Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Buß- und Bettag, 16. November 2005
Predigt über Matthäus 12, 33-35, verfasst von Detlef Reichert
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

„Wenn ihr einen guten Baum pflanzt, dann bringt er gute Frucht; pflanzt ihr einen schlechten, dann ist seine Frucht schlecht. An der Frucht wird der Baum erkannt. Ihr Schlangenbrut, wie wollt ihr Gutes reden, wo ihr doch schlecht seid. Aus dem Überfluss des Herzens redet der Mensch. Der gute bringt aus seinem guten Schatz Gutes hervor, der schlechte Schlechtes aus dem Schlechten, das in ihm ist.“

Soweit die Verse aus dem Matthäusevangelium für den heutigen Abend, - Gottesdienst am früher gesetzlichen Buß- und Bettag.
Wir sind wenige, das ist nicht schlimm, - die Härte des Predigtextes ist oder scheint schon schlimmer.
Es sind Verse in einem längeren Zusammenhang, das ist schnell klar.
Drei Fragen zum Anfang.

Die Verse sind erst einmal konkret gegen die Pharisäer gerichtet, - denn davon, von einem Streitgespräch Jesu mit ihnen ist die Rede. Entlastet uns das, dass sie Schlangenbrut genannt werden? Die Pharisäer im Gespräch mit Jesus. Aber nur sie?

Lassen wir uns darauf ein, dass wir gemeint oder immerhin mitgemeint sind, oder jedenfalls auch nur es sein könnten? So wie wir es sonst in der Regel geneigt und mit anderen Versen der Bibel eher tun?

Und dann: Wie halten wir es damit, dass schlecht und gut, richtig und falsch kompromisslos gegeneinander gesetzt sind wie weiß und schwarz? Dass es nur eines geben soll, das Eine, das richtig ist?

Und schließlich auch das noch, die mühsame Frage, wo steckt in diesen Worten das Evangelium drin, wo Lebenszusage?

Drei Fragen.

Mit der ersten klarzukommen, das haben wir uns immerhin in der vergangenen hundert Jahren langsam und spät zu begreifen angewöhnt und gelernt. Zu begreifen das, dass die Juden nicht die schwarze Folie sind, der gegenüber das Christentum weiß leuchten würde. Die Probe des Glaubens ist nicht die Richtung aus der ich her komme, sondern die Richtung, die ich dem Wort Jesu gegenüber einschlage, dem Evangelium und seiner Verheißung der Liebe Gottes gegenüber. Die Antworten des Judentums sind nicht unsere Antworten, aber wie sie stehen wir der Frage Jesu gegenüber.

Dass die Treue Gottes seinem erwählten Volk gilt und als seine Treue nicht durchgestrichen ist, das hat lange Wege und Zugänge des Verstehens in unseren Gemeinden gebraucht. Und wenn wie andere Landeskirchen auch die westfälische jetzt Anfang November dies in ihrer Kirchenordnung verankert hat, so trägt das dem langen Weg Rechnung. Die Gemeinsamkeit von Judentum und Christentum liegt in Gottes eigener Treue begründet, - macht nicht gleich, was ungleich ist, - stellt aber beide vor den Gleichen, - stellt auch uns vor die gleiche Frage, wie sie Jesus im Streitgespräch mit den Pharisäern formuliert. Können wir Gutes reden wo wir doch schlecht sind, - oder, bitte, wo wir meinen, dass wir schlecht nicht sind, oder doch so schlecht nicht, können wir ihm antworten, angemessen auf seine Frage und wirklich von uns her?

In der alten Tradition der Bußtage rückt das die eigene Wahrnehmung schon zurecht.

Wie ist das mit den Früchten bei uns, - mit dem Standhalten dem Bild des Baumes gegenüber, - oder : Wie ist das mit dem Wahrnehmen, wie wir diesem Bild gegenüber dastehen.

Seine eigenen Erfahrungen als Pfleger mit den Pflanzen hat fast jeder von uns, - zu haus, im Garten, im Büro. Wenn Sie Azaleen mögen: Da blüht die eine Azalee prächtig, die daneben kümmert vor sich hin, und das von Anfang an. Oder wenn Sie Äpfel lieber mögen, - die des einen Baumes schmecken, die des anderen nicht. So ist das. Zumindest in dieser Deutlichkeit bei Blumen und Bäumen.

Aber kann ich so reden von Menschen, von denen, mit denen ich lebe? Gelten für Freunde, Kollegen, Nachbarn solche Automatismen? Die einen sind eben so und die anderen eben anders? Gibt es im Miteinander nicht vielmehr die Aufgabe und Möglichkeit, durch positives Erwarten dem anderen gegenüber aus ihm sein Gutes `herauszusehen´, hervorzulocken, - das was gut angelegt ist in ihm? Ist das nicht auch ein Stück der Herausforderung, vor die Jesus uns stellt, wo er zur Umkehr ruft beim Reden vom Reich Gottes? Zur Umkehr, das im Anderen zu erkennen, es `herauszusehen´ und mit ein Stück frei zu setzen, was in ihm gut ist, gut angelegt von Gott selbst? Beginnt Umdenken nicht damit, dass ich nach der zum Greifen nahen Herrschaft Gottes Ausschau halte auch bei meinem Nächsten und damit das Gute in ihm herausrufe? Vorgabe, die verborgenen Gabe ins Leben bringt?

Und auch das ist ja klar, dass ich nicht erst den mitunter weiten Weg zum anderen hin nehmen muss, zur Wahrnehmung von ihm. Keiner kennt mich selbst so gut wie ich, - keiner weiß, wie viel da nach außen hin nur Schein ist und was im Innern, auch nicht wie viel Selbstzweifel und Neid.

Der Frage Jesu gegenüber im Blick auf mich selbst zu antworten, - Baum und Frucht und gut und böse - , heißt, mir darüber klar zu werden, woher ich lebe. Und versuche ich, bei allem bleibenden Zweifel meiner Wirklichkeit gegenüber, von Gott her zu leben, dann kann im Inneren nicht einfach alles schlecht sein, - dann muss es da den einfachen Worten im Matthäusevangelium gegenüber schon eine Korrektur geben, eine Korrektur des einfachen ja oder nein und sonst nichts. Dort und nirgendwo anders liegt sie, wo ich mir klar werde, dass Jesus nicht Taten , die eine oder die andere, als gut oder schlecht bewertet. So halten wir es in der Regel und kommen ins Schleudern dem Predigttext gegenüber. Nicht einzelne Taten wollen (oder sollen) offen gelegt werden, sondern wer oder was mein Leben im Letzten bestimmt.

Und da gilt dann wirklich ein ja oder nein und kein jein. Da gibt es tatsächlich keine Grautöne, auch wenn sie erleichternd scheinen könnten. Nicht ein bisschen von Gott her und ein bisschen von woanders. Hier liegt die klärende und trennende Linie, vor die Jesus mit seiner Frage stellt.

Bleibt der Umgang mit den Früchten, - mit dem, was zu erkennen ist, - dem, was aus der eigenen Entscheidung heraus wächst. Vielleicht mögen Sie ja Tomaten. Bei einem Bekannten von uns sind sie immer lange vor denen seines Nachbarn reif, und sie tragen mehr. `Brenke´s beste´ nennt er sie nicht ohne Stolz vor sich selbst und auch dann, wenn er welcher davon verschenkt. Kein Wunder, sie stehen vor einer Mauer an der Südseite, sind windgeschützt und haben die Mauersteine im Rücken sozusagen, die die Wärme der Sonne zurückstrahlen. Optimale Wachstumsbedingungen. Maximale Wärme. Dieselbe Wärme beim Alpenveilchen im Zimmer und der Gärtner kann nur sagen `zu warm´, und wenn Licht fehlt, weil nicht genug rein kommt, auch `zu dunkel´. Zu schlechte Wachstumsbedingungen. Da sind Menschen und Pflanzen kaum unterschiedlich. Gute Voraussetzungen die einen, schlechte die anderen. Nicht erst in die letzte Pisa-Studie zu gesellschaftlich bedingten unterschiedlichen Lernvoraussetzungen muss man hineinblicken, um das zu sehen oder zu wissen. Erbanlagen, Familiensituationen, sozialer Level. Wenn die Wachstums-, die Lebensumstände schlecht sind, wie sieht es dann mit den Früchten aus, oder deutlicher oder ehrlicher gefragt, wie kann es dann mit den Früchten aussehen.

Man muss nicht in der Ferne suchen. Aber manchmal ist es leichter, auch das Eigene am Fremden zu erkennen.

Paris hat in den vorigen Wochen noch nicht gebrannt, die Autos in den Vorstädten schon. Jugendlicher Mob, der nur zerstören will? Oder nicht doch Folge von Lebensbedingungen ohne Perspektive, ohne Aussicht. Schlechte Frucht, weil der Baum nicht kann, sich nicht entwickeln kann? Wie auch, wo keine Wärme ist, kein Wasser, kein Schutz, schlechte Erde. Woraufhin denn arbeiten, wenn keine Ausbildungsplätze vorhanden sind und Arbeitsplätze schon gar nicht in Aussicht. Dies für Jugendliche zugleich in einem konsumorientierten, konsumorientierenden, anheizenden Umfeld. Gepolt auf einen nicht zu erreichenden Punkt hin. Ausgerichtet ständig und herausgefordert, etwas zu tun, wozu die Mittel fehlen. Der Umschlag in und zu Gewalt ist dabei gar nicht gewaltig, sondern höchst leicht. Mit dem gleichen Bild gesagt, nur aus anderem Blickpunkt: Der Baum ohne Wurzeln braucht keinen keinen Sturm, um zu kippen, - irgendwann tut es ein Windstoß auch.

Bei uns brennen keine Autos. Lehrstellenkampagnen werden noch geführt, Reaktionen im Bildungs- und Ausbildungswesen versucht. Aber was sind angekündigte Einschnitte im Bereich stattlicher Aufgaben und ihrer weiteren Wahrnehmung konkret? Halbzeit ist es nach jetzt fünf Jahren in der Dekadearbeit der evangelischen Kirchen zur Überwindung von Gewalt, - und die zweite Halbzeit wird länger werden und länger werden müssen um werbend vorzubeugen, klarzumachen, zu deeskalieren.

Das alles sind keine Stichworte zu einem scheinbar nicht ausbalancierten Sozialverhalten von Jugendlichen, sondern es ist die Kehrseite zu der Frage, woher verstehe ich mich. Die Kehrseite zu dem Satz von eben: Nicht einzelne Taten wollen (oder sollen) offengelegt werden, sondern wer oder was mein Leben im Letzten bestimmt.

Alles was mit Umkehr zu tun hat, mit der Frage, wo tatsächlich gut und böse seinen auslösenden Ort hat, - alles das hat nicht nur eine innere, private, persönliche Seite, sondern es hat und ist ein öffentliches Anliegen. Die öffentliche und gesellschaftliche Seite ist nie alles, aber sie ist genauso wenig davon abzulösen, wie die Mauer von Brenkes Tomaten.

In ganz anderen Sinn gewönne da plötzlich –wenn es ihn noch gäbe- der alte staatliche verordnete Bußtag einen neuen tatsächlich sinnvollen Gehalt: Nicht den Untertan zur Ordnung zu rufen, sondern die Obrigkeit in Ordnung zu bringen.

Es bleibt die dritte Frage, - die nach den Evangelium, nach der Lebenszusage in diesen Versen. Welche Hoffnung, welcher Raum zur Umkehr bleibt bei aller Härte der krassen Prüfanfrage Jesu offen?

Keine, weil Bußtag ist?

Das widerspräche wohl auch bei Matthäus dem Evangelium. Gehört haben wir vorhin in der Liturgie das Gleichnis vom Feigenbaum, das mit der Jahresfrist, dem Graben und Düngen. Das macht die Härte nicht weich.

Alle Vergleiche mit Bildern haben ihre eigene Grenze, so schön die Bilder auch manchmal sind, - Azalee, Apfelbaum Tomate, Alpenveilchen, Feigenbaum.

Wehren kann sich der Feigenbaum nicht dagegen, umgegraben und gedüngt zu werden. Die ihm zugemessene Frist ist eine passive -. mal sehen, was drin steckt. Die uns entsprechende Frist ist aktiv, - „lass dich umgraben“, - nutze die Frist, - stell dich zu dem, was und wer dein Leben letztlich bestimmt. Daran werden die Früchte gemessen werden. Das entscheidet, was gut ist und was böse. Die Mahnung heißt, Jesus bewusst als Lebensbringer zu begreifen und aufzunehmen, dann wächst, was gut ist, auch in uns. Dann greift auch wieder das Bild von den Früchten.

Und dann mag auch das sich ergeben: Eine Verlagerung in der Tonlage des Buß- und Bettages, so dass aus dem früher verordneten Bußtag ein neuer verortender Bettag wird:
Einer voll Bitten für uns selbst, zu sehen und zu leben, wer oder was mein Leben im letzten bestimmt und
einer voll Bitten für Verhältnisse und äußere Umstände, die auch anderen Menschen Wege dazu frei machen und ändern was im Weg steht.

Amen.

Sup. Dr. Detlef Reichert
Moltkestr.10
33330 Gütersloh
E-Mail c/o dhornig@kk-ekvw.de

 


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