Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Sexagesimae, 19. Februar 2006
Predigt zu 2. Korinther 11, 18.23b-30; 12, 1-10, verfasst von Christian-Erdmann Schott
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde! Unser heutiger Predigtabschnitt ist Teil einer Antwort des Apostels Paulus auf eine kritische Situation in der noch jungen Gemeinde in Korinth. Da waren Leute in die Gemeinde eingedrungen und hatten mehr oder weniger offen gegen den Apostel Stimmung gemacht. Sie stellten auf der einen Seite sich selbst heraus und rühmten sich ihrer geistlichen Fähigkeiten, wahrscheinlich auch geheimer Offenbarungen, und setzten gleichzeitig und auf der anderen Seite den Apostel, den Gründer der Gemeinde, herab. Sie streuten Zweifel aus, ob Paulus denn überhaupt ein echter Apostel ist. Dabei konnten sie sich immerhin auf die Tatsache berufen, dass Paulus – ursprünglich ja Saulus – kein Jünger des irdischen Jesus gewesen ist, sondern in einer Sonderoffenbarung, damals vor Damaskus, zum Apostel des Auferstandenen berufen worden ist. Für Leute, die ihm nicht wohl gesonnen war, war das ein Einfallstor für Zweifel an seiner Autorität.
Unser Predigttext nun ist ein Teil der Antwort des Apostels auf diese Umtriebe und auf die Vorwürfe. Ich lese: II. Kor. 11, 18. 23b – 30; 12, 1-10

Diese Antwort besteht aus zwei Grundgedanken, die so gegensätzlich sind, dass sie sich fast auszuschließen scheinen:

I. Zum einen nämlich sagt Paulus: Wenn sich diese eingedrungenen Apostel oder Propheten im Blick auf das, was sie können, tun und leisten, rühmen, dann kann ich mich noch viel mehr rühmen. Mit Sicherheit haben sie nicht den Einsatz und die Hingabe vorzuweisen, auf die ich verweisen kann. Und wenn sie sich außerdem noch auf besondere Offenbarungen, Auditionen oder Visionen berufen und damit Eindruck machen, dann kann ich das noch viel mehr. Denn ich bin sogar bis in den dritten Himmel entrückt gewesen und habe sogar in einer Vision das Paradies geschaut.
Das heißt: Der Apostel bringt alles, was Eindruck machen könnte, vor und trumpft so richtig auf.

Das können wir gut verstehen. Wenn man uns angreift, machen wir es genau so. Denken Sie nur an Auseinandersetzungen in der Familie oder in einem Verein, wenn einem Mitglied vorgeworfen wird, dass es zu wenig für das Ganze tut, - und es nicht stimmt - , dann trumpfen wir auch auf, zählen auf und rechnen vor, was wir getan haben und lassen uns das nicht gefallen. Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, machen es nicht anders. Der Unterton ist dann natürlich immer der, wie bei jeder Prozessrede: Glaubt mir, bestätigt mich, wählt mich – und nicht den anderen. In diesem Sinn tut Paulus hier etwas ganz menschlich-übliches. Er hält eine Ruhmrede, er betreibt Selbstdarstellung – und das mit guten Fakten. Denn er hat ja nun wirklich etwas vorzuweisen.

II. Aber dann geschieht das Merkwürdige, dass er fast gleichzeitig das genaue Gegenteil sagt: Ich finde das alles gar nicht so wichtig. Ich rühme mich zwar, weil ich in diese Situation gedrängt worden bin, aber ihr solltet mich trotzdem nicht nach diesen meinen Leistungen beurteilen. Denn viel wichtiger als mein Einsatz sind mir die Tage und Stunden, wo ich keine gute Figur gemacht, ja wo ich versagt habe, wo ich schwach war – beispielsweise in Tagen, an denen ich meine Anfälle hatte.
An etwas Derartiges ist wahrscheinlich bei dem „Pfahl im Fleisch“ zu denken. Viele Ausleger meinen, dass Paulus Epileptiker war, eine Krankheit, die Christus nicht von ihm genommen hat, obwohl er ihn darum bat. Denn – so geht die Argumentation des Apostels weiter - in Tagen der Schwäche habe ich etwas erfahren, was ich in guten und starken Tagen nie erfahren hätte: Die Hilfe und den Beistand, ja die Gnade Jesu Christi. Ich habe, meint Paulus, erfahren, dass der Herr mich dann nicht, wie es in der Regel die Menschen tun, fallen gelassen hat. Er hat mir vielmehr beigestanden. Er hat mich durch sein Wort, durch seine Gegenwart, durch seinen Geist gestärkt. Er hat mir gesagt: „Lass dir an meiner Gnade genügen: denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (12,9).
Diese Gnade, diese Kraft in der Schwäche, diesen göttlichen Beistand in der Not, das ist es, was ich eigentlich rühmen möchte, – also nicht mich, wo ich stark war, sondern ihn und wo ich durch ihn stark gemacht worden bin.

Ich denke, auch das können wir nachvollziehen. Ich kenne viele Menschen, und gehöre selbst zu ihnen, die erfahren haben, was es heißt schwach zu sein. – krank, verlassen, mutlos, am Ende – und dann zu erleben, wie wir durch das Gebet oder einen guten Zuspruch oder eine gute Erinnerung oder einen Gesangbuchvers oder ein Bibelwort wieder Kraft gewinnen, aufstehen und weitermachen können. Von solchen Erlebnissen habe ich schon oft von Menschen auch in unserer Gemeinde gehört.

Und so wie Paulus neigen wir dann sogar ein bisschen dazu, die Not noch zu vergrößern und im wahren Sinn des Wortes unsere Schwachheit zu rühmen und vielleicht zu sagen: „Sie glauben ja gar nicht, wie elend ich damals gewesen bin und wie wenig Hoffnung ich überhaupt noch hatte, aber dann kam durch den Glauben Hilfe und Rettung, an die ich heute noch dankbar denke“ Viele erzählen solche Geschichten immer wieder, manchmal sogar mit den gleichen Worten, weil es ihnen ein Bedürfnis ist, zu danken und Gott zu loben und zu rühmen.

Nun, liebe Gemeinde, haben wir die beiden Gedanken gehört, die Paulus hier vorgebracht hat – Selbstruhm und Gottesruhm. Die Frage stellt sich: Wenn wir die Leute in Korinth wären und würden nun in der Gemeindeversammlung diesen Brief vorgelesen bekommen – was würden wir sagen? Würden wir die eingedrungenen verleumderischen Apostel und Propheten wegjagen? Würde es uns leid tun, dass wir sie überhaupt angehört haben? Die Antwort der Korinther ist nicht bekannt. Sie ist auch nicht so wichtig. Entscheidend ist, was für uns aus dieser Rede des Apostels Paulus bleibend wichtig sein könnte. Ich denke dieses:

- Es kann im Leben Situationen geben, wo man sich nur auf die erste Art verteidigen kann. Wenn man sich nichts vorzuwerfen hat, dann soll man auch das, was man getan hat, herausstellen. Nicht jedes Gremium in der Welt ist in der Lage, den zweiten Gedanken (des Paulus) zu verstehen und zu würdigen. Darum sollte man ihn auch nicht erwähnen – entsprechend dem Satz aus Matthäus 7,6: „Eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen“.

- Menschen gegenüber, die in der Lage sind, zu würdigen, wenn wir auch von eigenen Nöten, Schwierigkeiten, Schwächen sprechen und zugleich – nicht penetrant - Gott die Ehre geben, können und sollten wir das unbedingt tun. Das kann dazu führen, dass wir sie gewinnen. Man kann das ja an sich selbst beobachten: Wer immer nur Gutes zu berichten weiß und sich ruhmvoll herausstreicht, wird auf die Dauer unangenehm und unglaubwürdig.

- Es fällt auf, dass dieser Abschnitt für den Sonntag Sexagesimae, zweiter Sonntag der Vorpassionszeit, bestimmt ist. Alle Predigttexte dieses Sonntages handeln von der Ausbreitung des Wortes Gottes, von der Mission. Hier, durch diese Stelle, wird deutlich, dass die Verkündigung nicht nur durch öffentliche Predigten und Verlautbarungen geschehen kann, sondern auch durch den persönlichen Einsatz. Paulus ist persönlich angegriffen, aber er verliert auch in seiner Verteidigung seinen Auftrag – das Evangelium zu verbreiten – nicht aus den Augen. Auch in dieser persönlich schwierigen Situation verkündigt er nicht sich selbst, sondern allein die Gnade Gottes.

Damit geht von dem heutigen Sonntag ein Impuls aus, den wir immer wieder brauchen: Geben wir Gott die Ehre! Danken wir ihm und loben wir ihn! Dann wird auch unser Leben und dann werden auch unsere persönlichen Geschichten das werden, was sie beim Apostel Paulus geworden sind: Ein Beitrag zur Mission. Amen.


Dr. Christian-Erdmann Schott
Pfarrer em.
Mainz-Gonsenheim
ce.schott@surfeu.de


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