Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Septuagesimae, 12. Februar 2006
Predigt zu Matthäus 25, 14-30, verfasst von Arne Ørtved (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Damit diese alte, geniale, beunruhigende Geschichte uns nicht an der Nase herumführt oder vielmehr an den Ohren vorbeigeht, müssen wir mit einer Gewissensfrage beginnen. Das kann sich gewiss machen lassen, da man die Frage nur in Gedanken für sich selbst beantworten muss, ohne dass jemand die Antwort zu hören bekäme. Dafür aber müssen wir verlangen, dass man völlig ehrlich antwortet, denn es ist schlimm, wenn man lügt, aber es ist zugleich auch unglaublich dumm, wenn man vor sich selbst lügt, auch wenn es eine ungeheuer verbreitete Angewohnheit ist. Tatsächlich brauchen wie viel Erfindergeist, um vor uns selbst zu lügen.

Die Gewissensfrage lautet folgendermaßen: Wie ging es eigentlich mit deinen Talenten in der letzten Woche? Wie oft hast du sie vergraben, weil du bange warst oder faul oder schlapp oder einfach nur aus irgendeinem Grunde auf völlig falschem Wege. Wenn du nicht weißt, was das Wort Talente in diesem Zusammenhang bedeutet, kannst du es einfach durch das Wort Leben ersetzen. Dann wird die Frage zugleich auch noch dringlicher.

Also: Wie ging es mit deinem Leben in der vergangenen Woche? Wie viel ist deinetwegen verloren gegangen? Es gibt niemanden, der an deiner Stelle antworten könnte – außer Gott natürlich. Er ist es doch, dem wir letzten Endes verantwortlich zu sein haben; aber vorläufig hast du jetzt dir selbst verantwortlich zu sein.

Wie ging dein Leben vergangene Woche? Wieviele Male hast du es unterlassen zu antworten, mit einem Lächeln, mit Gesang, mit Hilfe, indem du dich freutest, indem du deine Fähigkeiten und deine Energie mit voller Kraft einsetztest? Oder direkter: Wie oft bist du anderen Menschen begegnet mit Misstrauen, mit Unwillen, mit Unaufmerksamkeit oder direkter Ablehnung, eingeschlossen in dich selbst und deine kolossalen Probleme? Wieviel Male hast du betrogen?

Entschuldigung! Ich kann sehr wohl hören, dass das Fragen sind, die sehr stark die Richtung einer Antwort angeben; aber doch nicht mehr, als dass du im Innersten sehr genau weißt, wie dein Leben letzte Woche war. – Und insoweit jede einzelne Woche. Wozu sollte man denn leben, wenn nicht, um offen, froh, dankbar und hilfsbereit zu sein. Alles andere wäre doch völlig töricht. Es würde doch das Leben zerstören, und das kann doch niemals der Sinn des Lebens sein.

Aber natürlich: Wenn man in vollem Ernst meint, dass es Sinn des Lebens ist, so leicht wie möglich darum herumzukommen und allzeit seine eigenen Vorteile zu suchen und so viel wie möglich für andere Menschen kaputt zu machen, ja, dann ist die Gewissensfrage ganz anders zu beantworten, als ich es mir vorgestellt hätte; und dann hat man sicherlich später im Gottesdienst seine Probleme. Wenn man wirklich dieser Meinung ist, dann, glaube ich im übrigen, lügt man sich was vor. Jedermann kan hören, dass das verkehrt klingt; und jedermann kann sehen, wie leicht man in einem solchen Spiel zumVerlierer werden kann.

Etwas ganz anderes ist es nun, dass wir uns oft so benehmen, als wäre genau dies der Sinn des Lebens; aber dadurch wird es nicht richtiger. Das zeigt nur, wie wichtig es ist, die Gewisssensfrage zu stellen, der wir heute gegenüberstehen: Wie ging es mit deinem Leben vergangene Woche? Wieviel ging verloren? Wieviel hast du kaputt gemacht? Hast du das Leben vergraben, um bessere Zeiten abzuwarten? Hast du vergessen, dass du nur ein Leben hast: das Leben, in dem du genau jetzt stehst! Wie viele Stunden, Tage, Wochen hast du nach und nach vergraben, so dass sie nur herumliegen und verwesen?

Jetzt wollen wir diese aufdringlichen Fragen verlassen, damit wir nicht hier sitzen und allzu sehr wegen unserer eigenen Erbärmlichkeit an uns selbst denken, – da ginge das Leben ja auch verloren. Viele Menschen verschwenden allzu viel Leben auf Spekulationen darüber, wie schlecht sie für das Leben geeignet sind. Das ist genauso verkehrt wie das Gegenteil: niemals darüber nachzudenken, weil man von seiner eigenen Vortrefflichkeit in dieser Hinsicht überzeugt ist.

Wie war es mit Jesus und dieser Frage? Ich glaube nicht, dass er sehr viel darüber nachgedacht hat, aber das hatte seinen Grund darin, dass er nie versucht hat zu betrügen. Er war dort, wo er sein sollte, und tat, was er tun sollte, als das Allerselbstverständlichste von der Welt. Und das war nicht der Fall, weil er solch ein Prachtexemplar gewesen wäre, ein richter Pfadfinder, der wusste, wie man sich zu benehmen hat, und der dafür sorgte, dass er ein Vorbild für alle anderen war. Nein, Jesus lebte nur, und alles kam aus ihm wie reines Wasser aus einer Quelle: Worte, Taten, Zeichen, Leben, Schicksal. Es war nicht immer gleich angenehm, dessen Zeuge zu sein, weil es so entlarvend wirkte. Das Ende vom Ganzen war denn auch, dass man ihn tötete.

Heute begegnen wir ihm an einem der letzten Tage seines Lebens. Ruhig setzt er sich nieder und belehrt seine Jünger darüber, was es heißt zu leben. Nicht mit Hilfe von Regeln und von Moral und erhobenem Zeigefinger. Nein, in kleinen Erzählungen, die genauso einfach sind, wie es sein eigenes Leben gewesen ist, und die dennoch eine solche Tiefe enthalten, dass man sie immer wieder von Neuem hören und auf neue Weise verstehen kann.

Hier erzählt er von einem Mann, der ins Ausland reist und sein Vermögen seinen Dienern anvertraut. Sie bekommen jeder einen Teil davon, der jeweils zu ihrem Gemüt passt. So ist das Leben also: uns wird etwas anvertraut, das uns als denjenigen, die wir sind, genau angepasst ist. Es kann sehr wohl sein, dass das von Person zu Person verschieden ist, aber das hat dann seinen Grund in der Verschiedenheit der Personen. Aber alle sollten leben können, so ist das Leben dieser kleinen Geschichte zufolge ganz einfach eingerichtet.

Aber nicht alle lösen die Aufgabe gleich gut. Das kennen wir nur zu gut vom wirklichen Leben. Viele – sowohl ganz oben als auch ganz unten – viele verirren sich. Wir können die Geschichte nicht dazu benutzen, bestimmte Gruppen hervorzuheben, die besonders gefährdet wären. Jesus war nicht Mitarbeiter eines Sozialforschungsinstitutes, und es hätte auch die ganze Geschichte verdorben, wenn soziale Begründungen, mit Statistiken untermauert, angegeben worden wären. Es ist doch nicht die Schuld der Gesellschaft, wenn man hingeht und sein Leben vergräbt. Und es ist deshalb auch keine bestimmte Gruppe in der Gesellschaft, die besonders dazu geneigt wäre. Es ist ganz einfach eine Eigenschaft des Menschen überhaupt.

Vielleicht wendet Jesus sich ja gerade an die Schwachen, die Ausgestoßenen, die drauf und dran sind, aufzugeben. Jesus ist nicht darauf aus, diejenigen zu loben, die in der Geschichte gelobt werden, sondern er will im Gegenteil diejenigen ermuntern, denen es wie ihm geht, denen es so furchtbar schlimm erging in der Geschichte. Es könnte ja sein, dass es solche Leute waren, die die Geschichte hörten; und jetzt will er sie ermuntern, dass sie anfangen zu leben, ehe es zu spät ist. Die Jünger, die ihm folgten, waren jedenfalls nicht Menschen, die sich durch phantastische Taten auszeichneten. Sie waren furchtsam und eitel, wie die meisten von uns. Es waren einige kleine Schleicher, die Jesus folgten, weil sie hofften, es würde dabei etwas für sie herausspringen, und weil sie es nicht lassen konnten. Aber als es wirklich darauf ankam, da versagten sie alle. Sie vergruben Talente, das Beste, was sie gelernt hatten, während er gekreuzigt wurde.

Die Geschichte, die Jesus erzählt, ist keine Geschichte für Supermenschen. Die haben so viele andere Freuden; warum sollten sie denn auch Vergnügen an Gott haben? Nein, er erzählt sie für die, die tagtäglich allzu viel Leben vergeuden. Für die, die nicht zu leben wagen. Für die, die meinen, dass sie bald nicht mehr können. Für die, die meinen, dass sie nur Niederlagen sehen, wenn sie auf ihr Leben zurückblicken.

Nein, wir wollen nicht noch mehr aufzählen. Es geht nicht um einige konkrete Menschen, sondern es geht darum, dass die Menschen anfangen zu leben. Es geht darum zu begreifen, dass es gar nicht so unmöglich ist zu leben, denn wir sind faktisch dazu geschaffen. Und obwohl wir vielerlei Widerstand erleben und in alle möglichen Probleme verwickelt werden, so geht es doch an zu leben, weil das der Sinn unseres Daseins ist.

An jenem Tage, da Jesus die Geschichte erzählte, verstanden die Jünger nicht recht ihren Sinn. Sie wurden ein wenig unruhig, weil sie es doch gewohnt waren, dass Jesus immer auf ihrer Seite stand; und jetzt klang es so, als ob er die Partei der Starken, der Reichen ergriffen hätte. Aber nach seinem Tod und seiner Auferstehung erkannten sie, dass die Geschichte sowohl von ihm selbst als auch von ihnen handelte. Dass es angeht, sein Leben zu investieren, ungeachtet, wie gering es ist und wie wenig Zeit noch dazu ist und wie sehr es kaputt gegangen zu sein scheint.

Es geht an zu leben. Gott hat es selbst durch seinen Sohn Jesus Christus erfahren. Und er versucht es fortgesetzt gemeinsam mit uns. Er folgt uns auf diesem Weg. Er stößt uns an, er spricht zu uns: Beginne zu leben. Ich werde bei jedem Wetter bei dir sein; wenn du nur lebst... – also lebst: Lächelst, singst, deinem Nächsten hilfst, dich über das Leben freust, IHM dankst, der dir schenkte, wenn die Sonne aufgeht, den Morgen in Seele und Leib selbst zu empfinden.

Nein, auch hier wollen wir nicht mit einer Aufzählung aufwarten. Es gibt kein Rezept für das rechte Leben; aber du hast gewiss schon selbst eine Antwort gefunden. Geh also hinaus und lebe! Das Leben wartet auf dich. Menschen warten auf dich. Gott wartet auf dich. Lebe!

Amen

Pastor Arne Ørtved
Birkebæk 8
DK-7330 Brande
Tlf.: ++ 45 – 97 18 10 98
E-mail: ortved@mail.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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