Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

19. Sonntag nach Trinitatis, 2. Oktober 2005
Predigt über Markus 1, 32-39, verfasst von Ondrej Prostrednik (Slowakei)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Predigt für Studentengemeinde in einem Abendmahlgottesdienst.)

Liebe Freunde, Schwestern und Brüder im Christus,

Wir treffen uns zu diesem Gottesdienst als akademische Gemeinde. Das Evangelium, das wir bei der Lesung aus dem Altar gehört haben (Mt 5,43-48) lädt uns ein mehr zu tun, als üblich ist. Viele ernste Probleme der Welt haben gerade solche Menschen gelöst, die diesen Aufruf ernst genommen haben. Die einen Schritt weiter, als alle andere, gegangen sind. Die mehr Bücher in die Hand genommen haben, als zum Ablegen der Prüfung verlangt wurde. Die mehr Versuch im Laboratorium gemacht haben, als der Lehrer ihnen vorgeschrieben hat.

Die heutige Gesellschaft leidet unter vielen ernsten Problemen, die auf Lösung warten. Millionen von Menschen hungern. Der Reichtum, den die Naturressourcen bieten, ist nicht gerecht verteilt. Immer gibt es noch viele Krankheiten, die für Mediziner eine Herausforderung darstellen. Die Umwelt haben wir so beschädigt, dass wir nun langfristig die Folgen der klimatischen Veränderungen tragen werden.

Der Predigttext stellt uns Jesus vor als einen Arzt. Er heilt die Kranken. Er korrigiert das, was gestört ist. Er stellt die Diagnose fest. Sie lautet: Sünde – so erfahren wir das von vielen anderen Heilungsberichten. Das Studium, das unsere Arbeit ist, hilft uns die Diagnose der verschiedenen Probleme in der akademischen Gemeinde zu stellen. Die Kenntnisse, die gesammelt wurden, und die Kenntnisse, die Forschung liefert, helfen uns, die Gründe vieler Probleme zu finden und angemessene Korrekturen einzuleiten. Unser Text zeigt seine Haltung in drei Zügen:

  • Korrektur durch Sündenvergebung
  • persönliches Gespräch mit Gott im Gebet
  • das Wort der Wahrheit durch Verkündigung des Gottes Wortes.

I. In unserem Leben gehen wir davon heraus, dass wir den Ablauf vieler Ereignisse verändern oder beeinflussen können. In unserem Mikrokosmos machen wir das oft. Dabei ist die Initiative entscheidend. Es gibt viele Menschen, die zu Opfern der Umstände werden nur weil sie keinen Willen haben, etwas in ihrem Leben zu verändern. Obwohl sie dazu die Kräfte und die Möglichkeiten haben.

Wenn wir an den Makrokosmos denken, dann glauben wir, dass der Ablauf aller Ereignisse in Gottes Händen liegt. Jesus Christus, Sohn Gottes, wurde Mensch, damit er den Ablauf der Ereignisse, die zur Vernichtung des Menschen führten, radikal änderte. Er besiegte die Macht der Sünde. Was dabei aber wichtig ist, ist nicht das, dass er es konnte. Viel wichtiger ist, dass er das wollte. Das ist großartig. Gott hat die Initiative zur grundsätzlichen Korrektur in der Welt ergriffen. Das ist das Zeichen der Liebe Gottes zum Menschen. In Christus ändert er unser Leben durch die Vergebung der Sünde. Wenn wir uns den Abend an dem die Heilungen stattfanden, vorstellen, dann könnte es auch anders aussehen. Christus musste nicht heilen. Er konnte den Menschen, die ihn um Hilfe baten, sagen: „Jeder soll sein Leiden tragen. Jeder hat das, was er verdient hat. Nehmt das Leben so, wie es gekommen ist und wie ihr es euch selbst gestaltet habt. Daran ist nichts mehr zu ändern.“ So hart hätte Jesus zu denen reden können, die seine Hilfe erwartet haben. Er hat es aber nicht getan. Das ist ein Zeichen der liebevollen Initiative Gottes. Er tat das, was man nicht erwartet, das was er nicht tun musste.

Das tut er auch heute. Er lädt uns zu seinem Tisch. Im Abendmahl kommt er zu uns, damit er uns trifft. Wie ein Arzt, sagt er uns unsere Diagnose. Und weil er uns liebt, will er uns auch heilen.

II. Der Predigttext zeichnet uns einen scharfen Kontrast vor Augen. Auf der einen Seite spricht er darüber wie Jesus von Menschen umkreist war. Sie haben Hilfe von ihm erwartet. Er hat sie geheilt. Er steht mitten in einer Menschenmenge. Auf der anderen Seite lesen wir, wie er sich zurückgezogen hat. Er ist alleine und betet. Heißt es, dass er die Heilung beendete? So schnell endete seine Initiative der Liebe? Gab es keine mehr, die seine Hilfe brauchten?

Die Reaktion der Jünger zeigt uns, dass es noch viele solche gab, die auf seine Hilfe warteten. „Alle suchen dich!“, haben sie ihm gesagt, als sie ihn fanden. Als ob sie ihm sagen wollten: „Hier, wo es so viel Leiden gibt, darfst du dich nicht zurückziehen! Die Menschen brauchen dich.“ Wie ist das möglich, dass Jesus so handelt? Er kann gutes tun und tut es nicht. Gerade umgekehrt. Es scheint, als ob er das tun würde, was er selbst bei anderen kritisierte. Er betet das Morgengebet, das ein Teil des Kultes, der Liturgie war. Dort, wo es hunderte von Menschen gibt, die auf seine Hilfe warten, dort bevorzugt er das Gebetsritual. Soll das ein Teil der Jesustherapie sein? Sollen wir dem folgen?

Was für ein Gebet war es eigentlich? War das nicht nur ein automatisches Erfüllen einer von Kindheit an gewöhnter Pflicht? War es nicht das, was wir auch oft tun wenn wir in die Kirche aus Gewohnheit kommen? Leider ist es oft so, das wir vor dem, was wir als Dienst der Hilfe tun sollten, weichen und als Grund dafür dienen uns verschiedene Gewohnheiten unseres religiösen Lebens. Schrecklich genug nur daran zu denken: Ein Gottesdienst wird zum Grund der Ablehnung des Dienstes an dem Nächsten. Jesus hat solche Haltung streng abgelehnt. Er hat am Samstag die Kranken geheilt und die Forderung der Nächstenliebe stellte er über die Forderungen des Gesetzes.

Und doch geht er weg von der Menge der Kranken und betet das Morgengebet. Er tut es auch, um uns zu warnen vor einem anderen Extrem. Viele Christen entleeren das geistliche Leben und werden zu bloßen Humanisten. Nicht dass der Humanismus an sich falsch wäre. Aber er darf nicht das persönliche geistliche Leben ersetzen. Wir dürfen uns nicht so sehr durch das Lösen der Weltprobleme beschäftigen lassen, dass wir dann den persönlichen Kontakt zu Gott für unnötig halten. Die Liebe zu dem Nächsten ist nicht automatisch die Erfüllung unserer Beziehung zu Gott. Wir sind Kinder Gottes. Wir sind seine Schöpfung. Gott ist eine Person. Er wartet auf ein Wort von uns, unser Gebet. Wir brauchen die Gemeinschaft mit ihm bei dem Gottesdienst. Nicht nur als Entspannung und Wechsel zwischen weltlicher und religiöser Haltung. Nicht nur als Gelegenheit zur Reflexion über aktuelle Fragen aus einer religiösen Sicht. Sicher, das alles soll auch beim Gottesdienst geschehen. Aber nicht nur das. Wenn Jesus es für wichtig gehalten hat mit seinem Vater zu sprechen, umso mehr brauchen wir das Gespräch mit Gott. Gott ist nicht in allen Dingen, wie uns manche Religionen versuchen zu überzeugen. Gott ist Person, Person, mit der man reden kann und die auf ein Gespräch mit uns wartet.

Das hat Jesus getan, als er sich nach einem vollen Tag des Dienstes zurückgezogen hat. Es war ein natürlicher Teil seines Lebens. Gebet wie Atem, ohne den man nicht leben kann. Auch heute lädt er uns ein, dass wir zu ihm im Gebet reden und sagen, was uns bekümmert. Das, was wir als Hindernis für eine Korrektur in unserem Leben ansehen, das, was wir als Sünde bekennen. Das ist der zweite Teil des Programms, das Christus für die Heilung der Welt tut.

III. Das dritte, was Jesus tut, überrascht uns vielleicht noch mehr. Er ruft die Jünger, um zu einem anderen Ort zu ziehen. Der Grund dafür ist nicht das Heilen. Der Grund ist die Verkündigung des Wortes. Dazu ist Christus nämlich gekommen. Das ist der Schwerpunkt seines Wirkens. Er redet zu uns.

Die evangelische Kirche wird auch als Kirche des Wortes bezeichnet. Wir müssen aber wissen welches Wort ist hier gemeint. Es ist das Wort Gottes. Für Christus war die Verkündigung des Wortes Gottes die wichtigste Aufgabe. Er brachte das Wort unter die Menschen sehr prägnant. Ohne unnötige Sätze. Zur Sache. Seine Zuhörer hat er nicht mit langen rhetorischen Übungen gelangweilt.

Solche Verkündigung des Gotteswortes ist ein unentbehrlicher Teil des kirchlichen Dienstes auch heute. Geben wir die Bezeichnung „Kirche des Wortes“ nicht auf, und kämpfen wir um die Reinheit und Treue zum Wort Christi. Das ist die eigentliche Aufgabe der theologischen Ausbildung. Sie soll uns darauf vorbereiten, dass wir das Wort Gottes verstehen und es verständlich dem heutigen Menschen weitergeben.

Jesus Christus bietet uns sein Wort immer in neuen Zusammenhängen. Die Menschen warten auf dieses aktuelle Wort Gottes. Auf das Wort, das deutlich und genau, ohne unnötige Zusätze, die Gründe unserer Probleme benennt. Das Wort, das ein neues Leben gibt – ja, als schöpferisches Wort, ein neues Leben schafft.

Als akademische Gemeinde wollen wir unsere Arbeit tun. Darum beten wir: Komm Heiliger Geist, erfülle unsere Herzen und Gedanken, damit wir:
- den Dienst der Liebe tun und empfangen,
- im Gebet mit dir verbunden bleiben,
- dein rettendes Wort hören und verkündigen. Amen.

Ondrej Prostrednik
prostrednik@ekumena.sk

 

 

 


(zurück zum Seitenanfang)