Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Aschermittwoch (Beginn der Passionszeit), 1. März 2006
Predigt zu 2. Korinther 7, 8-10, verfasst von Bert Hitzegrad
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Übersetzung „Hoffnung für alle”):
„Jetzt bereue ich auch nicht, dass ich euch den Brief geschrieben habe, der euch so erschüttert hat. Zwar dachte ich schon, ich hätte ihn gar nicht abschicken sollen - eben weil ihr wegen des Briefes traurig gewesen seid, doch jetzt bin froh, dass ich ihn geschrieben habe. Natürlich nicht, weil ihr traurig gewesen seid, sondern weil euch dies zum Nachdenken und zur Umkehr gebracht hat. Genau das war Gottes Absicht, und deshalb hat euch unser Brief auch nicht geschadet. Denn die von Gott bewirkte Traurigkeit führt zur Umkehr und bringt Rettung. Und wer sollte das jemals bereuen! Nur die Traurigkeit, die nicht zur Umkehr führt, bewirkt den Tod.”

Liebe Gemeinde!

„Ende gut und damit alles gut?” So möchte ich den Apostel fragen, der der Gemeinde in Korinth offensichtlich etwas zu nahe getreten ist. „Der Zweck heiligt die Mittel. Meine Zurechtweisungen haben Euch zur Besinnung gebracht. Also fort mit der Traurigkeit und neu dem Leben zugewandt!” Paulus mag so mit einem Handstreich alle Scherben, die er mit seinem Brief an die Gemeinde in Korinth verursacht hatte, vom Tisch fegen - frei nach dem Motto des heutigen Tages: „Am Aschermittwoch ist alles vorbei!” Nun aber in umgekehrter Weise: Vorbei ist nicht die Zeit der tollen Tage, sondern die Zeit der Trauer und der Tränen. „Betrachtet unseren Disput vom Ende her - Ende gut, alles gut!”

Was war geschehen?

Die Gemeinde in Korinth, die Paulus einst gegründet hatte, war ihre eigenen Wege gegangen. Unter dem Einfluss von Wanderpredigern, die mit besonderen Offenbarungen und ekstatischen Geistbeweisen daherkamen, hatte die griechische Gemeinde sich neu orientiert. Versuche, die Gemeinde zur Umkehr zu bewegen, gab es reichlich: Einen Besuch des Paulus, bei dem es offensichtlich zu einem schmerzlichen Zwischenfall kam und dem Apostel Unrecht getan wurde. Es wurden Briefe geschrieben, „unter Tränen”, wie Paulus selbst sagt und sein Mitarbeiter, Titus, wurde mit dem Auftrag nach Korinth geschickt, dort Versöhnungsarbeit zu leisten.

Die Vorwürfe seiner Gegner gingen unter die Gürtellinie: Paulus sei zu schüchtern und ihm fehle deshalb auch die Apostelwürde; er sei geradezu unfähig, weil er keine Geistegaben habe, die ihn zu einem religiösen Star machten. Und dann verstieß er gegen die einfachsten Regeln der geistlichen Zunft: Auf Empfehlungsschreiben eines Gurus verzichtete er und nahm noch nicht einmal das Recht in Anspruch, dass er in seiner Gemeinde freie Kost und Logis habe ... Was „Mobbing” bedeutet, kann man an der Auseinandersetzung in Korinth wirklich studieren. Denn dem Mann, der die christlichen Werte lebte und verteidigte, wurden diese gerade abgesprochen: Hinterlist, Berechnung, Unterschlagung - all dies findet sich im Katalog gegen den Apostel Christi.

Ob der mit gleicher Münze zurückgezahlt hat? Das ist nicht eindeutig bekannt. Aber offenbar war seine Antwort darauf doch verletzend, und es gab eine massive Zurechtweisung.

Vielleicht hat Paulus seinen Pfad der Nachfolge des Gekreuzigten dann doch verlassen - zumindest in seiner Wortwahl. „Ich dachte schon, ich hätte ihn gar nicht abschicken sollen” spricht er von dem Brief, der offenbar einen explosiven Inhalt hatte. War er doch einmal ganz menschlich? In all seiner Schwachheit ausfallend? Hat er sein Vertrauen auf die Macht seiner Wort gesetzt und nicht auf die Kraft Gottes? Gerade im „zerbrechlichen Gefäß menschlicher Schwachheit” offenbart sich die schöpferische Kraft des göttlichen Wortes - so hält er seinen kraftbesessenen Gegnern vor. Aber vielleicht ist bei ihm nun doch einmal das „zerbrechliche Gefäß” zum Überlaufen gekommen - und er hat menschliche, nicht göttliche Worte gefunden? Wir spekulieren und könnten aus unserem und dem Vokabular unserer Kinder einiges einfügen ...

Und doch - auch wenn er erst gezögert hat, den Brief abzuschicken, auch wenn er damit eine große Traurigkeit verbreitet hat, Verletzungen, vielleicht sogar neue Risse im Verhältnis zum Apostel provoziert hat - seine menschlichen Worte waren doch göttliche. Das sagt der Apostel, denn die Worte - auch wenn die Mittel nicht ganz lauter waren - haben doch den Zweck erfüllt: Sie haben ein Nachdenken in Gang gesetzt und dann sogar Bewegung ins böse Spiel gebracht und Umkehr und letztendlich Rettung bewirkt. Sie haben - um den altmodischen Begriff für Umkehr zu nehmen - zur „Buße” geführt. Und damit: „Ende gut, alles gut!”?

„Nein, nein!”, so möchte ich aber nochmals dem ehrwürdigen Apostel zurufen: „Ist das der Zweck der Traurigkeiten meines Lebens, dass ich nach Gott frage, dass ich Buße tue, dass ich mich zu ihm wende, umkehre? Oder willst Du, lieber Paulus, nur deinen argumentativen Mitteln einen heiligen Schein aufsetzen?”

Denn: So sehr ich verstehen kann, dass der Apostel froh ist über die Situation, die in Korinth offenbar wieder im grünen Bereich ist, so wenig kann ich seine pauschale Bewertung von Trauer und Leid im menschlichen Leben nachvollziehen.

Von einer „Traurigkeit, die Gott bewirkt”, spricht Paulus. Sie habe die Umkehr und Rettung zur Folge. Und eine „Traurigkeit, die nicht zur Umkehr führt”, benennt er, eine „Traurigkeit der Welt” wie Martin Luther übersetzt. Eine Traurigkeit, die zum Tod führt. Und dagegen die Traurigkeit von Gott - sie ist offenbar eine Traurigkeit, die Leben schafft und neue Kräfte freisetzt.

Doch mit dieser Pauschalisierung sind wir im Randbereich der Theologie und fragen nach „Gottes Gerechtigkeit”, nach der „Theodizee”, die ungelöste Frage danach, warum Gott das Leiden in dieser Welt zulässt, trotz seiner Allmacht, trotz seiner Liebe und Barmherzigkeit. Reicht die Antwort des Paulus aus: „Damit wir umkehren zu Gott, damit wir gerettet werden!”?

Natürlich: Leiden erzeugt einen Druck und leitet - hoffentlich - einen Umkehrprozess ein.

Die Todesopfer, die auf der Eisfläche unter dem eingestürzten Dach in Bad Reichenhall lagen, haben dazu geführt, dass nun überall Dächer großer Hallen und Gebäude überprüft werden. Endlich! Die ersten hundert toten Vögel an der Ostseeküste haben zu einem Maßnahmenkatalog gegen die Vogelgrippe geführt. Endlich! Aber viel zu spät.

Die Trauer um ihren Mann hat die junge Frau fragen lassen, ob das Haus, der Garten, die Kinder, der Urlaub wirklich alles ist im Leben - oder ob es da nicht mehr gibt. Einmal in der Woche geht sie nun in einen Hauskreis, stellt dort viele Fragen, bekommt viele Antworten, aber vor allem das gute Gefühl, dass dort Menschen sind, die ihr Leben vor einem größeren Horizont sehen. Endlich ist sie dort angekommen! Aber musste dafür ihr Mann sterben?

War der Schreck über seinen Tod und dieser lange Weg durch die Trauer Gottes Wille, um sie zur Besinnung zu bringen? Wäre das nicht ein Armutszeugnis für diesen so allmächtigen Gott, der die Welt geschaffen hat, wenn er über Leichen geht, um Leben zu retten? Und damit wieder: „Ende gut, alles gut!”?

Nein, es ist nicht alles gut. Auch wenn wir es manchmal gern so hätten. Die Büttenreden statt einer kräftigen Predigt, die Karnevalsmaske statt des trüben Alltagsgesichts. Der Aschermittwoch stört: Konfetti im Haar wäre doch viel besser als „Asche auf mein Haupt”. Die Comedys- und Spaßshows werden ohnehin so weiterlaufen als bräuchten wir die ruhigen Zeiten nicht, die Zeiten des Verzichts, die Zeiten, die uns an die Tiefe des Lebens erinnern und nicht durch flache Sprüche ablenken von dem, was das Leben ausmacht.

Und dann der Karfreitag - muss das denn sein? „Ende gut, alles gut” - so könnte es am Ostersonntag doch heißen. Das „Auferstehungsfest light”, ohne Tod und Sterben und ohne diese Traurigkeit ...

Doch der allmächtige Gott leistet sich selbst diese Traurigkeit. Er ist in aller Schwachheit nahe denen, die Schwäche, Misserfolge, kränkende Zurechtweisungen erleben. Er ist nahe seinem Apostel Paulus, der in aller Schwachheit die gute Botschaft verkündet, und er ist nahe seiner Gemeinde, die trotz aller Verletzungen einen neuen Weg beschreitet.

Gott leistet sich diese Traurigkeit, damit auch der Weg zum Ende schon gut wird. Kein einfacher, kein leichter Weg an der Seite seiner oft leidenden Kreatur. Aber in der Gemeinschaft ein heilsamer Weg, auf dem Trauerarbeit geleistet werden kann.

Die Frage, woher die Traurigkeit in dieser Welt kommt, wage ich nicht zu beantworten.
Die Frage, wohin uns die Traurigkeit führt, muss jeder und jede selbst beantworten.

Denn: Jeder Schmerz, jede Trauer, jedes Leiden verändert uns - ob wir dagegen protestieren oder nicht. Die Frage ist: Wie verändern uns die Schatten des Lebens? Verharren wir in Erstarrung und in hoffnungsloser Verzweiflung? Nimmt die Verbitterung uns alle Kräfte der Liebe? Versacken wir regelrecht zu Lebzeiten in einer „Todesstarre”? Ja, hier erkenne ich sie wieder, die „Traurigkeit, die den Tod bewirkt”, von der Paulus schreibt.

Oder bekommen wir die Kräfte, die aus der Todeskälte des Winters neues Leben treiben lassen? Eine Umkehr von der Hoffnungslosigkeit hin zu der Hoffnung, dass wirklich alles gut wird? Ein Umdenken, das uns öffnet für Gedanken der Freude und eine Sprache der Liebe - gegen das Mobben und Auszählen des Gegners?

Trauern ist immer ein Prozess. Trauern ist harte Arbeit, in der Verhärtungen wieder weich werden können, Verletzungen können vernarben und ein neuer tragender Grund im Leben kann gesucht werden. Umdenken, Umkehr, um Gottes Hilfe bitten - das ist wichtig in diesem Prozess. Ein Prozess, der Zeit braucht.

Vor uns liegen die sieben Wochen der Passionszeit, traurige Zeit, trauernde Zeit. Zeit, die wir nutzen können, um zu klären, was, wer wirklich wichtig ist in meinem Leben. Verzicht mag eine Hilfe sein. Neues, Gebet oder Meditation und das Lesen der Bibel kann diese Zeit der Traurigkeit zu einem Gewinn machen.

Diese Zeit ist eine „von Gott bewirkte Traurigkeit”. An ihrem Ende steht nicht der Tod, sondern das Leben. Das Ende ist gut, ja. Aber nicht alles ist gut für uns. Nachdenken und Umkehr können neue Wege öffnen. Amen.

Pastor Bert Hitzegrad
Claus-Meyn-Str. 11
21781 Cadenberge
Tel.: 04777/330
EMail: BHitzegrad@aol.com

 

 


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