Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

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2. Sonntag im Advent, 4. Dezember 2005
Predigt über Matthäus 25, 1-13, verfasst von Niels Henrik Arendt (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Es war eine stille Nacht, jene Nacht, in der die zehn Brautjungfern darauf warteten, dass der Bräutigam vom Hause der Familie der Braut kommen und die Braut heimführen sollte. Die Nacht war so still, dass die Brautjungfern einschliefen. Wie kann man unsere unruhige, lärmende Zeit mit der ereignislosen Nacht vergleichen, in der so wenig geschah, dass die zehn Brautjungfern sich nicht wachhalten konnten? Selbstverständlich geschah da etwas, als der Bräutigam endlich auftauchte, aber bis dahin war die Nacht langweilig und still. Es hatte den Anschein, als würde überhaupt nichts passieren. Aber nun ist es gerade die Pointe des Gleichnisses, dass just in diesen eintönigen Stunden das Folgenschwere geschah. In diesen Stunden ging den fünf Brautjungfern das Öl aus. Das war zwar ganz und gar nicht dramatisch, ja, es war eigentlich gar nichts zu sehen: ihre Lampen leuchteten wie die der fünf anderen, es sah nicht so aus, als könnte jemand von ihnen etwas tun, und sie schliefen alle miteinander ein. Erst als der Brautzug, zeigte es sich aber, dass in diesen langweiligen, stillen Stunden etwas Entscheidendes geschehen war.

Stille Stunden – unsere Zeit ist nicht still oder ereignislos. Ganz im Gegenteil: sie ist laut, sie ist voller dramatischer, ja erschütternder Ereignisse, sie ist unruhig. Immer wieder geschieht etwas, was selbst die Weisesten nicht vorausgesehen haben. Die ganze Zeit sind neue drastische Dinge im Anmarsch. Es gibt kein Sommerloch mehr in den Redaktionen der Zeitungen, und wenn die Zeitung trotzdem so aussieht, hat das seine Erklärung darin, dass die Redaktion eingeschlafen ist, wie immer sie das auch angestellt hat, wenn doch ununterbrochen heiße Neuigkeiten auf Schreibern und Schirmen ins Haus ticken.

Aber weil so viel geschieht, braucht der Einzelne sein Leben nicht als bedeutungsvoll zu empfinden. Ich habe den Eindruck, dass es vielmehr fast in die entgegengerichtete Richtung gegangen ist: dass wir die Ereignisse der unruhigen Welt in wachsendem Maße aus einer Position in den Kulissen verfolgen. Sie mögen uns wohl angehen, aber was wir selbst tun und lassen, wirkt im Vergleich zu dem Weltdrama so merkwürdig bedeutungslos. Mein eigenes Leben muß doch mit Notwendigkeit ein bisschen blass, eintönig, um nicht zu sagen langweilig wirken, wenn ich es mit dem vergleiche, was andere Menschen durchmachen müssen. Die Geschichte hat sich für ihren Verlauf andere Schauplätze gewählt, und darüber sind wir vielleicht sogar auch ein wenig erleichtert. Wir haben keine Aufgabe, keine Rolle in dem großen Drama – in unserem Leben geschieht nur ausgesprochen wenig von dem Verhängnisvollen, das die Welt verändert. Ja, manchmal fliehen wir geradezu in die Bedeutungslosigkeit, machen wir uns selbst zu Zuschauern.

Da kommt das Evangelium und sagt uns, dass keine Minute ohne Bedeutung ist, und dass es deshalb niemals gleichgültig ist, was wir tun, auch nicht, wenn es so aussehen könnte, als wäre es einerlei. Wie die Stille und Eintönigkeit die fünf Jungfrauen die Bedeutung der Zeit, in der sie warteten, übersehen ließ, so kann das Getöse der Welt uns die Bedeutung des Lebens, das wir leben, der Dinge, die wir tun, vergessen lassen. Im Augenblick sieht es nicht gerade wichtig aus, ebenso wie die Wartezeit für die Jungfrauen nicht besonders wichtig aussah, trotzdem aber ist das, was geschieht, von entscheidender Bedeutung. Gott hat in dieser Zeit eine Aufgabe für uns, die wir nicht versäumen dürfen, und die niemand anders für uns erledigen kann. Und was ist das für eine Aufgabe? Ja, mit dem Bild des Gleichnisses gesprochen ist sie dies: auf ihn zu warten. Oder: in diesem Augenblick, in diesem Jetzt, auf sein Reich hin zu leben. Den Blick auf das Reich gerichtet zu haben, von dem Jesus erzählt hat, in dem die Liebe herrscht, und im Licht dieser Liebe zu leben. Aber nun könnte man fragen, ob man nicht gerade das Jetzt, diesen Augenblick versäumt, wenn man auf diese Weise den Blick auf etwas gerichtet hat, was nicht jetzt ist? Nein, so ist es nicht. Auf Gott zu warten bedeutet nicht, dass die Wartezeit leer und bedeutungslos würde. Es bedeutet vielmehr, dass die Zeit, das Leben, das ereignislos und unbedeutend aussehen kann, jetzt plötzlich eine entscheidende Bedeutung erhält. Dagegen könnte man auf der anderen Seite, wenn man den Blick nur auf sein eigenes kleines Leben im Gegensatz zu der dramatischen und lärmenden Welt darum herum richtet, von derselben Langeweile ergriffen werden, die die fünf törichten Jungfrauen befiel, die dachten: „hier passiert nichts!“ – und nicht beachteten, was faktisch geschah.

Unsere unruhige, dramatische Zeit ist merkwürdigerweise auch zu der Zeit geworden, in der sich der Mensch am allermeisten in seinem eigenen Dasein langweilt und deshalb immer mehr Unterhaltung verlangt, sich in immer aufregendere Erlebnisse stürzt, um in einzelnen Augenblicken behaupten zu können, dass jetzt auch in ihrem Leben etwas passiere. Was war der Unterschied zwischen den fünf klugen und den fünf törichten Jungfrauen? Ja, der Unterschied war wohl, dass die fünf von ihnen wussten, dass da etwas geschah auch in den Stunden, in denen nichts geschah, während die anderen fünf glaubten, die Zeit, in der sie warteten, sei ohne Bedeutung, denn da geschähe allzu wenig. Jesus stellt hier die Freude und die Langeweile gegen einander: die Freude hat den Blick auf das gerichtet, was kommen wird, und das gibt auch der gegenwärtigen Zeit Bedeutung, während die Langeweile den Blick nur auf die Gegenwart gerichtet hält und glaubt, da geschehe ja gar nichts, und überhaupt nicht zu sehen vermag, dass die Zukunft auch jetzt etwas von dir verlangt. Jesus sagt: auf Gott zu warten, auf sein Reich hin zu leben, das ist deine Aufgabe, und das heißt: das Leben zu lieben und zu wissen, dass es nie leer ist, auch dann nicht, wenn in ihm so wenig passiert. Das Leben zu lieben bedeutet nicht, dass du immer froh sein sollst, dass du nicht auch trauern oder wütend sein oder gar verzweifeln darfst. Sondern es bedeutet, dass du dich nicht langweilen darfst.

Auf Gott zu warten ist dasselbe wie nie der Meinung zu sein, dass das Leben unerträglich gleichgültig ist. Es bedeutet zu erwarten, dass man findet, ungeachtet, wie wenig es so aussieht, als wäre für einen ein Schatz in der Zukunft verborgen. Das ist deine Aufgabe – das ist deine Aufgabe.

Letztes Mal, als ich über diesen Text predigte, kam nach dem Gottesdienst eine Dame zu mir und sagte, sie fände, das sei die schlimmste Geschichte, die Jesus erzählt habe: wenn nämlich die fünf Jungfrauen mit dem Öl nicht willens seien, mit den fünfen ohne Öl zu teilen. Aber nun dreht sich die Geschichte ja nicht ums Teilen; zu diesem Thema hat Jesus andere Geschichten. Wenn die fünf Jungfrauen mit dem Öl nicht mit den fünfen ohne Öl teilen wollen, hat das seinen Grund darin, dass das, worum es hier geht, nicht etwas ist, was der eine für den anderen tun könnte: du bist es, der das Leben lieben soll, du bist es, der es im Licht des Reiches der Liebe leben soll, und es gibt niemanden, der das an deiner Stelle tun könnte.

Wie lebt man im Lichte des Reiches Gottes? Man tut es, indem man die Beunruhigung, die Gott ist, in sein Leben einschließt. Tut man das, dann ändert sich die Zukunft total, und dann ändert sich auch die Gegenwart.

Und es kann zunächst so scheinen, als wäre das töricht: zu glauben, dass es anderes gebe als dieses Jetzt, Gott zu folgen. Die fünf Jungfrauen, die mit ihren zusätzlichen Ölkannen angeschleppt kommen, sahen ja töricht aus. Wäre der Brautzug zu gewohnter Zeit gekommen, hätten sie ihre doppelte Last umsonst tragen müssen. Dass sie die Klugen waren, wurde erst offensichtlich, als der Brautzug kam. Diesen Anschein von Torheit muss man auf sich nehmen.

Zu glauben heißt auch: nicht davor zurückzuschrecken, den Anschein von Torheit zu tragen, der darin liegt, dass hier und jetzt nichts darauf hindeutet, dass du Recht hast. Warten zu können, ohne des Wartens überdrüssig zu werden. Auch das ereignislose Leben und die Menschen lieben zu können, die Gott dir begegnen lässt. Sich freuen zu können, auch wenn im Augenblick vielleicht gar kein Grund zur Freude vorhanden zu sein scheint. Das ist deine Aufgabe hier und jetzt. Und späterhin, verheißt Jesus, späterhin wirst du das finden, wass die Freude unaufhörlich macht. Amen.

Bischof Niels Henrik Arendt
Ribe Landevej 37
DK-6100 Haderslev
Tel.: +45 74 52 20 25
E-mail: nha@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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