Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

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4. Sonntag nach Epiphanias, 29. Januar 2006
Predigt zu Epheser 1, 15-20a, verfasst von Christine Hubka
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"Nachdem ich gehört habe von dem Glauben bei euch an den Herrn Jesus und von eurer Liebe zu allen Heiligen, höre ich nicht auf, zu danken für euch, und gedenke euer in meinem Gebet, dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen.
Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns, die wir glauben, weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde, mit der er in Christus gewirkt hat."

Seit ich mich erinnern kann,
höre ich Menschen sagen:
„Glauben kann ich auch allein!“

Manchmal wird damit ausgedrückt,
warum jemand nicht den Gottesdienst mitfeiern will.
Allein – hoch oben am Berg,
oder im tiefen Wald,
geht das besser,
das Glauben.
Da sind nicht die vielen anderen da,
die doch nur stören.
Die ja manchmal auch den Glauben
auf eine harte Probe stellen.

Glauben kann ich auch allein.
Das höre ich von Menschen,
die der Kirche – den Kirchen kritisch gegenüber stehen.

In so einem Fall kann ich nur nicken und sagen:
Freilich, glauben kannst du auch allein.

Und – weil wir jetzt unter uns sind,
sage ich es noch schärfer:
Du kannst nicht nur allein glauben.
Du musst sogar allein glauben.

Denn:
Niemand kann sich vertreten lassen,
wenn es um den Glauben und die Folgen daraus geht:
Wer glaubt, sagt:
„Das ist meine Überzeugung.“
„Ich stehe dazu
und zu den Konsequenzen,
die sich aus dieser Überzeugung ergeben.“

So werden seit Jahren hier auch die Konfirmandinnen
und Konfirmanden am Tag ihrer Konfirmation gefragt:

Seid ihr euch bewusst,
dass euer Bekenntnis heute
Folgen für euer Leben hat.

Der hundertste Geburtstag von Dietrich Bonhoffer,
der in den letzten Kriegstagen
noch von den Nazis ermordet wurde,
bringt das wieder eindringlich in Erinnerung:
Glauben musst du allein.
Und die Folgen deines Glaubens
musst du schließlich auch allein tragen.

Was für die einzelnen gilt,
gilt auch für die Kirchen:
Jede Kirche kann sagen:
Wir können und wir müssen allein glauben.
Unsere Identität und unser Profil selbst gestalten.

Wir Evangelischen haben ja bekanntlich
vier Grundsätze, mit denen sich in aller Kürze
evangelisch Sein auf den Punkt bringen lässt.

Alle vier Sätze beginnen
bezeichnender Weise mit dem Wörtchen: „Allein“:

Allein die Bibel ist Grundlage und Quelle des Glaubens.
Allein Christus versöhnt uns mit Gott.
Allein aus Gnade vergibt uns Gott.
Allein durch den Glauben werde ich vor Gott gerecht.

Was liegt näher
Als nach diesem viermaligen „allein“
ein fünftes hinten dran zu setzen,
und zu sagen:
Glauben kann ich auch allein.

Nun schreibt aber Paulus nicht:
Ich gedenke an dich in meinem Gebet,
dass Gott dir gebe den Geist der Weisheit
und der Offenbarung, ihn zu erkennen.

Er schreibt,
und das ist gewiss kein Zufall:
Ich gedenke euer in meinem Gebet, dass … Gott … euch gebe den Geist der Weisheit
und der Offenbarung, ihn zu erkennen.

Vor mir entsteht ein Verständnis vom Glauben,
das sich verbindet mit der Vorstellung von Gemeinde:

Das ganze große Bild von Gott,
von Christus,
von Gnade, Liebe und Hoffnung
ist viel zu groß,
als dass ein einzelner Kopf
oder ein einzelnes Herz es fassen könnte.

Dieses Bild von Gott,
besteht aus vielen einzelnen Puzzlesteinen.
Und jede und jeder hier bringt
einen oder mehrere Puzzelsteine mit.

Gemeinsam setzen wir das Bild zusammen.
Je mehr Menschen mitbauen,
desto mehr leere Stellen werden gefüllt.

Ein praktisches Beispiel:
Nach der Predigt sprechen wir gemeinsam
das Glaubensbekenntnis.
Mir selber ist nicht an jedem Sonntag
jeder Satz, jede Aussage gleich wichtig.
Zu manchen Zeiten habe ich
zu einigen Aussagen des Glaubensbekenntnisses
ganz tiefen Zugang.
Zu anderen dafür gar keinen.

Ich vermute,
dass ich damit nicht allein hier bin.
Wenn wir aber gemeinsam
das Glaubensbekenntnis sprechen,
wenn die vielen es gemeinsam sagen,
dann werden wir wohl das ganze Bekenntnis
in seiner Tiefe und mit allen seinen Schwerpunkten
hier unter uns haben.
Dann fügen sich die einzelnen Schwerpunkte
zu einem ganzen großen Bild zusammen.

Beim Nicänischen Bekenntnis,
wo es bekanntlich nicht heißt:
Ich glaube,
wo es heißt:
Wir glauben,
wird das für mich noch deutlicher.

Dieses ganz alte Bekenntnis aus Nicäa,
ist auch das einzige,
das allen christlichen Konfessionen gemeinsam ist.
Unser gewohntes,
das Apostolische Bekenntnis,
kennen ja nur die Kirchen der westlichen Tradition.

So haben wir im Gottesdienst zur Weltgebetswoche
für die Einheit der Christen
auch dieses Bekenntnis aus Nicäa gesprochen.

Einheit unter den Kirchen,
das kann nicht heißen:
Alle werden so,
wie eine einzige schon ist.
So wenig,
wie gemeinsamer Glaube in der Gemeinde heißen kann:
Alle Gemeindemitglieder glauben so,
wie die Pfarrerin oder der Pfarrer glaubt.
Oder wie irgend jemand,
der hier halt den Ton angibt.

Einheit unter den Kirchen beginnt dort,
wo die Einheit in der Gemeinde beginnt:
Wenn die Eigenarten, die Schwerpunkte,
die Überzeugungen der anderen,
als anregend, bedenkenswert,
als nicht meines – aber auch wichtig,
angesehen werden.
Wenn sie Ansehen bekommen.

Mit großem Vergnügen habe ich vor kurzem
Einen Artikel gelesen,
den ein katholischer Theologe(*) geschrieben hat.
Er würdigt darin die ungebrochene Eigenständigkeit,
die jeder einzelne, jede einzelne Evangelische
haben kann und auch haben muss:

Dieses „Glauben muss ich zuerst allein“,
das uns unabhängig macht von Bevormundung
und Gängelung,
wenn es um den Glauben geht.

Und er würdigt die Stellung der Frau in der evangelischen Kirche.

Paulus bittet Gott,
dass er
„euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen.“

Das Projekt 66x Bibel,
das jeden Montag Vortragende aus den verschiedenen
christlichen Konfessionen zu uns bringt,
die ein biblisches Buch auf ihre Weise
und mit ihrem konfessionellen Hintergrund vorstellen,
soll das deutlich machen:

Wir haben eine gemeinsame Bibel.
Aber die Bibel selbst bietet ein ganz und gar nicht
einheitliches Bild von Gott und vom Glauben.
Und wir selber setzen dann noch dazu
unsere persönlichen und konfessionellen Schwerpunkte.
Wie bereichernd,
wie anregend das sein kann,
werden alles bestätigen,
die die ersten Abende miterlebt haben.

Hier passiert das,
was Paulus an die Gemeinde in Ephesus schreibtL

Gott gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns, die wir glauben, weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde, mit der er in Christus gewirkt hat.

Dafür sei Gott
Lob und Preis in Ewigkeit.

(*) Söding, Thomas (2006): Recht verstandene Profilierung. Ein Zwischenruf zur gegenwärtigen ökumenischen Diskussion. In: Herder Korrespondenz 60, 1/2006. S. 11 – 16.

Dr. Christine Hubka, evang. Pfarrerin
1030 Wien,
Sebastianplatz 4

christine.hubka@gmx.at


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