Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

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Epiphanias, 6. Januar 2006
Predigt über Kolosser 1, 24-27, verfasst von Richard Engelhardt
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"Ich bin froh, daß ich jetzt für euch leiden darf.
Denn so trage ich dazu bei, daß das Maß der Leiden,
die wir für Christus auf uns nehmen müssen,
voll wird. Ich leide ja für den Leib Christi,
für die Gemeinde.
Gott mich in ihren Dienst gestellt
und mir den Auftrag gegeben, euch seine Botschaft
zu bringen; denn für euch ist sie bestimmt.
Seit dem Beginn der Welt hatte er ssein Geheimnis
vor allen verborgen gehalten; jetzt aber hat er
es seiner Gemeinde enthüllt.
Er wollte ihr zeigen, welche Herrlichkeit er für
Menschen aus allen Völkern bereithält.
Denn dies ist das Geheimnis:
Christus lebt in euch, und um seinetwillen
Dürft ihr darauf warten,
daß Gott euch an seiner Herrlichkeit Anteil gibt."
(Übersetzung: Die gute Nachricht
Das Neue Testament in heutigem Deutsch)


Liebe Gemeinde!

Die kleine Enkeltochter, etwas über drei Jahre alt, denkt über ein Geheimnis nach: Das Christkind bringt zu Weihnachten die Geschenke. Ihr hat es ein heißersehntes Hochbett gebracht. Dieses große Geschenk stand zwar nicht wie die anderen Geschenke unterm Christbaum. Es war schon im Kinderzimmer aufgebaut. Ein Jubeltanz führte durch die ganze Wohnung. Dann kam ein Augenblick der Besinnung und dann die sehr nachdenkliche Frage: Wie hat das Christkind bloß dieses große Bett in mein Zimmer gebracht?

Eine andere Szene: Zwei junge Frauen sitzen im Bus und versuchen, das Geheimnis eines Horoskopes zu ergründen. Ein toller Mann soll demnach in das Leben der einen treten. Halb spaßig – aber eben auch halb ernsthaft – wird versucht, diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen.

Und schließlich eine Begegnung im Bistrowagen zwischen Hamburg und Göttingen: Eine Studentin und eine ältere Dame kommen auf das Thema „Ein Jahr nach dem Tsunami“. Und die Dame fragt: Warum läßt Gott das zu, so ein schreckliches Elend? Von der Studentim kommt im Verlauf des weiteren und sehr ernsthaften Gespräches der Satz: Das ist Gottes Geheimnis.

Lauter Geheimnisse. In der jeweiligen Lebenslage wichtige Geheimnisse, denen man nachsinnen, nachspüren kann.

Das ist ja eine der wichtigsten Gaben, die Gott uns allen mit auf den Weg gegeben hat, die Neugier. Jedes Geheimnis drängt uns, seiner Lösung nachzuspüren. Das größte Geheimnis, das sich hinter den Fragen verbirgt „Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wer bin ich?“, dieses größte Geheimnis hat die Menschen von Anfng an bewegt. Am Anfang der Bibel, in der Schöpfungsgeschichte, wird den ersten Menschen beim Versuch, dem Geheimnis der Erkenntnis auf die Spur zu kommen, die Antwort der Schlange zuteil: Ihr werdet sein wie Gott. Alle Geheimnisse lüften, das ist „Sein wie Gott“.

Nun haben wir heute einige Sätze aus dem Brief an die Kolosser zu bedenken. Auch in ihnen geht es um ein Geheimnis, um das Geheimnis, das Gott seiner Gemeinde enthüllt. Der Autor dieses Briefes, wahrscheinlich ein Begleiter des Apostels Paulus, schreibt an diese junge Gemeinde. Sie ist ihm noch unbekannt. Aber zumindest eines weiß er von den Christen, die sich in dieser Stadt zusammengefunden haben. Sie mühen sich um das Geheimnis: Wie können wir in einen Einklang mit Gott kommen? Wie können wir wenigstetns Frieden mit Gott finden, sein, wie er es von uns erwartet? Ihnen sind die Gedanken einer großen religiösen und philosophischen Bewegung der Zeit, der Gnosis, nicht ganz unbekannt. Vielleicht finden diese Gedanken sogar Sympathie in der Gemeinde. Geht es doch in der Gnosis um das große Geheimnis, wie die Spannung zwischen dem Vollkommenender göttlichen Größe und der Kläglichkeit menschlicher Existenz gelöst werden kann. So wird zum Beispiel in der Gnosis gedacht, daß der Mensch durch eigene Anstrengung, durch Askese und Selbstkasteiung, den göttlichen Funken, den er nach dieser Lehre in sich trägt, reinigen könnte. Durch eigene Anstrengung, durch eigene Überwindung könnte schließlich jeder Mensch dazu beitragen, die Einheit mit dem Göttlichen wieder herzustellen. Diese Einheit wurde ja durch böse Machenschaften zerstört.

Gegen solche Gedanken, das Mysterium, eben das Geheimnis des Göttlichen durch eigene geistige Leistungen oder körperliche Anstrengungen und Leiden zu erkennen und zu offenbaren, setzt der Autor dieses Kolosserbriefes seine Sätze, seine Belehrung:

„Gott hat uns aus der Gewalt der dunklen Mächte gerettet. Er hat uns unter die Herrschaft seines geliebten Sohnes gestellt.“ (V. 13) „Im Sohn wird der unsichtbare Gott für uns sichtbar.“ (V. 15) „Der Sohn ist auch das Haupt der Gemeinde, die sein Leib ist. Er ist der Anfang des neuen Lebens.“ (V. 18)

Auch er, der Apostel, muß leiden. Allerdings leidet er nicht aus eigenem Antrieb. Er leidet nicht, um dadurch höhere Einsichten zu gewinnen. Er leidet nicht, um einem Mysterium auf die Spur zu kommen oder den Plan Gottes besser erkenn zu können. Er leidet, weil es Gottes Weg für ihn und für die Gemeinde ist. „Durch das Blut, das der Sohn am Kreuz hingab, hat Gott den Frieden zwischen sich und der Welt wiederhergestellt.“ (V. 20) So muß er als Apostel etwas von dem Leiden Christi weitertragen, glaubwürdig für die Menschen, die sich in der Gemeinde zusammenfinden als Leib Christi. Das ist die Gemeinde: Leib Christi.

Dies Bild vom Leib Christi ist neu. Christus ist das Haupt der Gemeinde. Und alle, die an Christus glauben, sind Glieder an diesem Leib. Da gibt es kein wichtiges oder unwichtiges Glied, keines, das zurückbleibt oder vorstürmen kann. Alle sind miteinander verbunden und wo ein Glied leidet, leiden alle anderen mit. Nur alle zusammen können Christus in dieser Welt glaubwürdig mitteilen.

Das also ist das Geheimnis Gottes, das nun vor aller Welt enthüllt ist: Gott ist nicht mehr fern. „Im Sohn wird der unsichtbare Gott für uns sichtbar.“ Oder – wie es in unserem Textabschnitt heißt – Christus lebt in euch.

Um das Gewicht dieses Satzes deutlicher zu machen, kann man vielleicht auch fortsetzen: Christus lebt mit euch. Von Martin Luther stammt der Gedanke, daß einer dem andern ein Christus werden sollte. Von daher könnte man auch sagen: Christus lebt durch euch. Aber das ist wohl – um einmal die Luther-Übersetzung unseres Textes zu zitieren – „die Hoffnung der Herrlichkeit“.

Zwar kennen wir das Geheimnis, daß Gott sich durch seinen Sohn Jesus Christus mit uns Menschen versöhnt hat und uns seinen Frieden gegeben hat, aber ob wir die ganze Herrlichkeit dieser Botschaft wirklich begriffen haben? Vielleicht müssen wir ja noch einen weiten Weg gehen. Die Weisen aus dem Morgenland, deren Fest wir heute feiern, mußten auf dem Weg fragen: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben sein Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.“ Sie mußten ihren Weg fortsetzen, bis sie im Stall anbeten konnten. Den Stern haben wir nun auch gesehen. Die Hoffnung der Herrlichkeit kann uns dann helfen, auf dem Weg zu bleiben.

Die Hoffnung der Herrlichkeit: Der Apostel Paulus beschreibt sie im 1. Brief an die Korinther: „Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, so wie ich erkannt bin.“

Amen.

Richard Engelhardt
Pastor i. R.
Lotzestraße 53
37083 Göttingen
Tel.: 0551-3706970
Fax: 0551-3706962


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