Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Letzter Sonntag nach Epiphanias, 5. Februar 2006
Predigt zu Offenbarung 1, 9-20, verfasst von Jörg Egbert Vogel
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


9 Ich, euer Bruder Johannes, der wie ihr bedrängt ist, der mit euch an der Königsherrschaft teilhat und mit euch in Jesus standhaft ausharrt, ich war auf der Insel Patmos um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses für Jesus.
10 Am Tag des Herrn wurde ich vom Geist ergriffen und hörte hinter mir eine Stimme, laut wie eine Posaune.
11 Sie sprach: Schreib das, was du siehst, in ein Buch, und schick es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamon, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia und nach Laodizea.
12 Da wandte ich mich um, weil ich sehen wollte, wer zu mir sprach. Als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter
13 und mitten unter den Leuchtern einen, der wie ein Mensch aussah; er war bekleidet mit einem Gewand, das bis auf die Füsse reichte, und um die Brust trug er einen Gürtel aus Gold.
14 Sein Haupt und seine Haare waren weiss wie weisse Wolle, leuchtend weiss wie Schnee, und seine Augen wie Feuerflammen;
15 seine Beine glänzten wie Golderz, das im Schmelzofen glüht, und seine Stimme war wie das Rauschen von Wassermassen.
16 In seiner Rechten hielt er sieben Sterne, und aus seinem Mund kam ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Gesicht leuchtete wie die machtvoll strahlende Sonne.
17 Als ich ihn sah, fiel ich wie tot vor seinen Füssen nieder. Er aber legte seine rechte Hand auf mich und sagte: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte
18 und der Lebendige. Ich war tot, doch nun lebe ich in alle Ewigkeit, und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt.
19 Schreib auf, was du gesehen hast: was ist und was danach geschehen wird.
20 Der geheimnisvolle Sinn der sieben Sterne, die du auf meiner rechten Hand gesehen hast, und der sieben goldenen Leuchter ist: Die sieben Sterne sind die Engel der sieben Gemeinden, und die sieben Leuchter sind die sieben Gemeinden.

Liebe Gemeinde,
Johannes, der Verfasser des letzten Buches der Bibel, der sog. Offenbarung, beschreibt mit symbolhafter, bildreicher Sprache die himmlische Existenz des Auferstandenen.
Mit den Symbolen göttlicher Herrschaft und Reinheit bekleidet, ist der auferstandene Christus das verlässliche Gegenüber für die bedrängten Gemeinden.
Den 7 Gemeinden, an die Johannes schreibt, macht er mit seiner Beschreibung Mut, standhaft im Glauben an Jesus auszuharren, trotz aller Bedrängnis.
Die Bedrängnisse seiner Zeit, dem Ende des 1. Jahrhunderts, und seiner 7 Gemeinden in Kleinasien gingen vor allem vom römischen Staat aus, der mit seiner absolutistischen Staatsreligiosität keinen anderen Glauben dulden konnte, der die römischen Götter nicht anerkennt.
Der Druck auf die Christen war zeitweilig offenbar so stark, dass man sich um die Existenz der Gemeinden und möglicherweise sogar um den Fortbestand der Kirche sorgen musste.
In dieser Situation stärkt Johannes die Gemeinden mit der Beschreibung des auferstandenen himmlischen Christus, der stark und mächtig ist, auf den sich die Christen unter allen Umständen verlassen können und der ihnen in jedem Fall zur Seite steht.

Und Johannes gibt die Worte des Trostes und der Gewissheit des Auferstandenen an die Gemeinden weiter: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch nun lebe ich in alle Ewigkeit.

Dass Christus den Tod überwunden hat, das stärkt die Christen in ihrem Glauben.

Sieben goldene Leuchter im Himmel stellen die 7 Gemeinden dar, an die Johannes schreibt. Und sieben goldene Sterne, die 7 Engel der Gemeinden, hält der Auferstandene in seiner Hand.

Der Augenschein trügt: die 7 Gemeinden sind nicht kleine Häuflein von mutlosen Christen, sondern so unscheinbar und schwach und gefährdet sie auch wirken mögen, in Wirklichkeit sind sie 7 goldene Leuchter, die der ganzen Welt vom Auferstehungslicht künden.

Solche genialen Visionäre wie Johannes bräuchte die Kirche eigentlich immer, hat sie wohl auch immer gehabt und wird sie immer haben.

Solche, die den Gemeinden sagen, dass sie nicht gefährdete Randerscheinungen in einer zunehmend säkularen Gesellschaft sind, sondern goldene Leuchter. Dass sie die Welt erleuchten mit ihrer Botschaft von der Liebe Gottes zu allen Menschen und deshalb immer eine zentrale Funktion haben im sozialen Gefüge.

Viel zu oft sehen wir Christen uns als unbedeutend und unseren Glauben als wirkungslos, in einer Welt, in der die globalisierte Wirtschaft alles dominiert.

Doch demgegenüber steht das wachsende Bedürfnis vieler gerade junger Menschen nach religiöser Orientierungshilfe in ihrem Leben.

Man stelle sich nur mal vor, die Wirtschaftsführer hätten sich letzte Woche in Davos nicht nur von der Schönheit Angelina Jolies beeindrucken lassen, sondern beschlossen, sich von nun an bei ihren Entscheidungen an Jesus zu orientieren.

Wie effektiv könnte von nun an der Armut in der Welt begegnet, wie wirksam könnte die Ausbreitung von Aids gestoppt werden. Ja vielleicht könnte man sogar Kriege verhindern.

Dieses enorme Potential steckt in unserem Glauben, liebe Gemeinde.
Wir sind solch ein goldener Leuchter.
Davon gibt ’ s nicht nur die 7 in der Offenbarung namentlich erwähnten.
Vielmehr drückt die Zahl 7 ja die vollkommene göttliche Fülle aus. Und so kann davon ausgegangen werden, dass der Visionär hier die Kirche als Ganze, als weltweit eine Kirche vor Augen hatte.

Dass sich jemand auch in einer Führungsposition vom Glauben an Jesus leiten lässt, oder standhaft in Jesus ausharrt, wie es Johannes ausdrückt, ist nicht nur Utopie. Heiner Geissler, zwar nicht mehr aktiver, jedoch immer noch einflussreicher deutscher Politiker, wendet in seinem Buch: "Was würde Jesus heute sagen", Jesu Botschaft und sein Verhalten direkt auf heutige politische Entscheidungen an.

Das ist sehr mutig und hat auch etwas Visionäres und zeigt, wie aktuell die biblische Botschaft ist.

Allerdings war Jesu primäres Ziel nicht, wie von Geissler suggeriert, die Schaffung einer sozial gerechten Gesellschaft.
Das kann nur die Folge seiner Botschaft sein.
Jesu Verkündigung richtet sich zuerst auf den Glauben der Menschen. Ihm geht es um eine persönliche Beziehung zu Gott. Und zwar zu einem Gott, der nicht der ferne und fremde und unnahbare ist, sondern zu einem Gott, der zu den Menschen wie ein freundlicher liebender Vater ist, ein Gott, der dem verlorenen Sohn mit offenen Armen entgegengeht und ihm alle Schuld vergibt.

Für diesen Gott gibt es nur eine adäquate Bezeichnung, und alles soziale Verhalten resultiert letztlich daraus: "Deus caritatis est" – Gott ist die Liebe.

Dass Papst Ratzinger dieses Thema, "Gott ist die Liebe" zum Thema seiner ersten Enzyklika gemacht hat, ist ein deutliches Zeichen, sowohl was die Ausrichtung seiner Theologie als Papst betrifft, als auch im Blick auf die Ökumene.
Denn Ratzinger hat Jahrzehnte lang miterlebt, wie Roger Schutz, der Prior von Taizé, dieses Thema als zentrales Thema des christlichen Glaubens immer wieder in die kirchliche Öffentlichkeit und theologische Diskussion gebracht hat.

Der Papst stellt sich damit auf die gleiche Glaubensbasis wie der ermordete Visionär der Kirche, Frère Roger, und signalisiert gleichsam von katholischer kirchenamtlicher Seite her, wie wichtig es ist, im Nachbuchstabieren der Botschaft Jesu, immer wieder zu bezeugen, dass der Vater Jesu nicht ein Gott der Rache, der Vergeltung, des Zornes und des Gerichtes ist, sondern ein Gott der Liebe, der Barmherzigkeit und der Vergebung.

Frère Roger war ganz sicher so ein Visionär wie Johannes. Er hat mehr gesehen, als das, was offensichtlich ist. Er war davon überzeugt, dass das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert des Glaubens sein wird. Er hat der Jugend zugetraut, tiefe Spiritualität zu erfahren. Deshalb kommt man nach Taizé wie an eine Oase in der Wüste.

Ein Visionär der Kirche, freilich von völlig anderer Art, war auch Dietrich Bonhoeffer, dessen 100. Geburtstages wir gestern gedenken konnten. Er hat sich konsequent bis zur Hingabe seines Lebens dafür eingesetzt, die Kirche aus der Sackgasse ihrer engen Verbundenheit mit dem Staat herauszuführen und hat dafür auch den Tyrannenmord in Kauf genommen.

Doch schauen wir nicht nur auf die grossen und bekannten Persönlichkeiten.
Man stelle sich vor, wir, jeder von uns, würden uns konsequent und in allen Bereichen unseres Lebens an Jesus orientieren und den Glauben an die Liebe Gottes zum obersten Massstab unseres Handelns machen.

So sind dann auch wir goldene Leuchter, die mit ihrem Glaubenslicht die Welt hell machen.


Jörg Egbert Vogel, Basel
j.e.vogel@gmx.ch


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