Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Okuli, 19. März 2006
Predigt zu Johannes 8, 42-51, verfasst von Elisabeth Birgitte Siemen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Wir haben den dritten Sonntag der Passionszeit, und seit alters her geht es da um Teufel und Dämonen!

Das Gespräch, von dem wir eben einen Teil gehört haben, ist ein Streitgespräch. Es findet zwischen Jesus und den Juden statt, wie der Evangelist Johannes sagt. Die Juden – das klingt verkehrt, denn alle Teilnehmer sind ja Juden – auch Jesus. Aber für Johannes ist das ein Sammelbegriff für die Gegner Jesu. Denn es waren ja nicht alle Juden, die etwas gegen Jesus hatten. Es war in Wirklichkeit gerade das Problem der Gegner: dass es da viele gab, die ihm nachfolgten, und viele, die ihm zuhören wollten. Aber es gab auch viele Gegner, und sie sind es, mit denen sich Jesus hier einmal mehr auseinandersetzt.

Unmittelbar bevor unser Text einsetzt, sind die Juden mit einer Frau zu Jesus gekommen, die beim Ehebruch ertappt worden war. „Das Gesetz Moses sagt doch, dass wir eine Frau wie diese steinigen sollen,“ sagen sie. „Aber du, Jesus, was sagst du?“ Jesus antwortet bekanntlich, indem er sich bückt und mit dem Finger in den Sand schreibt. Am Ende sagt er, dass derjenige von ihnen, der ohne Sünde sei, ja den ersten Stein werfen könne. Daraufhin verschwinden sie ganz leise, niemand soll einen Stein werfen.

Aber das ist es, was den Streit auslöst, in den wir jetzt mit dem heutigen Text hineinkommen. Nur kurze Zeit später ist es Jesus selbst, den die Juden steinigen wollen.

Zugegeben, es ist wohl eine Übertreibung, das ein „Gespräch“ zu nennen. Wir sind weit über den Punkt hinausgekommen, an dem es noch irgendetwas gegeben hätte, worüber ein Gespräch zwischen den beiden Partnern hätte geführt werden können. Wir sind so weit gekommen, dass die gegenseitigen Anschuldigungen hin und her fliegen. „Ihr habt den Teufel zum Vater,“ sagt Jesus zu seinen Widersachern, und das mögen sie gar nicht gern hören. In Wirlichkeit ist das eine recht ernste Beschuldigung. Und zwar ganz besonders für rechtgläubige Juden, die keinen Augenblick im Zweifel sind, dass sie von Abraham selbst abstammen und dem auserwählten Volk Gottes angehören. Aber Jesus hat eine andere Meinung über sie: „Ihr hört nicht, weil ihr nicht von Gott seid.“

Und die Juden haben auch einige gute Anklagen bereit. Sie wollen nicht nachstehen. „Sagen wir nicht mit Recht, dass du ein Samariter bist und von einem bösen Geist besessen bist?“ Basta! Das klingt in unseren Ohren vielleicht nicht so aufregend. Aber Jesus einen Samariter zu nennen – ja, wenn wir das in eine Art Neudeutsch übersetzen wollten, müssten wir ein sehr negatives Wort für einen Ausländer finden.

Die Samariter gehörten in den Augen der Juden zum schlimmsten Abschaum. Sie wohnten gleich um die Ecke, im Nachbarland; aber wenn ein ordentlicher Jude auf Reisen gehen wollte, dann zog er einen großen Umweg vor, um nicht durch Samaria reisen zu müssen. Die Juden meinten, die Samariter seien unrein, und sie beteten Gott auf völlig verkehrte Art und Weise an völlig verkehrter Stelle an. Es war nicht viel Gutes an ihnen. Wenn man also Jesus einen Samariter nannte, dann war das Wort in ihrem Munde nicht so sehr eine Bezeichnung der Nationalität, sondern es war ein Schimpfwort.

Kinder des Teufels nennt Jesus sie. Er ist sehr, sehr zornig. Und was ihn so in Wut versetzt, ist die Tatsache, dass sie ihm nicht glauben.

Er war nun aber auch furchtbar unbequem. Er nannte sich Gottes Sohn. Er ging umher und sagte und tat merkwürdige Dinge. Da ist es natürlich sehr viel leichter, einen Gott zu haben, den man sich selbst gemacht hat. Ein Kalb aus Gold beispielsweise, das man selbst gegossen hatte. Davon haben wir vorhin bei der Lesung vom Altar gehört. Die Juden machten sich solch ein Kalb, das sie wie eine Gottheit anbeten konnten. Es war ganz verständlich: sie hatten es nötig, dass irgend etwas Wesentliches geschah. Sie waren auf dem Wege in das Land, das Gott ihnen verheißen hatte. Weg von dem Sklavendasein in Ägypten, nach Hause in das Land, in dem Milch und Honig fließt. Aber bis auf weiteres war da nicht viel her mit Milch und Honig. Sie waren gereist und gereist und gereist. Nicht ein paar Tage, nicht einige Wochen oder Monate, sondern viele Jahre. Kinder wurden auf der Reise geboren, alte Menschen starben, junge Menschen starben auch – an Krankheit, an Ermattung, oder weil es ihnen an Geist fehlte. Sie starben Entwurzelung. Daran, dass sie nirgendwo ein Zuhause hatten.

In dieser Lage war Moses dann auf den Berg gestiegen, um sich mit Gott zu beraten. Er empfing die Zehn Gebote und eine Reihe von Anweisungen. Und das nahm viel Zeit in Anspruch.

Und während er weg war, machten die Juden ihr Bullenkalb. „Gott hat uns sowieso vergessen,“ sagten sie. „Was nützt er uns? Nein, das hier ist ein Gott, den man sehen kann. Jetzt wollen wir ihm ein Fest bereiten.“

Und das taten sie dann auch. Sie aßen und tranken und tanzten um ihr goldenes Kalb, und das sah Gott ja sehr genau; Moses war also faktisch gewarnt, als er vom Berg herabstieg mit den Steintafeln, auf denen die Zehn Gebote standen. Aber als er mit eigenen Augen sah, was da geschah, wurde er so wahnsinnig wütend, dass er die Steintafeln auf die Erde warf und zerschmetterte und seine Landsleute ausschalt und ihnen all Ehre und Anstand absprach.

Sie wussten es ja nur zu gut. Sie wussten sehr wohl, dass sie unter keinen Umständen andere Götter anbeten durften – und dass man etwas, das man nur selbst hergestellt hat, ganz und gar nicht einen Gott nennen kann. Sie wussten ganz genau, dass sie nur der Gott Israels heil ans Ziel führen konnte. Manchmal ist es eben einfach leichter, an die Lüge zu glauben als an die Wahrheit. Denn der Vater der Lüge ist der Böse selbst, und er kann einfach locken und verführen, wie er will.

Aber sie kamen in das verheißene Land. Ja, nicht alle – viele hatten die Geschichte mit dem goldenen Kalb büßen müssen. Aber Gott verwirklichte, was er verheißen hatte. Sie bekamen die Zehn Gebote wieder, und sie durften in das Land ziehen, das Gott ihnen versprochen hatte. Trotz aller goldenen Kälber.

Die Teufelsbrut brauchte nicht bange zu sein. Gott legte zu, was ihnen selbst an Glauben und Hoffnung und Zuversicht fehlte.

Aber Jesus meint also nicht, dass ihre Nachfahren so viel klüger geworden wären, dass es verschlägt. Auch jetzt können sie die Wahrheit nicht erkennen, wenn sie ihr begegnen. Auch jetzt können sie nichts anderes sehen als ausgerechnet ihre eigene Gerechtigkeit und Auserwähltheit. Auch jetzt sind sie bereit, die Lüge zu wählen anstelle der Wahrheit.

Nun könnte es ja ganz willkommen sein, wenn wir hier Halt machten. Bei den Juden von vor mehr als 2000 Jahren. Da hätten wir einen angenehmen Abstand zwischen uns selbst und dieser ganzen Geschichte.

Aber das würde den Evangelien schlecht anstehen, bloß von etwas zu handeln, was mit einer bestimmten Gruppe von Menschen vor vielen Jahren passiert ist. Und darin wäre insoweit auch kaum so viel Evangelium enthalten.

Es ist also an uns gerichtet. Wir meinen vielleicht, wir hätten unser Schäfchen wirklich im Trockenen. Wenn wir den Glauben bekennen, dann geht auf jeden Fall alles wie am Schnürchen. Da zögern wir nicht, unseren Glauben an Gott den Vater, Sohn und Heiligen Geist zu bekennen, das ist der Glaube, in dem wir getauft sind. Aber ist das auch der Glaube, in dem wir leben?

Denn ist es nicht so, dass zwischen uns und den Gott, der uns seine Kinder nennt, viele goldene Kälber getreten sind? Jedenfalls kommt unsererseits tagtäglich vieles dazwischen. Wir haben so viele merkwürdige Dinge vor, und der größte Teil davon ist wohl kaum zu Nutz und Frommen der Welt. Es geschieht wohl aus diesem Grunde, dass wir uns in genauso hohem Maße getroffen fühlen wie die Menschen, die damals um Jesus herumstanden. Und vielleicht sollten wir im Gegensatz zu ihnen erstmal kurz nachdenken, ehe wir unsere Selbstgerechtigkeit bemühen, um uns zu verteidigen.

Die Juden hatten ihre Gesetze auf steinernen Tafeln stehen. Auch wir haben so manche merkwürdige Gesetze und Regeln, die sicherlich nicht auf Papier geschrieben stehen. Vielleicht sind sie aber in die Steintafeln gemeißelt, die wir unsere Herzen nennen. Jedenfalls reden diese Regeln immer vor allem davon, was die Anderen dürfen und nicht dürfen. Und das ist in Wirklichkeit die schlimmste Form von Unmoral, die es gibt: nämlich diejenige, die uns erlaubt, uns selbst freizusprechen, während wir die Anderen verurteilen. Dann haben wir nämlich die Wahrheit mit der Lüge verwechselt. Dann hat der Teufel selbst unsere Augen für unsere eigenen Fehler blind gemacht.

Der Teufel – ja, aber an ihn glaube ich doch nicht, sagen wir dann. Nein, das sollen wir wahrhaftig auch nicht tun. Er ist nämlich voller Lügen – wie ich zu unseren Konfirmanden sage. Aber das ist nicht dasselbe wie, dass es ihn nicht gibt. Wer wagt es heutzutage, die Existenz des Bösen zu leugnen? Wir brauchen nur an Madrid oder London zu denken. Das reine Teufelswerk!

Ihr habt den Teufel zum Vater, sagt Jesus. Ihr glaubt, ihr seid so ungeheuer klug. Ich glaubt, ihr könntet alles selbst. Warum habt ihr solche Angst vor mir? Etwa, weil ich euch erzähle, dass sich das Leben niemals mit ein paar Steintafeln lenken lässt? Dass sich das Leben nicht in Schach halten lässt mit Hilfe von Regeln darüber, was man kann und was man nicht kann?

Das Leben ist gefährlich, und es stellt Anforderungen. Es begegnet uns nämlich oft in einem anderen Menschen. Und wir – ja, wir müssen uns damit begnügen, es entgegenzunehmen und von ihm eingefangen zu werden. Von ihm besessen und in ihm engagiert zu sein.

Und deshalb sollten wir es sein lassen, uns zum Richter über das Leben Anderer zu machen. Wir sollten unser eigenes Leben leben – zu Nutz und Frommen derjenigen, die wir sonst so eifrig verurteilen. Es gibt doch nur eine Hauptregel, die zu allen Zeiten Gültigkeit hat: Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben – und deinen Nächsten wie dich selbst.

Und dann können wir uns selbst wieder die Frage stellen: Ist der Glaube, den wir bekennen, auch das, wonach wir leben? War es z.B. für mich gestern so, dass Gott in allem, was ich unternommen habe, mein erster und letzter Gedanke war? So dass nur Gott den tiefen Zusammenhang in meinen Gedanken ausmacht – war es so? Oder wird es womöglich heute so sein?

Oder war da ein Mitmensch, dessen Freude wir kaputtgemacht haben? War da eine ausgestreckte Hand, die wir absichtlich übersehen haben? Weil wir selbst im Mittelpunkt gestanden haben und nicht vom Fleck zu bewegen waren?

Jeder einzige Tag stellt uns vor Wahlen. Die Wahl zwischen der Lüge und der Wahrheit, zwischen dem Bösen und dem Guten. Unsere Gedanken und Taten entlarven uns und stellen uns, leider allzu oft, unter die Kinder des Teufels.

Aber die Teufelsbrut braucht keine Angst zu haben. Gott legt dazu, was uns fehlt. Das Gesetz ist auf Steintafeln geschrieben. Was da steht, kann nie ausgelöscht und nie vergessen werden und endet wie scharfe Steine in unseren Händen, als Wurfgeschosse gegen unsere Mitmenschen.

Die Liebe dagegen schreibt in den Sand. Was wir falsch gemacht haben, ist binnen kurzem ausgelöscht und vergessen. Gott gibt dazu, was uns fehlt. Gott vergibt.

Das bedeutet, dass das Urteil, das über uns gefällt worden ist – dass dieses Urteil an einem Sonntag am Taufbecken gefällt worden ist, wo wir in den Armen eines Menschen lagen, der uns gehalten hat und für uns alles Gute wollte. Es wurde ein klares Nein zum Teufel und all seinem Unwesen gesprochen, und die Vaterschaft über uns wurde festgestellt – wir sind die Kinder Gottes. Das bedeutet, dass nichts und niemand uns vaterlos machen kann. Auch nicht wir selbst. Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche. Und sein Versprechen an uns ist, mit uns zu sein alle Tage bis an der Welt Ende. Amen.

Pastorin Elisabeth Birgitte Siemen
Kirsebærbakken 1
DK- 2830 Virum
Tel.: +45 45 85 63 30
e-mail: ebsi@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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