Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Okuli, 19. März 2006
Predigt zu 1. Petrus 1, 18-23, verfasst von Heribert Arens
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Ich fühle mich wie neu geboren!

Predigttext:
18 Ihr wisst, dass ihr aus eurer sinnlosen, von den Vätern ererbten Lebensweise nicht um einen vergänglichen Preis losgekauft wurdet, nicht um Silber oder Gold,
19 sondern mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel.
20 Er war schon vor der Erschaffung der Welt dazu ausersehen und euretwegen ist er am Ende der Zeiten erschienen.
21 Durch ihn seid ihr zum Glauben an Gott gekommen, der ihn von den Toten auferweckt und ihm die Herrlichkeit gegeben hat, sodass ihr an Gott glauben und auf ihn hoffen könnt.
22 Der Wahrheit gehorsam, habt ihr euer Herz rein gemacht für eine aufrichtige Bruderliebe; darum hört nicht auf, einander von Herzen zu lieben.
23 Ihr seid neu geboren worden, nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen: aus Gottes Wort, das lebt und das bleibt.

„Ich fühle mich wie neu geboren!“

Nach einem erfrischenden Bad, nach einem erholsamen Schlaf, nach einem gelungenen Urlaub sagt man gelegentlich: „Ich fühle mich wie neu geboren!“ Neu geborenes Leben ist frisch, unverbraucht. Neu geborenes Leben kennt noch keine persönliche Unheilsgeschichte und kann darum alle Kräfte auf eine gute und gelingende Zukunft setzen. Neu geborenes Leben ist gebündelte Energie, gebündelte Zukunft, keimhaft angelegtes Kräftepotential mit unendlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Jeder Große dieser Welt, jede kraftvolle Gestalt menschlichen Lebens, Heilige und Sünder, Gewinner und Verlierer, Bewunderte und Verachtete: alle haben einmal als „neugeborenes Leben“ angefangen. Wie sich ihr Leben weiter entfaltet hat, hing sicher auch von unterschiedlichen Verhältnissen ab, aber auch davon, was der einzelne aus dem keimhaft gebündelten Anfang gemacht hat.

„Ich fühle mich wie neugeboren!“ – wer das sagt, ist in einer guten Verfassung. Er/Sie schaut zuversichtlich ins Leben. Mit neuer Kraft, mit neuer Energie, mit Freude und Optimismus geht sie/Er die nächsten Schritte. Das Leben macht Freude und lockt.

„Ihr seid neu geboren worden“

Darf man solche Gedanken auch denken angesichts der Aussage, die Petrus in seinem Brief über seine Leser macht? „Durch die Begegnung mit Jesus, durch die Betroffenheit von seinem Wort, das lebt und das bleibt, seid Ihr wie neugeboren: neu, frisch, unverbraucht.“

Aus der Begegnung mit Gott neu geborenes Leben ist befreit von vergangener Unheilsgeschichte und kann darum alle Kräfte auf eine gute und gelingende Zukunft setzen. Aus Gott neu geborenes Leben ist gebündelte Energie, gebündelte Zukunft, keimhaft angelegtes Kräftepotential mit unendlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Aus Gott neu geborenes Leben ist eine Einladung, den keimhaft gebündelten Anfang zu entfalten.

Entfalten in der Bruderliebe

Liebe zu den Schwestern und Brüdern ist für Petrus ein Entfaltungsraum der neu Geborenen. Das mag für uns sehr selbstverständlich klingen, denn das hat sich nach zweitausend Jahren Christentum inzwischen herumgesprochen. Aber im damaligen hellenistisch geprägten Raum ist es eine „Antithese zur hellenistischen Ethik, die insgesamt im Kern streng individualistisch ist, die Autonomie und Autarkie des einzelnen lehrt. Daher war das Verhalten der Christen in der Gesellschaft auffällig, für sie selbst wohl auch immer neu ‚fragwürdig’, und musste deswegen immer neu begründet werden“(H. Frankemölle). Solche Liebe haben die ersten Christen sehr wohl als prägend für ihr Leben in der Nachfolge Christi verstanden, wie die Apostelgeschichte bezeugt „Sie waren ein Herz und eine Seele; Sie hatten alles gemeinsam“(2, 43 – 47).

Dass solche Liebe in der Gesellschaft auffällig war, bezeugt Tertullian (150-230) im zweiten christlichen Jahrhundert, wenn er erzählt, dass die Heiden sagten: „Seht, wie sie einander lieben.“

Das dürfte sich auch in unserer heutigen Gesellschaft Ausdruck gelebten Christseins erweisen. Auch unsere Gesellschaft ist stark individualistisch geprägt. Solidarität, Teilen, Füreinander dasein, einer des anderen Last tragen: das sind nicht gerade Markenzeichen unserer Konkurrenzgesellschaft. Da herrschen eher Parolen wie: „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied!“ „Das geht mich nichts an, das ist sein Bier!“ Umso stärker sind wir als Christen herausgefordert, Bruder – und Schwesterliebe nicht nur im Munde zu führen, sondern mit Leben zu füllen.

Der Wahrheit gehorsam, habt ihr euer Herz rein gemacht

„Der Wahrheit gehorsam, habt ihr euer Herz rein gemacht“ – das nennt Petrus als Fundament der Bruderliebe. Der Wahrheit gehorsam: Die Wahrheit ist, dass wir alle, dass jeder Mensch aus Gott stammt, dass Gott jeden in gleicher Weise in seine Liebe einschließt, dass er nicht die einen mehr liebt als die anderen.

Wenn ich auf diese Wahrheit horche und ihr gehorche, dann wird mein Herz rein: mein Herz, das den Neid und die Missgunst kennt; mein Herz, das Sympathie und Antipathie kennt; mein Herz, das nur schwer verzeihen kann; mein Herz, das um so manchen am liebsten einen großen Bogen macht; mein Herz, das gelegentlich herzlos und unbarmherzig reagiert. „Der Wahrheit gehorsam, habt ihr euer Herz rein gemacht“ das bedeutet nicht, dass all das aus meinem Herzen verschwunden ist. Wohl bedeutet es, dass ich mich nicht davon beherrschen lasse, dass ich nicht gedankenlos meinem „unreinen Herzen“ folge, sondern dass ich es läutere und reinige, indem ich mir Gottes Liebe zu jedem Menschen zu Herzen nehme.

„Durch ihn (Christus) seid ihr zum Glauben an Gott gekommen“

Diese Liebe hat uns Gott in Jesus nahe gebracht. Jesus lebte die Liebe. Er wandte sich allen Menschen zu. Seine Geburt „ganz unten“ bei den einfachen Leuten ließ erfahren: Keiner ist von dieser Liebe ausgeschlossen. (Wäre er am Hof des Herodes oder als Kind eines der oberen Zehntausend geboren worden, alle die gesellschaftlich niedriger waren, wären durch das Netz seiner Liebe gefallen, wären ausgeschlossen gewesen.)

Auch in seinem Leben als Erwachsener ist keiner ausgeschlossen: nicht die Kinder, nicht die Sünderin, nicht Nathanael unter dem Feigenbaum, nicht der sündige Zöllner Zachäus, nicht die Frau, die ein paar Pfennige in den Opferstock wirft, nicht der Schächer am Kreuz, nicht Petrus, der ihn gleich dreimal verleugnet. Alle sind eingeschlossen in seine Bruderliebe.

Und dieser Jesus sagt von sich: „Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat.“ (Joh 12, 45). Jesus ist der Weg zum Vater – oder mit den Worten des Petrusbriefes: Durch ihn (Christus) seid ihr zum Glauben an Gott gekommen (1,22). So ist es letztenendes Gott selber, durch den wir wiedergeboren sind. So ist es Gott selber, der uns beruft, ein Leben zu leben, in dem wir uns fühlen wie neu geboren:

„Ich fühle mich wie neugeboren!“ – wer das sagt, ist in einer guten Verfassung. Er/Sie schaut zuversichtlich ins Leben. Mit neuer Kraft, mit neuer Energie, mit Freude und Optimismus geht sie/Er die nächsten Schritte. Das Leben macht Freude und lockt.


Heribert Arens ofm
Franziskanerkloster Hülfensberg
heribert_arens@huelfensberg.de


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