Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Estomihi, 26. Februar 2006
Predigt zu Amos 5, 21-24, verfasst von Andreas Pawlas
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"So spricht der Herr: Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach."

Liebe Gemeinde!

Das ist doch ungeheuerlich! Da kommen wir froh gestimmt am heutigen Sonntagmorgen zusammen, um miteinander Gottesdienst zu feiern, und dann werden uns vom Propheten Amos solche Worte um die Ohren geschlagen! Unglaublich!

Und es kommt doch auch mancher in unserem Sonntagsgottesdienst, um in tiefer Trauer Trost zu suchen, um in Schmerz und Krankheit Kraft und Heilung zu erbitten, oder um in Sorge und Verwirrung Orientierung und Halt zu finden. Und dann wird er hier so beschimpft. Nein, das geht doch wirklich nicht!

Also was macht da Kirche eigentlich mit diesem Predigttext in dieser schnelllebigen Zeit, die aber gerade deshalb so sehr Besinnung und Ausrichtung auf das Heilige braucht? Offenbar hat sie überhaupt keine Hemmungen diejenigen, die zu ihr stehen und die sich deshalb im Gottesdienst zusammenfinden, mit solchen prophetischen Ungeheuerlichkeiten zu verprellen und verärgern. Damit schneidet sie sich doch wirklich ins eigene Fleisch! Kein Wunder, dass man damals vor knapp dreitausend Jahren auf den Propheten Amos wütend wurde. Kein Wunder, dass man damals auf die Beschimpfungen des Propheten Amos mit Gegenbeschimpfungen reagierte. Aber heute, da geht man dann einfach, wenn man so behandelt wird.

Jedoch liebe Gemeinde! Bitte jetzt keine Unruhe. Bitte bleiben Sie ruhig sitzen. Lassen Sie sich nicht erschrecken durch den ersten abweisenden Eindruck, den dieses scharfe Prophetenwort auf uns in unserer heutigen Lebenssituation macht. Sondern lassen Sie uns jetzt einmal genauer darauf schauen, in welche Lebenssituation es damals hinein gesagt wurde, um dann vor Augen zu bekommen, was Gott mit diesem eindringlichen Prophetenwort uns hier und jetzt in unser Leben hinein sagen will.

Und wie war das denn damals, in der Zeit des alten Israel, als der Prophet Amos dieses Wort in Gottes Namen zuerst aussprach – oder besser aussprechen musste? Denn er hatte ja nicht einfach Lust an einer Publikumsbeschimpfung, wie es heutzutage manchmal im Theater passiert. Er tat es wahrhaftig nicht freiwillig, sondern er musste einfach alles sagen, was ihm Gottes Geist aufgab zu verkündigen, und das ohne Rücksicht auf Verluste. Und das bedeutete auch: Ohne Rücksicht darauf, ob die Leute ihm damals nun gern zu hörten oder ihn dafür beschimpften oder gar dafür verprügelten. Nein, was in Gottes Namen gesagt werden muss, das muss gesagt werden. Und das nicht nur damals in der Zeit des alten Israel, sondern genauso heute!

Aber noch einmal: Wie war denn Lebenssituation damals, als der Prophet Amos dieses Gottes Wort sagen musste? Und da muss man einfach sehen, dass man damals in der Königszeit des alten Israel zu den Feiertagen und Festversammlungen zusammenkam, nicht etwa nur, um ehrfürchtig und demütig Gottesdienst zu halten. Sondern ich kann mir vorstellen, dass sich da gleichzeitig etwas ganz Anderes in den Vordergrund schob. Etwas nicht besonders Originelles. Etwas, was heute alle Staaten und Völker, alle Länder und alle Volksgruppen in gleicher Weise dringend benötigen. Und was war das?

Es ging in den zentralen Versammlungen im Jerusalemer Tempel gleichzeitig darum, sich seiner gemeinsamen Bestimmung und Identität zu vergewissern, also dass man zusammengehörte und dass man ein Volk war. Und das hieß nicht nur einen großen Aufmarsch von Folklore und bunten Trachten. Sondern der Staat und seine Könige ließen sich feiern. Zentrales Motiv der Gottesdienste und Opfer und Festgaben war es, dass alle sich darin bestärken lassen wollten, dass man als Volk göttlich auserwählt war – vor allen anderen Völkern. Und gehörte dann dazu nicht auch unausgesprochen so etwas wie ein Herrschaftsanspruch über alle Welt dazu?

Es ging also bei diesen Gottesdienste um nicht wenig. Kein Wunder dass die Gottesdienste darum ausgesprochen prächtige Feste waren, bei denen es Musik und Tanz gab, Lieder zu Pauke und Harfe, schillernde Gewänder und überreichen Blumenschmuck. Da durfte an nichts gespart werden.

Da geben uns heute andere Nationen mit ihren Nationalfeiertagen einen gewissen Abglanz von solchen Feierlichkeiten, mit endlosen musizierenden Marschkolonnen, donnernden Salutschießen der gewaltigen Schiffsgeschütze und Düsenjägerparaden über die Köpfe hinweg. So will man heute in anderen Nationen die Gefühle für die große Gemeinschaft miteinander stärken und pflegen. Allerdings scheint es dagegen in unserem Deutschland zu großen Gemeinschaftsgefühlen nur in Fußballstadien, Bierzelten und Fernsehshows zu kommen. Dennoch können wir davon ausgehen, dass das damals im alten Israel prächtige Feste und geschickt organisierte Versammlungen waren, bei denen die Alten glänzende Augen bekamen und sich die Jungen vor Spaß fast überschlugen.

Ach, fast hätte ich es vergessen: Und dann gab es auch noch einen alten Brauch, bei diesem Spaß etwas von dem eigenen Überfluss als Opfer, Brandopfer und Speiseopfer abzugeben. Es machte sich eben gut, so ein paar Gerstenkörner und ein einige Minze-Blätter abzugeben, also etwas, was nicht wehtat. Dieser Brauch aus alten Zeiten, mit dem man angeblich die Gottheit milde stimmen und eine Förderung der eigenen Pläne erreichen konnte, sollte doch nicht schaden, oder?

Ob wir das heute auch kennen? Natürlich! Denn was passiert da eigentlich bei den riesigen Gala-Shows, die dann mit dem Aufruf gekoppelt sind, für einen guten Zweck zu spenden. Das gefällt den Leuten heutzutage. Und da ist eben Stimmung. Ja, und weil da solche gute Stimmung ist, da kann ich es doch heute nicht nur von jungen Leuten hören: „Wie spannend ist heute eine Fernseh-Show und wie langweilig ist dagegen ein Gottesdienst!“

Aber ist das nun wirklich alles zu vergleichen? Die heutige Gala-Show, die gottesdienstlichen Versammlungen im alten Israel und unser sonntägliche Gottesdienst heute? Nein! Denn in unseren heutigen Gottesdiensten geht es doch weder um Show noch um gemeinschaftliche Belustigung, noch um politische Machtdemonstrationen oder nationale Identität, oder etwa um die Absicherung von Herrschaftsansprüchen über unterworfene und noch zu unterwerfende Völker. Aber worum geht es dann?

Es geht doch in unseren christlichen Gottesdiensten um den Glauben! Wir werden doch vor Gottes Angesicht gerufen im Glauben an Jesus Christus und sein ewiges Reich. Und bitte keinesfalls übersehen: das ist ein geistliches Reich, ein Reich, das nicht von dieser Welt ist. Und weil wir als seine Gottesdienstgemeinde so von Christus alles erwarten, hat er uns doch verheißen, uns im Blick darauf geistlich zu trösten und zu stärken, uns geistlich froh zu machen und uns zum Leben zu verhelfen, selbst wenn wir schwach sind oder wenn wir sterben müssen.

Welch ein haushoher Unterschied zu heutigen Gala-Shows oder zu den nationalen gottesdienstlichen Versammlungen im alten Israel – was aber unsere Gottesdienste heutzutage keinesfalls der Kritik enthebt. Allerdings kommt die dann nicht von Amos - sondern eben von unseren Zeitgenossen. Da kann man eben hören, dass unsere christlichen Gottesdienste zu langweilig sind. Denn was passiert dann denn schon? Da wird doch nichts bewirkt. Da würden die Menschen doch zu nichts angetrieben. Viel besser sei es da doch, sonntags morgens durch den Wald zu joggen. Oder die Fußballwettkämpfe am Vorabend des Sonntags seien doch viel aufregender. Und von Opern- oder Rock-Konzerten, da hätte man doch wirklich etwas. Überhaupt sei es doch erheblich produktiver etwa in einer Umwelt- oder Stadtteil-Initiative mitzuarbeiten, oder Bio-Diesel zu tanken. Und damit hört die Kritik am Gottesdienst nicht auf.

Allerdings, ob es solche Kritik wäre, die uns heute der Prophet Amos in Gottes Namen sagen würde, das wäre wohl zu bezweifeln, gerade angesichts der am Schluss dieses Gotteswortes auftretenden Gerichtsdrohung, dass das Recht Gottes strömen solle wie Wasser.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Bestimmt wäre nichts an Waldlauf oder Fußball oder Konzerten zu kritisieren, oder gegen Umwelt- oder Sozialengagement zu sagen, wenn sie für denjenigen, der sich sonntags durch Gottes Wort stärken lässt, eine Ergänzung oder eine mit Dankbarkeit empfangene Gottesgabe darstellten oder der Versuch sind, intensiver nach Gottes Willen zu leben.

Aber es geht ja um ganz anderes. Es geht ja um Ersatz! Denn wie viele meinen, ihr Wohl und Heil oder auch das Wohl der ganzen Welt allein durch solche festlichen oder umtriebigen Versammlungen gewinnen zu können: etwa durch Staatsakte, Show oder Spaß! Aber wenn wir auf diese Weise Wohl und Heil erhoffen wollen, dann ist uns heute tatsächlich das göttliche Gerichtswort des Propheten Amos an den Kopf geschleudert. Allerdings müsste sich dieses Prophetenwort für die heutige Zeit und auf bundesdeutsche Verhältnisse übersetzt etwas anders anhören. Vielleicht so:

„So spricht der Herr, in dessen Hand ihr seid, ob ihr Schlaumeier das nun glauben wollt oder nicht: Ich bin eure prächtigen Festkonzerte und raffinierten Super-Shows leid und verachte sie. Ich mag den bierseligen Dunst in euren Kirmesszelten und Fußballstadien nicht riechen. Und selbst wenn ihr euch beim Walken kilometerweise selbst quält und alle freie Zeit dabei opfert, um eure Gesundheit zu retten, oder wenn ihr noch so fette Spenden von eurem Vermögen opfert, so habe ich kein Gefallen daran. Tu weg von mir das Geplärr deiner MP3-Player und die bunten Bilder deiner Computerspiele genauso wie alle Radio- und Fernsehberieselung. Ich mag sie nicht hören. Es ströme aber die Liebe zum Nächsten wie Wasser und der Glaube wie ein nie versiegender Bach.“

Ja, der letzte Satz ist der Kernsatz. Denn Amos geht es um nichts anderes als den Glauben, dessen alttestamentarischer Ausdruck sich im hebräischen Wort für Gerechtigkeit findet. Denn es ist allein der Glauben, der aus der Selbstzerstörung des Menschen durch den Menschen errettet. Es ist allein der Glauben, der aus dem darin beginnenden Gericht Gottes über uns Menschen hilft!

Ja, genau das tut er! Und das ist eine Botschaft, die uns froh machen kann! Und deshalb sollten unsere Gottesdienste auch erfüllt sein von Freude und Dankbarkeit. Denn was der lebendige Gott von uns will, sind nicht die für unsere dörflichen Verhältnisse sowieso nicht möglichen Fanfarenzüge, Prachtparaden oder Riesenshows, sondern er will unseren Glauben. Er will unseren Glauben und wir dürfen ihn ehren durch unser Fragen und Nachdenken, durch unser Singen und Beten und das allein daraus quellende Tun des Gerechten, wie es damals Dietrich Bonhoeffer unvergesslich sagte.

Wenn wir so froh und ermutigt das Gerechte tun, und wenn wir so im Gottesdienst von Trost und Dankbarkeit erfüllt werden, dann muss das nicht gleich in Volksfeststimmung umschlagen. Natürlich gibt es christliche Gemeinden in anderen Teilen unserer Welt, wo das tatsächlich so passiert. Jedoch denke ich, der Prophet Amos würde das nicht kritisieren. Und er würde es genauso wenig kritisieren, wenn wir Norddeutschen mit der Äußerung unserer Dankbarkeit und Freude etwas bedächtiger sind. Aber was ist da Schlimmes daran? Am Ende der Weihnachtsgeschichte, nach all’ dem Wunderbaren und Unfassbaren, was da Gott für uns hat geschehen lassen, da heißt es ja auch nicht, dass Maria in irgendeiner Talkshow spitze Jubelschrei ausstößt, sondern das heißt es: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ (Lk 2,19)

So innerlich vom Staunen über Gottes Güte erfüllt und bewegt zu sein, und das Gerechte zu tun, das reicht eben für unsere Zeit und bis in alle Ewigkeit. Gott sei Dank!

Amen.

Dr. Andreas Pawlas
Andreas.Pawlas@web.de


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