Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

20. Sonntag nach Trinitatis, 9. Oktober 2005
Predigt über 1. Mose 8,18-22, verfasst von Klaus Steinmetz
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Liebe Gemeinde!

Solange die Erde steht... Das ist lange, unvorstellbar lange. Aber nicht ewig. Ewig ist allein er, der die Erde erschaffen hat. Und der deswegen die Zusage machen kann, die gelten soll für diese unvorstellbar lange Zeit: Solange die Erde steht. Die Zusage, dass die Welt, in der wir leben, verlässlich ist. Diese Zusage gilt, weil er, der das verspricht, verlässlich ist.

Dass die Welt verlässlich ist, so dass wir in ihr leben können, ist nicht selbstverständlich. Das wissen die, die aus der Arche kommen: Noah und seine Frau und seine Familie und die Tiere, paarweise geordnet und in einer Reihe hintereinander. Sie hatten es ja erlebt, wie auf einmal es von allen Seiten über die Menschen hereinbrach und die Welt gleichsam aus den Fugen geriet und sie selbst auch zugrundegegangen wären, wenn Noah nicht auf Gottes Geheiß die Arche gebaut hätte, in der sie bewahrt blieben, mitten in der Sintflut.

Den Abschluss der Geschichte von der Sintflut bilden die Sätze, die dieser Predigt zugrunde liegen. Eine alte Geschichte, eine uralte, ist das, keine Frage. Darum auch für unser Verständnis in vieler Hinsicht naiv. Schon allein, wenn man sich vorzustellen versucht, wie das gewesen sein mag in der Arche, bei der Enge und dem Gedränge der Menschen und der Tiere, für eine so lange Zeit. Aber man spürt doch sofort, mit solchen Erwägungen, so erheiternd sie sein mögen, wird man dieser Geschichte nicht gerecht. Da steckt mehr drin.

Es ist ja bezeichnend, wie plötzlich bei Katastrophen unserer Tage, der Tsunamiflutwelle in Ostasien oder den Überschwemmungen von New Orleans, diese alte Geschichte wieder ins allgemeine Bewusstsein kommt. Sie ist eben eine Urgeschichte, in der etwas aufgehoben ist, was nicht veraltet. Die Erinnerung daran, dass nicht selbstverständlich ist, was Gott hier zusagt. Angesichts von Katastrophen erfahren es die, die da hineingeraten sind; und auch in uns, die wir weit weg davon sind und nur durch Bilder und Berichte davon Kenntnis bekommen, beginnt eine bange Ahnung sich zu regen: Nein, es ist nicht selbstverständlich, dass nicht aufhören sollen Saat und Ernte, Frost und Hitze...

Gerade weil dies nicht selbstverständlich ist, sind diese Worte nicht überflüssig, sondern notwendig, lebensnotwendig – wie alle Worte Gottes. Sie schenken uns das Leben. Hier, indem sie die unerlässlichen Lebensgrundlagen als in seinem Wort und Willen gegründet benennen. Vier Gegensatzpaare sind es, uns zutiefst vertraut. Und von denen uns sofort klar ist, wie sehr sie unser Leben, das Leben überhaupt, ermöglichen, bestimmen, prägen. Gegensätzliches ist es, was jeweils zusammen genannt wird. Erst in der Balance ermöglicht es das Leben. Man braucht sich ja nur zu überlegen, was und wie es wäre, wenn es jeweils nur das eine gäbe: Nur Saat ohne Ernte, nur Frost ohne Hitze, nur Sommer ohne Winter, nur Tag ohne Nacht. Zumindest ganz anders ist es, wenn es wie in manchen Gegenden unserer Erde keine Jahreszeiten gibt; wenn es, wie jenseits des Polarkreises endlose Tage lang keine Nacht und endlose Nächte lang keinen Tag gibt. Oder es wäre geradezu eine Katastrophe, nur Hitze – und Verbrennen, nur Frost – und Erfrieren.

Es ist ein vielschichtiges, feines und kompliziertes Miteinander und Ineinander dieser unterschiedlichen Gegensatzpaare, die erst zusammen, eben in der richtigen Balance, das Leben ermöglichen. Sich das bewusst zu machen, heißt doch wohl, es aus der Normalität der Selbstverständlichkeit herauszureißen und darüber in Nachdenken und Staunen zu geraten. Oder anders gesagt: Wir können dann entdecken, dass diese Worte Gottes letztlich Segensworte sind. Sie beschreiben und zugleich versprechen sie etwas, was ein Segen ist. Der Segen Gottes wird hier erkennbar als etwas, was nicht nur schöne Zugabe ist für festliche Höhepunkte, sonder unabdingbare Voraussetzung unseres Lebens und Daseins, ohne die nichts ist und geht und läuft. Zugleich können wir auch darüber staunen, dass wir zum Glück – besser: Gott sei Dank! – nicht dauernd an diesen Segen, diese Leben schenkende Grundlage denken müssen. Der Segen hängt nicht davon ab, dass wir an ihn denken, er ist mehr als unser Bewusstsein von ihm. Es ist so ähnlich wie mit der Gesundheit, auch sie ja ein Segen. Man braucht nicht dauernd an sie zu denken, und soll es auch gar nicht Wenn einer es dauernd tut, ist das eher ein Zeichen dafür, dass sie ihm fehlt. Aber es schadet nichts, auch schon vorher, zwischendurch immer wieder einmal an sie zu denken und über diesen Segen zu staunen. Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht: Es handelt sich bei diesen Gegensatzpaaren um etwas, was wir üblicherweise als Naturgegebenheiten bezeichnen, die auch ohne uns bestehen. Nur beim ersten, Saat und Ernte, da ist es etwas anders. Zwar ist auch hier der Umstand im Blick, der nicht von uns abhängt, dass nämlich auf Saat Ernte folgt und der Mensch sich darauf verlassen kann. Aber wenn das geschieht, wenn dieser Segen sich ereignet, dann ist dabei der Mensch mit seinem Tun kräftig, also auch tatkräftig dabei. Wo nicht gesät wird, gibt es auch nichts zu ernten. Vor acht Tagen, am Erntedankfest war Anlass, daran in besonderer Weise zu erinnern und über das Staunen hinaus auch dem Danken für den Segen seinen notwendigen und schönen Platz zu geben. Nur wenn und wo gesät wird, gibt es auch Ernte. Aber ist das weniger Segen, wenn wir dabei mitbeteiligt und meinetwegen auch mit allen Kräften gefordert sind? Am Ende stehen wir doch wieder nur – aber was heißt hier „nur“? – als Beschenkte da. Es wäre ja eine merkwürdige Vorstellung vom Segen, wenn sie automatisch hieße, dass wir dabei die Hände in den Schoß legen könnten oder sollten. Und über die Arbeit in Landwirtschaft und Garten hinaus ist es ja wohl sachgemäß, den Zusammenhang „Saat und Ernte“ auf alle menschliche Arbeit zu beziehen. Dass unserer Arbeit Ertrag und Erfolg beschieden sein soll, auch das ist etwas, was auf Gottes gnädiger Zusage beruht, sein Segen.

Allerdings: Zusage, Segen ist etwas anderes als ein Naturgesetz. Wie oft haben Menschen vergeblich auf Ernte gewartet und gehofft, durch zu wenig oder zu viel Regen, Hitze oder Frost? Oder wenn Menschen die Möglichkeit zur Arbeit genommen, sie damit gleichsam um die Ernte, den Ertrag ihres Lebens gebracht werden? Politisch und menschlich ist dies derzeit nach wie vor das drängendste Problem. Daran sei erinnert, damit wir nicht vergessen: Es geht in dieser alten Geschichte nicht um Selbstverständlichkeiten und banale Erfahrungstatsachen. Es gibt ja so viele gegenteilige Erfahrungen. Immer wieder geraten Menschen in Lagen, in denen sie sich an diese Worte nur klammern können, bitten und hoffen, dass sie sich als wahr erweisen, auch für sie. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze – all das, was uns leben lässt.

Das alles ist nicht selbstverständlich. Eine Ursache, warum das so ist, stellt uns die alte Geschichte besonders vor Augen: Je mehr wir auf uns selber, auf unser, der Menschen Tun und Verantwortung für diese Welt blicken, um so gefährdeter erscheint, dass diese Worte sich als wahr erweisen und durchsetzen. Die verheerendsten Katastrophen sind schon seit langem nicht mehr einfach sogenannte Naturkatastrophen, sondern die von Menschen gemachten: Krieg, massenhafte Gewalt, Misswirtschaft. Und selbst bei den Naturkatastrophen mehren sich die Hinweise, dass bei vielen von ihnen der Faktor Mensch mit seinem Tun und Treiben sich immer verhängnisvoller auswirkt. Der alte Satz: Das Dichten und Trachten des Menschen ist – und bleibt- böse von Jugend an, behält seine Wahrheit und gewinnt weltweite Dimensionen. Auch hier gilt: Was der Mensch sät, das wird er ernten..

Da ist er wieder, der dunkle Hintergrund, vor dem die göttliche Zusage steht, gegen den sie gesagt und gegen den sie ergriffen und geglaubt sein will. Nicht als Garantie, aber als Verheißung und Segenswort des Gottes, der gegen alle zerstörerischen Kräfte, die auch in uns Menschen wirksam sind, an seiner Schöpfung, auch an seinem Menschen, und sei er noch so böse, festhalten will, weil er sie – liebt. Das fasse, wer es fassen kann. Aber allein darauf ist Verlass, um Gottes willen. Amen.

Klaus Steinmetz, Sup. i.R.
Hainholzweg 8
37085 Göttingen
kjsteinmetz@t-online.de


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