Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Invokavit, 5. März 2006
Predigt zu 2. Korinther 6, 1-10, verfasst von Eberhard Busch
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„Als Mithelfer aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. Denn er spricht: ‚Ich habe dich in der angenehmen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.’ Siehe, jetzt ist die angenehme Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils! Und wir geben niemand irgendein Ärgernis, damit unser Amt nicht verlästert werde; sondern in allen Dingen erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhren, in Mühen, in Wachen, in Fasten, in Keuschheit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, in dem heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, durch Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, durch Ehre und Schande, durch böse Gerüchte und gute Gerüchte; als die Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten, und doch bekannt; als die Sterbenden und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht ertötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die, die nichts haben, und doch alles haben.“

1.

„Seht, jetzt ist die hochwillkommene, die angenehme Zeit.“ „Jetzt ist der Tag des Heils!“ Seht, ein helles, ein gutes, hilfreiches Licht leuchtet uns am heutigen Tag! Hoffentlich sehen wir es! Oder sieht das bloß jemand, dem es im Moment zufällig gut geht? Sieht der, der uns hier einen guten Tag ansagt, denn nicht die mächtige Schattenseite des Lebens? Heute ist ja doch der Tag, an dem uns noch das Unheil vor Augen steht, dass ein ganzes Dorf auf den Philippinen im Schlamm verschwunden ist. Heute ist der Tag, an dem die Vogelgrippe auch unser Gestade erreicht hat. Heute ist auch der Tag, an dem der bedrohliche Konflikt zwischen den mittelöstlichen und den westlichen Ländern sich zugespitzt hat. Heute ist auch der Tag von Tränen, von Seufzern, ein Tag von Mühe, von Arbeit oder Arbeitslosigkeit, ein Tag, an dem die Reichen reicher und die Armen ärmer werden, ein Tag von enttäuschten Hoffnungen, von Flüchen, auch ein Tag, wo alte Fehler aufs Neue begangen werden und wo die Menschheit auf ihren Irrwegen anscheinend unbeirrt weitermarschiert.

Der Sprecher unseres Bibelworts sieht dergleichen. Er sieht es so, dass man sich wundern kann, wenn er noch Anderes sieht außer Dunkelheiten. Aber dem allem zum Trotz sieht er noch ein Anderes: „Jetzt ist der Tag des Heils“. Und das ist nicht bloß auch noch wahr. Das ist vor allem wahr. Heute ist genau der Tag, an dem wir nicht von Gott verlassen sind. Vielmehr wie es im Liede heißt: „Heute geht aus seiner Kammer / Gottes Held, der die Welt / reißt aus allem Jammer.“ Und wie es in der Weihnachtsgeschichte heißt: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Er tritt uns entgegen wie dem Zöllner Zachäus und sagt: „Heute ist diesem Haus Heil widerfahren.“ Was auch heute in der Tageszeitung geschrieben steht, was wir heute auch erleiden, was wir Menschen auch anstellen mögen, nichts von dem kann es ausradieren, dass der Eine auf dem Plan ist, der dem allen gewachsen ist. Von seinen Mächten sind wir wunderbar geborgen. Seine Gegenwart ist der eine, der gute und starke Grund, dass wir nicht verzweifeln müssen; wir dürfen hoffen. Sein Nähe ist der gute und starke Grund, der dem Umherirren Einhalt zu gebieten versteht. Wie es in einem anderen Lied gesagt ist: „Der aber, der uns ewig liebt, / macht gut, was wir verwirren; ... / und dazu treibt ihn sein Gemüt / und die so reine Vatergüt, / in der uns arme Sünder, / er trägt als seine Kinder.“

Heute ist der Tag des Heils? Muss man nicht vielmehr sagen, wenn überhaupt, dann war das einmal so, damals: an ganz anderem Ort und vor langer Zeit. Das ist so weit weg, dass uns das schwerlich noch etwas angehen kann. Richtig an diesem Einwurf ist, dass die frohe Botschaft vom Tag des Heils zuerst nicht uns gesagt ist, nicht uns derzeitigen Europäern. Zuerst ist sie Menschen im jüdischen Volk gesagt, in der Gegend vom einstigen Jerusalem. Und wenn wir die Botschaft je hören, dann nur mit denen zusammen, die sie zuerst vernahmen. Jedoch ist das an dem Einwurf falsch, zu meinen: Wenn damals ein Tag des Heils war, so sei heute ein ganz anderer Tag angebrochen, ein Tag, an dem ein anderes gilt und herrscht. Gottlob ist es nicht so. Denn der im Stall von Bethlehem Geborene und auf Golgatha Gestorbene, derselbe spricht zu uns: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage.“ Bei euch in eurer gegenwärtigen Situation. Bei euch in den Konflikten und Katastrophen von heute. Bei euch in euren Mühen, unter euren Tränen, bei euch, die ihr euch auf abschüssigen Irrwegen zu verlaufen droht.

2.

Aber woher wissen wir das, dass er heute bei uns ist? Woher wissen wir das so, dass das gilt? Wir wissen es durch ihn selber. Er selber sagt es uns. Er sagt es unter Heranziehung bestimmter Zeugen. Aber an Hand ihrer sagt er es selber. Er hat sie berufen und eingesetzt, dass sie diesen Dienst an uns tun. Er braucht sie als Missionare, die an unsere Gestade, an unsere Türen ausgesandt sind. Er hat sie damals berufen – aus Menschen im jüdischen Volk, in der Gegend vom einstigen Jerusalem. Und wir verstehen jetzt, warum der Satz so wichtig ist: Wenn wir die frohe Botschaft vom Tag des Heils je hören, dann nur mit denen zusammen, die sie zuerst vernahmen. Wir haben sie als die ersten Zeugen zu hören. Sie sind die, denen es bereits damals gesagt war: „Heute ist der Tag des Heils.“ Ihr Wort ist wohl Menschenwort, und zuweilen menschelt es tüchtig in ihren Worten. Aber das ist für uns kein Grund, sie nicht ernst zu nehmen. Sie sind die „Mithelfer“, wie Paulus sagt, die Mitarbeiter Christi, damit wir die Gnade Christi empfangen (V. 1).

Doch nun ergeht es diesen Mitarbeitern Christi unangenehm. Sie treffen bei ihren Mitmenschen nicht auf offene Türen. Sie erregen Ärgernis. Sie stoßen auf Widerstand. Sie geraten in Bedrängnis. Woran liegt das? Haben sie in ihren Menscheleien etwas Anstößiges an sich? Das wird so sein, obwohl Paulus sich dessen jetzt nicht bewusst ist (V. 3). Er kann kühn sagen: „In allen Dingen beweisen wir uns als die Diener Christi“ (V. 4). Dennoch nehmen die Menschen an irgendwelchen Menscheleien bei ihnen Anstoß und stimmen darüber ein Gerede an. Aber in Wahrheit ist das nur ein Vorwand. In Wahrheit nehmen sie nicht an ihnen Anstoß, sondern an ihrem Herrn, an JesusChristus, an seinem Evangelium, an der Art, in der es zu Tage tritt. Aller Ärger und Widerstand und Hass richtet sich zutiefst gegen ihn. Sie mögen ihn nicht, den Leidenden, den Hingerichteten, den Gekreuzigten, den, der Entsetzliches erleidet, um sie als Feinde Gottes und seiner Gnade zu überführen und um ihre Feindschaft zu überwinden. Und hat er nicht gesagt: „Der Jünger ist nicht über den Meister“ (Mt. 10,24)? Es kann nicht anders sein: seine Mitarbeiter und Apostel stehen in der Nähe des Gekreuzigten. Sie tun ihren Dienst nun auch „in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen“, wie Paulus schreibt (V. 4f.).

Aber all dieses Widrige, das kann sie nicht abbringen von ihrem Dienst. Warum nicht? Weil sie so starke Nerven haben? Es ist nicht das. Der Grund dafür ist ein anderer: Sie bleiben guten Muts, weil Christus auferstanden ist. Weil er lebt. Weil er ihnen versprochen hat: „Ich bin bei euch alle Tage.“ Weil er ihnen sagt: „Ich lebe und ihr werdet auch leben.“ Wohl ist es noch wahr, dass seinen Jüngern das alte Leben anhängt. Wohl stimmt es, dass sie in ihrer Nähe zum Gekreuzigten auch Schweres zu erleiden bekommen: Trübsale, Nöte, Ängste, Schläge. Aber schon richtet sie ihr Meister auf, so dass sie in dem Argen nicht versinken müssen. Ja, „als die Sterbenden, und siehe, wir leben, als die Gezüchtigten, und doch nicht ertötet, als die Traurigen, aber allezeit fröhlich, als die Armen, aber die doch viele reich machen, als die nichts haben und doch alles besitzen“ (V. 9f.). So tun sie, die Apostel des Herrn ihren Dienst an uns – „durch Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und Linken“. Im Epheserbrief ist uns diese geistliche Waffenrüstung näher erklärt. Die Gerechtigkeitswaffe rechts ist das Schwert des Heils, nämlich das Wort Gottes, und links der Schild des Glaubens, zur Abwehr eines teuflischen Störfeuers. Gerade so, in ihrer scheinbaren Schwachheit, haben sie die Verheißung, nicht zu unterliegen, sondern zu gewinnen.

3.

Diese ersten Zeugen, die biblischen Apostel sprechen uns an. Sie tun es, damit wir Hörer ihres Worts seien, aber nicht nur Hörer, sondern auch Täter. Sie begegnen uns, damit auch wir wie sie Zeugen des Evangeliums sind. Ihr Herr ist auch unser Herr. Er beruft auch uns. Er sendet auch uns als seine Gesandten. Es ist ein tiefes Missverständnis des Christenlebens, zu meinen, es bestehe in einer privaten Überzeugung in der Innenwelt des Herzens. Das Christenleben ist solange in Unordnung, wo es sich derart vor den Leuten versteckt, wo es der Umwelt nicht bemerkbar wird. Glauben heißt auch bekennen. Jesus sagt: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater“ (Mt. 10,32). Und so wie Gott nicht bloß für sich „lieber Gott“ ist, so, wie er seine Liebe zu uns bekannt hat, in der Sendung seines Sohnes, so darf unsere Beziehung zu ihm nicht unsere Privatsache sein. Jesus sagt zu uns: „Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen“ (Mt. 5,16). Es hat noch niemand Jesus verstanden, der sich nicht von ihm in seinen Dienst hat nehmen lassen. Und ihn bekennen vor den Leuten, das greift ein ins Tagesgeschäft.

Dabei gibt er uns eine Devise mit auf den Weg: „Ich sende euch wieSchafe mitten unter die Wölfe“ (Mt. 10,16). Das sagt uns nicht: Die Anderen sind Wölfe, vor denen wir uns in Acht zu nehmen haben. Das sagt vor allem: Ihr könnt nicht Wölfe sein, wenn ihr unter die Leute geht. Ihr könnt grundsätzlich nur wehrlos unter ihnen auftreten. Das macht euch verletzlich. Ja, dadurch werdet ihr tatsächlich immer wieder verletzt. Vielleicht nicht dramatisch. Nicht unbedingt so, dass ihr verfolgt werdet, sondern so, dass ihr schief angesehen werdet, dass man hinter euch herlacht. Da gibt es nicht wenige Christen, die ihren Glauben ins Private zurückziehen; und nach außen lassen sie sich auf allerlei Kompromisse ein, damit sie nicht auffallen. Aber die dann standhalten und nicht klein beigeben, die erleben nun auch etwas von dem, was Paulus von den Nachfolgern Christi schreibt: dass sie sind wie Sterbende, wie Geschlagene, wie Traurige und Habenichtse. Wird ihnen das nicht zu schwer? So dass sie eines Tages am liebsten aus der Nachfolge Jesu davonlaufen wollen? Ja, so wäre es, wenn gerade sie nicht die Verheißung hätten: Sterbende und sie leben doch, Geschlagene und doch nicht erschlagen, traurig, aber allezeit fröhlich, Arme, die jedoch viele reich und glücklich machen, Habenichtse, die aber alles haben, was sie nötig haben.

In der Christenheit wurde in den letzten Wochen Dietrich Bonhoeffers gedacht, aus Anlass seines 100. Geburtstags: der Zeuge Jesus Christi, der in einem Konzentrationslager der Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Er hatte ein Buch über die „Nachfolge“ geschrieben und darin gesagt – und diese Worte sollen heute zuletzt zu uns reden: „Selbstverleugnung heißt: nur Christus kennen, ... nur noch ihn sehen, der vorangeht, und nicht mehr den Weg, der uns zu schwer ist ... Er geht uns voran, halte dich fest an ihn.“ „Nachfolge ist Bindung an den leidenden Christus. Dann ist das Leiden der Christen nichts Befremdliches. Es ist vielmehr lauter Gnade und Freude.“ Das hat „für jeden ein anderes Maß. Den einen würdigt er großer Leiden ..., den anderen lässt er nicht über seine Kraft versucht werden. Doch ist es das Eine Kreuz. Jedem Christen wird es auferlegt,“ - unvermeidbar für die, die die Nachfolge ernst nehmen. Gott segne an uns dieses Zeugnis eines Nachfolgers Jesu, und er stärke uns in der Bereitschaft, auch Jesus nachzufolgen. Amen.

Prof. Dr. Eberhard Busch, Göttingen
eberhard.busch@theologie.uni-goettingen.de


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