Menschen, der nicht in sich selbst gefangen lebt, sondern von der Liebe, die ihm geschenkt wird. Einen Menschen, der in denen lebt, die er liebt. Das macht Gott, wenn du weißt, daß du ein Narr warst, wenn du vertraust, daß er da ist. Und dann, wenn du davon lebst, daß er gekommen ist, auf unsere Erde, in unseren Tod, dann siehst du wieder das warme Herbstlicht, den Morgentau, die Äpfel, Birnen, Pflaumen. Du siehst sie neu. Zusammen sehen wir sie neu – und es ist ein Gottesdienst. Und wir haben wirklich eine Heimat.

Ja – so müßte es sein.

Wir sammeln unser Leben nicht – weder in Scheunen, noch in Häusern oder in Säcken oder auf Konten oder in unsern Köpfen. Nur Gott kann es sammeln. Wer ist reich bei Gott ? Ich glaube, reich bei Gott ist, wer von der Liebe Gottes lebt, im Augenblick. Wer frei ist, das Eigene loszulassen, auch das eigene Leben in der Zeit. Wer schenken kann - in dem Vertrauen, daß für ihn gesorgt ist.

Dieser Frieden ist höher ist als aller Verstand. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

PD Dr. Tom Kleffmann
tkleffm@gwdg

 

 


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