Göttinger Predigten im Internet
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2. Sonntag nach Epiphanias, 15. Januar 2006
Predigt zu 1. Korinther 2, 1-10, verfasst von Klaus Bäumlin
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"So bin auch ich, Brüder, als ich zu euch kam, nicht als Ausbund von Beredtheit oder Weisheit gekommen, um euch das Geheimnis Gottes anzukünden. Denn ich hatte mich entschieden, unter euch von nichts zu wissen, ausser von Jesus Christus – und von ihm als dem Gekreuzigten. Und ich bin in Schwachheit, in Furcht und in grossem Bangen bei euch aufgetreten. Mein Wort und meine Verkündigung bestand ja nicht in überzeugenden Weisheitsworten, sondern im Erweis von Geist und Kraft, damit euer Glaube auf Gotteskraft, nicht auf Menschenweisheit gründe.
Dennoch reden wir Weisheit bei den Vollkommenen – nicht Weisheit dieser Weltzeit oder der Anführer dieser Weltzeit, die abgetan werden. Nein, wir reden von Gottes verborgen gehaltener Weisheit voll Geheimnis, die Gott vorherbestimmt hat vor den Weltzeiten – zu unserer Verherrlichung. Keiner der Anführer dieser Weltzeit hat sie erkannt. Denn hätten sie erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Doch so ist geschrieben: "Was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, was in keines Menschen Herzen aufgegangen: All das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben." Uns aber hat Gott es enthüllt durch den Geist. Der Geist ergründet ja alles – auch die Tiefen Gottes."

Liebe Gemeinde!

Darf ich für einmal die Predigt selber zum Gegenstand einer Predigt machen? Der Text aus dem 1. Korintherbrief legt es ja nahe. Ich gehe davon aus, dass, wenn ein Prediger sich Rechenschaft darüber gibt, was ihm sein Predigen bedeutet, auch die Hörer und Hörerinnen, bzw. die Leser und Leserinnen sich die Frage stellen, was sie denn von einer Predigt und von einem Gottesdienst erwarten.

Der Anfang des zweiten Kapitels im 1. Korintherbrief ist einer jener Bibeltexte, die den Prediger, wenn er sie auslegen und über sie predigen will, ganz schön in die Enge treiben und in Frage stellen. Da habe ich mich doch während meiner Tätigkeit als Pfarrer bemüht, durch mein Predigen die Zuhörer und Zuhörerinnen nun nicht gerade zu überreden, aber sie doch zu überzeugen von der Wahrheit des Evangeliums, sie ihnen so nahe zu bringen, dass sie ihnen zur Lebensperspektive werde. Ich habe versucht, ihnen das "Geheimnis Gottes" aufzuschliessen, so dass sie es fassen und zu Herzen nehmen könnten. Und dazu habe ich mein ganzes Wissen um die biblischen Texte aufgeboten – ich habe doch nicht umsonst manches Jahr Theologie studiert! –, habe versucht, die Verkündigung in verständliche, nachvollziehbare, einleuchtende Rede zu fassen. Ab und zu habe ich ein Wort eines Philosophen, ein Zitat aus Shakespeare, ein Gedicht oder eine Anekdote eingeflochten in der Meinung, ein solcher Text könne ein Licht aufleuchten lassen für das Verstehen der biblischen Botschaft. Ausserdem habe ich mich bemüht, eine Predigt nach den bewährten Grundsätzen der Rhetorik aufzubauen und zu formulieren und habe auch meine Vikare und Vikarinnen angeleitet, dasselbe zu tun. Und schliesslich schien es mir nicht unwesentlich, die Predigt auf eine ansprechende Weise vorzutragen. Und dazu kamen dann die schöne Orgelmusik, die Kerzen und der Blumenschmuck auf dem Altar, die dazu beitrugen, dass der Gottesdienst zu einem kleinen kulturellen Anlass wurde. Die Gottesdienste am Sonntagmorgen seien ein kulturelles Angebot neben vielen anderen, sagt man etwa. Und ich gestehe, dass dies auch meine Meinung war und dass ich versucht habe, diesem Anspruch zu genügen.

Muss ich mir nun vom Apostel Paulus vorhalten lassen, ich hätte mich als "Ausbund von Beredtheit oder Weisheit" aufgeführt und hätte "Weisheit dieser Weltzeit", gar "Weisheit der Anführer dieser Weltzeit" verkündet – statt das Evangelium von Jesus Christus, dem Gekreuzigten? War das Bemühen um eine schön formulierte Predigt etwa gar motiviert durch meine Eitelkeit? War die Predigt eine Demonstration meines theologischen Wissens und meiner rhetorischen Fähigkeiten? Ging es mir letztlich um ein Haschen nach Anerkennung bei den Menschen? Und was habe ich denn empfunden, wenn ich feststellte, dass an meinen Gottesdiensten mehr Leute teilnahmen als an denen der Kollegen? Gingen mir da nicht Gedanken durch den Kopf wie "Ich bin halt doch der bessere Prediger"? Ich müsste heucheln, wenn ich behauptete, ich sei jeweils "in Schwachheit, in Furcht und in grossem Bangen " auf der Kanzel gestanden. Wenn ich mich gut vorbereitet hatte, war es für mich immer wieder ein schönes, ein beglückendes Erlebnis, einer aufmerksam zuhörenden Gemeinde etwas vom Reichtum der biblischen Botschaft weiterzugeben, ihr das Evangelium von Jesus Christus zu verkündigen.

Und nun treibt mich Paulus wirklich in die Enge. Ich höre seine Worte als eine ernste Frage an mich selber und auch an die Gemeinde, die zum Gottesdienst kommt und eine Predigt anhört. Was erwarten wir von der Predigt? Paulus hat eine klare, eindeutige Antwort: "Denn ich hatte mich entschieden, unter euch von nichts zu wissen, ausser von Jesus Christus", und er fügt gleich noch hinzu "und von ihm als dem Gekreuzigten". Und damit ist der Apostel bei seinem Thema.

Menschen können viele grossartige, gelehrte, kluge und schöne Dinge über Gott glauben, sagen und behaupten. Wer Gott ist, das wissen sie nicht. Seinem Geheimnis kommen sie mit aller Gelehrsamkeit, allem Scharfsinn und Tiefsinn und mit aller Frömmigkeit nicht auf die Spur. Wer Gott ist, sein Geheimnis – das kann nur Gott selber den Menschen sagen und offenbaren. Menschen können ihn nur erkennen, wenn er sich selber zu erkennen gibt. In Jesus, dem Messias, sagt Paulus und sagen mit ihm alle Zeugen des Neuen Testaments, hat Gott sich den Menschen zu erkennen gegeben, hat ihnen gezeigt, wer er ist. Und nun eben: im Gekreuzigten. Das geht einem gegen den Strich. Gott ist doch der Inbegriff von Weisheit und Allmacht; und so müsste er sich doch zu erkennen geben in den Gedanken, Worten und Schriften der grossen Philosophen und Dichter. Da man ihn "König" und "Herrscher" nennt, müsste der Glanz von irdischen Königen und Herrschern etwas wiederspiegeln von Gottes Herrlichkeit und Grösse. Etwas von seinem Geheimnis müsste aufleuchten dort, wo Menschengeist und Menschenmacht Grosses und Prächtiges erbauen, in Palästen, Tempeln und Kathedralen, in den grossen Entdeckungen, Erfindungen und Fortschritten vielleicht, die das Leben der Menschen erleichtern.

Statt dessen begegnet Gott der Welt und den Menschen in der Gestalt eines Menschen, der nicht zu den Grossen und Mächtigen gehört. Er begegnet uns in einem wehrlosen kleinen Kind und in der Ohnmacht dessen, der verfolgt, ans Kreuz gehängt und getötet wird. Gott offenbart sein Geheimnis, das Geheimnis seines Gott-Seins nicht in den spekulativen Einsichten grosser Philosophen und nicht in Demonstrationen geistiger und kultureller Grösse, sondern in einem Menschen, der seinen Willen auf Erden tut und erfüllt: in Jesus Christus, dem Menschen, der ganz für die andern da ist, für sie lebt und stirbt, dem Menschen, der in seinem unbeirrbaren Vertrauen auf Gott auf jede Gewalt verzichtet. Das durchkreuzt alle Gottesvorstellungen und Gottesbilder, die Menschen sich je und je gemacht haben. Es ist wirklich so, wie es geschrieben ist: "Was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, was in keines Menschen Herzen aufgegangen: All das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben."

Von einem "Geheimnis" redet Paulus. Damit meint er nicht, Gott sei eine Art Geheimniskrämer, der sich listig versteckt und die Leute herumrätseln lässt. Was hier mit "Geheimnis" übersetzt ist, heisst im griechischen Original des Paulusbriefes mysterion, Mysterium. Und das bezeichnet das ganz und gar Unfassbare, Unvorhergesehene, Überraschende, eben das, "was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat". Und in diesem Mysterium liegt die Versöhnung und die Zukunft aller Menschen und der ganzen Welt beschlossen. Sie wird nicht gerettet durch menschliche Grosstaten, Erfindungen und Geistesblitze; sie wird dadurch gerettet und erlöst, dass Gott sich ihr in Jesus dem Messias für immer verbündet und verschrieben hat, in dessen Sterben am Kreuz und in seiner Auferweckung von den Toten der Welt den Weg aus dem Tod ins Leben aufgetan hat.

Nichts wissen ausser von Jesus dem Messias – und von ihm als dem Gekreuzigten! Das bringt unsere Begriffe von Weisheit und Grösse durcheinander; es bringt eine ganz neue Weisheit. Und das soll, sagt Paulus, der Inhalt und das Zentrum der Verkündigung, der Predigt sein. Daran soll jeder Prediger sein Tun und Reden ausrichten und messen lassen. Und daran sollen auch die Hörerinnen und Hörer ihre Erwartung an die Verkündigung prüfen und ausrichten.

Es kann dann sehr wohl das Urteil darüber, was nun eine gute Predigt sei, ganz anders ausfallen, als wir meinen. Ob sie eine gelungene kulturelle Veranstaltung ist, wird jedenfalls nicht mehr das Kriterium sei, auch nicht, ob sie besonders originell und geistreich, ob sie besonders eindrücklich formuliert und wissenschaftlich-theologisch hintersetzt ist und nach den Regeln der Rhetorik vorgetragen wird, sondern dass sie erfüllt ist vom Geist und von der Kraft Gottes, eben jener "Kraft, die in der Schwachheit zur Vollendung kommt" (2.Kor. 12,9). Auch das Ansehen und der Erfolg des Predigers und eine volle Kirche sind noch lange kein Erweis von Geist und Kraft (allerdings ist eine leere Kirche auch kein Indiz dafür).

Das alles muss ich mir gründlich hinter die Ohren schreiben, wenn ich an mein eigenes Predigen denke. Und Sie, liebe Gemeinde, müssen es sich auch hinter die Ohren schreiben, wenn Sie sich Rechenschaft geben über die Erwartung, die Sie an eine Predigt und an einen Gottesdienst herantragen. Paulus stellt uns alle ganz schön in Frage!

Karl Barth, der grosse evangelische Theologe, hatte dafür ein feines Gespür. Als zu seinem 80. Geburtstag – das war 1966 – allenthalben zu lesen und zu hören war, er sei der grösste Theologe des Jahrhunderts, hat er an seiner Geburtstagsfeier dazu gesagt: "Wenn einmal herauskommen wird, wer der grösste Theologe dieses Jahrhunderts gewesen ist, dann wird vielleicht irgendein kleines Männlein oder Weiblein, das in aller Stille irgendwo Bibelstunden gehalten hat, im Licht stehen und wird tatsächlich der grösste Theologe des Jahrhunderts gewesen sein." Und dann hat er in seiner Ansprache ein paar Sätze von Martin Luther zitiert, die er sich Jahrzehnte zuvor in das Handexemplar seines Buches über den Römerbrief, das ihn über Nacht berühmt machte, zur eigenen Mahnung geschrieben hatte. Die Worte Luthers lauten: "Fühlst du dich aber und lässest dich dünken, als habest du es gewiss und kitzelst dich mit deinen eigenen Büchlein, Lehren oder Schreiben, als habest du es sehr köstlich gemacht, und trefflich gepredigt, gefällt dir auch sehr, dass man dich vor andern lobe, willst auch vielleicht gelobet sein, sonst würdest du traurig werden oder ablassen. Bist du derart, mein Lieber, so greif dir selber an deine Ohren, und greifest du recht, so wirst du finden ein schön Paar grosser, langer, rauher Eselsohren; so wage vollende die Kost daran, und schmücke sie mit güldenen Schellen, auf dass, wo du gehst, man dich hören könnte, mit Fingern auf dich weisen und sagen: Seht, seht, da geht das feine Tier, das so köstliche Bücher schreiben und trefflich wohl predigen kann. Alsdann bist du selig und überselig im Himmelreich; ja, da dem Teufel samt seinen Engeln das höllische Feuer bereit ist."

Das ist eine schöne Auslegung und Ergänzung der Worte aus dem 1. Korintherbrief des Apostels Paulus. Auch sie will ich mir hinter die Ohren schreiben., damit sie nicht zu langen, rauhen Eselsohren werden. Ich werde weiterhin für mein Predigen aufbieten, was ich theologisch gelernt habe; ich werde weiterhin mich bemühen, eine Predigt ordentlich zu formulieren und ansprechend vorzutragen. Aber die Frage muss mir brennend gegenwärtig bleiben – und da mögen dann schon einmal Frucht und Bangen aufkommen – ob in meiner Predigt das Mysterium des Gottes zur Sprache kommt, das in Jesus dem Messias, dem Gekreuzigten offenbar wurde. Und ich muss mir genau darüber Rechenschaft geben und wohl zu unterscheiden lernen, ob die Predigt nun ein geistreiches Erzeugnis meiner Weisheit sei – oder zum Erweis von Geist und Kraft Gottes werden kann. Es könnte nämlich noch einmal herauskommen, dass die Predigt des Kollegen, dessen Gottesdienst nur von Wenigen besucht wird, ganz anders von diesem Geist und dieser Kraft erfüllt war als die meine.

Und Sie, liebe Gemeinde, werden genau so unterscheiden und entscheiden, wenn Sie am Gottesdienst teilnehmen und eine Predigt hören oder lesen. Dazu wünsche ich Ihnen den Geist Gottes. Amen.

Pfarrer i.R. Klaus Bäumlin
Liebeggweg 19
CH-3006 Bern
klaus.baeumlin@bluewin.ch

 

 


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