Göttinger Predigten im Internet
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4. Sonntag im Advent, 18. Dezember 2005
Predigt über 2. Korinther 1, 18-22, verfasst von Peter Maser
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


( Universitätskirche Münster)

Liebe Gemeinde,
liebe Schwestern und Brüder!

Der uns für den heutigen Sonntag gegebene Predigttext sprüht nicht gerade vor adventlicher Freude. Wahrscheinlich wissen die praktischen Theologen zu sagen, auf welchem Weg und mit welcher Begründung dieser doch recht ungefüge Text in der Perikopenreihe IV dem 4. Advent zugewiesen wurde. Der Wochenspruch aus Phil. 4,4.5b „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! […] Der Herr ist nahe!“ wäre da doch ein ganz anderes Kaliber für eine Adventspredigt. Aber nun sind wir es mit diesem Ausschnitt aus den Briefen des Apostels Paulus nach Korinth konfrontiert und tun uns einigermaßen schwer damit.

Es geht zunächst einmal um eine ganz alltägliche Situation: Paulus hatte seinen Besuch in Korinth angekündigt, aber dann ist da manches dazwischen gekommen, und er hat diesen Plan nicht ausführen können. Die Neutestamentler haben ganze Dissertationen mit dem Versuch bestritten, biographisch abzuklären, was da die Pläne des Apostels durchkreuzte und wie sich das auf die Situation in Korinth und das Verhältnis des Paulus zu dieser Gemeinde ausgewirkt hat. Ich brauche die mehr oder weniger gesicherten Ergebnisse solcher Bemühungen hier nicht zu referieren, denn das würde uns heute und hier, in einem Gottesdienst zum 4. Advent ja auch nur wenig helfen. Wir haben uns ja ganz unmittelbar der Frage zu stellen: Was kann uns dieser Text als Grundlage für eine Predigt im Advent sagen?

Paulus befindet sich der Gemeinde in Korinth gegenüber in einer peinlichen Situation. Wir würden heute wohl sagen, der Apostel ist mit seinen gescheiterten Reiseplänen in eine Glaubwürdigkeitskrise hineingeschlittert. Offensichtlich gab es genug Christenmenschen in Korinth, die argwöhnten, Paulus habe hier zumindest ein leichtfertiges Versprechen abgegeben. Oder noch schlimmer: Seine Zusage sei mit einem inneren Vorbehalt abgegeben worden. Wir kennen solche Situationen: Da sagt man etwas zu, da sagt man Ja und denkt für sich: Schauen wir mal, ob das dann, wenn es wirklich ernst wird, wirklich klappt. Manche werden vielleicht auch gesagt haben: Nun ja, Paulus wußte, wie schwierig unsere Situation in Korinth ist. Offensichtlich gab es da ja, davon ist im 2. Kapitel dieses Briefes die Rede, manche Personalprobleme in der Gemeinde. Vor allem war da ein schwieriger Fall von Kirchenzucht zu regulieren. Da lag der Verdacht nahe, der Apostel könne in dieser Situation durch einfaches Nichterscheinen sich den akuten Problemen entziehen wollen.

Paulus nimmt diese Probleme einer gestörten Kommunikation sehr ernst. Er nimmt sie so ernst, daß er sich einerseits in recht gewundener Weise zu der entstandenen Lage äußert. Ich kann mir vorstellen, daß die Gemeinde in Korinth diesen Brieftext genau so wie ich mehrfach studieren mußte, bevor sie überhaupt begriff, was der Apostel eigentlich sagen wollte. Andererseits greift Paulus nun aber auch theologisch sehr hoch, um sein gestörtes Verhältnis zu dieser für ihn so wichtigen Gemeinde wieder auf eine völlig sichere Grundlage zu stellen. Um das zu erreichen, bringt der Apostel sein Wirken ganz direkt in eine Verbindung mit Gott und mit Christus. Das mag uns bedenklich erscheinen, ist aber der Glaubenspersönlichkeit des Paulus ganz entsprechend, der sich ja immer wieder durch eine sehr direkt verstandene imitatio Christi getragen und gefordert wußte.

Gott wird zum Zeugen dafür angerufen, daß das Wort des Apostels ohne Vorbehalte gilt. Sein Ja ist ein uneingeschränktes Ja und nicht zugleich auch ein – vielleicht fahrlässig oder sogar listig verborgenes - Nein. Wenn Paulus dafür das Wort und das Wirken Christi als Vergleich heranzuziehen wagt, dann kann das nur ein Mensch tun, der in allem Vollbringen und auch in allem Versagen ganz auf seinen Herrn hin lebt. So kann nur ein Mensch sprechen, der sich selber als ein „Apostel Jesu Christi durch den Willen Gottes“ (2. Kor. 1.1) in den Dienst gerufen weiß. Nur aus solcher Nähe heraus läßt sich so sprechen, wie Paulus es hier wagt.

Der Punkt, an dem unser Text dann doch zu einem Predigttext im Advent geraten kann, ist der des Kommens. Paulus ist nicht nach Korinth gekommen und er kann dafür mancherlei Gründe anführen. Aber das hat tiefe Enttäuschung und manche Zweifel in der Gemeinde ausgelöst; Zweifel offensichtlich, die weit über den aktuellen Anlaß hinausgehen. Und deshalb wird der Apostel nun ganz grundsätzlich, wenn er erklärt: Der Jesus Christus, den ich euch gepredigt habe, bei dem war kein Nein oder ein Ja und ein Nein zugleich. Dieser Christus war das JA schlechthin!

Das Volk Israel hatte sich in seinem Weg durch eine schwierige Geschichte immer wieder an die Heilszusagen seines Gottes geklammert. Ja, diese Geschichte war überhaupt nur deshalb wichtig, weil in ihr immer wieder der Zusammenhang von Verheißung und Erfüllung sichtbar geworden war. Israel erzählt seine Geschichte über die Jahrtausende hinweg als Heilsgeschichte, als die Geschichte mit einem Gott, der Ja zu seinen Bundesschlüssen und Verheißungen sagt. Auch noch in den dunkelsten Stunden klammerte sich Israel an dieses Wissen: Gott ist getreu! Sein Ja bleibt ein Ja, auch gegen allen Augeschein. Paulus hat dieses sichere Wissen der Gemeinde in Rom gegenüber seinerzeit einmal auf eine geradezu klassische Formel gebracht: „Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen!“ (Röm. 11,29). Seit jener schrecklichen Flutkatastrophe, in der nur Noah mit den Seinen als ein geringer Rest übrig blieben, gilt die göttliche Selbstverpflichtung „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen“ (Gen. 8,21) ganz und gar unverbrüchlich. Immer wieder hat Gott dieses große Ja zu seinem Volk bekräftigt. Die Stammväter Israels haben diese Botschaft empfangen, und die großen Propheten haben in ganz wechselnde Situationen hinein immer wieder bezeugt: Gottes Ja gilt weiter – trotz allem Kriegsgeschrei, trotz aller Deportation, ja trotz der Zerstörung des Tempels zu Jerusalem. Gottes Ja gilt in der weltweiten Diaspora des jüdischen Volkes. Es galt während der Judenverfolgungen der Kreuzzugszeit, in den mittelalterlichen Ghettos und auch während der russischen Pogrome. Immer wieder haben Juden ihre Leiden und ihren gewaltsamen Tod auf sich genommen zur Heiligung des göttlichen Namens. Sie haben sich daran festgeklammert, daß auch dann noch, wenn das Dunkel schier übermächtig wurde, Gottes Ja weiterhin gilt. Sie waren sich sicher, daß die Hölle erst dann gesiegt haben würde, wenn der Letzte der Gerechten diese Gewißheit aufgegeben haben würde. Gottes Ja kann nicht zu einem Nein werden, auch wenn die Mächte der Hölle überall die Übermacht zu gewinnen scheinen. Selbst in der tiefsten Verlassenheit jener Orte, die im jüdischen Märtyrergebet des El mole rachamim feierlich kommemoriert werden – Auschwitz, Maidanek, Sobibor, Babi Jar, Treblinka – in die Gottes erwähltes Volk gestoßen wurde, haben diejenigen, denen da nur noch ein Grab in den Lüften bereitet zu sein schien, daran festgehalten, daß sie auch dann noch nicht aus der Hand Gottes fallen können. Und manche haben die Entstehung des Staates Israel nach all dem Elend und millionenfachen Tod in den Schlachthäusern Europas als Bestätigung dafür genommen, daß Gott an seinem Ja festhält.

Paulus war immer ein frommer Mann gewesen. Voller Glaubenseifer stellte er all denen nach, die seiner Meinung nach seinem Gott in die Quere kamen. Die junge Christengemeinde kannte und fürchtete diesen Eiferer, der die Botschaft von Jesus, dem Sohn Gottes, als Lästerung verfolgte, wo immer er konnte. Das ging so fort bis zu jenem Tag, als Christus dem Saulus vor Damaskus begegnete. Es ist wohl müßig herausbekommen zu wollen, was damals wirklich geschah. Wenn Gott einem Menschen begegnet, läßt sich davon immer nur in Bildern sprechen. Und die Außenstehenden können allenfalls konstatieren: Da ist ein neuer Mensch geworden! Wir erinnern uns noch an den alten Menschen. Aber der Mensch, mit dem wir es jetzt zu tun haben, der hat damit nur noch das äußere Erscheinungsbild gemeinsam. Paulus begegnet Christus und er begreift wirklich schlagartig: Dieser Christus ist die Verkörperung des göttlichen Ja schlechthin. Dieser Christus ist mehr als alle Propheten. Die Propheten konnten von der ewigen Gültigkeit des göttlichen Ja sprechen. Sie konnten ihre Botschaft warnend oder auch tröstend ausrichten: Gott hält sein Wort. Seine Verheißungen gelten unumstößlich. Sein Ja gilt in alle Ewigkeit und ohne jeden Abstrich. Aber auch die größten Propheten in Israel konnten von diesem göttlichen Ja oder über dieses göttliche Ja eben nur reden. Vor Damaskus mußte der Saulus, aus dem ein Paulus werden sollte, erkennen: Jetzt ist eine ganz neue Epoche in der Geschichte Gottes mit den Menschen begonnen worden. Jetzt geht es nicht mehr nur um die Erinnerung an alle die göttlichen Verheißungen und Heilszusagen, die Israel in seiner Geschichte begleiteten. Jetzt geht es auch nicht mehr um die große und sichere Hoffnung, daß Gott sein großes Ja in Herrlichkeit realisieren wird, wenn er die Herrschaft in aller Welt antritt, so daß es alle Völker sehen und zum Zionsberg herbeigeströmt kommen. Vor Damaskus hat es Paulus begriffen: Mit diesem Christus, dessen Anhänger er verfolgt, ist das Ja Gottes selber in die Welt gekommen. In Jesus aus Nazareth hat Gott die unendliche Distanz zwischen sich und dem Menschen überbrückt. Gott selber ist Mensch geworden, und das Kreuz von Golgatha steht nun als Gottes großes Ja in dieser Welt und für diese Welt.

Paulus hat vor Damaskus den Advent, die Ankunft, seines Herrn und Erlösers auf überwältigende Weise erlebt. Sein ganzes weiteres Leben war davon erfüllt, diese Adventserfahrung weiterzugeben. Mit seiner ganzen Persönlichkeit und auf jede Weise zeugt der Apostel seit dem Tag von Damaskus davon, daß Gottes Ja nun eine letzte nicht mehr überbietende Vergewisserung erfahren hat. Gottes Sohn wurde als ein Kind in diese Welt hineingeboren, lebte in dieser Welt mit den Menschen, die von seiner Botschaft getroffen wurden, und denen, die ihn als großen Wundertäter priesen, aber auch jenen, die ihm höhnisch hinterher riefen: Bist du der König der Juden? Als Jesus am Kreuz den Tod auf sich nahm und damit das große göttliche Erlösungswerk vollendete, da war es ein Fremder, der voller Ehrfurcht bekannte: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen! Der Hauptmann unter dem Kreuz hatte es begriffen: Gottes Ja leuchtete in der dunklen Todesstunde auf Golgatha über die ganze Welt hin. Seit dem erfahren es Menschen immer wieder neu, so wie es Paulus vor Damaskus erfuhr: Gottes Ja gilt. Das alleine zählt in Zeit und Ewigkeit! Und deshalb war es Paulus so wichtig, daß er als Zeuge dieser großen Botschaft in seiner Integrität nicht beschädigt wurde. Es ging wahrlich nicht um das Kommen oder Nichtkommen des Paulus. Es ging darum, daß die Botschaft von Gottes endgültigem und unwiderruflichem Ja uneingeschränkt, unverfälscht und in der Macht des Geistes, der uns dieses göttlichen Ja gewiß macht, ganz ungemindert bleibt.

Ein Apostel kann mit seinen Reiseplänen in Schwierigkeiten kommen, aber Gottes Heilsplan wird dadurch nicht tangiert. Das ist die Botschaft des Paulus in Korinth. Das ist die Botschaft auch für uns in diesem Advent – trotz allem, was uns immer wieder an dem Ja Gottes zweifeln läßt. Unsere Bibel schließt nach den Welt und Himmel, Zeit und Ewigkeit umfassenden Visionen der Offenbarung des Johannes mit einer mich immer wieder zutiefst berührenden, weil ganz schlichten Bitte: Amen, ja komm Herr Jesu! Darum geht es im Advent. Darum ging es Paulus, darum geht es heute und darum wird es bis zum Ende aller Zeit gehen. Christenmenschen dürfen dieses Kommens sicher sein, denn „alle Gottesverheißungen sind Ja in ihm, Christus, und sind Amen in ihm, Gott zu Lobe durch uns.“ (2. Kor. 1,20)

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne im festen Vertrauen auf das Große Ja unseres Gottes, bis er in Herrlichkeit erscheinen wird vor aller Welt. Ja, komm Herr Jesu! Amen.

Prof. Dr. Peter Maser
Direktor des Ostkirchen-Instituts Münster
Berbigstraße 7
06628 Bad Kösen
Peter.Maser@t-online.de

 

 


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