Göttinger Predigten im Internet
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Heiliges Christfest II, 26. Dezember 2005
Predigt über Offenbarung des Johannes 7, 9-17, verfasst von Elisabeth Tobaben
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!
Ob es in diesem Jahr das neue Fahrrad wird? Oder die Schlittschuhe? Die lang ersehnte elektrische Eisenbahn?
Vielleicht erinnern Sie sich auch an die gespannte Erwartung vor Weihnachten, damals in Kindertagen?
Und wer hätte nicht mal probiert mit einem Blick durchs Schlüsselloch des Weihnachtszimmers diese Spannung aufzulösen und herauszufinden, was denn wohl auf dem Gabentisch liegen könnte?!
Meistens konnte man ja nicht so ganz viel erkennen in dem kleinen Ausschnitt, aber
einen Versuch schien es uns wert.

Heute am 2. Weihnachtstag ist nun auch für dieses Jahr die vorweihnachtliche Spannung schon wieder vorbei.
Die Geschenke ausgewickelt, der Braten aufgegessen, das neue Spielzeug ausprobiert, das Buch angelesen,...
Die sind Krippenspiele aufgeführt, die festlichen Heilig-Abend-Gottesdienste vorüber, fast ist schon wieder Alltagsstimmung eingekehrt.

Mit dem Bibeltext, der uns für den heutigen Tag vorgeschlagen ist, versuchen wir so etwas wie einen „Blick durchs Schlüsselloch“ in eine ganz andere Richtung, nach vorn, auf die Zukunft; wie geht es weiter mit dem Kind in der Krippe?

Offenbarung 7, 9-17
9. Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, 10. und riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott. und dem Lamm!
11. Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Gestalten und fielen nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an 12. und sprachen: Amen, Lob und ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserem Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
13. Und einer der Ältesten fing an und sprach zu mir: Wer sind diese, die mit den weißen Kleidern angetan sind, und woher sind sie gekommen? 14. Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind‘s, die gekommen sind aus der großen Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes. 15. Darum sind sie vor dem Thron <Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel, und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen. 16. sie werden nicht mehr hungern noch dürsten, es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; 17. denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.

Der 2. Weihnachtstag ist zugleich der Tag des Stefanus, des ersten Märtyrers der jungen Kirche; Stefanus wurde zu Tode gesteinigt, weil er sich zu seinem Glauben an Jesus bekannte! (Apg. 7) Und er bleibt nicht der einzige, viele sollten ihm folgen, die auf oft grausamste Weise hingerichtet wurden, weil sie nicht von ihrem Glauben lassen wollten.
Oder auch: weil ihre christliche Einstellung sie in Konflikt brachte mit Machthabern, die sich selbst zu Pseudogöttern erhoben hatten.

Wer so konsequent lebt, glaubt der Seher Johannes, der hier eine seiner Visionen niederschreibt, wer sogar umgebracht wird um seines Glaubens willen, dem dürfte ein Platz offen stehen vor Gottes Thron.
Oder wie Paul Gerhardt dichtet:
„Die ihr schwebt in großem Leide, sehet, hier ist die Tür zu der wahren Freude;
fasst ihn wohl, er wird euch führen an den Ort, da hinfort euch kein Kreuz wird rühren.“ (EG 36,7)
Sie gehören zu denen, die ihre Kleider „im Blut des Lammes gewaschen haben“;
Aus der Trübsal kommen sie –wie Christus selbst, schreibt Johannes, und stehen nun in weißen Festgewändern vor dem Thron.
Keine Qual kann ihnen mehr etwas anhaben!
Wie im Traum.

Visionen werden in der Bibel oft mit Träumen in einem Atemzug genannt, sind nahezu dasselbe.
Und geradezu traumhafte Bilder finden wir auch hier in diesem Offenbarungstext!
Im Traum ist das oft so, dass Grenzen keine Rolle mehr spielen.
Es gibt keinen Zeitunterschied mehr, vieles passiert gleichzeitig;
Manchmal sind Naturgesetze aufgehoben im Traum, ich kann plötzlich fliegen oder durch Antippen mit dem kleinen Finger Wände zum Einsturz bringen.
Auch der Grenzen meiner eigenen Person können fließend sein im Traum, ich bin plötzlich vielleicht jemand ganz anderes, kann vielleicht die Identität ständig wechseln.
So etwas grenzenlos-traumhaftes hat auch Johannes‘ Vision.
Er sieht -gleichzeitig gewissermaßen- Anfang und Ende, Gegenwart und endzeitliche Zukunft, irdisches und himmlisches Geschehen, wie auf einer mehretagigen Bühne!
Er sieht für einen Augenblick das Geschehen mit den Augen Gottes.

Vielleicht liegt es daran, dass dieser Text für mich auch etwas Erschlagendes hat.
Da ist diese unendliche Fülle von beteiligten Personen, kurz vor unserem Abschnitt ist noch von hundertvierundvierzigtausend die Rede, auch schon mehrere mittelgroße Fußballstadien voller Menschen.
Aber jetzt sind es sogar so unendlich viele, dass man sie gar nicht mehr zählen kann.
Ich ahne, dass eine solche Ansammlung auch mit einem erheblichen Lärmpegel verbunden sein wird.

Auch Johannes dort in seiner Verbannung auf der Insel Patmos scheint überfordert damit, das, was er sieht, in Worte zu fassen.
Aber er muss es versuchen, und so ordnet er notgedrungen das gleichzeitige Geschehen wieder nacheinander an in seinem Text.
Zu Beginn des Kapitels hatte er beschrieben, wie der Unheilsengel, die Welt mit einer Sturmflut bedrohen soll.
Doch der wird erstmal gestoppt, bis die Versiegelungsaktion der
Hundervierundvierzigtausend abgeschlossen ist, damit ihnen kein Schaden zugefügt werden kann.
Ich vermute, Johannes denkt an die Gemeinde, die er auf dem Festland zurücklassen musste, die er in ständiger Bedrohung weiß.
Er hat noch die ersten Märtyrer miterlebt, Angriffe und Gefahren, und schließlich am eigenen Leibe zu spüren bekommen, wie riskant es sein kann, zu Jesus zu gehören, als er in die Verbannung verschleppt wurde aufn die steinige, einsame Insel, gut eine Tagereise mit dem Schiff von der Küste entfernt.
Sein Traum, seine Vision hilft ihm auch, das Vergangene zu verarbeiten, Hoffnung und Trost zu finden.

Wer „versiegelt“ ist, ist zwar nicht automatisch herausgenommen aus all der Zerrissenheit und den Bedrohungen der Zeit, aber er bekommt einen Schutz mitten in aller Gefahr und Bedrängnis.
Die „Besitzverhältnisse“ sind geklärt.
Menschen, die mit diesem Siegelzeichen versehen sind, können nicht mehr wirklich in den Herrschaftsbereich einer anderen Macht geraten!
Sklaven wurden so gekennzeichnet, bis heute kennzeichnen Bauern in manchen Regionen so ihr Vieh.

Damit erhebt sich die Frage: Wer ist das denn, der da einen Besitzanspruch über mich hat?

Und nun kommt eine neue Ebene ins Spiel, die Böden der Bühne verschieben sich gegeneinander, und im Vordergrund steht jetzt die Zukunft der „Versiegelten“, der Menschen, die Christus angehören.
Und plötzlich schient nach dem vorangegangenen Chaos große Ruhe einzukehren.
Wir sind wie eingetaucht in eine „himmlische Liturgie“.
Bewegungen, Lobgesänge, Gewänder, Trostworte.
Ein Ritual, das nachvollziehbar machen möchte, welcher Trost von Gott ausgeht
Und das schon etwas vorwegnimmt von dem, was uns am Ende aller Zeiten erwartet.
Und so malt Johannes aus, wie Gott alle Tränen abwischt, die von ihnen jemals geweint wurden.
Engel stehen und den Thron und fallen vor Gott nieder - wie die Hirten und Könige an der Krippe.
Und wie sie stimmen sie ein Loblied an!
So wie wir, wenn wir Gottesdienst feiern,
Dann geschieht auf unserer Ebene ein Stück andere Wirklichkeit.
Die Symbolik der Gewänder, Bewegungen und Gesänge macht deutlich: Es gibt noch mehr als die augenblicklich uns umgebende Gefährdung, als unsere Ängste und unsere Trauer.
Die Grenzen sind - wie im Traum- für einen Moment lang durchlässig geworden.
Die Dinge fließen ineinander, manches wird möglich, was uns undenkbar schien, neue Kräfte werden freigesetzt,

Weihnachten hat Gott selbst unsere Wirklichkeit durchlässig gemacht für seine Liebe.
Und in dem Kind in der Krippe fließt beides zusammen:
Himmel und Erde, Gott und Mensch, Zeit und Ewigkeit, Gott wird fassbar für uns, be-greifbar, Und darum:
“Fröhlich soll mein Herze springen dieser Zeit, da vor Freud alle Engel singen.
Hört, hört wie mit vollen Chören alle Luft laute ruft: Christus ist geboren!“ (EG 36,1)

Amen.


Elisabeth Tobaben
Elisabeth.Tobaben@evlka.de


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