Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

März 2005
Predigt zur Konfirmation über 5. Mose 32, 11
Thomas Volk
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Festgemeinde,
liebe Eltern und Paten,
wie die Zeit doch vergangen ist. Eben noch - vor ungefähr 14 Jahren -lagen sie wie kleine Küken in einem Nest. Kuschelig weich geborgen. Und wir Erwachsene waren froh und glücklich und haben so viele Hoffnungen und Träume in diese kleine Wesen gelegt. Was wollten wir ihnen nicht alles wünschen. Was wollten wir ihnen auf alle Fälle ersparen.

Ich weiß, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, dass ihr das gar nicht so möchtet, wenn man so über euch spricht – wie groß ihr doch geworden und wie schick ihr heute ausseht. Aber zu einem Festtag wie heute gehört es für eure Eltern und Paten und Großeltern dazu, dass sie an die Zeit bis heute zurückdenken.

Und auch uns Mitarbeitenden geht es ähnlich. Unsere gemeinsame Zeit ist wie in Flug vergangen. Eben noch, vor gut einem Jahr, ward ihr bei der Anmeldung zum Konfirmandenkurs. Um einiges kleiner an Größe.
Um einiges kleiner war auch euer Mut, als wir zum Konfi-Camp nach Italien gefahren sind. Wie das wohl werden wird, habt ihr euch gefragt. Mit 200 anderen Konfirmanden zusammen sein. Über vier Stunden Arbeitsgruppen am Tag, Morgenandacht und Gute-Nacht-Gedanken. Überraschungsprogramm im Zirkuszelt, Abendmahl am Strand.
Dann, im Herbst, konnte man bei Euch von Monat zu Monat ablesen, wie ihr größer werdet. Nicht nur an Größe habt ihr zugenommen, auch Eure Einstellungen sind gewachsen. Gewachsen ist auch Eure Wille, euer Drang nach noch mehr Freiheit. Kritischer seid ihr geworden.
Viele von Euch haben spürbar an Mut zugenommen, großes Kompliment.

Ich habe uns allen dieses Nest mitgebracht, weil es deutlich macht, worin das Besondere des heutiges Tages besteht.
Es ist ein leeres Nest. Eure Konfirmation macht deutlich: Ihr seid flügge geworden. Ihr wollt losfliegen. Wollt eigene Entscheidungen treffen. Wollt die Welt entdecken, eine ganz andere Welt, als Schule und Hausaufgaben, als Zimmer und Spülmaschine ausräumen.

Das Nest ist leer. Die ehemals Kleinen sind ausgeflogen. Aber dabei heißt ja Konfirmation: Festmachen. Heute geht es um das Festmachen. Wer sich an wem festhält? Jedenfalls nicht wir Erwachsene an euch:
Wir Mitarbeitende dieser Kirchengemeinde müssen das mit euren Eltern und Großeltern lernen. Euch loslassen. Wir Erwachsene müssen darin erwachsen werden: Im Nicht-Festmachen. Im Loslassen. Uns klar machen: Es gibt kein Festhalten. Müssen das Vertrauen noch weiter entwickeln, dass wir nicht ständig hinterher fliegen können. Müssen anerkennen dass wir mehr in den Hintergrund treten und unsere Begleitung unaufdringlicher, aber dennoch spürbar ist. Und müssen glauben, dass Menschen da sind, die euch Gutes wollen und dass auch noch Gott da ist, dessen großes Anliegen es ist, dass jede und jeder einzelne von euch niemals abstürzt.
Heute wird uns besonders bewusst, dass die Zeit im Nest dem Ende entgegen geht. Eure tolle Kleidung ist mehr ein Hinweis, dass ihr die Erwachsenen von morgen seid.

Wir wollen Euch nicht festhalten. Genug Konfirmandenstunden und Diskussionen um Gottesdienstbesuch und um Bauchfrei an der Konfirmation.
Im Gegenteil: Wir möchten, dass ihr - um mit dem Bild des Nestes zu sprechen - in diese Welt hinausfliegen könnt - dass ihr die Möglichkeiten entdecken könnt - dass ihr eure wunderbaren Gaben und Fähigkeiten weiter entwickeln könnt - dass ihr Menschen habt, die euch Rückendeckung geben, die euch auffangen.
Um in die Welt fliegen zu können braucht man nicht nur Menschen, die es gut und ehrlich und aufrichtig mit euch meinen.
Man braucht auch – nein, eigentlich muss es heißen: vor allem – man braucht vor allem Gott, um hinauszufliegen. Denn von Gott heißt es einmal im 5. Buch Mose (5.Mose 32,11 nach der Übersetzung „Hoffnung für alle“):
Gott geht mit uns um wie ein Adler, der seine Jungen fliegen lehrt:
Der wirft sie aus dem Nest, begleitet ihren Flug,
und wenn sie fallen, ist er da,
er breitet seine Schwingen unter ihnen aus und fängt sie auf

Ein schöne Bild, wenn man los fliegen will, wenn man in die große Welt hinaus möchte. Gott wie ein Adler, der seine Jungen das Fliegen lehrt. Wie ein Adler seine Jungen ausführt und dabei über ihnen schwebt, breitet Gott seine Flügel aus. Und wenn ein Junges zu fallen droht, dann kommt er und nimmt es und trägt es auf seinen Flügeln.

Erste Flugversuche habt ihr bereits hinter euch. Das Konfi-Camp. Die Schnupperlehre. Die Woche im Skilager. Manche von Euch verbringen die lange Osternacht hier im Gemeindehaus.
Manche haben aber auch ganz andere Flugversuche: Die Party bis ganz spät. Die neuen Freunde, die auf einmal vor der Tür standen, und die keiner kennt. Die heimliche Flasche Bier im Häuschen auf dem Spielplatz.
Wohin ihr aber auch fliegt, in welche Richtung ihr euch entfaltet - ihr müsst es wissen. Es ist euer Leben. Es ist ein Leben, in dem man auch schnell fallen kann.
Jede und jeder fällt im Leben. Die Älteren können einiges davon erzählen. Und manche von uns sind mehrmals heftig gestürzt. Keine und keiner konnte es vorhersehen. Und niemand hat es gewollt.

Und dann kommt es beim Fallen doch auf das eine an: Dass man weiß: Ich werde aufgefangen. Dass Gott seine Flügel ausbreitet. Dass sich der Fallschirm öffnet. Und ich wieder den Überblickgewinnen. Oder zur Besinnung komme. Dass mir deutlich wird, was ich für einen Unsinn getan oder gedacht habe. Dass mir die Augen geöffnet werden und merke: Die anderen haben mich ja nur ausgenutzt haben. Ich war einfach nur Mittel zum Zweck.
Oder Gott bewirkt es, dass mir neue Kräfte zuwachsen, dass ich doch noch durch eine schwere Zeit durchgekommen bin, eine Zeit, die niemand gewollt hat.

Wir haben in diesem Jahr unseres getan, damit ihr fliegen könnt – in euer Leben hinein, fliegen wie junge Adler, ohne fremd bestimmt zu werden. Fliegen mit dem Wissen, dass Gott da ist, das ganze Leben lang. Weil das ganze Leben ein ständiges Fliegen lernen ist, ein Erwachsenwerden ist, ein Suchen und Finden, ein Einräumen und Ausräumen.
Ich habe als Konfirmand gedacht, dass es mit dem Erwachsenwerden so ist, wie mit den Windpocken. Man hat zwei Wochen Ärger damit und dann ist die Sache gegessen. Ich habe mich schwer getäuscht.
Eben deshalb ist das Bild mit dem Adler eine schöne Übertragung, weil es uns gewiss macht: Wo du auch hinfliegst. Gott ist bei dir. Nicht nur solange du jung bist, sondern dein ganzes Leben
Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal ... . Ihr kennt diese Worte. Mögen sie Euch begleiten. Und möget Ihr diese Worte auch abrufen können.
Dazu werdet ihr in diesem Gottesdienst gesegnet, damit ihr zeitlebens gewiss seid: Gott ist bei mir. Mein Leben ist bei Gott geachtet. Gott liebt mich so, als sei ich sein einziges Junges.

Weil wir Euch alle als wunderbare junge Menschen kennen gelernt haben, möchten wir gerade das Eine: Dass Ihr fliegen lernt. Damit ihr immer weitere Kreise ziehen könnt.
Ob es auch - wie bei jungen Adlern - immer höher hinaus geht? Immer weiter nach oben. Der tolle Schulabschluss. Die Ausbildung, die Euch ganz neue Welten erschließt. Das erste Auto. Hochzeit. Karriere. Kinder. Wer weiß das schon?
Vielleicht ist das aber auch ein typischer Wunsch von einem Erwachsenen, der gerne ganz weit in die nach vorne schaut.
Vielleicht wünscht ihr aber für euch viel eher so ein leben wie das von Lisa. Lisa ist die Hauptdarstellerin in der neuen Serie „Verliebt in Berlin“. Lisa ist eine graue Maus die unterhofft in einer Modefirma einen Job bekommt, in der sie so gar nicht hinpasst. Denn dort sind alle chic gekleidet sind sehen total cool aus. Nur sie kommt sehr bieder daher. Aber sie geht ihren Weg und sie mausert sich von einem unscheinbaren Geschöpf in eine attraktive Person.
Aber noch vielmehr wünschen wir Euch, dass Ihr Euren ganz eigenen Weg gehen könnt, der in keiner Telenovela, keiner Herz-Schmerz-Vorabend-Serie mit Happyend, vorgezeichnet ist. Dass Ihr Euren Weg gehen könnt, von dem heute niemand weiß, wie er aussehen wird. Und von dem auch keiner sagen kann, ob alles so verlaufen wird, wie Ihr Euch das vorstellt.

„Was weißt denn du von Liebe, von Liebe weißt du nichts“ singt die Band „Fettes Brot“ in ihrem neuen Song von der Geschichte von Emanuela.
Was weiß man von der Liebe? Was weiß man von der Welt, und von der Zukunft? Nichts und gar nichts.
Ich weiß, dass es manchmal ganz anders kommen kann, dass man auf einmal gegen eine große Wand zusteuert oder in den Abgrund rast. Aber ich weiß auch, dass dann Gott da ist und auffängt. Das ist mit Segen gemeint. Dass man niemals zu tief fallen kann, ohne dass man mit seiner Hilfe nicht weiterfliegen könnte.
Wer das weiß und erfährt, dem können im Leben so manche Überraschungen und Wunder passieren - vielleicht noch mehr als bei Lisa in der Serie auf Sat 1.

Fliegen lernen. Das muss man sich aber auch trauen. Ich habe schon gesagt, dass ganz viele von euch sehr mutig geworden sind.
Und auch denen unter euch, die noch ein bisschen mehr Lebensmut gebrauchen könnten, die man manchmal ein wenig antippen muss, die man ganz behutsam, aber bestimmt, aus dem Nest stupsen muss, möchte ich sagen: Komm, versuche es noch mehr mit dem Fliegen. Es ist soviel Leben in dir. So viel, was Gott dir mitgegeben hat. Bei jeder und jedem ganz anders. Lass dich nicht einschüchtern von denen, die - augenscheinlich - immer vorne sind. Und lass dich auch nicht blenden von denen, die angeblich weiter und höher hinaus können.
Deine Zeit kommt. Aber dass Du kein Nesthocker bleibst, nur weil du dich lähmen lässt von angeblich schlechten Aussichten.

Konfirmation hat mit einem leeren Nest zu tun. Und mit flügge werden. Und mit Fliegen lernen. Und vor allem damit, dass Gott sich an uns festmachen will, damit wir niemals ganz unten aufprallen.
Und Konfirmation behandelt auch noch unser Festmachen an Gott.
Das werdet Ihr gleich nachher gefragt: Ob auch ihr euch auch Gott festmachen wollt.

Ich schaue noch mal auf das leere Nest und mir kommt der Gedanke, ob man nicht unsere Kirchengemeinde als ein Nest verstehen kann.
Ohne dass wir Euch festhalten wollen, aber Kirche als Ort, um sich immer wieder an Gott festzumachen - als Basislager für Entdeckungsreisen - als Ausgangspunkt für immer neue Flüge - Kirche als Ort zum Danken, dann und wann - als Zwischenstation für bisheriges bedenken und künftiges Planen - Kirche als Ort zum Kräftesammeln für neue Flüge.

Das Geschenk, das Ihr von uns für Eure Lebensreise bekommt, ist dieses Kreuz. Es steht für Jesus, den Christus. Es steht für den Gott, der uns ganz nahe gekommen ist. Es steht für den, der in den Augen vieler am Kreuz gescheitert ist. Es steht für den, dem Gott neue Lebensmöglichkeiten eröffnet hat, damals am Ostermorgen. Und dass es für auch immer wieder Ostern wird. Nicht nur in zwei Wochen, sondern auch immer wieder mitten im Leben. Damit wir neue Flugversuche wagen können. Das Kreuz steht für den Mut, mit Gottes Hilfe das Vertrauen in das Leben immer wieder neu zu wagen. Hebt es gut auf.

Und mit einem Kreuzeszeichen besiegeln wir gleich auch Gottes Segen für Euch.
Gottes Segen ist eine Kraft, die uns hilft, dass wir gut durch das Leben kommen. Und Segen macht gewiss, dass Gott auffängt, wenn man hinfällt, weil Gott mit uns umgeht wie ein Adler, der seine Jungen fliegen lehrt:
Der wirft sie aus dem Nest, begleitet ihren Flug,
und wenn sie fallen, ist er da,
er breitet seine Schwingen unter ihnen aus und fängt sie auf
Dann lernt mal schön weiter die Kunst des Fliegens.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Thomas Volk, Pfarrer
Hochfeldstraße 7
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