Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Sexagesimae, 19. Februar 2006
Predigt zu 2. Korinther 12, 1-10, verfasst von Wolfgang Ebel
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde !

Einen Heiligen beleidigt man nicht. Das zeitigt Konsequenzen. Wir können das dieser Tage erleben. Die zornigen jungen Männer, die den Tod fordern für die Beleidiger, die aufgebrachte Menge, die Botschaften anzündet und Mobiliar zertrümmert, lässt westlich gesinnte Menschen in Angst geraten: So viel Energie steckt in Religion. Natürlich kann man vieles, was geschieht, dem politischen Machtkalkül abgewirtschafteter Regime zuschreiben. Staatlich gecoachte Provokateure wird es dabei gegeben haben. Aber es lässt sich nicht einfach alles durch soziale und psychologische Begründungen weg erklären. Es bleibt ein Rest des Unheimlichen. Und dem kommt man auch nicht bei, indem man sich auf Werte der aufgeklärten westlichen Welt beruft – Freiheit der Presse, Freiheit der Kunst, Freiheit der Meinungsäußerung, Freiheit der Religionsausübung. Die Freiheit ist ein hohes Gut, solange sie aus dem Evangelium fließt. Die Freiheit des Einzelnen in der Beziehung zu den Anderen. Das gilt nicht nur national und für den kulturellen Nahbereich. Der Andere ist immer auch derjenige, der meinen Freiheitsradius begrenzt. Der Andere, das Fremde an ihm, will wahrgenommen sein. Der Andere, auch mein Feind, verdient meinen Respekt.- Er verdient um Christi Willen meine Liebe und meine Fürbitte.

So viel Energie kann religiöser Stolz freisetzen. Und die Verankerung im Glauben ist für die Menschen, die oft gar nicht im Fernsehen gezeigt werden, die wichtigste, stärkste Kraftquelle ihres Lebens. Sie haben sonst nicht viel, was sie davon ablenken könnte.

Paulus schreibt seine Briefe nach Korinth, weil er – wie er fundamental an anderer Stelle gesagt hat – beschlossen hatte, unter den Menschen dort nichts zu wissen als allein Christus, den Gekreuzigten. Noch nicht einmal vom Sieg des Auferstandenen will er „etwas wissen“. Im Focus seines Redens, Handelns, seiner Existenz steht der Mann, der um Gottes und der Menschen Willen an das Kreuz geht. – Der Sonntag heute trägt den Namen „Sechzig“. 60 Tage noch zählen wir ab jetzt bis zum Fest der Auferstehung. Wie die Sonne ist sie im Blick derer, die in der Nachtzeit betend auf den Morgen warten. Auferstehungswirklichkeit – wir sehen sie jetzt nicht, wir hören sie jetzt nicht, wir spüren sie über lange Strecken des Lebens nicht. Doch Paulus spielt hier eine Erfahrung ein, die in den paradoxen Satz mündet: Wenn ich schwach bin, so bin ich stark.

Er kann sogar sagen: Ich freue mich über Krankheiten und Misshandlungen …, über Notlagen, wenn ich sie für Christus erleiden muss. Das ist kein Masochismus. Das ist auch keine Leidensvergötzung. Paulus leidet ja unter einer Krankheit, die ihm zusetzt und die er nicht loswird. Er hat darum gebetet, von ihr frei zu kommen. Er weiß, diese Krankheit kommt aus der Sphäre des Bösen, wie er sagt, aus satanischen Mächten, die nach ihm greifen. Er hat um die Austreibung dieser Macht gebetet. Und sein Gebetswunsch ist nicht erfüllt worden Aber sein Gebet wurde gehört. Er hat eine Resonanz erfahren. Er hat einen Hinweis erhalten auf die Frage: Wozu bin ich krank ? Gibt es einen Sinn dafür ?

Seine wahrscheinlich chronische Krankheit ist ihm zu einem leibseelischen Zeichen für Christus geworden. Sie erinnert ihn an die Wirklichkeit des Gekreuzigten. Sie zeigt ihm: auch du bist auf deinem Kreuzesweg. Und wenn du selbst gar nichts mehr bist, wird Christus für dich alles sein.

Paulus ist ja wer. In der Gemeinde von Korinth schwelen Konflikte. Es stinkt unter der Decke. Das ist um das Jahr 50 nicht anders als heute. Machtkämpfe im Kirchenkreistag. Nur dass es heute oft merkwürdig harmlos zugeht. Es geht um Verteilungsfragen. Um Pfarrstellen und Finanzmittel. In Korinth geht es um Vollmacht, um Wirkungen des Geistes, um die Frage: Wer kann religiös etwas ? Wer gibt nur vor, etwas zu können ? Ein Frage, die heutzutage in unserer nachaufgekärten westlichen Welt eher in die Esoterikszene ausgewandert ist.

Ja, manchmal ist es nötig, sich selbst zu rühmen, sagt Paulus. Aber er weiß auch schon: es nützt ja nichts. Es ist ein altes Spiel. Was haben die anderen, was ich nicht habe ?  Was die können, kann ich schon lange ! Das Sich – Einander – Messen mit den eigenen Stärken, das Pochen auf die persönliche Leistungskraft und Kompetenz, das alles gehört zum Leben dazu. Manchmal auch in der Gemeinde. Der Erfolg des Christus wird woanders erfahrbar. Der Erfolg des Gekreuzigten erweist sich an den Grenzen. In Krankheiten. In Misshandlungen. In Nöten. In Verfolgungen und Ängsten. Überall da, wo Gott abwesend erscheint. Wo Er vielleicht da ist, aber eben doch nicht „da“.

Paulus hat Erfahrungen gemacht, von denen auf Buchklappentexten heute die Rede ist: Erfahrungen spiritueller Selbstfindung. Doch bei ihm klingt der Bericht davon wenig vollmundig, wenig spektakulär, wenig Neugier befriedigend. Gott weiß es – ist darin der wichtigste Satz. Ich weiß es nicht, Gott weiß es. Er, Paulus, ist der „Mensch“, den er kennt, der eine Himmelsreise gemacht hat, der unaussprechliche Worte dort gehört hat, die kein Mensch aussagen kann. Dafür fehlen die Worte in der menschlichen Sprache. Immerhin vierzehn Jahre ist das her, dass er „woanders“ war. Das ist nicht gerade inflationär häufig passiert. Ja, einen Blick in den Himmel, den hat es gegeben – schnell schließt sich das Fenster der Erinnerung wieder.

Es gibt nichts zu rühmen. Es bringt gar nichts, sich aufzublasen. Aus sich vor Gott und für Gott etwas zu machen. – Paulus macht weiter. Er hat die Gewissheit: Christus trägt mich durch alles hindurch. Dietrich Bonhoeffer hat das in seinem Gefängnistagebuch so gesagt: „…in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, - dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern die Leiden Gottes in der Welt ernst …“

Gott leidet in der Welt. Durch Menschen, die Menschen opfern und Ihn dafür in Anspruch nehmen. Durch Menschen, die den Respekt verloren haben vor dem, was anderen heilig ist. Auch Gottes Zorn ist in der Welt. Diese Wirklichkeit kann sich Bahn brechen, wenn man Seine Heiligkeit verletzt.

Ein Mensch ist im dritten Himmel gewesen. Die Tiefe der Gnade Gottes erleiden wir, wenn wir es lernen hoch zu schätzen, wo Seine Herrlichkeit verehrt wird.

men.

Wolfgang Ebel
Pastor.Ebel@med.uni-goettingen.de


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