Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

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3. Sonntag nach Epiphanias, 22. Januar 2006
Predigt zu 2. Könige 5, 1-19, verfasst von Wolfgang Petrak
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

Was hat er doch noch gesagt?„Ziehe hin in Frieden“!

Naeman warf noch einmal einen prüfenden Blick auf seinen Körper. Alles makellos rein. Ein Wunder, wirklich. Wenn er zurück dachte, zwei Neumonde zuvor: da hatte es ihn geekelt, sich mit einem Schwamm die Füße reinigen zu lassen, geschweige denn noch weiter den Körper hinauf zusehen. Es ist dieses Nichtverhältnis zu sich selbst gewesen, was ihn krank gemacht hatte. Doch nun sollte, Gott sei Dank, alles anders werden. Vorsichtig nahm Naeman die Alabasterflasche vom Brett aus dunklem Zedernholz und goss tropfenweise etwas von dem Öl, dem der Duft von Rosen und Balsam beigemischt waren, auf die Hand und rieb seinen Körper ein, langsam, von oben nach unten, und vor allem vorsichtig, so als könne er mit den sanft kreisenden Handbewegungen trotzdem noch verschorfte Wunden aufreißen, die unter der Hautoberfläche unsichtbar verborgen sein mochten. Doch er konnte es fühlen. Gesund. Ganz. Heil. Schön. Und deshalb nochmals ein unausgesprochenes Gott sei Dank, so wie es wohl Menschen aller Völker im ganzen Land Aram, ja und noch darüber hinaus von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu sagen pflegten. Manche opferten auch, wie er wusste, und auch er hatte sich vorgenommen, etwas zu tun, aber Elisa hatte es nicht gewollt. Und was Gehasi anbelangte: das war eine andere Geschichte gewesen, so sind eben die Menschen.

Jetzt aber sollte es anderes geben, das was er schon so lange entbehrt hatte. Naeman ließ sich das weichste Gewand um seine Schultern legen, bedeckte sorgsam seine Blösse, ergriff mit spitzen Finger den ihm dargebotenen gebratenen Hammelschwanz, tunkte diesen in eine Schüssel mit Honig, knabberte genussvoll und vor allem nicht zu heftig, damit kein Fett auf sein Gewand tropfte und trat so aus dem Obergemach seines Hauses ins Freie.

Die untergehende Sonne hatte flammend gezackte Ränder an die Wolken gemalt, ihr Rot wiederholte sich für einen kurzen Augenblick an den Zinnen der Burg seines Königs Adad-idri. Mochte der sich doch hinter seinen Mauern verborgen halten: er jedoch, Naeman, war jetzt mit Gottes Hilfe frei und leicht wie die Schwalbe am Himmel, die kreischend im Tiefflug jetzt die Mücken jagte, war jung und stark wie der Widder in der Wüste, den seine Reiter in Qarqar erlegt und über dem offen Feuer gebraten hatten, kurz bevor die Schützen von Assur hindurch gezogen waren; nein, er hatte damals nicht vermocht, sie mit den Seinen aufzuhalten. Aber er war sich auch schon damals ganz sicher gewesen, dermaleinst sein Schwert im Oberen Meer reinigen zu können, so Gott will, wie er denn auch heißen mag.

Tief sog Naeman die Luft ein. Schwül war sie vom sich schwärzenden Himmel, und schwer noch vom Duft der Zedern und den Blüten der Zyperblumen. Der abgenagte Knochen des Hammelschwanzes fand seinen Weg, und bevor Naeman einen neuen nahm, griff er in den Sack mit Erde, ließ sie durch die Finger rieseln; einige Körner blieben an seinen Fingern kleben: so feucht war sie, die Erde vom Jordan, die ihm heilig geworden war, und er wusste, er würde immer etwas in den Händen behalten wollen. Nie würde er es vergessen. „Ziehe hin mit Frieden“, hatte jener gesagt, der mit Namen Elisa hieß, den aber die Söhne der Propheten „Abi, mein Vater“ genannt hatten. Auch hatten sie zu sie zu diesem gesagt: „Du Wagen Israels und sein Gespann“.

Lächeln musste Naeman bei diesen Gedanken, hatte er selbst doch vor Mondes Frist vor dem Hause Elisas mit Pferd und Wagen gehalten, nach dem Manne Gottes verlangt, so wie es ihm die Sklavin seiner Frau, auch sie aus dem Volke Israel, aus Samaria, ihm bedeutet hatte – mein Gott, was tut man nicht alles, wenn man nicht weiter weiß! Und dann hatten sie ihn warten lassen. Baden hatte er sollen. Um Gottes Willen, hier, hatte er gedacht, hier in dieser Brühe, die die Rinnsale und Bäche und verstopften Brunnen der Dörfer dieser Hirten zusammenführte; wie klar war ihm das fließende Wasser in den Bergen seines Volkes erschienen! Und dann hatte er es doch gemacht. Denn sie pflegten wohl zu sagen: „Krumm kann nicht grade werden“ (Pred. 1,15); aber es heißt doch auch: „Wer fromm ist, der erlangt Wohlgefallen vom Herren“ (Spr. 12,2), und schließlich glauben wir doch alle – Irgendwie... Oder“? Naeman fuhr mit seiner Zungenspitze über die unwillkürlich nach innen gespannten Lippen. Nein, nein. Kein Brennen. Und vor allem : keine Bläschen. Rein war er, Gottseidank: rein!

Der Wind hatte sich aufgefrischt, trieb einige schon trockene Weinblätter vor sich her. Die Vögel waren verstummt. Irgendwo angstvoll blökende Schafe. Zuckendes Licht über den Himmeln. Dieses tiefe Rollen. „Zieh hin in Frieden“. Er wusste, es ist jetzt endlich Zeit, er könnte hinuntergehen zu seiner Frau. Und vielleicht ist ja auch ihr Mädchen da. Ihren Namen kannte er ja nicht. Vielleicht sollte er danach mal fragen. Dankbar ist er ja ihr auch gewesen. Doch, schon. Und dass sie aus Samaria kommt- Naja. Das ist ja mit Elisa auch so. Und den Söhnen der Propheten, dieser eigenartigen Gruppe. Ärmlich, diese jungen Leute. Und so starr in ihrem Sinn. Wie sie auf den Erbteil ihres Landen pochen. Von ihren Vätern, sagen sie. Ihr Recht. Gottes Recht, sagen sie. Nun ja. Doch die Zeit ist längst weiter gegangen. Handel ist jetzt angesagt, nicht nur für die Aramäer. Auch für Israel, das der König Adad-idri und schließlich er selbst, der aramäische feldhauptmann, befriedet hatten. Und das Kriegsrecht erst recht, diese Möglichkeiten. Vielleicht sogar Bündnisse gegen Assur. Sollen sie doch friedlich sein. Aber: dankbar ist er schon. Und friedlich gestimmt, durchaus.

Wenn es doch nicht so schwül wäre. Naeman steigt die Stufen hinab, um in der Kühle des Hauses die Seinen zu finden. Doch dann muss er hören, was er so gut kennt. Ross und Wagen vor seiner Tür. Das Klopfen und Schreien. Dann der Befehlston. Sein Name, laut ausgerufen. Auch das Klirren der Waffen, wenn sich die Mannen mit ihren Schwertern eilen, um zu sichern.

„Hier bin ich“. Wortlos ergreifen die feldgrauen Bogenschützen ihren Feldhauptmann. Mit starrem Gesicht führen die, die er sonst geführt hatte, zum Palast des Adad-idri, demKönig von Aram. Rosse und Reiter, Reiter und Rosse auf dem Weg durch das Dunkel der Nacht. Wer hilft? Vor dem Angesicht des Königs wirft Naeman sich in den Staub. Er sagt: „Ma-ri“!und denkt: Das heisst 'Mein Herr', das sagen sie in Israel zu einem anderen; Elisa aber heißt 'Mein Vater und: Du Wagen Israels und sein Gespann' .Wer aber lenkt?

Adad-idri heißt Naeman sich zu erheben. Denn er solle ihm seinen Arm bieten, damit er sich darauf lehnen und stützen könne, um im Tempel Rimmons zu beten. Eilfertig antwortet Naeman:„ Wenn der Herr seinem Knecht gnädig ist, so will ich mich erheben und meinen Herrn stützen, wenn er zu seinem Herrn beten will. Ist doch Gewitter, und der Wetter-Gott Hadad möge dem Donner und dem Blitz Einhalt gebieten, so wie es vor Zeiten war und ist und bleiben wird“.

„Du redest fromm, aber wie kannst du mich stützen, wenn du einem anderen Herrn dienen willst? Wie kannst du mit mir beten, wenn dir in deinem Haus eine dient, die nicht unserem Gott dient? Und wie kannst sagen in der Stadt, du seiest heil und gesund, wenn du von einem anderen dein Heil hast also von deinem König und Herrn? Solltest du nicht ernstlich, vor allem was jene Frau anbelangt, aber auch ich selbst, mein Name...“?

Wieder fährt die Zungenspitze über die angespannten Lippen des Feldhauptmannes. Er weiß, dass er dort morgen Bläschen haben kann. Er weiß, das er am liebsten so antworten würde: Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herren dienen. Aber wer ist denn der Herr? Um Gottes Willen: ich will doch bloß in Ruhe leben. Oder in Frieden ? Oder- ist das alles falsch? gibt es nicht Augenblicke, in denen man widerstehen, die Wahrheit sagen muss? Naeman fühlt, dass sein Mund jetzt trocken und verschlossen ist. Er hatte gedacht, ganz und heil zu sein. Doch mit einem Mal weiss er über seine Abgründe. Weiss, dass er wie zersprungen und zersplittert ist. Ahnt seine Schuld, auch wenn sie nur gedacht war. Wieder fährt seine Zungenspitze über die gepressten Lippen. er weiss auch: Dort, wo es jetzt in den Winkeln des Mundes brennt, könnten morgen wieder die Bläschen sein.

Jetzt ist es der König, der sich nun in seiner Huld über dem im Staube Schweigenden beugt. „Nun gut, erhebe dich also. Wir haben doch alle unseren Glauben, irgendwie. Und das verbindet uns und hält das ganze Reich zusammen. Übrigens, wenn wir schon dabei sind: Ist dir zu Ohren gekommen, ob der Elisa, der Prophet Israels, du sollst ihn ja so gut kennen, sag: Hat der sich mit einem Mann namens Hasael getroffen? Sag es Adad-idri“.

Es gibt eine Zeit, in der wichtig ist, was gesagt worden ist. „Nein“, sagt Naeman und erhebt sein Gesicht voller Entschlossenheit, sodass beider Augen sich begegnen. „Ganz entschieden: Nein, Ma-ri. Nicht was wir erreichen wollen zählt. Auch nicht mit unserer Frömmigkeit. Was die Welt zusammenbringt, ist etwas anderes. Der Herr wird von sich aus kommen, und wir werden es nicht verhindern. Mit seinem Recht wird der kommen, der den Namen aller Namen trägt. Und er mit seinem Frieden kommen, der höher ist als unsere Vernunft. Dann werden wir sehen: der Gerechte wird leben; aus Glauben“ (Römer 1,17).

P. Wolfgang Petrak
Schlagenweg 8a
37077 Göttingen
w.petrak@gmx.de


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