Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Sexagesimae, 19. Februar 2006
Predigt zu 2. Korinther 11, 18.23b-30; 12, 1-10, verfasst von Johannes Neukirch
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"Da viele sich rühmen nach dem Fleisch, will ich mich auch rühmen. Ich habe mehr gearbeitet, ich bin öfter gefangen gewesen, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin oft in Todesnöten gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen; ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer. Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr unter Juden, in Gefahr unter Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern; in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße; und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt, und die Sorge für alle Gemeinden. Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird zu Fall gebracht, und ich brenne nicht? Wenn ich mich denn rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen.

Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren - ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? Ich weiß es auch nicht; Gott weiß es -, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel. Und ich kenne denselben Menschen - ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es -, der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann. Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark."

Liebe Gemeinde,

Gold, Silber, Bronze – das sind zur Zeit die Zauberworte bei der Winterolympiade in Turin. Auch wenn Sie sich nicht für Sport interessieren: es lohnt sich, diesen Jubel der Siegerinnen und Sieger anzuschauen. Diese Freude, diese Begeisterung: Ich bin Olympiasieger! Ich bin die Schnellste, die Tollste, die Beste. Und dann diese erhebenden Momente bei der Siegerehrung. Wenn die Medaillen umgehängt, die Fahnen hochgezogen und die Nationalhymnen gespielt werden. Das muss schon toll sein.

Diejenigen, die dann auf dem Treppchen stehen, sagen sich: endlich bin ich für all die Mühen und Qualen und das jahrelange Training belohnt worden! Und sie sagen das ja auch zu recht. Die anderen, die nicht da oben stehen, haben sich zwar auch abgequält, müssen sich aber mit dem Spruch zufrieden geben: Dabei sein ist alles.

Wenn wir eine Gold-Medaille vergeben könnten für missionarische Leistung, für die beste Verbreitung des christlichen Glaubens, dann wüssten wir, mindestens aus heutiger Sicht, wem die gehört: Paulus. Er hat mehrere beschwerliche Missionsreisen im östlichen Mittelmeerraum unternommen, er hat eine Reihe von Gemeinden gegründet und Briefe verfasst, die für unseren Glauben bis heute unverzichtbar sind. Von großem Jubel und von großer Freude über die Erfolge merken wir bei dem, was er hier schreibt, allerdings wenig. Vom Ruhm ist hier allerdings die Rede, aber auch nicht so, wie wir das gewohnt sind: Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, sagt Paulus. Was war da los?

Um eine Gold-Medaille zu bekommen, muss man einen Wettkampf gewinnen. Gab es einen missionarischen Wettkampf – wer ist der beste Missionar, wer macht die weiteste Missionsreise, wer hat den stärksten Glauben?

Ja, diesen Wettkampf gab es offensichtlich. Jedenfalls musste Paulus ständig um seine Anerkennung und Glaubwürdigkeit kämpfen. In der Gemeinde in Korinth, die Paulus selbst gegründet hatte, gab es Leute, die gegen ihn Stimmung machten und Gerüchte streuten. Paulus war ja keiner von den Jüngern, die mit Jesus umhergezogen sind. Er ist erst später bekehrt worden und ist Jesus wohl nie begegnet. Deshalb tauchte die Frage auf, ob Paulus denn wirklich ein echter Apostel sei, so einer wie die, die selbst dabei gewesen waren, als Jesus lehrte und wirkte. Und diese Leute stellten die Frage: woher weiß denn Paulus das, was er sagt und schreibt? Wer hat ihm das geoffenbart, wer hat ihm dies also mitgeteilt? Sie selbst berufen sich auf ihre Offenbarungen. Angeblich hat Gott sie besondere Dinge sehen lassen und sie besondere Worte hören lassen.

In diesem Wettkampf, was bleibt ihm anderes übrig, führt Paulus nun alles an, was er zu bieten hat, auch wenn das, was er zu bieten hat, ungewöhnlich ist: er ist gefangen gewesen, hat Schläge bekommen, Schiffbruch erlitten usw. usf. Dafür, sagt er, will er sich rühmen. Zweitens führt er an, dass auch er Offenbarungen und Erscheinungen gehabt hat. Er hat das Paradies gesehen, schreibt er, und er hat „unaussprechliche Worte“ dort gehört, die „kein Mensch sagen kann“. Dann aber sagt er sofort wieder, dass er auf diese Offenbarungen gar keinen besonderen Wert legt, dass er sich dafür eigentlich nicht rühmen will.

Und er kommt dann auf den „Pfahl in seinem Fleische“ zu sprechen. Er muss irgendeine schlimme Krankheit gehabt haben, vielleicht Epilepsie. Offensichtlich hat er immer wieder darum gebetet, dass Gott ihn heilen soll, aber ohne Erfolg. Er selbst sieht das nun als Zeichen dafür, dass er nicht überheblich werden solle. Seine Gegner haben das als Zeichen dafür gesehen, dass Gott ihm ganz offensichtlich nicht wohlgesonnen ist.

So stehen wir also vor der Frage, liebe Gemeinde, wie es dazu kommen konnte, dass Paulus über die Jahrhunderte hinweg so wichtig für uns Christinnen und Christen geworden und geblieben ist. Was hat ihn berühmt gemacht? Ein Mann, der krank war, der verfolgt wurde, der im Gefängnis saß, dem das Schicksal offensichtlich nicht wohlgesonnen war, der angefeindet wurde, dessen Predigten oft langweilig waren (ja, das steht auch in der Bibel), dessen Gebete nicht erhört wurden.

Es gibt eine entscheidende Disziplin, in der er gewonnen hat, das ist die Glaubwürdigkeit. Paulus und seine Briefe sind glaub-würdig, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir können ihm und seinen Gedanken und Erfahrungen vertrauen. Wir merken, dass wir bis heute und in Zukunft darauf bauen können.

Der Grund dafür liegt gerade in der persönlichen Schwachheit des Paulus. Er lässt sich nicht durch sich selbst, durch seine frommen Leistungen, durch seine tollen Gedanken und was auch immer verführen. Er hat nur das eine Ziel: Christus soll in ihm groß und stark werden. Wir können auch sagen: Die Liebe Christi soll in ihm groß und stark werden. Und Paulus demonstriert das an seiner eigenen Person. Er sagt das nicht nur, er hat selbst erlebt, wie Christus und seine Liebe in ihm stark geworden sind.

Und das will er seinen Schwestern und Brüdern in Korinth genau so wie uns weitergeben: Lasst euch auf Christus ein, damit seine Liebe in euch wirkt. Wenn ihr auf euch selbst und eure Leistungen schaut, kommt ihr nicht weit. Als er, Paulus, persönlich eine Niederlage erfährt, weil Gott seine Gebete um Heilung nicht erhört, da sagt Gott zu ihm: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

Dieser Satz, liebe Gemeinde, öffnet uns die Tür zum Glauben. Glauben ist kein Leistungssport. Glauben bedeutet, dass ich Christus in mir wirken lasse. Das ist nicht meine Leistung, und trotzdem werde ich stark dabei. „Darum“, schreibt Paulus, „will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.“

Die Missions-Medaille des Paulus ist also genauer betrachtet die Goldmedaille der Glaubwürdigkeit. An sich selber, an seinem Leben zeigt er, dass Gott uns gnädig ist, auch wenn man das von außen gesehen überhaupt nicht sehen kann. Nicht wir steigen auf das Siegertreppchen des Lebens: Gott stellt uns dort hin!

Liebe Gemeinde – es muss ja nicht immer so dramatisch zugehen wie bei Paulus. Auch ohne Verfolgung und Gefängnis wissen wir, was Schwachheit ist. Da ist es gut zu spüren, dass Gott uns gerade dann trösten und stärken will. Lassen wir uns das doch einfach so sagen, wie es sich Paulus an seinen dunkelsten Tagen hat sagen lassen: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Ich wünsche uns, dass wir dann auch seine Erfahrung machen und wieder Mut fassen und mit einstimmen: „wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“

Amen.

Dr. Johannes Neukirch, Hannover
Johannes.Neukirch@evlka.de

 


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