Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

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4. Sonntag nach Epiphanias, 29. Januar 2006
Predigt zu Epheser 1, 15-23, verfasst von Siegfried Sunnus
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

„Erleuchtete Augen des Herzens“, heißt es im Vers 18. Dazu passt Saint-Exupery mit der Bemerkung aus dem Kleinen Prinzen: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“
An diesem Satz bin ich hängen geblieben. Denn er enthält das Geheimnis. Diesen Satz richtig zu verstehen, zu beherzigen, heißt auch richtig zu erkennen!

Das 20. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Bilder geworden: Foto, Film, Illustrierte, Fernsehen, Video, usw. Unsere Vorfahren, noch vor 150 Jahren, sahen Bilder nur, wenn sie in die Kirche gingen (Fenster!) und Zeichnungen in der „Gartenlaube“ – der damals weit verbreiteten Familienzeitschrift oder dem „Neuruppiner Bilderbogen“. Vielleicht besaßen sie auch Drucke: Der „breite und der schmale Weg“ waren sehr verbreitet, wie auch die Alterstufen des Menschen: Aufstieg vom Kind zum Erwachsenen und dann Abstieg zum Greis.
Reiche Leute hatten Gemälde, vielleicht auch Porträts ihrer Vorfahren – aber sonst war die Welt eine bilderlose Welt; sie hatten nur das Original zur Verfügung und das war selten: Wenn der König beispielsweise ein Denkmal einweihte. Und dann natürlich das Original der Natur: Tiere Pflanzen usw.

Wir dagegen können soviel sehen, Urlaubsfotos reproduzieren und Familienfeste mit der Videokamera aufnehmen, Fernsehen auf –zig Kanälen einschalten. Was sehen wir denn eigentlich? Nehmen wir beispielsweise die politischen Ereignisse der letzten Zeit: (Aktualisieren!) Was sehen wir? Anders gefragt: Können wir diese Bilderflut überhaupt aufnehmen und verarbeiten? Was sehen wir dagegen mit dem Herzen?
Das Fernsehen bringt uns Gesichter in Großaufnahmen ganz nah, über hunderte und tausende Kilometer Entfernung. Was sieht unser Herz in diesen Gesichtern? Masken? Schrecken? Leid der Kreatur? Triumph? Niederlage? Blanke Angst?

In Fragen der Religion scheint für viele die Zeit des ungläubigen Thomas vorbei zu sein. Der sagte zur Osternachricht: Nur wenn ich den Auferstandenen sehe und mit meinen Händen tasten kann, werde ich es glauben.
Viele glauben heute allen möglichen Unsinn – Esoterik, Sekten, Horoskop, Wahrsagerei vor schwierigen Entscheidungen, Geld, Macht usw.
Aber sie haben keine erleuchteten Augen des Herzens.

Mit der Wahrheit der Religion ist es wie in einer echten Liebesbeziehung: Ich behalte meinen Verstand und sehe aber mit dem Herzen tiefer, klarer, vertrauensvoller. Was mit Jesus nach seinem Tod geschehen ist, wovon die Sätze aus dem Epheserbrief sprechen, stellt sozusagen eine himmlische Schau dar. Sie läßt sich nicht abfotographieren und durch keine Fernsehübertragung direkt sichtbar machen. Aber dies mit den erleuchteten Augen des Herzens ‚sehen’ zu können, ist Leben im Tod, ist Freude im Leid, ist Trost in der Hoffnungslosigkeit.
Dieser Blick steht nicht jederzeit auf Abruf, auf Befehl, zur Verfügung – mancher muß bis in seine letzte Lebensstunde darauf warten, mancher hat es schon in der Musik erahnt („Gloria sei dir gesungen…“), aber einmal erblickt, geglaubt, erkannt, trägt es weiter und hilft unserem Verstand auf.

Was auf uns alles einstürzt, was an Bildern uns überflutet, können wir mit dem Verstand allein nicht auf ein bekömmliches Maß reduzieren. Wir brauchen einen ‚Augenschutz’, damit wir deuten, einordnen und weiterleben können – ohne zu verdrängen, weggucken, beschönigen zu müssen. Deshalb ist die Bitte um die „erleuchteten Augen des Herzens“ so wichtig: Denn in dieser Bitte wenden wir uns nach Innen, zur Stille, zum Versenken – da geschieht das, was die Bibel „Anbeten“ nennt: Damit wir von Gottes Licht Erleuchtung erhalten. Und dann sehen wir auch den Politiker z. B. neu: worin er seine Würde und seine Menschlichkeit verletzt hat – zu der er doch wie wir berufen ist. Sehen wir Machtverhältnisse neu, dann steht auch die Verteilung von Reichtum und Armut weltweit auf dem Prüfstand, auch bei uns selbst.
Erkennen wir, daß Christus das Haupt seiner Kirche ist – kein Papst, Bischof oder Pfarrer!
Das, liebe Gemeinde, ist die christliche „Revolution der Denkungsart“ (I. Kant), von der solche Sätze aus dem Epheserbrief erzählen.
Amen

Liedvorschläge:
446, 1-4+7 Wach auf, mein Herz
346, 1-3 Such, wer da will
374 Ich steh in meines Herren Hand
74 Du Morgenstern, du Licht
147, 3 Gloria sei dir gesungen

Pfarrer Dr. Siegfried Sunnus
Frauensteinstr. 12, 60322 Frankfurt
Tel. 069-59 81 69; Fax – 59 79 51 64
s.sunnus@deutsches-pfarrerblatt.de


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