Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 16. Oktober 2005
Predigt über Johannes 4, 46-53, verfasst von Arne Ørtved (Dänemark)
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(Text der dänischen Perikopenordnung)

Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht! Jesus mag es offenbar nicht, dass wir Zeichen sehen wollen; aber so sind wir nun einmal. Wir können es gar nicht sein lassen, nach Zeichen zu suchen. Das fängt eigentlich schon kurz nach der Geburt an, wenn die Stimme und Nähe der Mutter Zeichen für Essen ist. Der Säugling beginnt zu saugen, bevor er überhaupt etwas zum Saugen hat; das Wasser läuft ihm im Munde zusammen, und er kann mit Armen und Beinen fuchteln.

Die Psychologen nennen so was einen bedingten Reflex; aber es ist doch eine Art Zeichen, das sich auf vielerlei Weise das ganze Leben hindurch fortsetzt. Wir sind die ganze Zeit auf Zeichen aus, was gleich oder in der Zukunft geschehen wird. Wir wollen Zeichen für das Wetter haben; ob es ein warmer Sommer werden, eine gute Ernte geben, ein harter Winter sein wird. Wir begnügen uns nicht mit den Meteorologen; wir wenden uns auch an Wetterpropheten und uralte Hausregeln mit Zeichen, wie das Wetter sein wird.

Es ist auch ein gutes Zeichen, wenn der Kranke wieder Appetit bekommt und nachts gut schläft. Und wenn Väterchen morgens unter der Dusche singt, dann wissen die Kinder, dass das ein Zeichen guter Stimmung ist und dass sie damit eine gute Gelegenheit haben, Verhandlungen über eine Erhöhung des Taschengeldes einzuleiten. Zeichen können also mehr oder weniger vernünftig sein; mehr oder weniger zuverlässig.

Hunde kennen auch Zeichen. Wenn man zur Hundeleine greift oder mit der Tüte mit den Hundekuchen rasselt, ja, wenn der Hund nur die Schritte auf der Treppe hört, dann geht der Schwanz wie ein Propeller. Aber der Hund kann ja nicht so gut über alle die Zeichen philosophieren, die er kennt und liebt oder fürchtet. Er kann weder Gott noch das Schicksal oder den Sinn des Daseins damit verbinden. Beim Hund ist tatsächlich von bedingten Reflexen die Rede, auch wenn wir uns darüber wundern mögen, wie gut entwickelt diese Reflexe bei Hunden sind, so dass wir glauben, Hunde seien wie Menschen. Aber Hunde sind wie neugeborene Kinder: Sie reagieren auf Wärme, Liebe, Essen; und erst später entwickelt es sich zu eigentlichen Zeichen.

Ich erinnere mich an viele Zeichen aus meiner Kindheit. Manchmal waren sie recht albern und manchmal auch todernst. Wenn man auf dem Bürgersteig ging, durfte man auf keinen Fall auf einen Strich zwischen den Fliesen treten, denn dann küsste man einen Neger. Da ging es darum, wirklich auf die Striche aufzupassen. Aber dann konnte man ein heimliches Zeichen mit sich selbst verabreden, dass man stattdessen seine Schülerliebe küsste, und dann galt es natürlich, so oft wie möglich auf die Striche zu treten; denn jetzt war es ein gutes Zeichen.

Wenn man erwachsen geworden ist, entdeckt man, dass das Dasein voller Zeichen ist; aber oft ist man taub oder blind für sie. Erst im Nachhinein – wenn die Katastrophe eingetreten ist – kann man sehen, dass es massenhaft Zeichen gegeben hat. Manche Menschen sind sehr wachsam in dieser Beziehung und sehen pausenlos Zeichen. Vielleicht ist es eine Frage des Temperaments oder eine besondere Fähigkeit dieser Menschen.

Aber dann ist es ja auch so, dass Zeichen so undeutlich sein können. Man muss sie nicht nur selbst entdecken; man muss auch selbst durchschauen, was sie bedeuten. Es genügt nicht, ein Zeichen zu sehen, ohne dass man weiß, wofür das ein Zeichen ist. Dann schaden sie mehr als sie nützen. Deshalb sind Zeichen mit Glauben und mit Aberglauben verbunden; mit Falschheit und mit Aufklärung; mit Lüge und mit Wahrheit; mit Anleitung und Irreleitung.

Darum ist es vielleicht auch gar nicht so verkehrt, dass man gelegentlich gern Zeichen übersehen möchte. Es kann ja sein, dass sie auf etwas hindeuten, was man nicht wahrhaben möchte. Und dann ist es gar nicht mehr so unschuldig wie damals, als man noch ein Kind war. Die Zeichen verraten das Schicksal, das einen erwartet, und können von Unglück, Liebe und Tod erzählen. Und damit stellt sich die Frage: Wo kommen die Zeichen her? Wer schickt sie? Und dann haben die Zeichen im Ernst etwas mit Glauben zu tun.

Wenn unser Leben wirklich voller Zeichen ist, dann muss es eine höhere Macht geben, die einen Plan mit uns hat und uns durch das Leben geleitet. Diese höhere Macht mag man als kalt und unberechenbar oder als wohlgesonnen und warm erleben. Auch aus diesem Grunde sind die Zeichen ja auch spannend: mögen die höheren Mächte uns, und sind sie von wohlgesonnener Art?

Aber da zeigen sich die Menschen in all ihrer Treulosigkeit. Im einen Augenblick loben wir Gott in hohen Tönen, nämlich wenn er uns verwöhnt und wenn es uns gut geht im Leben und wir glücklich sind. Aber im nächsten Augenblick, wenn es dann anfängt, schief zu gehen, dann können wir denselben Gott verfluchen. Dann ist er plötzlich grausam und ungerecht. So etwas hat nichts mit Glauben zu tun, sondern ist vielleicht genau jene Selbstbespiegelung, auf die Jesus es abgesehen hat, wenn er Menschen ihr Verlangen nach Zeichen vorwirft. Sie wollen nur sich selbst und ihre eigenen Wünsche in den Zeichen sehen.

Ja, aber, wie steht es mit Jesus selbst? Ist er nicht ein Zeichen? War alles, was er tat und sagte und lebte, nicht Zeichen von irgendetwas? Wer war er im Grunde? War er Gottes Sohn, wie man behauptete? Oder war er nur ein Mensch, der sich nur etwas vom Gewöhnlichen unterschied und unglücklich umkam? Oder war er geradezu vom Teufel geschickt, um Menschen von ihrem wahren Glauben wegzulocken? Man hat alle drei Antworten gegeben.

Und alles, was er sagte? – seine Reden und seine Gleichnisse? Ist Gott wirklich so, wie er ihn darstellte? Gleicht das Reich Gottes den Bildern, die er in seinen kurzen provozierenden Erzählungen schilderte? – Und wenn er zu einem Menschen sagte: Deine Sünden sind dir vergeben!, waren die Sünden dann wirklich vergeben, oder war das nur Schall und Rauch?

Und die Heilungen, die Jesus vornahm? Sind sie Zeichen, dass er Gottes Sohn war? Oder ist er nur ein Schwindler? Schon damals verdächtigten sie ihn, Menschen mit dem Finger des Teufels zu heilen. Wenn Jesus Gottes Sohn ist, wofür sind seine Heilungen dann ein Zeichen? Dass Gott Fürsorge für uns alle hat, ungeachtet ob wir geheilt werden, oder sind wir ihm gleichgültig?

Als die Frauen am Ostersonntag zu seinem Grab kamen, fanden sie es leer! Wofür war das ein Zeichen? War die Leiche gestohlen worden? War sie bei dem Erdbeben in einem Felsspalt verschwunden? Oder war er auferstanden von den Toten, was die Frauen bekanntlich glaubten? Und wofür war dann diese Auferstehung gegebenenfalls ein Zeichen? Dass sich da eine Sensation ereignet hatte? Dass Jesus den Tod überwunden hatte? Dass seine Auferstehung den Tod auch für uns überwunden hatte?

Alle Zeichen werfen also ebenso viele Fragen auf, wie sie beantworten. Kein Zeichen aber hat so viele Fragen aufgeworfen wie der Mensch Jesus von Nazareth. Er, den sie Christus nannten, Gottes Sohn, Erlöser der Menschen. Die Fragen stellen sich für jede neue Generation: und es gibt niemanden sonst, sie zu beantworten, als uns, denen sie gestellt werden. Wer ist er? Was bedeuten seine Worte und seine Heilungen? Wofür ist sein Tod und seine Wiederauferstehung ein Zeichen?

Das sind viele herausfordernde Fragen, die man auf sachliche Art und Weise nicht beantworten kann. Es gibt keine Beweise oder objektive Tatsachen. Wir müssen sie auf eigene Rechnung und eigenes Risiko beantworten. Das ist es, was Glaube heißt. Jedoch sind wir Gott sei Dank nicht allein, denn sonst käme nichts dabei heraus. Wir haben eine ganze Gemeinde hinter uns, – nicht nur wir, die wir heute in der Kirche sind, sondern alle die, die uns vorangegangen sind; diejenigen, die anfingen, alle die Geschichten über ihn zu erzählen; diejenigen, die sie niederschrieben; diejenigen, die sie über die ganze Welt verbreiteten; diejenigen, die sie hierzulande annahmen; diejenigen, die sie an ihre Kinder weitergaben, indem sie sie taufen ließen und dafür sorgten, dass sie das alles lernten. Diejenigen, die uns in das alles mit hineinbrachten!

Eigentlich ist das ein phantastisches Projekt, in das man da gerät, wenn man in der Kirche ist. Alles ist voller Zeichen, die Fragen an einen stellen; und zugleich werden einem die Antworten mit dem Glaubensbekenntnis in den Mund gelegt, mit den Liedern, Gebeten und was hier sonst noch so geschieht. Man kann fast nicht außenvor bleiben, obwohl Kirchgang und Glaube vielleicht nicht zu den stärksten Seiten gehören, die man hat.

Wieder gibt es heute hier in der Kirche starke Zeichen, dass Jesus Herr über Leben und Tod und damit wirklich Gottes Sohn ist. Und wir haben die Antwort, nämlich dass wir daran glauben. Und jetzt sollen wir hinausgehen und davon leben. Und daraus wird bestimmt kein schlechtes Leben werden. Im Gegenteil, alles hier ist Zeichen für ein gutes und starkes Leben für uns mit all der Kraft, die Gottes Sohn in es gelegt hat, wie immer es dann im Übrigen verlaufen mag. Amen.

Pastor Arne Ørtved
Birkebæk 8
DK-7330 Brande
Tlf.: ++ 45 – 97 18 10 98
E-mail: ortved@mail.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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