Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

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3. Sonntag im Advent, 11. Dezember 2005
Predigt über Römer 15, 5-7, verfasst von Christine Hubka
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Vorbemerkung:
In diesem Gottesdienst werden zwischen 20 und 30 Jugendliche anwesend sein.
Die Predigt ist stark auf sie ausgerichtet.


Ritter Ivor trägt eine gepflegte Rüstung.
Die beweglichen Teile sind geölt.
Die ledernen Teile sind gut gefettet.
Der Helm glänzt.
Das Schwert ist scharf geschliffen,
ohne Scharten und Ecken.

Es ist Sonntag.
Ritter Ivor betritt die Kirche.
Das Schwert steckt in der Scheide.
Beim Eintreten nimmt er den Helm vom Kopf
und klemmt ihn sich unter den Arm.

Kurz nach ihm
galoppiert Ritter Arthur vor die Kirche.
Er bindet sein Pferd an einen Baum.
Auch er nimmt den Helm vom Kopf
und betritt schnellen Schrittes den Vorraum der Kirche.

Dort trifft er auf Ritter Ivor,
der ihm vor Jahren das schöne Burgfräulein Isolde weggeschnappt hat.
Seit damals sind die beiden erbitterte Feinde,
auch wenn Isolde inzwischen längst mit einem anderen verheiratet ist.
Nun stehen sie einander gegenüber.
Den Helm unter dem Arm.
Ungeschützt.

Ritter Ivor neigt das Haupt kaum merklich zum Gruß,
als er den Feind erblickt.
Ritter Arthur erwidert mit ebenso kaum merklichem Nicken.
Dann treten die beiden nebeneinander durch die breite Türe in den Gottesdienstraum.
Sie streben auseinander
Ivor sucht sich einen Platz links vorne.
Arthur nimmt rechts hinten Platz.

Der Gottesdienst beginnt.
Nachdem sie den Schreck
ihres unerwünschten
Zusammentreffens überwunden haben,
entspannen sich die beiden.
Arthur verbietet sich alle Phantasien,
wie es wäre,
wenn er mit einem Schlag des Schwertes den ungeschützten Gegner …

Ivor erlaubt sich nicht, nach hinten zu spüren,
in die Richtung, wo Arthur sitzt.
Er konzentriert sich auf den Verlauf des Gottesdienstes vorne am Altar.
Er weiß, dass ihm hier in diesem Raum,
nichts passieren wird.
Beide erheben sich,
als aus der Heiligen Schrift gelesen wird:

Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß,
damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.
Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.
(Rö 15, 5 – 7)

Beide singen mit der Gemeinde stehend das Halleluja nach der Schriftlesung.
Dann nehmen alle wieder Platz.

Und ich frage euch:
Wenn ihr Ivor und Arthur anseht,
Meint ihr: erfüllen sie das,
was Paulus hier der Gemeinde ans Herz legt:
dass ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt,
den Vater unseres Herrn Jesus Christus.
Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.

Ich meine: ja.
Und das mag euch befremden,
denn wir wissen,
dass die beiden nach dem Gottesdienst hinausgehen,
ihre Helme aufsetzen und in verschiedene Richtungen davon reiten werden.
Und wir wissen auch,
dass die beiden am nächsten oder übernächsten Tag
wenn sie aufeinander treffen,
nicht mit einem Nicken des Kopfes
aneinander vorbei gehen werden.
Sondern es wird vielleicht zum Kampf kommen.
Zum Zweikampf.
Vielleicht aber
haben sie auch gerade ihre Mannschaft dabei.
Dann wird die Sache größer.
Vielleicht.

Und dennoch meine ich:
Ja,
sie haben im Gottesdienst einmütig,
mit einem Mund Gott gelobt,
als sie das Halleluja gesungen haben nach der Lesung.
Als sie nach der Predigt das Glaubensbekenntnis
mitgesprochen haben.

Aber ich habe auch die Bemerkungen im Ohr,
von denen, die kritisch auf uns,
auf die Menschen schauen,
die in die Kirche gehen
und Gottesdienst feiern:

„Am Sonntag, da tun sie so heilig und friedlich.
Und unter der Woche haun sie sich die Schädel ein.“
Und das Wort Heuchelei schwingt mit
bei dieser Kritik,
wenn es nicht sogar ganz direkt ausgesprochen wird.

Ich verstehe diese Kritik.
Ich höre die Anfrage dahinter:
Was bringt es, eine Stunde in der Woche den Kampf und die Auseinandersetzung einzustellen.
Wenn die übrige Zeit es doch weiter geht.
Aber das ist es,
was auch jedes Jahr zu Weihnachten passiert
und in vielen Kriegen passiert ist:
Zu Weihnachten haben die kämpfenden Truppen
für eine Zeit den Kampf eingestellt.
Eine Kampfpause war es nur.
Kein endgültiges Ende des Krieges.
Aber in dieser Pause haben alle aufgeatmet,
und auf dieser und auf jener Seite Gottesdienst gefeiert
und das als Wohltat empfunden.

War das Heuchelei?
Ich meine: das war so wenig geheuchelt,
wie Ivor und Arthur heucheln,
wenn sie gemeinsam das Halleluja singen
und das Vaterunser beten.
Der eine links vorne.
Der andere rechts hinten.

Freilich bei den beiden kommt für mich noch eine Bedingung dazu:

Keiner von beiden
Kann nach dem Gottesdienst
mit dem Finger auf den anderen zeigen
und zu den Vorstehern der Gemeinde sagen:
„Der nicht – der darf nicht hier herein.“
Oder:
„Wenn ihr dem erlaubt, da zu sein, dann geh ich
und komme nicht mehr her.“
Exkommunizieren
nennt man das auf Kirchen – Chinesisch.

Die Frage ist natürlich auch:
Werden Ivor und Arthur an einem der nächsten Sonntage zum Abendmahl gehen?
Und ist es in Ordnung, wenn sie es tun?

Da gibt es verschiedene Ansätze:
Ihr habt so wie ich wohl die Weisung von Jesus aus dem Matthäusevangelium im Ohr:
Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe. (Mt 5,23)

Das ist der Grund, warum in manchen Gemeinden –
vor allem aber in der r.k. Kirche vor dem Abendmahl die Gemeinde aufgefordert wird:
„Gebt einander ein Zeichen des Friedens.“
Wie wäre es, wenn in Ivors und Arthurs Gemeinde,
so eine Aufforderung käme.
Und wenn alle darauf warten würden,
ob sie nun aufeinander zugehen
und einander die Hand reichen.

Ich meine – die Situation wäre schwierig.
Und ich fürchte auch,
dass sie nur wenig zum Frieden zwischen
Ivor und Arthur beitragen würde.

Ich möchte ihnen aber auch nicht sagen:
Ihr seid vom Abendmahl ausgeschlossen,
bis ihr ein Herz und eine Seele seid.

Denn ich habe heute – so wie ihr –
ein anderes Wort von Jesus gehört:

Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; (Mt 11, 5).
Die Armen –
das sind die Bettler, wenn man es wörtlich nimmt.
Die Bettler -
So wie Martin Luther in der Stunde seines Todes gesagt hat: „Wir sind Bettler, das ist wahr.“
Dann wäre das Abendmahl das Bettlerbrot,
das die bekommen, die nichts in der Hand haben,
um selber Frieden zu machen.

Wenn Ivor oder Arthur zum Abendmahl geht,
drückt er für mich damit aus:
Ich brauche Hilfe von außen:
Von Gott aber auch von Menschen,
die außenstehend sind
und nicht verwickelt in diese Geschichte zwischen uns.

Der Gottesdienst geht dem Ende zu.
Ivor und Arthur erheben sich
zusammen mit der Gemeinde.
Gemeinsam empfangen sie den Segen.
Gemeinsam singen sie das Schlusslied.
Vor der Kirchentür setzt jeder seinen Helm auf,
steigt auf sein Pferd und reitet davon.
Ivor nach Westen.
Arthur nach Osten.

Aber den ganzen Sonntag hindurch
leben sie von dem Geschehen dieser einen Stunde.
Wo sie in einer Oase des Friedens sein konnten.

Dass jeder Gottesdienst so eine Oase ist,
und die Sehnsucht nach Frieden nährt und wach hält
dafür sei Gott Lob und Preis in Ewigkeit.


Christine Hubka
christine.hubka@gmx.at


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