Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres (Volkstrauertag), 13. November 2005
Predigt über Lukas 16, 1-8a, verfasst von Dietz Lange
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Liebe Gemeinde!

Offenbar gab es saftige Skandale auch schon in der Antike. Der Mann, von dem hier die Rede ist, hat zwar nicht verdorbenes Fleisch in Naturdärme stopfen lassen und das eklige Zeug als frische Wurst verkauft, mit dem bewussten Risiko, dadurch die Gesundheit vieler Menschen zu gefährden. Aber ein ziemlicher Gauner ist er auch. Er ist ein Pächter, der das Hab und Gut seines Herrn verschwendet hat, heißt es da. Vielleicht hat er im großen Stil unsicheren Kantonisten Kredite gegeben. Oder er hat Geld unterschlagen und sich auf Kosten seines Vorgesetzten einen fröhlichen Lenz gemacht. Wir wissen es nicht. Es gab ja damals weder online banking noch eine behördliche Kontrolle solcher Arbeitsverhältnisse. Das war Vertrauenssache. Der reiche Gutsbesitzer, der in der Stadt wohnte, hatte einen Mann seines Vertrauens für die Verwaltung seines Landguts eingesetzt, und der hatte dieses Vertrauen grob enttäuscht.

Nun ist die Geschichte aufgeflogen, und der Pächter wird fristlos entlassen. So weit so gut. Der Kerl hat das verdient, kein Grund zur Aufregung. Nur die Abrechnung soll er noch abliefern, damit die finanzielle Lage des Gutes an den Tag kommt. Peinliche Sache für den Pächter. Aber mehr als das. Seine Entlassung wird sich herumsprechen. Den nimmt keiner mehr als Verwalter. Arbeitslosenversicherung gab es nicht, und seine Pächterswohnung war er natürlich auch los. Er stand vor dem Nichts. Nach Hartz IV hätte er nun jede zumutbare Arbeit annehmen müssen. Aber was hieß zumutbar? Für Erdarbeiten auf dem Feld fehlten ihm die körperlichen Kräfte, er war doch ein Schreibtischmensch. Und viele andere Möglichkeiten gab es damals nicht auf dem Lande. Oder betteln? Da schämte er sich. Natürlich hätte er sich direkt an dem Vermögen seines Herrn vergreifen, eine größere Summe Bargeld auf die Seite bringen können. Aber das wäre im Unterschied zu den bisherigen Betrügereien leicht nachzuweisen gewesen. Dann hätte es eine Anklage vor Gericht gegeben, und eine Gefängnisstrafe wäre ihm sicher gewesen.

Da kommt er auf eine Idee. Die ist zwar auch kriminell, keine Frage. Aber pfiffig. Die Sache mit den Schuldscheinen. Das lief damals so, dass der Schuldner seinem Gläubiger eigenhändig die geliehene Summe bescheinigen musste. Diese Scheine hatte der Gutsbesitzer nicht gesehen. Also würde es nicht auffallen, wenn der Pächter einfach neue Scheine ausschreiben lässt. Es muss bloß schnell gehen, bevor die Leute von seiner Absetzung erfahren. Bei diesem Plan handelt es sich nicht um Kleinkram. Der eine schuldete 100 Bat Öl, das sind ca. 40 hl oder der Ertrag von 140 Ölbäumen, der Geldwert von 500-600 Arbeitstagen. Der andere schuldete 100 Kor Weizen, das sind 500 Zentner oder der Ertrag von 42 ha Land. So kann man das in den gelehrten Kommentaren nachlesen. Auf jeden Fall eine ganze Menge. Davon wird den beiden ein großer Teil erlassen - in der Summe jedem ungefähr gleich viel. Dafür, so kann sich der Pächter ausrechnen, würde er eine ganze Weile bei den Leuten Kost und Logis bekommen. Denn dass man für eine große Gefälligkeit eine entsprechende Gegenleistung erwarten konnte, war in der damaligen Zeit selbstverständlich. So wäre der Mann aus dem Schneider, bis über die Sache Gras gewachsen wäre.

Aber nun kommt der Hammer, wie man in heutigem Deutsch sagen würde. Der Gutsbesitzer hat offenbar von der Sache Wind bekommen, obwohl sie so listig eingefädelt worden war. Wir würden erwarten, dass er nun erst recht wütend wird, ist er doch schamlos ein zweites Mal betrogen worden. Stattdessen lobt er den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt habe. Damit hört das Gleichnis auf, das Jesus erzählt. Also das ist dann die Pointe, das findet er richtig!

Jetzt sind wir dran, uns zu empören. Wie kann das sein, dass Jesus die Machenschaften dieses dreisten Betrügers gutheißt? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Wie sollen wir ihm dann noch glauben? Provozieren ist ja ganz schön, wenn man erkennen kann, wozu es gut ist. Aber dies geht denn doch entschieden zu weit!

Wir sind mit unserer Empörung nicht allein. Nicht nur Gegner des Christentum haben sich an diesem Gleichnis gestoßen, sondern ganz früh auch schon die Christen. Sie haben alles Mögliche unternommen, um das Problem zu entschärfen. So hat das Lukasevangelium Worte von Jesus, die er bei anderer Gelegenheit gesprochen hat, an dieses Gleichnis drangehängt, z.B.: „Wer im Kleinsten treu ist, der ist auch im Großen treu; wer aber im Kleinsten untreu ist, der ist auch im Großen untreu“ (V.10-12). Damit war für die christliche Gemeinde klar, dass jedenfalls Jesus den ungerechten Verwalter nicht lobt, sondern gebührend tadelt.

Ich finde dieses Bemühen, Jesus in Schutz zu nehmen, höchst sympathisch, geradezu rührend. Es ist ja auch etwas Richtiges dran: Jesus kann nicht den Betrug gelobt haben, er kann nicht die Schlitzohrigkeit des Verwalters als vorbildlich hingestellt haben. Das passt einfach nicht zu all dem, was er sonst gesagt hat! Trotzdem hört das Gleichnis genau da auf, wo ich mit Vorlesen aufgehört habe: „Der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.“

Er lobte ihn, „weil er klug gehandelt hatte“, und nicht, „weil er seinen Herrn aufs Kreuz gelegt hatte“. Diesen Unterschied haben wir wohl bei unserer Empörung überhört. Er ist aber wichtig! Klar war der Verwalter ein Betrüger, Jesus nennt ihn ja selbst ungerecht. Er beschönigt das also nicht. Aber darauf kommt es ihm jetzt nicht an. Das ist sozusagen nur der Ohrenöffner, der uns Zuhörer auf das Eigentliche stoßen soll. Und das ist: Dieser Mensch hat in völlig aussichtsloser Lage die einzige Gelegenheit ergriffen, die sich ihm bot, um einen Weg aus der Misere zu finden, indem er den Schuldnern, die ja auch ganz schön in Schwierigkeiten waren, etwas Gutes tat. Ja gewiss, er hat das nicht aus lauter Edelmut getan, sondern um seine Haut zu retten, und kriminell war es sowieso. Aber sehen wir doch mal einen Moment von all dem Unmoralischen ab: Er hat klug gehandelt, und es war doch wohl das einzige bisschen Gute, das er da tun konnte.

Aber wofür soll das nun ein Gleichnis sein, was soll uns das sagen? Ich denke, das ist jetzt gar nicht mehr so schwierig herauszufinden. Jesus predigte den Menschen damals - und er predigt uns heute - etwas im Grunde ganz Einfaches: „Jetzt, indem ich zu euch spreche, ist das Reich Gottes mitten unter euch, hier in dieser Kirche, hier in dieser Stadt mitten im täglichen Leben. Auch wenn ihr Gott natürlich nicht sehen könnt, er steht jetzt vor euch, er spricht jetzt in eurem Herzen. Das ist die Gelegenheit eures Lebens.“

Gott vor uns, das ist eine ernste Sache, auch wenn wir uns nichts Derartiges haben zuschulden kommen lassen wie der Pächter im Gleichnis. Denn wer von uns würde wohl behaupten wollen, er habe sich in jeder Lebenslage fest auf Gott verlassen, habe immer zu seinem Glauben gestanden, habe immer aus Liebe zu seinem Nächsten gehandelt? Ja, schlimmer noch: Wir neigen heute mehr als die Menschen früherer Zeiten dazu, den Ernst solcher unbequemen Fragen zu verdrängen. Gottes Gericht über uns, so meinen wir, das ist finsteres Mittelalter. Wir glauben doch an einen lieben Gott, der immer nur freundlich ist. Im Ernst, liebe Gemeinde? Ein Gott, der uns immer nur in den Arm nimmt und streichelt, der wäre doch ein allzu menschlicher Schwächling und kein Gott! Erwachsene Menschen, auch Jugendliche, werden sich auf so etwas doch nicht im Ernst einlassen wollen. Nein, Gott verlangt schon den vollen Einsatz unseres Lebens. Das ist mit der „Gelegenheit“ auch gemeint, die er uns gibt. Deswegen wird die strenge Rede, die wir vorhin als Sonntagsevangelium gehört haben, zu Recht auch heute noch vorgelesen: „Was Ihr einem dieser Geringsten nicht zugute getan habt, das habt ihr mir auch nicht getan, und Gott wird das nicht vergessen.“ Auch der Herr im Gleichnis ist durchaus streng.

Aber zugleich ist da die andere Seite, auf die es Jesus vor allem ankommt. „Gottes Reich ist bei euch jetzt, wo ich zu euch spreche“, das heißt auch: „Gott will euch trotz allem vergeben, euch annehmen und als seine Mitarbeiter gewinnen.“ Das ist ein Wort! Das erwartet allerdings auch eine Reaktion. Die kann nicht darin bestehen, dass ich gelangweilt in meinem Fernsehsessel die nächste Flasche Bier öffne. Sondern wenn wir das verstehen, was Jesus da sagt, dann ist das eine entscheidende Gelegenheit, die vielleicht nicht wiederkehrt, eine Gelegenheit, die eine klare Entscheidung verlangt, so wie von dem Verwalter im Gleichnis. Die Gelegenheit kann nur ergriffen werden. Da können wir nur all unsere Klugheit zusammennehmen, um zu erkennen, wo Gott uns jetzt hinstellen will.

So auf Gottes Vergebung zu bauen, das werden viele Menschen für blauäugiges Wunschdenken halten, und ein solcher Gott wird ihnen ungerecht vorkommen, genauso ungerecht wie der Gutsherr, der seinen betrügerischen Verwalter lobt. Aber seien wir froh, dass unser Gott sich nicht an den Maßstäben solcher Moral messen lässt. Auch wenn wir, die wir hier in dieser Kirche sitzen, bestimmt keine solchen Gauner sind wie der Pächter, den Jesus schildert: Verdient haben wir Gottes Nachsicht auch nicht. Er hat ja nicht vergessen, was für eine Art von Leben er von uns erwartet. Aber er gibt uns jetzt die Chance eines neuen, von Schuld unbelasteten Lebens. Greifen wir zu, und finden wir heraus, jeder von uns, an welcher Stelle sich dadurch in unserem Leben mit unseren Mitmenschen etwas handgreiflich verändern kann.

Amen.

Prof. Dr. Dietz Lange
Dietzlange@aol.com


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