Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Reminiszere, 12. März 2006
Predigt zu Jesaja 5,1-7, verfasst von Reinhard Überrück
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Am besten gibt den Charakter des "Weinbergliedes" die Gute- Nachricht-Übersetzung wieder):

1 Hört mir zu! Ich singe euch das Lied meines Freundes von seinem Weinberg:
Auf fruchtbarem Hügel, da liegt mein Stück Land,

2
dort hackt ich den Boden mit eigener Hand,
ich mühte mich ab und las Felsbrocken auf,
baute Wachtturm und Kelter, setzte Reben darauf.
Und süße Trauben erhofft ich zu Recht,
doch was dann im Herbst wuchs, war sauer und schlecht.

3 Jerusalems Bürger, ihr Leute von Juda,
was sagt ihr zum Weinberg, was tätet denn ihr da?

4 Die Trauben sind sauer - entscheidet doch ihr:
War die Pflege zu schlecht? Liegt die Schuld denn bei mir?

5
Ich sage euch, Leute, das tue ich jetzt:
Weg reiß ich die Hecke, als Schutz einst gesetzt;
zum Weiden solln Schafe und Rinder hinein!
Und die Mauer ringsum - die reiße ich ein!
Zertrampelnden Füßen geb ich ihn preis,
schlecht lohnte mein Weinberg mir Arbeit und Schweiß!

6 Ich will nicht mehr hacken, das Unkraut soll sprießen!
Der Himmel soll ihm den Regen verschließen!

7
Der Weinberg des Herrn seid ihr Israeliten!
Sein Lieblingsgarten, Juda, seid ihr!
Er hoffte auf Rechtsspruch -
und erntete Rechtsbruch,
statt Liebe und Treue nur Hilfeschreie!

Liebe Gemeinde!

Was soll dass denn? Ein Karnevalstext an einem Passionssonntag? Das war mein erster Gedanke als ich unseren Predigttext in dieser frech gereimten Form in der Guten-Nachricht-Bibel las. Erst zwei Wochen nach den "Tollen Tagen" hat man solche Sätze ja noch im Ohr. Aber seit Aschermittwoch ist doch eigentlich alles vorbei! Wie passt solch ein Predigttext in die Passionszeit?

In der Lutherübersetzung, ungereimt, klingt er längst nicht so karnevalsartig, eher langweilig.
Doch die Gute-Nachricht gibt wohl ganz gut wieder, wie dieser Text tatsächlich beim Propheten Jesaja gemeint ist. Es ist tatsächlich ein Spottlied mit viel Ironie. Warum soll sich nicht ein Prophet auch solcher ironischen Sprachmittel bedienen? Ich kann mir einen Propheten ganz gut als eine Art Kabarettisten vorstellen, der bei irgendeinem öffentlichen Anlaß, einem Erntefest vielleicht, sich hinstellt und seine für das Volk nicht so erfreuliche Botschaft eben in ein gefällig gereimtes Liedchen verpackt. Es ist vielleicht seine einzige Chance, seine unbequeme Botschaft den Menschen überhaupt nahe zu bringen. Offene Kritik, klar ausgesprochen, verhärtet die Fronten, kann ganz schnell abgetan werden, aber in ein Liedchen verpackt: Erst beim genauen Hinhören offenbarte es die messerscharfe Kritik. Man kann sich als Hörer kaum seiner Wirkung entziehen. Mit seinem eingängigen Bild und den Suggestivfragen zieht es einen mit hinein, und ehe man sich versieht, merkt man, dass man selber ja gemeint ist

Aber da ein Kabarettist heute und eben ein Prophet damals nicht so richtig ernst genommen werden müssen, kann man sich von der geäußerten Kritik auch wieder leichter distanzieren. Ernstes, ironisch verpackt, hat manchmal eine größere Chance anzukommen als die nackte Wahrheit.

Vom Stil her versucht der Prophet ein ganz altes Liebeslied zu karikieren, was seinen Zuhörern wohl bekannt war. Der Weinbauer ist der Liebhaber, der sich um seine Geliebte, den Weinberg bemüht, aber es kommt nichts dabei heraus, nur eine Art Liebeskummer, der sogar in Enttäuschung und Zorn umschlägt. Auch heute noch wird diese Form des Liedes eines enttäuschten Liebhabers öfter von Kabarettisten angewandt, meist, um sich über Politiker und ihre Wähler lustig zu machen, die mal wieder auf Wahlversprechen reingefallen sind.

Eines unterscheidet das Spottlied des Jesaja dann aber doch von den Reimen eines Karnevalisten oder Kabarettisten. Letztere nehmen zwischenmenschliches Verhalten auf die Schippe.

Der Prophet Jesaja thematisiert in seinem Weinberglied göttliches Verhalten. Das Bild, das er malt, ist da auch ziemlich einfach zu entschlüsseln. Der Weinbergbesitzer ist Gott selber und der Weinberg, das sagt ja der siebte Vers ganz deutlich, das sind die Israeliten, Gottes auserwähltes Volk. Gott ist in das Volk Israel verliebt. Er ist der Liebhaber, doch das geliebte Volk Israel erwidert seine Liebe nicht. Gott hat deshalb Liebeskummer, wird sauer, zornig, denkt sich sogar eine Rache aus, will das Volk Israel abstrafen.

Das ist schon eine ungeheuerliche Aussage. Alles steht auf dem Spiel: das ganze Alte Testament bis zum Propheten Jesaja. Im Auszug aus Ägypten, im Gelobten Land, im Gesetz, da wurde ja immer wieder von der Zuwendung Gottes zum Volk Israel berichtet, und das wird in diesem Lied in Frage gestellt. Vielleicht mußte der Prophet diese schreckliche Botschaft deshalb in so gefällige Reime verpacken, weil sie für einen Israeliten und auch für einen Christen heute sonst kaum zu ertragen ist. Die Zuwendung Gottes zu den Menschen, seine Liebe zu uns, das durchzieht doch als Evangelium, als Gute Nachricht, wie ein rotes Band die ganze Bibel. Und genau hier droht dieses kleine Lied mit Gottes Liebes- oder Zuwendungsentzug.

Was ist da passiert, dass Gott dem Volk Israel so mit Liebesentzug droht?

"Er hoffte auf Rechtsspruch und erntete Rechtsbruch" Dieses Wortspiel ist der einzige Hinweis auf die Vergehen des Volkes Israel in unserem Lied. In anderen Übersetzungen heißt es "Bluttat statt Guttat" oder "Schlechtigkeit statt Gerechtigkeit". Das bleibt aber auch sehr allgemein. Das, was wirklich vorgefallen ist, kann man nur aus den Kapiteln im Buch des Propheten Jesaja um dieses Lied herum rekonstruieren und zusammensuchen . Die Israeliten beten Götzenbilder an, betreiben Wahrsagerei und obwohl ihr Land voll Gold und Silber ist, haben die Ältesten des Volkes die Armen beraubt, heißt es da. Die Jungen haben keinen Respekt mehr vor den Alten, die Frauen sind eitel geworden und denken nur an Schmuck. Die Landbesitzer wollen immer mehr haben. Es werden Orgien gefeiert mit Musik und Alkohol, aber Gott wird nicht mehr verehrt.

Es scheint also einiges schief zu laufen im religiösen und gesellschaftlichen Bereich, aber auch diese Vorwürfe klingen etwas nebulös. Sie sind im Alten Testament durchaus öfter zu hören. Fast jeder Prophet hat seinen Zeitgenossen ähnliches vorzuwerfen. Auch ein heutiger Prophet könnte das, wenn er - vielleicht als politischer Kabarettist - den Zustand unser Gesellschaft beschreiben würde. Er könnte dann ähnliches anprangern: Dass falsche, materielle Götter verehrt werden, wie sie auch immer heißen mögen, Auto, Fußball oder Konsum, dass die Generation der Alten die Jugendgeneration nicht versteht, dass die Reichen immer reicher werden und die Armen immer mehr werden, dass Arbeitslosigkeit herrscht trotz Exportweltmeisterschaft, Kaufrausch, Drogenkonsum. Das alles könnte auch ein moderner Prophet heute kritisch feststellen über unsere Gesellschaft. Im Laufe der Geschichte der Menschheit betrachtet ist es also gar nichts "Besonderes", was der Prophet Jesaja in seinem Weinberglied anklagt. Muß man dafür wirklich gleich mit Gottes Liebesentzug drohen?

Liebe Gemeinde, wir können zunächst nur festhalten, dass unser Lied es tatsächlich so sieht: Wenn in der Gesellschaft etwas schief läuft, dann droht der Zuwendungsverlust Gottes. Glauben und soziales Leben gehören zusammen. Und wenn das Leben nicht richtig, nicht gerecht und sozial verläuft, dann stimmt auch mit dem Glauben etwas nicht.

Merkwürdig ist schon, wie das Weinberglied diese Drohung mit dem göttlichen Liebesentzug dann aber weiter deutlich macht im Bild von dem Weinberg und seinem Besitzer. Was wir gewohnt sind, ist, dass auf gesellschaftliches Fehlverhalten Gott mit einem großen Strafgericht reagiert.

Hier entzieht Gott dem Weinberg einfach seine Sorge, seine Pflege, seinen Schutz, ja sogar den zum Wachsen notwendigen Regen. Gott tut einfach nichts mehr von dem, was der Weinberg doch so dringend braucht. Gott ist einfach nicht mehr da, nicht mehr fühlbar und dann, so drückt es dieses alte Bild aus, wird ganz folgerichtig alles den Bach runtergehen. Wenn Gott einfach nicht mehr da ist, die Welt sich selber überläßt, dann ist das vielleicht schlimmer als jedes Gericht. Eine Welt, die gar nichts mehr weiß von Gottes Ansprüchen an gelingendes Leben, von Recht und Gerechtigkeit, von Frieden und Bewahrung der Schöpfung, die kann eigentlich nur ins Verderben laufen. Sonst stellen wir ja angesichts des vielen Leides in unserer Welt immer die große Frage nach Gott: "Wo bist du Gott, wenn alles schief läuft?"

Das Weinberglied dreht diese Fragerichtung geradezu um: "Was wäre, wenn Gott gerade im größten Chaos einfach nicht da wäre? Wenn Gott die Welt einfach fallen läßt?"

Wie gesagt, das Weinberglied stellt nur diese Frage, droht mit ihr, eben, um zu warnen vor einem Leben ohne Gott. Denn noch haben wir es in der Hand, Gott einzubeziehen in unser Leben, in unsere Welt.

Eine Welt, die Gottes Willen noch kennt, kann immer noch dem Leben eine Richtung geben, kann Fehlentwicklungen entgegen steuern, auch wenn sie dem, wie es eigentlich sein sollte, immer hinterherläuft und Gott etwas schuldig bleibt. Eine Welt, die Gott noch kennt, die kann er nicht fallen lassen.

Amen

Reinhard Überrück
Ev. Seelsorger in der Bundeswehr
Eschenweg 3
59423 Unna
Email: rueberruck@t-online.de


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