Göttinger Predigten im Internet
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Epiphanias, 6. Januar 2006
Predigt über Kolosser 1, 24-27, verfasst von Dankwart Arndt
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Frohlocken hat die Festtage bis heute bestimmt. Laut oder verhalten, manchmal gewiss auch ganz leise, zaghaft, fast verstummend haben Jubel und Frohlocken die Weihnachtszeit geprägt.

Nur kurz unterbricht der Apostel in diesem Abschnitt des Kolosser-Briefes diese Grundstimmung, als er – allerdings wiederum doch mit einem einleitenden „ich freue mich“ – auf die Leiden verweist, die ihm zugefügt werden. Er stellt sie in einen großen Rahmen: sein Leiden – in der Gefangenschaft um der Botschaft Christi willen – ist ein Teil des Leidens der Gemeinde. Sie ist der Leib Christi; und deshalb ist ihr Leiden auf geheimnisvolle Weise Teil des Leidens Christi. Er litt bis zum Tod am Kreuz um der Botschaft willen, die er in Wort und Verhalten verkündigte.

Wie anders auch sollte Nichtglaube reagieren auf den Anspruch und Zuspruch, die in der Christus-Botschaft laut werden – wie anders als mit der Ablehnung, Widerstand und auch Verfolgung?

Anspruch und Zuspruch: der Apostel umschreibt und beschreibt sie so: „das Wort in seiner Fülle“ – „das offenbarte Geheimnis“ – „der Reichtum des Geheimnisses“.

„Fülle“ – das ist etwas für Menschen mit leeren Händen, - für arme Leute, - für solche, die nicht weiter wissen und nicht weiter können, - für Menschen, die mühselig und beladen sind, - denen der Tod im Nacken sitzt mit allen seinen Vorboten: Enttäuschung, Müdigkeit, Einsamkeit, Überlastung. Für diese alle ist das Wort mit seiner Fülle gedacht, ihnen zu-gedacht; und das so – wie Martin Luther das in einer seiner ganz wesentlichen und bedeutenden Schriften gesagt hat - , so, dass wir ihm – diesem Wort und damit dem Christus unseres Glaubens – zu-schieben unsere Angst, -zu-schieben unsere Armut, - Ihm zu-schieben unsere Last, auch die Last der Versäumnisse, die Last der Schuld, und von Ihm empfangen seinen Reichtum: Vergebung der Schuld, Ermutigung, Trost in der Trübsal, Gegenwart, Nähe.

Dies „Wort in seiner Fülle“ nehmt in euer Leben hinein. Lebt mit ihm so, wie man „zu Hause“ ganz vertraut und „man selbst“ ist, ohne Maske, ohne Anstellerei. Gebt euch dem Wort hin, wie ihr seid. Verstellt euch nicht und verstellt ihm nicht den Zugang zu euren Herzen. Lasst es herein durch die Tür, vor der es steht und anklopft. Wenn wir es schon einmal taten, waren wir dann nicht erst wahrhaft bei uns selbst, geborgen nämlich, sicher, nicht gejagt und nicht gehetzt, nicht „außer uns“? So war es, ja. Und dafür sei Dank!

Und Schuld war es, Schuld, die auf jeden einzelnen zurückschlug, wie Schuld immer tut, - Schuld war es, die den einzelnen ärmer, unzufrieden, streitsüchtig, ängstlich machte. Schuld, wenn und soweit einer das „Wort in seiner Fülle“ nicht in Anspruch nahm, diesem Wort nicht Platz machte, ihm nicht Raum und Recht einräumte im Leben. – Vergib – Herr – diese Schuld.

Und dann spricht der Apostel vom Geheimnis, das offenbart ist, und seinem Reichtum. Geheimnisse sind etwas anderes als Rätsel; die löst man und legt sie dann achtlos beiseite. Einem Geheimnis kann man sich nur nähern, ehrfürchtig und scheu. Das Geheimnis selbst muss sich öffnen, weil man nicht – weder mit List noch mit Gewalt – ins Geheimnis eindringen kann. Wohl aber sind Geheimnisse es, die andringen und denjenigen befragen, der sich ihnen nähert.

Das Geheimnis von dem der Apostel spricht, fragt: Wer sind wir nach der Heiligen Nacht, in der wir das Geheimnis zu feiern begonnen haben? Sind wir solche, die unruhig sind, noch auf der Suche, noch voller Sehnsucht nach dem Ganzen, auch: je und dann von – durchaus begreiflicher – Furcht aufgescheucht, oder sind wir Menschen, die – anscheinend – unerschütterlich, unerschütterbar, festgelegt, festgefügt sind, so, dass kein Geheimnis sie in Frage zu stellen vermag? Wer sind wir nach der Heiligen Nacht? Solche, die sich noch ausstrecken nach dem Endgültigen, die die Hoffnung auf Vollendung nicht aufgegeben haben und also noch auf dem Wege sind, oder sind wir Menschen, die sich haben ab-finden lassen mit dem, wie alles nun einmal ist, - die abgesättigt sind vom status quo, still – resigniert? Wer sind wir nach der Heiligen Nacht? Solche, die stolz-verächtlich ihre eisige Einsamkeit, ihr Alleinsein preisen, oder sind wir Menschen, die sich sehnen nach einer erfüllenden Gemeinschaft? Oder sind wir – jeder einzelne – beides zugleich? Und wenn es so wäre, dass beides in uns wirkt und rumort, - dass jeweils zwei Kräfte in uns zerren und an uns reißen – welchen Teil lassen wir gelten? Welchen bringen wir mit vor das Geheimnis?

Innehalten, still-werden, Nachdenken, dazu lädt dieser Epiphaniastag uns alle ein. Er verheißt in seinem Namen, dass etwas Besonderes erscheint, dass das Geheimnis „kundgetan“ ist. Auf’s neue anvertraut wird uns das Geheimnis der Heiligen Nacht. Es ist das Geheimnis, „was auf jeden Fall gesagt – laut, klar deutlich gesagt – werden muss und auf gar keinen Fall verschwiegen werden darf“ (Jüngel). Es ist das – wie der Apostel an anderer Stelle dieses Briefes sagt – „gottselige Geheimnis“; Gott ist Mensch geboren. Alle, die in der Heiligen Nacht unterwegs waren, vielfach sicherlich mit einem ganz unbestimmten Gefühl, dem nur dies bewusst war: „ich will mir Weihnachten nicht entgehen lassen“ – alle, die so unterwegs waren, sollen es hören können: Gott ist zur Welt gekommen. In einem Kind ist er zur Welt gekommen. In ihm – in diesem einfachen in sicherlich erbärmliche Windeln gewickelten, - in diesem ohnmächtigen, schutzlosen, sehr bald von vielen Seiten verfolgten, - in diesem am Rande der bedeutenden Welt geborenen Kind ist der herrliche „Reichtum des Geheimnisses“ verborgen und doch – offenbart. Eben dies macht Gottes Gottheit aus, dass sie so gering, so unscheinbar daherkommt, - dass sie sich ausliefert, sich in die Hände der Menschen preisgibt, leidensfähig und sterblich wird. Dies macht Gottes Gottheit aus: „Reichtum des Geheimnisses“.

Im St. Veits-Dom zu Prag – so kann man hören – wird der alte böhmische Königsschatz verwahrt in einer siebenfach verschlossenen Kronkammer. Die sieben verschiedenen Schlüssel zu den sieben verschiedenen Schlössern hat jeweils ein Würdenträger des Landes in seiner Gewalt. Nur wenige Auserwählte haben Zugang zur Schatzkammer. Dieser Schatz leuchtet im Geheimen – einsam und verlassen – für sich selbst; sein Glanz spiegelt sich in keinem Auge und erfreut kein Herz. Der „Epiphanias-Schatz“ wird anders aufbewahrt: Er liegt nicht in einer verschlossenen Truhe, sondern ungeschützt in einem offenen Stall in einem Futtertrog; dieser Schatz ist nicht unerreichbar „oben“, nicht fern-weggeschlossen, sondern er ist ganz unten, ganz nah, ganz auf-geschlossen. In dem Krippenkind erscheint die „Fülle des Geheimnisses“.

In dem Krippenkind, das heranwächst zu einem Mann, der offen, zugewandt, unsentimental und gar nicht süßlich Gottes Zuneigung zu seinen Menschen verkündigt, lebt, ja, sie vollzieht – in diesem Kind und Mann wird offenbart Gottes Menschen-Freundlichkeit; nicht als vorübergehende Laune, sondern als eine beständige, treue, verlässliche Grundhaltung.

Und – in eben diesem Kind, das heranwächst zu einem freien, unabhängigen, mutigen Mann wird ebenso offenbar, wie gott-freundlich der Mensch sein kann und – in solcher

Gott-Freundlichkeit, durch sie – souverän, aufrecht, eine abgerundete Persönlichkeit: ganz und gar Gott hingegeben und eben darin frei; ganz und gar sich der Hand Gottes anvertrauend und gerade darin unabhängig; ganz und gar in Gottes Hut und gerade darin herr-lich, herrscher-lich.

Ein menschen-freundlicher Gott und ein gott-freundlicher Mensch begegnen sich in dem Krippenkind. Die Zuversicht, dass Gott in Jesus ganz gegenwärtig ist, und die Freiheit, dass der Mensch sich ganz und gar in Christus an Gott verlieren und eben darin sich finden kann – diese Zuversicht und diese Freiheit sind der „Reichtum des Geheimnisses“, das offenbart und „erschienen“ ist.

Lasst uns einander wünschen, dass wir dieses Geheimnis bewahren, indem wir es weitersagen und weitergeben. Denn dieses Geheimnis ist von der Art, dass es „auf jeden Fall gesagt und auf gar keinen Fall verschwiegen werden darf“.

Amen

Dr. Dankwart Arndt
Auf dem Breckels 1
24329 Grebin
Tel: 04383 - 1472


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