Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

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4. Sonntag nach Epiphanias, 29. Januar 2006
Predigt zu Matthäus 14,22-33, verfasst von Anders Gadegaard (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Glaube und Hoffnung existieren nicht unabhängig voneinander. Sie sind zwei Seiten ein und derselben Sache.

Zu glauben ist, sich darauf zu verlassen, dass alles nicht gleichgültig ist, sondern dass es immer neue Möglichkeiten für Leben, für Sinn, für Freude gibt. Aber genau das ist ja „hoffen“. „Die auf den Herrn harren / hoffen, kriegen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler“, wie wir Jesaja haben sagen hören (Jes. 40,30f). Die Hoffnung richtet sich auf die Zukunft und setzt ihr Vertrauen in etwas, was außerhalb von einem selbst ist, dass es sich zeigen und für uns wirken wird in einer im Übrigen ungewissen Zukunft. Diese Hoffnung verleiht Kraft, sie gibt Adlerfittiche. Das heißt glauben.

Zu glauben in Hoffnung gegen die Hoffnung, das ist eine genaue Beschreibung des tiefsten Wesens des Glaubens, so wie Paulus es über den Glauben Abrahams gesagt hat (Röm. 4,18f). Abraham wurde in seinem hohen Alter von 80 Jahren ein Kind versprochen – und Sara war fast 100! Zweifellos ein unmöglicher Gedanke. Man wundert sich nicht, wenn Sara lachte, wie erzählt wird. Aber Abraham... er glaubte mit Hoffnung entgegen jeder wahrscheinlichen rationalen Hoffnung.

Ich will eine Parallele zu unseren eigenen Erfahrungen ziehen: Die Meisten von uns haben wohl erlebt, wie das ist, wenn man in enger Verbindung mit Menschen steht, die erfahren haben, dass sie binnen Kurzem sterben müssen. Und es zweifellos recht unterschiedlich, wie der einzelne Sterbende sich in einer derartigen Situation verhält. Manche verdrängen ihr Wissen und leben nach Möglichkeit weiter, als wäre nichts geschehen. Andere zürnen, finden es ungerecht, dass ausgerechnet sie dieses Schicksal erleiden sollen. Wiederum andere erliegen einer Depression und resignieren, können nicht die Kraft aufbringen, die letzte Zeit zu leben. Aber – eigentümlicherweise, vielleicht – das Gewöhnlichste ist, dass man mit Hoffnung reagiert! Die Hoffnung kann sich darauf richten, dass man sein Vertrauen in eine unerwartete Neuentdeckung in der Erforschung der betreffenden Krankheit setzt, in eine neues Heilmittel, das erfunden wird. Oder die Hoffnung kann sich darauf richten, dass es einem plötzlich wieder besser geht. Und wieder ist es doch das Gewöhnlichste, dass die Hoffnung neben der Gewissheit des baldigen Todes besteht! Man leugnet nicht die Wirklichkeit in dem Bescheid über die tödliche Krankheit, aber man hofft trotzdem. Wie wenn das Leben plötzlich, wie durch einen Zauberstreich, für den betreffenden Menschen unschätzbar wertvoll geworden ist. Wie wenn der einzelne Augenblick das ganze Leben wert ist. Wie wenn der Bescheid über den bevorstehenden Tod zu einer für alle Beteiligten überraschenden inneren Ruhe und Klärung geführt hat.

Neben der negativen Macht also, die dem Sterbenden große Leiden und viel Angst und Sorge verursacht, zeugt die Tatsache, dass die Hoffnung lebt, davon, dass da auch eine positive Macht wirkt, eine Macht, die es trotz des Leidens und der Angst möglich macht, von Augenblick zu Augenblick weiterzuleben, und zwar oft mit einer überraschenden Energie, so dass der Sterbende nicht selten imstande ist, seiner Umgebung mehr zu geben als umgekehrt. Das heißt hoffen entgegen aller Hoffnung. Das ist Glaube.

Es ist also etwas völlig anderes als die vielen alltäglichen Erwartungen und Hoffnungen, die wir uns machen, dass das eine oder andere in der Zukunft einmal geschehen möge. Diese Hoffnungen können enttäuscht werden, wie wir alle wissen. Das kann aber die absolute Hoffnung, wie wir sie nennen können, nicht. Denn sie richtet sich, wie gesagt, nicht auf ein konkretes Ereignis oder Ding in der Welt. Und diese Hoffnung ist ganz unentbehrlich, um leben zu können. Nicht zuletzt für den unheilbar Kranken ist sie unentbehrlich. Sie zeigt sich in Geduld, Ausdauer, einer besonderen Freiheit der Tatsache gegenüber, dass man auf den Tod krank ist.

Diese Hoffnung trägt den Einzelnen weit über sich selbst hinaus, denn die Hoffnung besteht ja darin, dass das Leben siegen wird, dass man weiterhin bestehen wird, heil und gesund werden wird, trotz des Wissens, dass man sternen muss. Das bedeutet, dass das nur geschehen kann, wenn man die Grenzen des Individuums überschreitet. Und das tut man in dieser Hoffnung. Es liegt mit anderen Worten nahe, zu sagen, dass sich die Hoffnung auf „das ewige Leben“ richtet – was immer das bedeuten mag. Darauf will ich zurückkommen.

Die Bedeutung dieses Zusammenhanges zwischen Hoffnung und Glauben will uns die Erzählung von Jesu Wanderung auf dem See verstehen helfen. Petrus bekommt Angst, wie die anderen im Boot, als sie etwas sehen, von dem sie glauben, es sei ein Gespenst, das auf dem Wasser gehend daherkommt. Aber Petrus ist geistesgegenwärtig genug, um dem „Gespenst“ zu „antworten“, als Jesu Stimme ertönte: „Ich bin’s, seid getrost!“ Petrus verlangt eine Art Versicherung, dass es auch tatsächlich Jesus ist: „Herr, wenn du es bist, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf den Wellen.“ Und auf das eine Wort hin: „Komm!“, wagt Petrus sich aus dem Boot und hinaus auf die Wellen.

Der Glaube des Petrus zeigt sich darin, dass er sich auf das eine Wort hin auf die gefahrvolle Wanderung begibt. Sein spontanes Vertrauen darauf, dass Jesus die Furcht beseitigt und ihn über das Wasser trägt. Er setzt spontan sein Vertrauen darauf, dass seine Zukunft in Gottes Hand ist.

Dieser Glaube ist offensichtlich kein Ergebnis der Tatsache, dass Petrus beschlossen hat, dass es wohl Christus sein muss, Gott selbst, der da draußen auf den Wellen geht. Glaube ist nie das Ergebnis von Reflexion, man kann sich nicht entschließen zu glauben. Auf diese Weise verhält sich der Glaube auch nicht zur Rationalität in der Mitteilung, dass ich auf Grund einer unheilbaren Krankheit sehr bald sterben muss. Werde ich morgen sterben? – oder: können die Wellen mich tragen? Nicht Fragen dieser Art rufen den Glauben hervor – eher im Gegenteil. Der Glaube ist keine geistige Leistung, wo man sich erkühnt, einen naturwidrigen Gedanken anzunehmen. Nein, der Glaube wird durch Vertrauen entschieden, durch die Hoffnung. – Dass es so ist, zeigt nicht zuletzt die Fortsetzung der Geschichte: Als Petrus über die ganze Situation nachzudenken beginnt: „Was tue ich da eigentlich? hier draußen auf dem Wasser gehen, das ist ja unmöglich!“ – da beginnt er denn auch, im Wasser zu versinken.

– Es ist eine menschliche Grundbedingung des Daseins, über Sinn und Ziel unseres Lebens zu spekulieren, und deshalb wird sich unweigerlich auch der Zweifel einstellen. Der Zweifel am Sinn dessen, dass ich hier in diesem Zusammenhang und unter diesen Bedingungen existiere. – Ja, wir alle würden anfangen, da draußen auf den Wogen zu versinken.

Da wird uns dann die erlösende Hand entgegengestreckt, genau wie es für Petrus geschah. Und Jesus sagt zu Petrus: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ Das heißt: „Warum vertrautest du nicht darauf, dass dein Herr dir entgegenkommt und sich deiner annimmt, ganz gleich, wie es dir ergeht? – Hoffe auf den Herrn, dann bekommst du Adlerfittiche, die dich über das Meer tragen können!“

Nein, der Glaube ist nicht etwas, worüber wir verfügen, es ist etwas, was wir sind. Wir können dem Leben gegenüber treu sein, das wir zu den Bedingungen erhalten haben, die jetzt die unsrigen geworden sind. Wir können unsere Energie und Willenskraft darauf verwenden, am Sinn dessen festzuhalten, dass wir fortgesetzt in das nächste Jetzt hineingehen und seine Herausforderung annehmen. Oft ist das Leben wie eine Wanderung auf nächtlich schwarzen Wogen ohne Sicherheit, nicht unterzugehen. Was wir tun können, ist dann dies, dass wir fortgesetzt unser Vertrauen darauf setzen, dass die Zukunft in der Hand Gottes liegt. Ungeachtet, wie es mir geht, erklingt ein „Komm!“ von dem nächsten Jetzt in meinem Leben – „Komm hierher, wage auf mein Wort den ersten Schritt in eine ungewisse Zukunft!“ Fange ich dann an, auf meinem Wege zu versinken, wird mir eine rettende Hand entgegengestreckt, darauf kannst du dich verlassen! Auf IHN kannst du dich verlassen.

Die Sicherheit liegt darin, dass nicht ich es bin, der um meinetwillen mich selbst von der Gegenwart Gottes überzeugen soll. – Wie sollte ich das überhaupt auch können, ohne dass sich da egozentrische Motive einschleichen? Das ist das Problem von allem Pharisäismus. Nein, es ist so herrlich, dass Gott selbst mir entgegenkommt, sanft aus dem Bekannten schreitend, aus meiner Zukunft, über die wilden Wogen meines Weges, um mich zu greifen, wenn ich zu versinken und aufzugeben drohe.

Zu glauben heißt, darauf zu vertrauen, dass jeder neue Augenblick auch für mich Möglichkeit enthält. Möglichkeit weiter zu kommen, Möglichkeit für Sinn, Fülle, Freude. Das ist die Botschaft der Auferstehung. Damit verbindet sich die Hoffnung auf das ewige Leben: Dass die Möglichkeit, die immer wieder aus dem Nichts entsteht, die Nähe Gottes ist, das ewige Leben mitten unter uns Christus ist, die Liebe Gottes zu uns ist. Auf diese verborgene Wirklichkeit sollen wir unser Vertrauen setzen, aus ihr sollen wir leben. Das heißt glauben. Das heißt „auf den Herrn warten“.

Es ist nicht unsere Aufgabe, in der Gegenwart Gottes das Glück in der Zeit in dem Sinne zu suchen, dass wir uns selbst fragen: „Wo mag ER sein, wie mag ER sich zeigen, ist dies hier Gottes Tat, oder ist dieser hier – wenn nur Er mir eben jetzt zeigt, was ich zu tun habe, dann wird alles gut.“ – Spekulationen dieser Art führen zu nichts. Es wäre der Versuch, das Heilige vom Profanen, das Göttliche/Himmlische vom Menschlichen/Irdischen trennen zu wollen – und dann sein Leben zu führen versuchen im Interesse für die göttliche Sphäre. Das kann man nicht, das führt bloß dazu, dass man sowohl Gott als auch Menschen im Stich lässt. Das Göttlich/Himmlische ist das Menschlich/Irdische, wenn es wahr und vollkommen ist. Willst du in den Himmel sehen, dann musst du deinen Blick auf dein irdisches Leben heften und dessen Wahrheit finden. Die Wirklichkeit ist eine, nicht zwei.

Dieser Glaube verlangt keine religiöse Anstrengung. Er verlangt aber, dass man sein Leben will, dass man es jeden Augenblick als etwas nimmt, was einem gegeben ist mit Möglichkeit, mit Sinn – trotz all des Unglücks, mit dem das Leben auch versehen ist. Glauben heißt darauf vertrauen, dass Christus aus dem Nichts mit Erlösung zu uns kommt, mit neuem Leben dort, wo wir nur Finsternis und aufgepeitschtes Meer sehen.

Amen.

Dompropst Anders Gadegaard
Fiolstræde 8,1
DK-1171 København K
Tel.: +45 33 14 85 65
E-mail: abg@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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