Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Invokavit, 5. März 2006
Predigt zu 2. Korinther 6, 1-10, verfasst von Wolfgang Petrak
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!
Die Worte jenes Mannes:
Sie sind so in in die Zeit hinein gesagt, dass wir sie hören müssen. Sie zwingen in uns in die Entscheidung hinein, weil die Zeit so ist: jetzt ist der Tag des Heils. Sie lassen uns Einblick nehmen in Verantwortungen, aber auch im Sich-Abmühen. Sie lassen Abgründe erkennen und Ängste, und: „Siehe, wir leben“. Alles, was dieser Mann sagt, lässt über dem, was tief unten zu sehen und zu erfahren ist, ein trotziges „Und doch“ erkennen,freilich nun nicht so daher gesagt, sondern aus dem Glauben gesprochen und gelebt, sodass sich ein neuer Blick eröffnet, fröhlich und bunt und lebendig, so wie sich der Himmelt weitet über dem, was auf der Erde lebt. Ob Paulus gesungen hat?

Gedanken, hin und her:
Nur zögerlich lassen sie sich durch die Worte bestimmen.
Mein Blick muss grau gewesen sein, als ich das Krankenhaus betrat. Ich hatte gewusst, dass der Besuch bei ihr sein sein musste, aber am liebsten wäre ich ich gar nicht gegangen, hätte zumindest dann noch gern in der Cafeteria bei Cappuccino und SPIEGEL-Lektüre die Zeit hinausgezögert. Aber ihr Mann hatte gesagt: „Doch, doch, geh nur, es geht schon, sie wird sich freuen“. Aber ich hatte mich gefürchtet. Sie war immer so strahlend gewesen, dabei so zupackend und neugierig, konnte so spitzig formulieren, voller Energie und Lebenslust. Und nun, wie würde sie sein nach der OP, nachdem sich alles so schlagartig verändert hatte? So war ich weitergegangen, die sechs Treppen hoch, hatte den Fahrstuhl also nicht genommen, vielleicht, um jetzt nicht mit anderen zusammen zu sein, vielleicht auch, um nicht zu schnell da zu sein. Dann, die Türen, die zu der
der Station führen: sie öffnen sich automatisch. Zögerliches Eintreten. Pfleger und Schwestern in den grünen Kitteln, kaum ein Grüßen, aber entschlossene Geschäftigkeit. Aus dem Dienstzimmer gedämpftes Reden und verhaltenes Lachen. Natürlich, man sagte mir das Zimmer der Patientin, ohne jedoch dabei eine Miene zu verziehen. Auf dem Flur Wagen mit Tabletts und leeren Flaschen. Ein geöffneter Raum liess Monitore erkennen. Endlich das richtige Zimmer. Klopfen ( dass innen sowieso niemand hört, dann zögerliches Eintreten. Ich erkannte, dass da schon jemand am Bett saß und wollte gleich wieder zurücktreten. „Komm nur, ich gehe schon und mache Platz, übernimmt ruhig den Dienst“, sagte die mir unbekannte Besucherin. Im Dienst stehen: so ähnlich hat es der Mann auch gesagt, der davon gesprochen hat, in allen Dingen sich als Diener Gottes zu erweisen, in großer Geduld, in Trübsal, in Nöten und Ängsten. Ob Paulus das auch mal gekannt hat: dieses Zurückweichen?

Worte im Zimmer:
Das dann folgende übliche 'Hallo' wurde nur leise gesagt. Sie hatte auch kaum den Kopf zu mir gewandt , sie konnte wohl auch kaum anders lag flach in dem Krankenbett, daneben die Vorrichtung mit den Infusionen und ein Monitor, auf der anderen Seite, etwas weg geschoben, der Krankentisch mit einigen Medikamenten auf der Ablage, dahinter das Fenster zu dem sie im Liegen weiter hinaus sah. „Da auf der anderen Seite“, sagte sie, „da ist das andere Bettenhaus. Es sieht so grau aus. Nur Beton. Und Glas. nachts sehe ich manchmal, wie die Lichter an und ausgehen. Was mag da denn los sein. Wer mag da liegen?“ Und nachts würde sie dann auch die eiligen Schritte hören, auf dem Flur, wenn die Schwestern kommen müssten; sogar vom Flur über ihr. Mein Gott, dachte ich, wie schlimm. Man sieht sieht ja wirklich nur grau. Und man weiß nicht was los ist, kann es sich auch gar nicht ausmalen. So ist es doch in Wirklichkeit. wobei die Bilder blitzschnell wechseln. Gestern, in der Tagesschau, der türkische Vater mit seinem Kind, vor dem Fass mit dem wärmenden Holzfeuer. Wochenlang hatten sie für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze gekämpft. Und nun hat die Gewerkschaft bei der Betriebsleitung von Elektro Lux einen Kompromiss her ausgehandelt, mit gestaffelten Abfindungen, je nach alter und Betriebszugehörigkeit, außerdem eine einjährige Arbeitszeit bei einer gegründeten Auffindungsgesellschaft. Dieses Ergebnis wird sogleich als zukunftsweisendes Modell verhandelt werden: Abfindungen statt Kündigungsschutz. 12 000€ würde er bekommen, sagte der Mann, „doch was wird werden, wenn das Geld aufgebraucht ist, wo werde ich dann arbeiten können“? Die Kamera zeigte, wie er sein Kind an die Hand nahm und wegging. Ich aber sehe es, weiß um die Sicherheit meines Gehaltes und kann für ihn nichts tun. So hart sind die Widersprüche, an denen ich auch Anteil habe. wir sind nicht versöhnt in der Zeit unserer Welt, und es ist auch kein aufheben der Widersprüche erkennbar, wie es einmal ein graubärtiger deutscher Philosoph entworfen hatte. Einleuchtender ist mir gewesen, was Bonhoeffer einmal gesagt hat: „Wir leben im Vorletzten und glauben das Letzte, ist es nicht so“(Widerstand und Ergebung, 5.12.1943)? Aber: wenn das Vorletzte die Entfremdung ist, ist dann der Glaube an das Letzte nicht ihr eigener Ausdruck, also die einfache Vertröstung in das Unwirkliche? Ob Paulus der mal gesagt hat: „Nicht aber ich, sondern.“- ob er auch dieses gekannt hat: diese Hilflosigkeit und Verunsicherung?

Worte, die sie mir sagte:
Ich weiß, dass ich dieses brauche: Worte, die mir gesagt werden und mich so aus der Stummheit Gedanken herausrufen.
„Hey, wo bist du?“, sagte sie, „ Du sagst ja gar nichts. Ich glaube übrigens, dass ich bald aufstehen kann. Übrigens: ich sehe nicht nur das Bettenhaus. Ich kann auch ein bisschen den Wald sehen und darüber den Himmel“. Und damit sie hat mir gesagt, dass sie mehr sehen kann als das, was bedrückt und ängstigt. Etwas, was ist schön und weit. Es ist deshalb mehr als der sich entwerfende Geist der Utopie. Weil es wirklich ist. Ja, der Himmel, den sie sieht, ist wirklich. Und das berührt sich mit den Worten, die jener Mann gesagt hat:

„Und doch“.

Seine Aufzählung : einzelne Worte nur, die zunächst beschreiben, was ist, sie verändern sich unmerklich. Zunächst steht nebeneinander, was in Wirklichkeit gewesen ist und was sich nicht verändern lässt: „In Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnis sein, in Aufruhen, in Mühen, in Wachen, in Fasten, durch Ehre und Schande, durch böse Gerüchte und gute Gerüchte “: die religiöse und die weltliche Existenz . „Nur wenn das, was ist, nicht alles ist, lässt sich das, was ist, ändern“ . Auch dieses sagte einmal ein deutscher Philosoph. Paulus sagt es anders, nicht so abstrakt, sondern konkret. Weil er es lebt. Er sagt: „Und doch“. Er benennt das andere, weil es das gibt: die andere Wirklichkeit. Zwar gibt es Leute, die ihn als Verführer sehen, und doch: als wahrhaftig: so ist er zu sehen. Als die Unbekannten: und doch: als bekannt; als die Sterbenden und siehe, wir leben. Diese Gegenwelt ist wirklich, denn sie ist genau das, was einer leben kann: nicht aber ich, sondern Christus. So sagt es Paulus. Und sagt es konkret: „Wir tragen das Sterben Jesu an unserem Leibe, auf dass auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde“ ( 2. Kor 4,10). Also: diese durch meine Möglichkeiten niemals aufzulösende Gegensätzlichkeit in der Existenz ist zugleich der Ausdruck seiner Nähe. Er lebt sie in uns, damit wir die auf ein einziges Ziel gewiesen werden: die Versöhnung mit Gott. Und doch.

Worte, die wir sagen können:
„Vater Unser“, können wir sagen und damit die Sicherheit einer Beziehung ausdrücken, die uns persönlich gilt. Und ob. „Im Himmel“ können wir sagen, und damit eine Perspektive erkennen, die unendlich weit ist und sich zugleich schützend über das Leben birgt. Wir können gemeinsam um das tägliche Brot bitten und darin den Willen eintragen, das Feld der Arbeit zu teilen. Wir können Einsicht in die eigene Schuld gewinnen und in der Bitte um Vergebung zugleich anderen und uns selbst Neuanfänge ermöglichen. Diese Aussicht auf eine andere Zeit ist nicht grau, sondern herrlich.
Sie wird nicht nur ein bisschen dauern, sondern lange währen. Unverschämt lange: nämlich ewig. Amen.


Wolfgang Petrak, Pastor in St. Petri, Göttingen-Weende
mailto:w.petrak@gmx.de





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