Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

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1. Sonntag nach Epiphanias, 8. Januar 2006
Predigt über 1. Korinther 1, 26-31, verfasst von Paul Kluge
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Geschwister,

vorgestern war Epiphanias, der Tag der Erscheinung, landläufig als „Hl. Drei Könige“ bekannt. Nun sind Heiligentage nicht gerade eine Sache evangelischer Christen, Gemeinden und Kirchen. Außerdem waren das damals keine Könige, sondern Weise. Um Weise und Weisheit, wenn auch gerade nicht um Gelehrsamkeit, geht es auch in dem für heute vorgeschlagenen Predigttext aus dem 1. Kor 1, 26-31:

„Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache. Was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist. Auch das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist - damit er das zunichte mache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme. Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, damit, wie geschrieben steht (Jeremia 9, 22 - 23): Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!“

Als Paulus in Ephesus war - und er war gern dort, die lebendige Stadt gefiel ihm, es gab eine riesige Bibliothek und anregende kulturelle Angebote – erhielt er Nachricht aus Korinth. Eine Frau namens Chloe ließ ihm durch ihre Leute berichten, was in der Gemeinde von Korinth los war.

Er konnte sich an keine Chloe erinnern. Vermutlich war sie inzwischen eine wichtige Person in der Gemeinde, eine Geschäftsfrau vielleicht, deren Beziehungen bis nach Kleinasien reichten. Jedenfalls ließ sie Paulus von Gezänk in der Gemeinde berichteten, von Auseinandersetzungen unterschiedlich ausgerichteter Gruppierungen. Außerdem schickte sie Paulus eine Liste von Fragen, die in der noch sehr jungen Gemeinde aufgetaucht waren und Antwort brauchten. Paulus war als Autorität gefragt. Das tat ihm einerseits gut und schmeichelte ihm (was er nur sich selbst eingestand), doch andererseits bedrückte es ihn auch, denn damit lag die Verantwortung für die Gemeinde bei ihm.

Seit vielen Tagen überlegte Paulus nun schon an seiner Antwort nach Korinth. Er las Bücher in der Bibliothek der Synagoge und auch in der Stadtbibliothek; er machte lange Spaziergänge, um seine Gedanken zu klären; besprach sich mit den Ältesten der Gemeinde von Ephesus. Oft saß er in der Abenddämmerung am Hafen. Der Blick in die Weite der Welt weitete seine Gedanken, und er ordnete sie, indem er in dem scheinbaren Durcheinander von Schiffen, Transportkarren und Menschen Ordnung suchte und fand.

Als er eines späten Nachmittags am Hafen auf einem großen Stein saß und dachte, grüßte ihn eine junge Frau. Sie war ärmlich gekleidet und trug einen Korb mit Fisch auf dem Kopf. Paulus kannte sie vom Sehen, sie kam ab und zu in seine Veranstaltungen. Er grüßte zurück, fragte, wie es ihr ginge. Da kam die Frau auf ihn zu und bat, sich zu ihm setzen zu dürfen. Paulus empfand das als Störung seines Nachdenkens, doch er wollte nicht unhöflich sein. Sie setzte sich neben ihn, Paulus rückte mehr als nötig zur Seite, denn sie verbreitete einen kräftigen Geruch aus Fisch und Schweiß und Armut.

Ob sie ein besonders Anliegen habe, wollte Paulus wissen. Er kam gern gleich zur Sache, vorsichtiges Herantasten empfand er als Zeitverschwendung. Sie würde sich eigentlich gern taufen lassen, erzählte die junge Frau, doch da gäbe es noch etwas, das sie hindere. „Nämlich?“ fragte Paulus und wartete. Die junge Frau rückte unruhig auf ihrem Platz hin und her, bevor sie antwortete: „Ich wohne außerhalb der Stadtmauern, da, wo die Armen alle wohnen. Viele von uns hören gern, was du zu sagen hast, und kommen in deine Versammlungen. Doch da ist es genau wie sonst hier in der Stadt: Die Leute von innerhalb der Stadtmauern sind für sich, keiner von ihnen spricht mit uns. Und wir können meistens auch nicht mit ihnen sprechen, denn wir verstehen sie nicht. Sie reden immer so klug, benutzen lateinische Ausdrücke, die wir nicht kennen, nennen irgendwelche Namen und wissen bescheid – und wir stehen dumm da. Du aber“ – sie strich sich das offene Haar aus dem Gesicht und verknotete es im Nacken – „du aber erzählst immer wieder, dass alle Menschen vor Gott gleich sind. Dann müssten sie sich doch auch untereinander wie Gleiche behandeln. Tun sie aber nicht!.“

Paulus war erst einmal erstaunt, dass seine Predigt so wörtlich genommen und am alltäglichen Miteinander überprüft wurde, war überrascht, dass das, was für ihn eine geistliche Dimension hatte, so handfest gedeutet wurde. Dann antwortete er: „Glaub mir, die da so klug daherreden, können sich nur nicht einfach ausdrücken.“ Als er das sagte, fielen ihm seine Briefe ein, die er bisher geschrieben hatte – redete und schrieb auch er so klug daher, dass die einfachen Leute ihn nicht verstehen konnten? Dann fuhr er fort: „Mit der Sprache ist das wie mit der Kleidung: Ob einer ein blendend weißes Gewand trägt oder so eins wie du, das sind Äußerlichkeiten und sagen nichts über den Wert des Menschen aus. Das Gewand eines Senators ist genau so nur ein Stück Stoff wie die Fetzen eines Bettlers. Darunter sehen sie alle gleich aus.“ Die junge Frau lachte laut auf, Paulus errötete und sagte schnell: „Noch etwas will ich dir sagen, ein Wort, das ich irgendwo gelesen habe: Wenn du einen großen Menschen siehst, schau genau hin: vielleicht hast du dich nur klein gemacht.“

„Daran habe ich noch nie gedacht,“ reagierte die Frau, „du meinst, wir kleinen Leute machen uns selbst noch kleiner, weil wir uns von feinem Zwirn und klug klingendem Gerede blenden lassen?“ Paulus stimmte ihr zu und empfahl ihr, sich bei der nächsten Versammlung mit Ihresgleichen einfach zu denen von innerhalb der Mauern zu gesellen. Die nächste Versammlung sei bereits am nächsten Tag nach Sonnenuntergang im Lehrsaal des Tyrannus. „Ein sehr friedlicher Mensch übrigens,“ beruhigte Paulus sie, „seine Eltern haben ihn so genannt, weil er als Säugling so tyrannisch geschrieen hat.“ – „Dann also bis morgen,“ erhob sich die junge Frau, nahm ihren Fischkorb und ging davon. „Bring noch ein paar Leute mit,“ rief Paulus ihr nach und freute sich über den aufrechten Gang der jungen Frau.

Dann sah er hinaus aufs weite Meer und überdachte das Gespräch; es hatte ihn in seinen Überlegungen ein gutes Stück weiter gebracht. War die junge Frau ihm anfänglich als Störung erschienen, kam sie ihm nun eher wie ein Engel vor, der ihn auf richtige und wichtige Gedanken gebracht hatte. Dafür wollte er ihr am nächsten Tag danken, falls sie zur Versammlung käme.

Er saß noch eine Weile, doch als der Abendwind den Tag abkühlte, ging er in sein Quartier zurück. Dabei beschäftigte ihn, dass etwas, was für die einen selbstverständlich war, gepflegte Kleidung und gepflegte Sprache etwa, auf andere so abgrenzend, ja, so abstoßend wirken konnte, dass sie keine Gemeinschaft suchten. „Soll ich mich wie ein Tagelöhner kleiden?“ fragte er sich. Doch er ließ die Idee schnell wieder fallen, denn durch seine Sprache würden andere eine solche Kleidung als Verkleidung, als Heuchelei entlarven. Vielmehr müsste die Art, wie er mit anderen Menschen umginge, ihnen zeigen, dass für ihn Ansehen und Aussehen der Person keine Rolle spielte. Und das wollte er auch nach Korinth schreiben: Dass Ansehen und Auftreten, Bildung und Besitz, Kraft und Klugheit nicht zählen, sondern Gerechtigkeit und Erlösung und Heiligung; die Einsicht, ein armer, elender, sündiger Mensch zu sein, der Glaube, in Christus von Sünde und Gesetz erlöst zu sein sowie ein Leben in und aus Dankbarkeit. „Solcher Erkenntnis, solchen Glaubens, solchen Lebens dürfen Menschen sich gern rühmen,“ dachte Paulus, „alles andere ist eitel und vergänglich. Wie schnell kann jemand sein Ansehen verlieren, seinen Besitz, seine körperliche oder geistige Kraft. Gerechtigkeit, Erlösung und Heiligung aber sind von Gott, sie haben Bestand.“

Am nächsten Abend kam Paulus zwar etwas spät, aber zufrieden mit dem geschafften Anfang seines Briefes nach Korinth, zum Lehrsaal des Tyrannus. Er sah etliche der außerhalb der Mauern Wohnenden sich mit welchen von innerhalb rege unterhalten, hörte sie miteinander lachen. Diese Beobachtung tat ihm gut, änderte seine Sorge um die Gemeinde von Korinth in Zuversicht für sie. Er versuchte, die junge Frau zu erspähen, sah sie schließlich mit Tyrannus sprechen, dem hoch gebildeten und in der ganzen Stadt hoch angesehenen Lehrer. Als die junge Frau Paulus sah, blinzelte sie ihm stolz zu.

Zu Beginn seines Vortrags erzählte Paulus dann von einem Engel, der ihm am Vortag begegnet sei und ihn auf einige Ungereimtheiten in dieser Gemeinde hingewiesen habe. Die aber schienen ihm wie durch ein Wunder inzwischen behoben. Dann sprach er darüber, dass alles, worauf Menschen sich etwas einbilden, in kürzester Zeit vergehen kann, dass aber Gerechtigkeit, Erlösung und Heiligung, dass Hoffnung, Glaube und Liebe dauernden Bestand haben. Amen

Gebet:

Guter Gott, wir haben es schon oft gehört, dass die Täler erhöht und die Berge eingeebnet werden, dass niedrig wird, was hoch steht, und erhoben wird, was unten ist. Doch mancher rühmt sich seines Ansehens, und manch anderer schämt sich seines Ansehens. In deiner Gemeinde aber soll Ansehen keine Rolle spielen, weil vor dir das Ansehen einer Person nicht gilt. Bewahre uns davor, uns über andere zu erheben, und bewahre uns auch davor, uns klein zu machen; bewahre uns vor Überheblichkeit wie vor Unterwürfigkeit.

Guter Gott, wir bitten dich heute für alle Menschen in leitenden Positionen, sei es in der Politik, in der Wirtschaft, in Forschung und Lehre, sei es in unseren Gemeinden: Erhalte ihnen Menschlichkeit und Realitätssinn, Bodenhaftung und Demut. Genau so bitten wir dich für alle Menschen, die ganz unten sind oder sich ganz unten wähnen: Stärke sie, dass sie den gesenkten Blick heben, den gebeugten Rücken aufrichten. Ihnen allen erhalte Hoffnung auf Gerechtigkeit, Glauben an ihre Erlösung und Heiligung durch Liebe.

Guter Gott, am Anfang dieses neuen Jahres blicken wir nach vorn ins Leere und fragen uns, was an Gutem kommen mag und an Argem. Unser Hoffen und Bangen bringen wir vor dich und beten gemeinsam: Unser Vater im Himmel ...

Gesänge: EG 71, 1, 3, 4; EG RWL 552, 1, 3, 6; EG 271, 1, 2, 6, 7; EG BEL 636, 1 - 3

Paul Kluge, Pastor em.
Großer Werder 17
39114 Magdeburg
Paul.Kluge@t-online.de


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