Göttinger Predigten im Internet
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1. Sonntag nach Epiphanias, 8. Januar 2006
Predigt über 1. Korinther 1, 26-31, verfasst von Christian Tegtmeier
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist,
damit sich kein Mensch vor Gott rühme.
Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, damit, wie geschrieben steht »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!«"

Den Armen wird das Evangelium gepredigt, Lahme gehen, Blinde sehen, glücklose Menschen erhalten eine Chance zum Leben: darum ist Gott Mensch geworden, darum bezeugen Frauen und Männer mit Rat und Tat ihren Glauben an den Erlöser. Von dieser Hilfe spricht die Botschaft des Apostels aus seinem Brief an die Korinther.

Liebe Gemeinde, kennen Sie die Fabel von der Stadtmaus und der Feldmaus? Ich will sie Ihnen erzählen:

Eine Stadtmaus ging spazieren und kam zu einer Feldmaus. Die tat sich gütlich an Eicheln, Gersten, Nüssen und woran sie konnte.
Aber die Stadtmaus sprach: "Was willst du hier in Armut leben! Komm mit mir, ich will dir und mir genug schaffen von allerlei köstlicher Speise."

Die Feldmaus zog mit ihr hin in ein herrlich schönes Haus, darin die Stadtmaus wohnte, und sie gingen in die Kammern, die voll waren von Fleisch, Speck, Würsten, Brot, Käse und allem. Da sprach die Stadtmaus: "Nun iss und sei guter Dinge. Solcher Speise habe ich täglich im Überfluss."

Da kam der Kellner und rumpelte mit den Schlüsseln an der Tür. Die Mäuse erschraken und liefen davon. Die Stadtmaus fand bald ihr Loch, aber die Feldmaus wusste nirgends hin, lief die Wand auf und ab und gab schon ihr Leben verloren.

Da der Kellner wieder hinaus war, sprach die Stadtmaus: "Es hat nun keine Not, lass uns guter Dinge sein."

Die Feldmaus antwortete: "Du hast gut reden, du wusstest dein Loch fein zu treffen, derweil bin ich schier vor Angst gestorben. Ich will dir sagen, was meine Meinung ist: bleib du eine Stadtmaus und friss Würste und Speck, ich will ein armes Feldmäuslein bleiben und meine Eicheln essen. Du bist keinen Augenblick sicher vor dem Kellner, vor den Katzen, vor so vielen Mäusefallen, und das ganze Haus ist dir feind. Von alldem bin ich frei und bin sicher in meinem armen Feldlöchlein."


Und dann trennen sich die beiden: die Feldmaus geht zurück aufs Land, müht sich um ihr bescheidenes Auskommen, braucht sich nicht zu fürchten vor Katzen, Kellnern und Mausefallen. Die Stadtmaus lebt im Überfluss, jedoch auch mit den Gefahren, die ihr Leben Tag für Tag mit sich bringt.

Wer reich ist, hat viel Sorge, sagt der letzte Satz der Fabel aus der Feder Martin Luthers.
Und noch etwas will uns die Fabel sagen:
Die Stadtmaus hat ein bequemes Leben und dünkt sich glücklich. Sie rühmt sich ihres herrlichen Lebens, das sie sich selbst zu schaffen weiß. Die Feldmaus dagegen müht sich mit täglicher harter Arbeit, sie teilt das Los der meisten Geschöpfe. Gleichzeitig lebt sie aus dem Vertrauen, das ihr Schöpfer ihr das Nötige gibt, was sie zum Leben braucht – ohne Angst vor lauernder, tödlicher Gefahr.

„…was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist…“

Darin findet Jesus seine Aufgabe, den Schwachen und Mühseligen ein Arzt, ein Heiland, ein Erlöser zu werden, damit sie aus den Sorgen und Nöten, aus ihren Krankheiten, ja sogar vom Tod befreit werden und in das Licht der Welt treten können, in die Sonne seiner Gnade.
Das, was die Gemeinschaft der der ersten Christen ausmacht und zu der von Gott erwählten Schar zählt, sind eben jene Menschen, die nichts haben, die armen Schlucker, die mit leeren Händen kommen: da sind die Hirten an der Krippe und die Jünger, ehemalige Fischer, Handwerker, Tagelöhner. Erfolgreiche Kaufleute und Händler oder gar die klugen und weisen Berater von Haus und Hof, Politik, Kultur und Gesellschaft suchen wir in der Schar der Jesusleute vergebens. In der Bergpredigt nennt Jesus die Menschen, die selig genannt werden:

- Selig, die geistlich Armen – jene, die nicht getröstet werden oder untröstlich leben.

- Selig, die da Leid tragen – jene, die körperliche oder seelische Gebrechen haben, Not leiden müssen, ohne Heimat sind, ohne Menschen, denen sie sich anvertrauen können, denen die Perspektive für Morgen oder Übermorgen fehlt.

- Selig, die da sanftmütig sind - jene, die nicht rücksichtslos die Ellbogen gebrauchen, um zum Ziel zu gelangen, jene , die nicht „Auge um Auge, Zahn um Zahn denken“, und gerade deshalb scheitern auf dem Weg in den Beruf, in die Ehe, zum eigene Glück.

- Selig, die da hungern und dürsten nach Gerechtigkeit – jene, um nur ein Beispiel zu nennen, die mit Anfang 50 unverschuldet arbeitslos werden und nun als Hartz IV-Empfänger vor dem Nichts stehen.

Diesen und anderen, die am Rande der Gesellschaft, der erfolgreichen Welt stehen, Menschen ohne Chance und ohne jede eigene Stärke, denen gilt Gottes Zuspruch und seine Hilfe. Sie zählen zu denen, die er berufen und auserwählt hat.

So spricht der HERR:
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen,
daß er klug sei und mich kenne,
daß ich der HERR bin,
der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;
denn solches gefällt mir, spricht der HERR.
(Jer. 9, 22f.)

So kommen wir, liebe Gemeinde, noch einmal auf einem anderen Weg zur Mitte der Botschaft: der Mensch mit leeren Händen wird beschenkt aus dem Reichtum seines Herrn. Jesus macht sich zu ihm auf den Weg, mitten hinein in die erlebte, erlittene Schwäche und Ohnmacht seiner Existenz, tief hinein in die Ohnmacht einer persönlichen Katastrophe und Niederlage. Dort möchte er neu beginnen, dort will Jesus mit ihm, dem Menschen der sich keiner Leistung mehr rühmen kann, durch die Finsternis der Schwachheit, des Leidens und der Schande zurück ins Licht des Lebens gelangen. Gewiss, Jesus wird Gründe kennen und benennen, auch mahnen und zurechtweisen – denken wir nur an seine Begegnungen mit den Zöllnern oder mit der Ehebrecherin, denen der Ruf zur Umkehr neue Wege ermöglichte.

Jedoch: Jesus allein schafft Recht, er gewährt jene Gerechtigkeit, die Menschen ihren Mitmenschen oft versagen. Er möchte als Arzt der Kranken, als Stärkender für die Schwachen, als Anwalt des Lebens für die, die vom Tod bedroht sind, ein Licht auf dunklen Wegen sein, möchte da tragen, wo Menschen sich aus eigener Kraft nicht mehr zu helfen wissen. Er möchte ihnen erneut Achtung und Würde schenken.

Wie rasch sicher geglaubtes Glück und Leben in Gefahr geraten kann, erzählte uns die Fabel von der Stadtmaus und der Feldmaus: die Stadtmaus spottet naserümpfend über das einfache Leben der Feldmaus und übersieht dabei die tödlichen Gefahren, denen sie sich Tag für Tag in ihrem scheinbar glücklichen Leben aussetzen muss. Nun mag mancher einwenden, das sie das andere Leben noch nicht kennen gelernt habe. Doch hätte sie es nicht einfach einmal ausprobieren können, bei ihrer Bekannten der Feldmaus? Könnte sie sich nicht einlassen auf das Landleben, im Vertrauen darauf, dass sie auch dort keine Not leiden muss? Um dann zu erfahren, dass es sich ohne Angst viel ruhiger leben lässt?

So könnten sich auch die Menschen auf Jesus Christus einlassen, die bisher meinten, sich ihr Glück aus eigener Kraft, mit eigenen Sicherheiten und nur mit den Mächtigen und Weisen dieser Welt zu schaffen. Menschen, die jene spöttisch belächeln, die ein Leben mit Jesus als glückbringende, zukunftsweisende Lebenskraft für sich bereits erkannt haben und befolgen.

Die Feldmaus ist ein Lebewesen, das für einen ganz begrenzten Zeitraum der Zukunft sorgt, dabei aber das unerschütterliche Vertrauen besitzt, dass ihr am nächsten Tag genug zum Leben vom Schöpfer geschenkt wird, wenn sie sich darum bemüht. Wenn sie dann loben oder rühmen will, dann eben diesen Schöpfer wegen seiner Güte und Fürsorge.

Und um dieses unerschütterliche, tiefe Vertrauen geht es und um nichts anderes. Zu ihm ermutigt der Apostel seine Gemeinde in Korinth und auch jene, die heute seine Botschaft hören oder lesen. Solches Gottvertrauen weiß darum, dass nicht das Haben, weder an Besitz, Ehre, Einfluss oder Macht das beständige Glück der Menschen ausmachen. Es zählt allein das Vertrauen, von Gott dem Schöpfer angenommen zu sein, sich im Kraftfeld seiner Liebe geborgen und behütet zu wissen. Da mögen etliche doch meinen, man sei arm wie eine Feldmaus… und doch wird mit jener Seligkeit, die inmitten aller Finsternis das Licht des Lebens sieht, unvorstellbarer Reichtum von Gott geschenkt.
Amen.


Christian Tegtmeier
gabriele.tegtmeier@t-online.de


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