Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Estomihi, 26. Februar 2006
Predigt zu Amos 5, 21-24, verfasst von Petra Savvidis
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"So spricht der Herr:
Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie
und mag eure Versammlungen nicht riechen.
Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert,
so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen.
Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder;
denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!
Es ströme aber das Recht wie Wasser
und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach."


Liebe Gemeinde!
Diese Rede ist heftig. Ein vernichtendes Urteil, eine totale Kritik.
Gott zeigt sich ablehnend, abweisend, spricht in hartem Befehlston:
Weg damit, ich will es nicht hören, ich mag es nicht. Hört mir auf mit euren Gottesdiensten,
hört mir auf mit euren Liedern. Ich hasse das, weg damit.
Natürlich kennen wir auch solche harten Worte von Gott, im alten und im neuen Testament,
aber dann richten sie sich gegen liebloses Tun, gegen Unmenschlichkeit, Ungerechtigkeit, Unglauben.
Hier richten sie sich gegen Gottesdienst, gegen die feiernde Gemeinde, gegen ihre Opfergaben,
ihre Lieder und ihre Musik. Das ist etwas anderes. Und das macht es schwer, es zu begreifen.
Und es ist schwer, uns das sagen zu lassen.

(eine Stimme aus der Gemeinde) Sind wir überhaupt gemeint?
Ja, sind wir mit unseren Gottesdiensten tatsächlich gemeint?
Wenn das so wäre, könnten wir doch gleich einpacken und nach Hause gehen.
Dann bräuchten wir nicht zu predigen und zu singen und zu beten,
wenn doch nur alles ein Graus ist für Gott.

Was ist das, was Gott so zornig macht, was hat er dem Amos gesagt,
was bringt ihn dazu, so zu reden?

(wieder die Stimme aus der Gemeinde usw.) Sind wir überhaupt gemeint?

Gehen wir zurück in die Zeit des Propheten Amos, schauen wir uns um mit ihm in seinem Land,
werfen wir einen Blick auf die Menschen damals, wie sie glaubten und lebten.
Und dann werden wir eine Antwort finden darauf, ob wir gemeint sind oder nicht.

Amos war kein geborener Prophet, auch keiner, der sein Geld damit verdiente,
Menschen wohl dosierte Prophezeiungen zu sagen.
Er war ein Viehzüchter und lebte ein ganz normales Leben als kleiner Mann im Süden von Jerusalem. Bis eines Tages Gott zu ihm sprach und ihn auf einen langen Weg schickte.
Ins Nordreich sollte er gehen, dorthin, wo die Menschen nach langen Kriegen und Unterdrückung
eine wahre Blütezeit erlebten.
Ein Wirtschaftswunder ereignete sich gerade,
eine Wohlstandsgesellschaft sicherte ein gutes, sattes Leben.
Zumindest für einige Menschen. Für die, die das Sagen hatten, für die, die Geld ausgeben konnten.
Natürlich fielen viele durch die Maschen. Das ist immer so.
Die Kehrseite dieses Wirtschaftswunders war die wachsende Verarmung eines Teils der Bevölkerung. Und es gab auch damals in Israel soziale Ungerechtigkeit und Korruption,
Beamte waren bestechlich, Gerichtsurteile waren käuflich.
Sicher hatte Amos, der kleine Viehzüchter, keine Ahnung von Wirtschaftspolitik und Sozialethik, sicher wusste er, obwohl er doch ein Prophet war, auch nichts davon,
dass das in allen Jahrhunderten nach ihm so bleiben würde:
Reichtum und Armut gehen zusammen. Wirkliche Gerechtigkeit gibt es nicht.
Obwohl er ein Prophet war, hat er das sicher nicht vorausgesehen.
Denn sonst hätte ihn das wohl gelassener gemacht.
So wie es uns erstaunlich gelassen lässt. Oft, nicht immer.
Manchmal erhitzt ein Finanzskandal die Gemüter,
wenn sich ein Manager allzu schamlos selbst bedient.
Vielleicht hätte Amos gelassener reagiert, hätte er das schon gewusst.
So aber schaute er sich um in seiner Gegenwart und regte sich auf. Und zwar gehörig:
Wüste Worte findet er für die Menschen, die sich nicht scheren um die Ungerechtigkeit
vor ihrer Haustür. Die mitmachen bei einträglichen Geschäften, die andere ruinieren.
Schlimme Beschimpfungen lässt er los gegen Menschen, die sich ausstaffieren mit Luxusgütern
und den Bettler mit leeren Händen gehen lassen.
Heutzutage müsste Amos mit einer Flut von Beleidigungsklagen rechnen.
Denn immer treffen seine Worte diejenigen, die sich solche Klagen auch leisten könnten.

Sind wir überhaupt gemeint?

Amos hatte einen klaren, unverstellten Blick. Den ließ er durch das Land wandern
und erkannte etwas sehr Einfaches: wenn die Menschen satt sind und Geld haben,
wenn sie in einem sicheren Land befriedet wohnen, wenn sie ruhig und beschaulich,
mit wenig Luxus oder mit viel jeden Tag gut leben können,
dann kommt auf schleichenden Sohlen die Selbstzufriedenheit.
Dann geht der Blick für die Nöte anderer verloren, dann schleicht sich dieser Gleichmut ein,
der doch nur Gleichgültigkeit ist. Dieses satte, zufriedene, um sich selbst kreisende Lebensgefühl.
Natürlich muss Frieden und Wohlstand nicht dazu führen, aber es ist eben oft so. Damals war es so.

Sind wir überhaupt gemeint?

Amos hatte einen Auftrag, er hatte eine Botschaft zu verkünden. Und die war höchst beängstigend.
Gott wendet sich ab von seinem Volk, er ist zornig und kann euch nicht mehr riechen.
Als Amos sich umschaut im Lande, da ahnt er, was Gott so zornig macht.
Warum seine Worte so kompromisslos hart sind.
Amos zeigt mit dem Finger auf alles, was er Unerfreulich-Unerhörtes sieht, und er fragt:
Was wollt ihr mit euren vollen Bäuchen und eurer Selbstzufriedenheit eigentlich noch von Gott?
Seid ihr euch nicht längst selbst genug? Es ist doch verlogen, dass ihr Gottesdienste feiert,
fette Opfer bringt und Lieder singt und dann nach Hause geht und fröhlich weiterfeiert,
ohne Gott und ohne einen Blick für die,
die nichts zu lachen und nichts zu feiern haben.
Wie könnt ihr glauben, dass Gott sich an euren Gottesdiensten freut, wenn sie doch nichts,
aber auch gar nichts zu tun haben mit eurem Leben?
So nicht!
sagt Amos. Sagt Gott. So nicht!

Sind wir überhaupt gemeint?

Ja, wir sind hier alle angesprochen und gemeint.
Dann nämlich, wenn wir verstehen sollen, dass Gottesdienst und Alltag zusammengehören.
Dass unser Glauben und unser Leben zusammengehören.
Ja, wir sind alle gemeint. Wir brauchen alle von Zeit zu Zeit diese Mahnung.
Dass wir Gottesdienst feiern, um uns zu stärken für den Dienst, der uns im Alltag bevorsteht.
Den Dienst an Menschen, die Not leiden, den Dienst für alle, die uns zum Nächsten werden können.
Eine Gemeinde, die selbstvergessen und selbstzufrieden ist und bleibt,
die sich selbst im Gottesdienst feiert, nur nett, nur unverbindlich, bei der ist Gott nicht gerne Gast.
Die kann er nicht riechen. Die schmeckt ihm nicht.
Gottesdienste dürfen gern schön und stimmungsvoll und einladend sein,
aber sie dürfen eben nicht nur schön sein.
Sie sollen nicht einlullen und auf ewig bestätigen,
was wir immer schon geglaubt, gewusst und gelebt haben.
Unsere Gottesdienste – und das muss ich auch mir als Pastorin sagen lassen –
müssen nicht allen gefallen, sondern sie sollen uns so bestärken und ermutigen,
dass sie uns in Bewegung setzen und Kräfte frei machen und spüren lassen,
dass Gott lebendig ist und machtvoll, und uns auch dazu bringen will,
lebendig zu sein und in seiner Kraft zu handeln.

(Stimme aus der Gemeinde) Ja, wir sind gemeint.

Und das ist gut so. Weil wir nämlich als fröhliche und mutige Gottesdienstbesucherinnen und –besucher an diesem Sonntag diese Rede gut aushalten können.
Wenn wir es ernst nehmen mit dem Glauben, begreifen wir ja,
dass die Sonntagsreden uns auch im Alltag etwas zu sagen haben sollten.
Dass die Gemeinschaft des Sonntags in Gottesdienst und Abendmahl
sich auch zeigen müsste im alltäglichen Leben.
Wir begreifen es ja, dass Glauben und Leben und Gottesdienst und Alltag zusammengehören. Allerdings: es fällt manchmal schwer.

Und genau darum hilft wohl der allerletzte Satz des Predigttextes.
Am Schluss der harten Worte Gottes durch Amos´Mund steht dann doch noch ein Bild,
das die Härte nicht mindert, das aber die ganze Kraft in eine gute, hilfreiche Richtung lenkt:
Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
So stellt Gott sich das vor. Recht und Gerechtigkeit will er für die Welt.
Und das ist so umfassend, dass es unser Vorstellungsvermögen übersteigt.
Unsere kleine Kraft sowieso. Mit Appellen, mit Forderungen ist das nicht zu tun.
Recht und Gerechtigkeit nach Gottes Willen umfasst Güte und Barmherzigkeit,
Liebe und Vertrauen zum Leben und für die Menschen.
Wie lebensnotwendiges Wasser soll das strömen und fluten.
Und die Gottesdienste, die sollen Orte sein, wo wir aus dieser Quelle reichlich schöpfen
und es dann mitnehmen in den Alltag.
Recht und Gerechtigkeit
. Das ist wie ein Strom, in den wir uns nur hinein nehmen lassen können. Belebend, anrührend, mitreißend. Ein Geschenk, eine Gottesgabe.

Mit Gott in unserer Mitte, mit dem, was wir von ihm begreifen können,
und mit allem, was uns unbegreifbar bleibt, so sollen wir Gottesdienst feiern.
Und dann bitten, dass unser Beten und unser Singen und all das, was wir vor ihn bringen,
ihm gefällt, ihm schmeckt und er uns gut riechen kann. Das gebe Gott.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen können,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Pfarrerin Dr. Petra Savvidis
59514 Welver-Schwefe
savvidisp@hotmail.com


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