Göttinger Predigten im Internet
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3. Sonntag im Advent, 11. Dezember 2005
Predigt über Römer 15, 5-13, verfasst von Andrea Palm
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Als Predigttext hören wir heute einen Abschnitt aus dem Römerbrief. Paulus schreibt an die Christen in Rom, von denen die meisten Heidenchristen, also nicht jüdischer, sondern z.B. römischer oder griechischer Herkunft sind, die folgenden Zeilen.
Ich lese Röm. 15,5-13.

Liebe Gemeinde!

Die Christen der ersten Generation haben kein Kirchenjahr gefeiert, so wie wir. Unseren Advent kannten sie nicht, auch nicht unser Weihnachtsfest. Darum haben wir gerade zwar schöne Sätze gehört, aber wir fragen uns, was diese Worte mit Advent zu tun haben. Ob wir mit Paulus ins Gespräch kommen können?

Advent, wird er fragen, was ist das überhaupt?

Stress, sagen die einen. Jahresabschlussfeiern, grelle Dekorationen in den Geschäften, Weihnachtslieder im Parkhaus und neben dem wie immer gut durchorganisierten Alltag jetzt noch eine Menge zusätzlicher Aufgaben: Geschenke kaufen, die Wohnung dekorieren, zum Flötenvorspiel gehen, auf dem Weihnachtsmarkt stehen, noch weniger Zeit haben als sonst!

Das ist ja nicht Advent, sagen die anderen. Advent, das ist ein lustiger Backnachmittag mit den Kindern. Das sind die Weihnachtslieder, die man selber singt oder spielt. Das ist, dass man netter ist zueinander als sonst. Das ist der Duft von Glühwein und Kerzen und nach einem kalten Spaziergang ein warmes Heim. Das ist die Dankbarkeit für die Menschen, die wir lieben und die Trauer um all das, was in unserem Leben und in dieser verworrenen Welt im Argen liegt. Das ist das Wissen darum, dass unsere Seele auch Nahrung braucht: Stille, Lieder, gute Gedanken, Schönheit, Zeit und viel Liebe.

Als mir letztes Jahr alle möglichen Leute so eben mal im Vorbeirennen eine besinnliche Zeit gewünscht haben, habe ich mich aufgeregt. Und dann überlegt, was eigentlich gemeint ist. Was bedeutet besinnlich? Das Wörterbuch in meinem Computer bietet ganz wunderbare Wörter dafür an: Beschaulich, ruhig, gedankenvoll, seelenvoll, kontemplativ und viele mehr. Also: Ruhe haben mir diese Menschen gewünscht, Zeit für meine inneren Quellen, Zeit zum Nachdenken. Zeit auch für Gott, die Ruhe, zu ihm zu finden, seine Nähe zu spüren.

Schade, dachte ich dann, dass man mir nur im Advent eine besinnliche Zeit wünscht. Oder gar nur an Weihnachten. Es wird doch nicht so sein, dass unser Land vier Wochen im Jahr oder streng genommen drei Tage lang ruhig, seelenvoll, kontemplativ, nachdenklich ist? Dann ist mir noch ein Gedanke gekommen und ich habe mich nicht mehr aufgeregt über die vielen besinnlichen Wünsche: Geben wir vielleicht bloß im Advent zu, dass wir Besinnlichkeit brauchen? Sind unsere vielen Adventsaktionen vielleicht ein Zeichen für Dinge, die wir das ganze Jahr über vermissen?

Lieber Paulus, ich glaube, der Advent ist bei uns eine Zeit der Sehnsucht. Ich glaube, bei aller Geschäftigkeit erlauben wir uns in diesem Monat vor Weihnachten mehr Sehnsucht als sonst.

Ja, Sehnsucht, nach was, fragt Paulus skeptisch. Seine Welt ist so weit weg von der unseren und das macht die Verständigung schwer.

Zum Beispiel nach Ruhe und Zeit zum Nachdenken. Zeit für die inneren Quellen und damit auch Zeit für Gott – das brauchen wir doch immer, jeder von uns, das ganze Jahr über. Aber nur im Advent reden wir darüber.
Liebe brauchen wir - so nötig wie die Luft zum Atmen. Seltsam, dass wir Weihnachten das Fest der Liebe nennen – wo wir doch jeden Tag Liebe nötig haben.
Oder Geborgenheit. Wie lieb sind uns die Erinnerungen an die Adventszeit, wenn sie einhergehen mit dem Gefühl von Geborgenheit und Wärme. Wie wichtig ist es uns, in diesen Wochen Geborgenheit zu spüren und zu schenken – und wenn die Zeit dazu knapp ist, haben wir mehr als sonst das Gefühl, dass etwas Wichtiges fehlt.
Im Advent spendet man auch eher Geld – dabei wissen wir jeden Tag im Jahr, dass es Menschen gibt, denen es am Nötigsten fehlt. Aber jetzt geben wir uns eher einen Ruck, etwas, das in unserer Macht steht, dagegen zu tun. Mehr als sonst erlauben wir uns im Advent die Sehnsucht nach einer heilen Welt.

Warum sagst du Sehnsucht? fragt Paulus.
Ich, sagt er, rede von Hoffnung.

Und dann fragt er nochmals nach:
Verstehe ich dich richtig: die Sehnsucht, die ihr das ganz Jahr über kennt, diese Sehnsucht lasst ihr im Advent mehr zu als sonst? Sehnsucht nach Liebe, nach Geborgenheit, nach Stille, nach einer heilen Welt.
Ja, so habe ich das gemeint, Paulus.

Verstehe ich dich richtig, fragt er weiter, dass ihr in diesen Wochen allerlei Umtrieb habt, um dieser Sehnsucht nachzugeben?

Ja, gebe ich zu, und dieser Umtrieb macht die Sehnsucht oft noch schlimmer.
Und jetzt will ich wirklich wissen, was Paulus dazu zu sagen hat. Denn ich glaube, bei ihm kann ich etwas von der Kraft und der Schönheit des Advent wieder finden.

Du hast vorher einen Abschnitt aus meinem Römerbrief vorgelesen, sagt Paulus. Die Christen dort hatten ein Problem in ihrer Gemeinde und waren darüber ziemlich uneins. Über ihrem Problem verloren sie die Mitte aus den Augen. Sie stritten sich über Glaubensdinge und vergaßen ganz, was das Wichtigste ist: Gott, so wie wir ihn durch Jesus Christus kennen gelernt haben.

Zuerst wollte ich sie deshalb zurechtweisen. Aber dann habe ich mir gedacht, das ändert ja nichts. Dann schimpft eben noch einer mit. Warum streiten sie denn über Glaubensfragen? Sie wollen es recht machen! Sie wollen, dass Gott sie liebt. Sie wollen, dass in ihrer Gemeinde alles im Lot ist. Wenn du so willst: Sie sehnen sich nach Liebe und nach Geborgenheit und nach einem kleinen Stück heiler Welt. Aber das alles können sie nicht selbst machen.
Deshalb, sage ich, hast du sie an Gott erinnert.

Deshalb habe ich sie am Gott erinnert. Wir wissen ja nicht viel von Gott. Wir können ihn nicht fassen und nicht verstehen. Aber das, was uns Jesus über Gott gezeigt und erklärt und vorgelebt hat, das können wir gut verstehen. Und daran habe ich sie erinnert.
Gott ist für uns da. Er kennt unsere Schwächen und unsere Verletzlichkeit und unsere Konflikte und unsere Sehnsucht.

Als Gott der Geduld, des Trostes, der Wahrhaftigkeit ist er für die da, die mit sich selbst oder mit anderen Menschen wenig Geduld haben. Für die, die einen großen Kummer mit sich herumschleppen. Für die, die schon zu oft getäuscht worden sind und die nur jemandem trauen können, der ihnen wirklich aufrichtig und wahrhaftig erscheint.

Gott hat Geduld mit uns und ich habe die Hoffnung, dass er uns helfen kann, mit uns selbst und anderen gnädiger umzugehen. Ich glaube, dass er den Traurigen und denen, die Sorgen haben, gute tröstliche Gedanken geben kann, oder ihnen Menschen schickt, bei denen sie sich wohl fühlen und bei denen sie auch über ihren Schmerz reden dürfen und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass er manches Unglück zum Guten wenden wird.

Und Barmherzigkeit, sagt Paulus, und sieht mich an, brauchen wir das nicht alle jeden Tag? Sind wir nicht alle angewiesen auf Hilfe und Vergeben, auf starke Arme und liebe Worte, auf Großmut und Freundlichkeit? Ich lebe davon, dass Gott der Gott der Barmherzigkeit ist und Ja zu mir sagt, trotz meiner Fehler, meiner Charakterschwächen, meiner Gebrechen, trotz dem, was ich in meinem Leben anderen angetan habe.

Paulus schweigt eine Weile und dann sagt er: Ich wollte die Christen in Rom daran erinnern, dass ihr Leben auf Gott gebaut ist und dass er ihnen unendlich zugewandt ist. Wer das für sich annehmen kann, der kann auch einen Streit beenden. Der kann auch um Verzeihung bitten und selber verzeihen und vergessen.

Darum, erinnere ich mich, hast du die Christen in Rom zu Einmütigkeit aufgerufen. Dazu, einander anzunehmen. Und dazu, Gott zu loben.

O ja, sagt Paulus, was freut Gott mehr: wenn sie ihn miteinander loben oder wenn sie gegeneinander um die rechten Glaubenspraxis streiten?
Wer sich an Gott hält und sich über ihn freut, der wird das hoffentlich auch zeigen. Dafür sind wir doch auf der Welt, dass wir Gott loben. Mit Singen und Beten und Musizieren. Aber auch damit, dass wir uns freuen über das, was uns gegeben ist. Damit, dass wir einander Gutes tun, etwas aus unserem Begabungen machen, uns einsetzen für Verbesserungen in unserer Gesellschaft, einander Mut machen, uns aneinander freuen. Auch damit, dass wir bei Konflikten und Unterschieden einander respektieren und trotz Meinungsverschiedenheiten gut miteinander umgehen, so wie ich es den Leuten in Rom ans Herz gelegt habe.

So, wie wir es im Advent erträumen, ergänze ich. Und frage ihn:
Paulus, du hast vorher gesagt, du redest lieber von Hoffnung statt von Sehnsucht. Was meinst du damit?

Wir wollen dasselbe: Trost und Hilfe und Kraft, eine gute und gerechte Welt, Liebe und Geborgenheit und die Nähe zu Gott, erklärt er mir. Da sind sich die Menschen gleich geblieben, all die Jahrhunderte hindurch. Wenn du aber Sehnsucht sagst, dann suchst du noch. Woran machst du deine Sehnsucht fest? Wohin zielt sie? Ist eure Betriebsamkeit im Advent vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass ihr nicht recht wisst, wohin mit eurer Sehnsucht?

Ich mache meine Sehnsucht an Gott fest. Ich hoffe darauf, dass er uns nahe ist, uns kennt und hört und vor allem: liebt. So gibt er uns die Kraft, selber Gutes zu bewirken, schon einmal anzufangen mit dem, was wir uns erhoffen.
Wir suchen dasselbe. Ich erwarte es von Gott – nicht bloß in eurem Advent.

Danke, Paulus. Unsere schönen Lieder und Bräuche im Dezember kennst du nicht. Aber du hast uns daran erinnert, worum es geht im Advent.
Wir dürfen etwas erwarten von Gott, dem Gott, der uns sehr nahe ist.
Wir geben die Hoffnung auf Heil und Frieden und Freude nicht auf.
Und wir loben Gott, miteinander, einmütig bei allen Unterschieden, in Wort und Tat.

Das ist Advent – jeden Tag im Jahr. Amen.

Andrea Palm, Gemeindepfarrerin in Täferrot (Württemberg)
e-mail: aup.palm@t-online.de


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