Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Letzter Sonntag nach Epiphanias, 5. Februar 2006
Predigt zu Offenbarung 1, 9-18, verfasst von Berthold Köber
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Christus - der Herr aller Herren

Liebe Gemeinde!

Was sich uns beim Hören dieser Worte besonders einprägt, ist dieses Bild von Christus, wie er in seiner ganzen Macht und Pracht, Erhabenheit und himmlischer Herrlichkeit erscheint, als strahlender Sieger und Überwinder.

Wir müssen bekennen: dieses Bild von Jesus Christus ist uns fremd. Es suggeriert potenzierte Macht, Überlegenheit, Unnahbarkeit. Wir haben eine ganz andere Vorstellung von ihm. Er ist uns vertraut als das Kind in der Krippe, als der Heiland, der sich den Armen und Kranken, Beladenen und Ausgestoßenen voller Erbarmen und Liebe zuwendet, der den Menschen nahe ist; als der, der unschuldig am Kreuz hängt, der die Menschen segnet. Aber Christus als der Weltenrichter und Weltenherr? Dieses Bild vermittelt unbeschreibbare Distanz zu ihm und lässt vor ihm erschauern. - Wie gehen wir um mit diesem ganz anderen Bild von ihm?

Da ist zunächst die Rede von Johannes, der diese großartige Vision hat. Ist es der Jünger Jesu dieses Namens, wie es die christliche Tradition meinte? Oder ist es ein anderer angesehener, in Verantwortung für die christliche Gemeinde stehender Zeuge Jesu gleichen Namens? Was wir sicher wissen, ist dies: Weil Johannes am Bekenntnis zu Jesus Christus festgehalten hatte, war er von der römischen Staatsgewalt auf die abgelegene Felseninsel Patmos im Ägäischen Meer verbannt worden, getrennt und weit weg von seiner Gemeinde, wo er nicht mehr verkündigen und Jesus bezeugen konnte. Am Tag des Herrn, am Sonntag, wo seine Gemeinde Gottesdienst feierte und seines Zuspruchs bedurfte, wurde ihm seine Einsamkeit besonders schmerzlich bewusst.

Dies geschah in den achtziger Jahren des ersten Jahrhunderts nach Christus, in denen Domitian römischer Imperator war. Er ließ sich als „unser Herr und Gott“ verehren und verlangte, dass alle Bewohner des großen römischen Reiches vor seinem Standbild die Knie beugten und ihm opferten. Die Christen weigerten sich, das zu tun, weil es für sie nur einen Gott und Herrn gibt, dem göttliche Verehrung und Anbetung zukommt: der Herr Jesus Christus. Obwohl die Christen sonst loyale Bürger waren, fleißig, untadelig und friedliebend, standen sie am Rand der Gesellschaft und wurden ihres Glaubens wegen verfolgt, terrorisiert, gefoltert und auf grausame Weise umgebracht.

Diese Bedrängnis, wie die Bibel jene schreckliche Situation treffend beschreibt, brachte aber nicht wenige Christen in Zweifel und Anfechtung. Sollte ihnen ihr Glaube an den auferstandenen lebendigen Herrn den Tod bringen? Ist Christus angesichts der grausamen Übermacht des römischen Staates wirklich der Allmächtige, der, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist? War nicht eher das Gegenteil der Fall? - Fragen, die sicherlich auch den verbannten und mit seinen verfolgten Glaubensschwestern und -Brüdern mit leidenden Johannes bedrängten und ihn seiner Ohnmacht bewusst werden ließen.

Da wird Johannes ein ekstatisches Erlebnis zuteil, das sich kaum mit Worten beschreiben lässt. Gottes Geist lässt ihn gerade am Sonntag, am Tag der Auferstehung des Herrn, eine machtvolle Stimme wie von einer Posaune hören. Sie befiehlt ihm, das aufzuschreiben, was ihn der Geist Gottes schauen lassen wird, und es den sieben Gemeinden Jesu in Kleinasien zuzusenden, die namentlich genannt werden. Es hat dort auch in anderen Städten christliche Gemeinden gegeben, aber die angeführten hatten wohl besondere Bedeutung. Diese Städte lagen an der ausgebauten großen römischen Heeresstraße, die den Norden mit dem Süden verband, und waren Sitze der staatlichen Behörden. Von daher dürfte hier der Kaiserkult besonders gefördert worden sein. So musste es für die dort lebenden Christen zu besonderen Verfolgungen und Bedrängnissen kommen.

Die Siebenzahl hat im Buch der Offenbarung aber immer auch symbolische Bedeutung, nämlich als Vollzahl. Hier repräsentieren die genannten sieben Gemeinden, dargestellt durch die sieben goldenen Leuchter, wohl die Gesamtheit der christlichen Kirche. Die einzelnen Sendschreiben richten sich wohl an die jeweilige Gemeinde, betreffen aber auch die gesamte Kirche.

Johannes wendet sich um nach der Stimme. Was er da schaut, lässt ihn erschauern. Vor ihm steht der erhöhte Herr Jesus selbst, gekleidet mit einem langen Gewand, wie ein Hohepriester, gegürtet mit einem goldenen Gürtel, wie ein König. Seine Gestalt ist von überirdischem Lichtglanz umgeben, so dass sein Haupt und seine Haare schneeweiß glänzen und sein Antlitz wie die Sonne leuchtet, wenn sie auf der Mittagshöhe in voller Kraft erstrahlt. Wie Feuerflammen durchdringen seine leuchtenden Augen alles, so dass nichts vor ihnen verborgen bleibt. In seiner rechten Hand hält er sieben Sterne - eine Anspielung auf den römischen Kaiser, der sich auf Münzen mit sieben Sternen in der Hand abbilden ließ als Zeichen seiner unumschränkten Macht und Weltherrschaft. Ein scharfes, zweischneidiges Schwert geht aus seinem Mund. Sein göttliches Wort deckt alles auf und richtet Mensch und Welt.

Diese Erscheinung Jesu in seiner ganzen überirdischen Machtfülle und Herrlichkeit löst bei Johannes tiefste Furcht und größtes Erschrecken aus. Vor der offenbaren Hoheit und Heiligkeit Gottes muss der Mensch in seiner Niedrigkeit und Sündhaftigkeit vergehen. So sinkt Johannes, davon überwältigt, wie tot zu Boden. Die liebevolle Berührung durch den lebendigen Christus erweckt Johannes zu neuem Leben. Er hört, wie der Verherrlichte zu ihm vollmächtig spricht: „Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel der Hölle und des Todes.“

Diese wunderbaren Worte voller Kraft und Trost und diese machtvolle himmlische Erscheinung - sie sind die unüberhörbare und unübersehbare Antwort des erhöhten Herrn Jesus Christus auf die Bedrängnis und Anfechtung des Johannes. Sie ist allen bedrängten und angefochtenen Gemeinden und Christen gegeben, und Johannes ist durch diese Erscheinung und Worte wie ein Prophet berufen, sie allen Betroffenen kundzutun, sie zu stärken, zu ermutigen und zu trösten. Das hat er auch getan, indem er im Buch der Offenbarung all das festgehalten hat, was ihm an Visionen und Auditionen geschenkt wurde. Freilich, es ist eine verschlüsselte, heute sagt man: codierte Sprache in Bildern, die nur die Betroffenen und Eingeweihten verstanden, nicht aber die wütenden römischen Horcher, Häscher und Henker.

Ihm, dem auferstandenen und erhöhten Herrn Jesus gehört alle Macht und Herrlichkeit und nicht dem römischen Imperator oder anderen, noch so mächtigen irdischen Herrschern. Mögen sie sich noch so sehr als Gott gebärden und verehren lassen und mit einer lässigen Handbewegung über Tod und Leben ihrer Untergebenen entscheiden - vor Christi Machtfülle müssen sie vergehen wie der Schnee in der Frühlingssonne. Das letzte und entscheidende Wort über Menschen und Welt hat er zu sprechen. Selbst der Tod, der letzte und mächtigste Herrscher dieser Welt, hat seine Macht verloren. Christus hat ihn erlitten und - überwunden durch seine Auferstehung zu neuem Leben und durch seine Erhöhung zur himmlischen Herrschaft und Herrlichkeit. Und dadurch, dass er selbst vom Tod zu neuem Leben erwecken wird. Als dieser ist er schon während seines irdischen Lebens bei seiner Verklärung vorwegnehmend und anbruchsweise offenbar geworden. Allen Grund hat von daher sein Aufruf und seine Zusage: Fürchte dich nicht!

Eine wunderbare, eine ermutigende und tröstliche Botschaft! Aber - können wir sie für uns so richtig nachvollziehen? Brauchen wir für unseren Glauben überhaupt das Bild von dem strahlenden, alles überwindenden himmlischen Christus? Wir werden wegen unseres Glaubens nicht verfolgt noch gar mit dem Tod bedroht. Wir müssen uns nicht fürchten vor irgendwelchen Gewaltherrschern mit Allmachtsansprüchen, vor Diktatoren oder Tyrannen, vor totalitären Systemen.

Und doch machen wir in unserem Alltag auch bedrängende und bedrückende Erfahrungen. Wer sich zu Jesus öffentlich bekennt, wird belächelt oder lächerlich gemacht und als unzeitgemäß, oft auch als intolerant abqualifiziert. In Kabaretts wird Jesus auf übelste Weise verhöhnt - unter begeistertem Beifallsgelächter der Anwesenden. Offiziell ist das nicht Verletzung der religiösen Gefühle, sondern gilt als künstlerische Freiheit, durch Gesetz und Rechtsprechung geschützt… Als Bundespräsident Köhler in seiner Festansprache zum Tag der deutschen Einheit seine christliche Grundüberzeugung zum Ausdruck brachte, meinte die Fernsehmoderatorin, das quasi entschuldigen zu müssen, indem sie einleitend dazu sagte: „Er tut das auf sehr persönliche Weise“, also nicht etwa als oberster Repräsentant unseres Staates.

Gewaltherrschaft und politische Unterdrückung gibt es in unserer Gesellschaft zwar nicht. Auch wegen des christlichen Glaubens nicht. Dafür aber sind an ihre Stelle andere totalitäre Mächte getreten, die Welt und Menschen fest im Griff haben: die Wirtschaft und das Geld. Diese diktieren, was zu geschehen hat und was nicht. Sie entscheiden über Wohl und Wehe der Menschen. Ihre Macht wird immer größer und umfassender und hat viele politische, geografische, weltanschauliche und humanitäre Grenzen schon längst überschritten. Ihrer Macht sind wir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Man kann beinahe von einer Allmacht sprechen, die sie inzwischen ausüben. Wo ist etwas von dieser Allmacht des erhöhten Christus zu spüren?

Das könnten wir auch angesichts des weltweiten islamistischen Terrors fragen, dem wir uns ziemlich hilf- und wehrlos los ausgeliefert sehen. Dass wann und wo immer Anschläge stattfinden können und auch stattfinden und zig unschuldige Menschen wahllos in den Tod gerissen werden, erfüllt mit Furcht und Schrecken, mit Wut und Ohnmachtsgefühlen. Entführungen und grausame Hinrichtungen sind fast an der Tagesordnung.

Und auch heute noch werden in manchen Teilen der Welt Christen ihres Glaubens wegen benachteiligt, verfolgt und sogar umgebracht. In vielen islamischen Ländern dürfen die Christen nicht öffentlich in Erscheinung treten, sogar in der aufgeklärten Türkei nicht; in manchen Ländern ist der christliche Glaube bei Strafe verboten. Im Sudan und in Indonesien werden Kirchen und Gemeindehäuser niedergebrannt und Gläubige zu Tausenden getötet. Wer weiß schon, dass weltweit allein im Jahr 2004 sage und schreibe rund 192.000 Christen ihres Glaubens wegen ermordet worden sind!? Doch das finden unsere Medien kaum der Erwähnung wert. Und selbst sich als Christen ausgebende Politiker sehen keinen Handlungsbedarf, erst recht nicht die Menschenrechtler.

Sicherlich werden viele dieser betroffenen Menschen nach der Macht ihres erhöhten Herrn fragen, warum er sie nur darum, weil sie an ihn glauben, verfolgen, leiden und sterben lässt. Darum spricht dieses Bild des in himmlischer Glorie erscheinenden Christus in ganz anderer Weise zu diesen Menschen, die unsere Glaubensgeschwister sind, als zu uns. Es soll diesen Menschen Trost und Kraft und die Gewissheit geben, dass nicht ihre Verfolger, Peiniger und Mörder mächtiger sind, über ihre Opfer triumphieren und das letzte Wort behalten, sondern derjenige, der gekreuzigt wurde und zu neuem Leben erstanden ist, dem alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist.

So gesehen ist dieses Bild des erhöhten Herrn ein Bild der Hoffnung gegen allen Augenschein.

Das alles könnte nun aber leicht nach Vertröstung auf ein besseres Jenseits klingen, so wie man es den Christen nicht selten vorgeworfen hat. Doch unser Glaube erkennt in manchen geschichtlichen und gegenwärtigen Ereignissen den lebendigen Christus in seiner göttlichen Macht schon in dieser Weltzeit am Werk. Zwei Beispiele, die für viele stehen, mögen das belegen.

Zum einen: Der bislang schlimmste Börsencrash der Welt geschah am sogenannten „Schwarzen Freitag“, dem 25. Oktober 1929. Er bedeutete nichts weniger als den Zusammenbruch des gesamten Finanzsystems und hatte die bislang größte weltweite Rezession und Wirtschaftskrise zur Folge. Eine solche Relativierung des scheinbaren Allmachtsanspruches von Wirtschaft und Geld offenbart deren Anfälligkeit und Grenzen.

Zum anderen: Die Zeit liegt noch gar nicht so lange zurück, wo es jenseits unserer Ostgrenzen totalitäre politische Systeme gab. Im Namen und unter Zuhilfenahme der kommunistischen Ideologie vertraten sie einen exklusiven Wahrheits-, Allmachts- und Heilsanspruch und setzten diesen gegenüber ihren Bürgern mit brutaler Gewalt und unvorstellbarem, nie aufhörendem Terror durch. Manche diktatorischen Partei- und Staatsführer beanspruchten quasigöttliche Verehrung und widerspruchlosen, blinden Gehorsam und betrieben in ihrem Größenwahn einen bis ins Groteske reichenden Personenkult. Besonders verfolgt wurden Kirchen und Christen, weil sich Partei und Staatsführung in deren Bekenntnis zu Christus als dem einen Herrn besonders bedroht und ihren exklusiven Wahrheitsanspruch relativiert sahen. Trotz aller beinahe die Perfektion erreichenden Absicherungen und Schutzmechanismen sind diese Systeme innerhalb kürzester Zeit wie Spreu hinweggefegt worden. Für mich ist das ein überwältigender Erweis des machtvollen Eingreifens und Wirkens des lebendigen Herrn Jesus Christus, zumal wenn ich an die vielen Gottesdienste und Friedensgebete denke, die diesen wahrhaft geschichtlichen Ereignissen vorangegangen waren und sie - so glaube ich - auch herbeigeführt hatten.

Solche Erfahrungen können uns in der Zuversicht bestärken, dass wir nicht den Zwängen und der Gewalt von Politik, Wirtschaft und Geld, des Hohns und des Hasses auf Jesus Christus und auf uns, die sich zu ihm bekennen, ohnmächtig preisgegeben sind, sondern dass sich unser Herr als mächtiger erweisen wird und sie vor seiner Herrlichkeit vergehen müssen. Gustav Heinemann hat gesagt: „Die Herren dieser Welt kommen und gehen - unser Herr kommt.“

Das erspart uns nicht Fragen und Tränen, Leiden und Anfechtung, vielleicht sogar auch Tod und Trauer, führt aber durch sie hindurch zur Zuversicht und zu dem neuen Leben, das Christus ist und das er schenkt.

Amen.

Liedvorschlag: EG 123 Jesus Christus herrscht als König

Prof. Dr. Berthold Köber, Köln
E-Mail: bwkoeber@hotmail.com

 


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